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Blumenfeld hinterläßt eine Autobiographie, so virtuos, witzig und gnadenlos, daß sie keinen Verleger findet. Die Lektoren -gähnen-, wie Alfred Andersch sagte, -im falschen Moment-, oder finden das Buch abstoßend, geschmacklos, obszön. Kein Wunder bei dieser Mischung aus Chuzpe, Hohn, Ekel und Selbstironie. Bösartig und munter fällt Blumenfeld über die Deutschen, die Franzosen, die Holländer, die Juden, die Amerikaner und nicht zuletzt über sich selber her. Dafür bürgt schon der Titel des Buches, dessen Fazit lautet: Die Welt ist -eine Geltungsbedürfnisanstalt-. Blumenfelds Text erscheint hier…mehr

Produktbeschreibung
Blumenfeld hinterläßt eine Autobiographie, so virtuos, witzig und gnadenlos, daß sie keinen Verleger findet. Die Lektoren -gähnen-, wie Alfred Andersch sagte, -im falschen Moment-, oder finden das Buch abstoßend, geschmacklos, obszön. Kein Wunder bei dieser Mischung aus Chuzpe, Hohn, Ekel und Selbstironie. Bösartig und munter fällt Blumenfeld über die Deutschen, die Franzosen, die Holländer, die Juden, die Amerikaner und nicht zuletzt über sich selber her. Dafür bürgt schon der Titel des Buches, dessen Fazit lautet: Die Welt ist -eine Geltungsbedürfnisanstalt-. Blumenfelds Text erscheint hier zum ersten Mal ungekürzt und unter seinem Originaltitel. Eine reiche Auswahl aus den sensationellen Photos des Autors illustriert den Band.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.1998

Schlachtfeldstudien der Angst
Einbildungsroman: Die Welt, wie Erwin Blumenfeld sie sah

Gott muß gestürzt werden. Erwin Blumenfelds Lebensprogramm war groß: "Ich wollte diesen geisteskranken Verbrecher entlarven und entthronen." Diesen "ewigen Rattenvater im Himmel", der sein auserwähltes Volk "wie Auswurf" behandelt und Gerechtigkeit nur als Gesetz des Stärkeren versteht.

Erwin Blumenfeld war klein, als er sich so Großes vornahm, und jener "Rattenvater" hatte zu diesem Zeitpunkt das Äußerste noch gar nicht zugelassen. Aber als Sohn assimilierter, großbürgerlicher Juden, der im Berlin der Jahrhundertwende aufwuchs, empfand er den alltäglichen, harmlosen wilhelminischen Antisemitismus, den seine Eltern beharrlich ignorierten, schon damals als unheimliche Bedrohung, Vorbote einer kommenden Katastrophe. "Während ich vor Angst verging, rieben mir meine Eltern täglich unter die Nase, wie golden, verglichen mit anderen Kindheiten, die meine sei."

Später, viel später, als Erwin Blumenfeld schon zum begehrtesten und bestbezahlen Modefotografen Amerikas avanciert war, hat er sein Leben aufgeschrieben, auch um sich von der Angst zu befreien, die ihn immer noch beherrschte. Schreiben als ein "bescheidenes Kompendium der Angstspiele der Kindheit", wie Blumenfeld es in seinem autobiographischen "Einbildungsroman" nennt.

Dieser ist jetzt erstmals, fast dreißig Jahre nach Blumenfelds Tod, ungekürzt und unter dem Originaltitel auf deutsch erschienen. In einer schönen Ausgabe, illustriert mit wunderbaren Blumenfeld-Fotografien, in Hans Magnus Enzensbergers "Anderer Bibliothek". Lange hatte sich kein Verleger gefunden: H. M. Ledig-Rowohlt lehnte ab, weil er in dem Manuskript "Nahrung für latent fortbestehenden Antisemitismus" in Deutschland entdeckt zu haben glaubte, und der Lektor des Paul Zsolnay Verlags schrieb ablehnend, das Buch könne manchem "in die falsche Kehle geraten" und meinte damit wohl ähnliches wie Rowohlt: daß Blumenfelds Sarkasmus, mit dem er über Juden ebenso wie über Deutsche, Franzosen und Amerikaner herzog, seine feine, distanzierende Ironie dabei oft allzugut verbirgt.

So zum Beispiel, wenn er von den "dreckigen ostjüdischen Polacken" spricht, von denen seine Eltern sich abzusetzen wußten, oder wenn er bei der Betrachtung jahrtausendealter Bäume auf den Gipfeln der Sierra Nevada ins Sinnieren kommt, meint, die seien "lebendiger als wir Juden", und fortfährt: "Auch sie brauchen von Zeit zu Zeit ihre Pogrome in Form eines Waldbrandes, aus dem sie neu gestärkt hervorgehen."

Das ist der Sarkasmus eines Davongekommenen, eines aus dem deutschen Millionenpogrom "gestärkt Hervorgegangenen", wie er es selbst empfindet. In buchstäblich letzter Sekunde verließ Erwin Blumenfeld 1941 den untergehenden Kontinent auf dem letzten Frachtdampfer nach New York, nachdem er lange in französischen Lagern inhaftiert gewesen war. In Europa mäßig erfolgreicher Ledertaschenverkäufer und Kunsthändler, stieg er in den Vereinigten Staaten über Nacht zum gefragtesten Modefotografen des Landes auf. Das Leben: ein Emigrantentraum.

