Die neunjährige Elli hat nur einen Wunsch: ein Zimmer für sich allein. Doch das ist gar nicht so einfach mit zwei Brüdern, einer alleinerziehenden Mutter und einem turbulenten Alltag. Hilfe kommt von ihrer Freundin Nursemin, einer angehenden Poetin mit untrüglichem Gespür für Sprache und andere wichtige Dinge des Lebens. Zwischen komischen Abenteuern und ernsten Gesprächen entdecken die beiden, dass man Rückzug und Privatsphäre, Ruhe und Gemütlichkeit auch an ungewohnten Orten finden kann - mitten in der Siedlung, dort, wo das Grün durch den alten Zaun blitzt. Ein rostiger Nagel verhilft ihnen auch noch zu unerwartetem Respekt.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Christina Lopinski lacht und weint mit Frauke Angels kleiner Heldin Elli. Ellis Leben mit ihrer alleinerziehenden Mutter und ihren beiden älteren Brüdern in einer Plattenbausiedlung ist auch aufregend und wendungsreich genug, um Lopinski bei der Stange zu halten. Ob Elli auf Entdeckungstour in der Umgebung ist oder dem Freund ihres großen Bruders hinterherschmachtet - es wird nie langweilig, versichert die Rezensentin. Und große Themen werden auch noch gewälzt: Rassismus, Klassendenken, Gender, meint Lopinski.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.06.2024Die
Plattenbau-Queen
Elli, neun Jahre alt,
hat nur ein Ziel:
ihre eigenen vier Wände.
Im Gegensatz zu Königin Elizabeth II. hat die neunjährige Elizabeth in Frauke Angels Roman keinen Palast, ja nicht einmal ein Zimmer. Sie muss sich ihre vier Wände mit den Brüdern William und Otto teilen. Weil in der Drei-Raum-Wohnung in einer Plattenbau-Siedlung wenig Platz ist, versteckt sie ihre Tagebücher in einer Plastikbox. Denn Elizabeth, Elli genannt, schreibt alles auf. Wie nervig ihre Brüder sein können, wenn sie sich wegen Haargels oder grüner Gummischlangen streiten und wie cool die Nachbarn ihre Mutter finden, weil sie alles alleine wuppt, ohne Mann, aber dafür mit Vollzeitjob. Oder einfach wie süß die Tattoos von Bernie, dem besten Freund ihres großen Bruders aussehen. Und dass sie unbedingt Schriftstellerin werden möchte.
Obwohl ihre beiden Brüder sechs Jahre älter sind, darf Elli sie auf ihren Entdeckungstouren begleiten. Die führen sie meistens auf das Feld hinter dem Plattenbau, direkt ins „Urwäldchen“. So nennt Elli das Gestrüpp, in dem sich die Bande frei bewegen kann, und Ungewöhnliches erlebt. An einem Tag finden sie Katzenbabys, an einem anderen einen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, der für Elli wichtig und für ihren Bruder William ziemlich gefährlich wird. Gut, dass es Nuri gibt, Ellis beste Freundin. Die hat nämlich nicht nur kreatives, sondern auch medizinisches Verständnis. Und während sie dabei hilft, William zu retten, bringt sie Elli auch noch bei, wie man ein richtiges Buch schreibt.
„Ein Zimmer für mich allein“ ist das Ergebnis von Nuris Unterricht. Weil dramatische Wendungen laut Nuri nicht fehlen dürfen, wird es auf 139 Seiten kein einziges Mal langweilig, im Gegenteil. Die Neunjährige ist mutig, weil sie sich traut genau hinzusehen und alles, was sie denkt und fühlt, aufschreibt. Auch die weniger angenehmen Beobachtungen und Emotionen. Frauke Angel verhandelt große Themen – Rassismus, Gender-Gerechtigkeit und Klassismus – auf fast unschuldige Art. Der Buchtitel bezieht sich auf Virgina Woolfs berühmten Essay „Ein eigenes Zimmer“ von 1929. Obwohl sich Woolf in Bloomsbury und Elli in der Plattenbau-Siedlung bewegt, sind sich die beiden einig: Selbstverwirklichung braucht Platz.
