Mit Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus wagte sich Mark Twain an eine Mischung aus Science-Fiction, Ritterroman-Satire und Gesellschaftskritik – und das bereits im Jahre 1889. Doch hat sich dieses Wagnis auch gelohnt?
Plötzlich Mittelalter
Eben noch war Hank Morgan Vorarbeiter in
einer Fabrik in Connecticut und stand vor einer glänzenden Zukunft. Doch dann erhält er bei einer…mehrMit Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus wagte sich Mark Twain an eine Mischung aus Science-Fiction, Ritterroman-Satire und Gesellschaftskritik – und das bereits im Jahre 1889. Doch hat sich dieses Wagnis auch gelohnt?
Plötzlich Mittelalter
Eben noch war Hank Morgan Vorarbeiter in einer Fabrik in Connecticut und stand vor einer glänzenden Zukunft. Doch dann erhält er bei einer Schlägerei einen Schlag auf den Kopf und erwacht in England am Hof von König Artus.
Nach einigen Anlaufschwierigkeiten wird er zu dessen rechter Hand und nutzt als „Boss“ seinen jahrhundertelangen Wissensvorsprung, um das rückständige England nach seinen Vorstellungen umzugestalten – oder zumindest um Seife salonfähig zu machen. Wird es dem Yankee gelingen, seinen Plan umzusetzen oder wird die Aber- und Leichtgläubigkeit der Bevölkerung seine Vorhaben vereiteln?
Einflussreicher Schriftsteller
Heutzutage unterschätzen wir nur allzu schnell den Einfluss, den Mark Twain bis heute auf unsere Kulturlandschaft hat. Natürlich kennt jedes Kind Tom Sawyer und Huckleberry Finn (zumindest die gekürzten Fassungen).
Doch auch nicht so populäre Werke wie „Prinz und Bettelknabe“ oder „Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus“ (eine alte Aufbau-Ausgabe von mir trug noch den Titel „Ein Yankee an König Artus Hof“) hinterließen ihre Spuren. Der Roman inspirierte nicht nur eine Reihe von Verfilmungen, auch Versatzstücke wie die Sonnenfinsternis-Szene lassen sich vielfach in allen möglichen Medien wiederfinden.
Bereits 1889 schuf Twain also einen einflussreichen und lupenreinen Science-Fiction-Roman – und damit sechs Jahre vor H. G. Wells (1895), zugegebenermaßen aber auch erst deutlich nach Louis-Sébastien Merciers Zeitreiseklassiker „Das Jahr 2440“ aus dem Jahre 1770. Doch funktioniert der Roman auch im 21. Jahrhundert?
Parodie der Ritterromane
„Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus“ arbeitet auf zwei Ebenen: Zum einen erwartet uns an der Oberfläche eine Parodie auf verklärte Ritterromane im Stile von Sir Walter Scott. Zum anderen nutzt Mark Twain dieses Setting, um gesellschaftliche Missstände im 19. Jahrhundert anzuprangern und seinen (amerikanischen) Zeitgenossen den Spiegel vorzuhalten.
Und glücklicherweise funktioniert der Roman auf beiden Ebenen hervorragend, ohne dass diese sich einander ihrer Wirksamkeit berauben. Die Parodie-Ebene räumt mit den verklärten Vorstellungen der Vergangenheit auf und stellt die Artus-Saga auf den Kopf: Artus ist ein gutgläubiger Trottel, Merlin ein Scharlatan, Ritter alles andere als edel und Seife ein Fremdwort.
Es kommt zu einer Aneinanderreihung von unterhaltsamen und teilweise geradezu absurden Szenen, die unzählige Lacher garantieren. Das fängt schon damit an, dass Hank Morgan in robinsonscher Manier von seinen Plänen und ihrer – denkbar schwierigen - Umsetzung berichtet. Daneben dürfen wir uns beispielsweise über Ritter mit Werbetafeln, Ritter in voller Montur auf Fahrrädern oder nicht ganz so bezaubernde Prinzessinnen in Not freuen.
Diese Szenen funktionieren nicht zuletzt deswegen so gut, weil Hank Morgan mit seiner nüchtern-saloppen Art einen urkomischen Kontrast zur leicht- und gutgläubigen Bevölkerung bildet und dies auch zu kommunizieren weiß.
Schonungslose Gesellschaftskritik
Doch dabei bleibt es nicht. Twain nutzt diese Parodie-Kulisse auch dazu, das Verhalten seiner Zeitgenossen regelrecht an den Pranger zu stellen und behandelt Themen wie Rassismus, Sklaverei, Ausgrenzung und soziale Missstände.
Schonungslos, konsequent und in einem harten Kontrast zum humorvollen Überbau schildert er Unrecht. Sowohl Leser als auch Figuren müssen hilflos mitansehen, wie Familien verhungern, Hexen verbrennen, Adlige mit Ungerechtigkeiten jeglicher Art ungestraft davonkommen und vieles mehr. Die Kommentare des Erzählers machen deutlich, dass es Twain eben nicht um eine Verherrlichung der amerikanischen Lebensweise ging – im Gegenteil.
Sprachliche Kontraste
Das Thema Kontraste setzt sich auch sprachlich fort. Während unsere Hauptfigur Hank Morgan in Twain-typischer Alltagssprache und bisweilen salopp kommuniziert, bedient sich der gemeine Engländer einer barocken Sprache – nachvollziehbarerweise entstehen dadurch einige erheiternde Szenen. Was das für eine Arbeit für die Übersetzerin bedeutet haben muss, kann man nur erahnen.
Die Charaktere sind – wie so oft – nicht mehr als nur Mittel zum Zweck und stellen im Grunde genommen nicht mehr als ein Stilmittel dar. Ausgefeilte Figuren dürfen wir also nicht erwarten, aber ihre Aufgaben erfüllen sie zur vollsten Zufriedenheit.
Fazit
Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus von Mark Twain ist ein ebenso tiefgründiger wie unterhaltsamer Roman, der stilistisch und inhaltlich auf mehreren Ebenen überzeugen kann. Eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Lektüre.