Doch Blumenfeld schildert es anders, mit Haß, mit Spott und mit Verachtung. Und mit der Distanz, die oftmals zweifeln läßt, ob hier über ein eigenes selbsterlebtes Leben berichtet wird oder ob die kalte Präzision der Erzählung gänzlich fremden Lebensdingen gilt. Es ist eine Angst vor Nähe, vor Intimität, die Blumenfeld daran hindert, selbst die ihm am nächsten stehenden Personen einfach zu beschreiben. Und wenn er sie beschreibt, dann nur mit Spott. Er selbst schildert das einmal sehr schön in seiner Beziehung zu Frauen, die er so liebt, wie er schreibt. Denn er liebt nur "das Ewigweibliche". Vor der einen, realen Frau hat er Angst. "Mit aller Liebe liebte ich nur die Liebe", heißt es da, "liebte alle Frauen wie eine." Und "sobald es persönlich zu werden drohte, ging es schief". Seine eigene Frau heiratet er, ohne sie auch nur einmal zuvor gesehen zu haben.

Der ganze "Einbildungsroman" ist in einer sarkastischen Abwehrhaltung geschrieben. Schreiben, um sich die bedrohliche Außenwelt vom Leibe zu halten. Eine Außenwelt, die zu jedem Zeitpunkt lebensbedrohend werden könnte, in der die schlimmstmögliche Wendung jederzeit möglich ist. Den einen sicheren Ruhepunkt, Heimat, hat es nie gegeben.

Alle Stationen seines Emigrantenlebens sind Erwin Blumenfeld unerträglich: Mit Deutschland bricht er endgültig nach den Erfahrungen, die er auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges macht. "Ich lernte dieses Scheißvolk hassen", lautet seine Bilanz, nachdem er mitansehen mußte, wie deutsche Landser, Stullen mampfend, Handgranaten auf wehrlose Gefangene warfen, "nur so zum Spaß", und wie sein Kumpel August tote Kameraden mit der Axt in zwei Teile hackte, um doppelte Leichenprämie zu kassieren. Keine deutschen Helden, nur deutsche Feiglinge fand er an der Front.

Auch Holland, die erste Emigrantenstation, macht ihn unglücklich. Dunkle, verzweifelte, dumpfe Jahre verbringt er hier. Bis ihn "der Führer Schicklgruber" durch seine Machtergreifung in Deutschland aus seiner niederländischen Lethargie befreit, wofür ihm Blumenfeld für immer dankbar zu sein verspricht.

Doch auch seine Flucht nach Frankreich bringt nur kurzes Glück. Bald schon wird er inhaftiert und erlebt die Erfahrungen als Häftling im Konzentrationslager von Vernet d'Ariège als Erfüllung all seiner Kinderängste. Jederzeit vom Tod bedroht, erscheint ihm die willkürliche Grausamkeit der französischen Aufseher als unerträgliche Qual. KZler, die aus Dachau nach Vernet deportiert worden waren, so schildert es Blumenfeld, sehnten sich zurück nach der "deutschen Grausamkeit", die sich wenigstens "pünktlich und ordentlich" vollzog. Daß Frankreichs Kollaborateure, die den Deutschen nur allzu gerne und übereifrig gewillfahrt hatten, nach dem Kriege nie zur Rechenschaft gezogen wurden, daß sich Frankreich besten Gewissens in der moralisch einwandfreien Siegersonne aalen durfte, das erregt Blumenfelds heiligen Zorn wie sonst nichts.

Aber auch Amerika wurde für Blumenfeld nicht zum gelobten Land. Obwohl er hier die längste und die erfolgreichste Zeit seines Lebens verbrachte, findet er dafür nur wenige Seiten am Ende seines Buches, und es wird nicht anders als geistlos und kulturlos geschildert. Die Menschen hier empfindet er als "gleichgeschaltet", und die Schilder an einigen Gaststätten "No dogs, no jews, no niggers!" erinnern ihn nur allzusehr an das Deutschland seiner Kindheit. Heimisch wird der ewige Emigrant Blumenfeld nirgends. Und sein "Einbildungsroman" ist ein sarkastisches Gegenstück zum modernen deutschen Bildungsroman, der ja im Grunde seit Wilhelm Meister als "Ausbildungsroman" konzipiert war. Für Blumenfeld konnte es gar nicht darum gehen, "sich selbst, ganz wie er war, auszubilden", sondern um Illusionen, um schreibend erdachte Einbildungen zur Abwehr einer Außenwelt, die mit nie gekannter Macht auf den einzelnen einwirkt, ihn verbildet und deformiert.

Die Entthronung des "Verbrechers im Himmel" ist Erwin Blumenfeld nicht gelungen, aber er hat doch alles getan, ihm seine Verachtung deutlich zu machen und sich schreibend in einem außerordentlich eindringlichen Buch vor jeder schlimmen neuen Weltenwende zu wappnen. Wenn auch nur in den Einbildungen seines Lebensromanes. VOLKER WEIDERMANN

Erwin Blumenfeld: "Einbildungsroman". Erinnerungen. Mit einem Nachwort von Rudolf Trefzer. Eichborn Verlag, Frankfurt 1998. 442 S., geb., 54,- DM.

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