Am Ende ist allerdings nicht Elli, sondern ihre alleinerziehende Mutter die Heldin dieser Geschichte. Weil die Kinder von ihr lernen, dass man alles selber reparieren kann und dass Freundlichkeit die beste Waffe ist. Wenn Ellis Mutter am Schluss weint, weil sie ihr den Wunsch nach einem eigenen Zimmer nicht erfüllen kann, möchte man sie am liebsten in den Arm nehmen. Oder ihr sagen, dass Elli eigentlich gar kein Zimmer mehr braucht, weil sie „im Urwäldchen“ längst ihren eigenen Rückzugsort gefunden hat.
CHRISTINA LOPINSKI
Frauke Angel:
Ein Zimmer für mich allein.
Jungbrunnen Verlag, Wien 2024.
144 Seiten, 17 Euro.
Ab neun Jahren.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Plattenbau-Queen
Elli, neun Jahre alt,
hat nur ein Ziel:
ihre eigenen vier Wände.
Im Gegensatz zu Königin Elizabeth II. hat die neunjährige Elizabeth in Frauke Angels Roman keinen Palast, ja nicht einmal ein Zimmer. Sie muss sich ihre vier Wände mit den Brüdern William und Otto teilen. Weil in der Drei-Raum-Wohnung in einer Plattenbau-Siedlung wenig Platz ist, versteckt sie ihre Tagebücher in einer Plastikbox. Denn Elizabeth, Elli genannt, schreibt alles auf. Wie nervig ihre Brüder sein können, wenn sie sich wegen Haargels oder grüner Gummischlangen streiten und wie cool die Nachbarn ihre Mutter finden, weil sie alles alleine wuppt, ohne Mann, aber dafür mit Vollzeitjob. Oder einfach wie süß die Tattoos von Bernie, dem besten Freund ihres großen Bruders aussehen. Und dass sie unbedingt Schriftstellerin werden möchte.
Obwohl ihre beiden Brüder sechs Jahre älter sind, darf Elli sie auf ihren Entdeckungstouren begleiten. Die führen sie meistens auf das Feld hinter dem Plattenbau, direkt ins „Urwäldchen“. So nennt Elli das Gestrüpp, in dem sich die Bande frei bewegen kann, und Ungewöhnliches erlebt. An einem Tag finden sie Katzenbabys, an einem anderen einen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, der für Elli wichtig und für ihren Bruder William ziemlich gefährlich wird. Gut, dass es Nuri gibt, Ellis beste Freundin. Die hat nämlich nicht nur kreatives, sondern auch medizinisches Verständnis. Und während sie dabei hilft, William zu retten, bringt sie Elli auch noch bei, wie man ein richtiges Buch schreibt.
„Ein Zimmer für mich allein“ ist das Ergebnis von Nuris Unterricht. Weil dramatische Wendungen laut Nuri nicht fehlen dürfen, wird es auf 139 Seiten kein einziges Mal langweilig, im Gegenteil. Die Neunjährige ist mutig, weil sie sich traut genau hinzusehen und alles, was sie denkt und fühlt, aufschreibt. Auch die weniger angenehmen Beobachtungen und Emotionen. Frauke Angel verhandelt große Themen – Rassismus, Gender-Gerechtigkeit und Klassismus – auf fast unschuldige Art. Der Buchtitel bezieht sich auf Virgina Woolfs berühmten Essay „Ein eigenes Zimmer“ von 1929. Obwohl sich Woolf in Bloomsbury und Elli in der Plattenbau-Siedlung bewegt, sind sich die beiden einig: Selbstverwirklichung braucht Platz.
Am Ende ist allerdings nicht Elli, sondern ihre alleinerziehende Mutter die Heldin dieser Geschichte. Weil die Kinder von ihr lernen, dass man alles selber reparieren kann und dass Freundlichkeit die beste Waffe ist. Wenn Ellis Mutter am Schluss weint, weil sie ihr den Wunsch nach einem eigenen Zimmer nicht erfüllen kann, möchte man sie am liebsten in den Arm nehmen. Oder ihr sagen, dass Elli eigentlich gar kein Zimmer mehr braucht, weil sie „im Urwäldchen“ längst ihren eigenen Rückzugsort gefunden hat.
CHRISTINA LOPINSKI
Frauke Angel:
Ein Zimmer für mich allein.
Jungbrunnen Verlag, Wien 2024.
144 Seiten, 17 Euro.
Ab neun Jahren.
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