In diesem autobiographischen Roman zeigt António Lobo Antunes nicht nur die dreckige Seite des Angolakrieges, sondern klagt zudem seinen eigenen Berufsstand an: die Psychiatrie. Das Buch gibt einen erschütternden Einblick in die existentiellen Qualen eines Mannes, der an der Unmenschlichkeit verzweifelt.
1973 kehrte Lobo Antunes aus dem Krieg in Angola zurück, wo er als Militärarzt über zwei Jahre lang schlimmstes Leid und Elend sah - und doch hat ihn nichts darauf vorbereitet, was er nun als Psychiater in der Irrenanstalt Miguel Bombarda erlebt. Erst hier bietet sich ihm ein »Einblick in die Hölle«.
Auf der Fahrt von der südlichen Algarveküste, wo er einen ärztlich verordneten Urlaub verbrachte, zurück nach Lissabon versucht er sich darüber klarzuwerden, was passiert ist. Als Kind schon wollte er Psychiater werden, um die Erwachsenen besser zu verstehen, aber von Verständnis ist er weiter entfernt denn je. Abgrundtiefer Haß erfüllt ihn: auf die Ärzte, die den Kranken jede Würde nehmen, sie mittels Elektroschock und Insulinkoma stillstellen, statt ihnen zu helfen. Und Haß auf sich selbst, weil er sich angepaßt hat. Einen Tag und eine Nacht lang fährt er durch Portugal, von der Küste durch die Berge und Dörfer des Alentejo zu den Sümpfen vor der Hauptstadt, und die Erinnerungen an die Klinik, an den Krieg, an seine gescheiterten Beziehungen zu zwei Frauen, an seine beiden Töchter stürmen immer ungeordneter auf ihn ein, vermischen sich mit den Gerüchen, Farben und Formen der Landschaft, bis die Grenze zwischen Realität und wahnhaften Gewaltvisionen verschwimmt.
In seiner metaphernreichen und drastischen Sprache klagt Lobo Antunes die Unmenschlichkeit des Menschen an und evoziert zugleich ein Sein jenseits des Elends. Denn sein Haß speist sich aus einer unendlichen Liebe zu seinem Land und den Menschen.
1973 kehrte Lobo Antunes aus dem Krieg in Angola zurück, wo er als Militärarzt über zwei Jahre lang schlimmstes Leid und Elend sah - und doch hat ihn nichts darauf vorbereitet, was er nun als Psychiater in der Irrenanstalt Miguel Bombarda erlebt. Erst hier bietet sich ihm ein »Einblick in die Hölle«.
Auf der Fahrt von der südlichen Algarveküste, wo er einen ärztlich verordneten Urlaub verbrachte, zurück nach Lissabon versucht er sich darüber klarzuwerden, was passiert ist. Als Kind schon wollte er Psychiater werden, um die Erwachsenen besser zu verstehen, aber von Verständnis ist er weiter entfernt denn je. Abgrundtiefer Haß erfüllt ihn: auf die Ärzte, die den Kranken jede Würde nehmen, sie mittels Elektroschock und Insulinkoma stillstellen, statt ihnen zu helfen. Und Haß auf sich selbst, weil er sich angepaßt hat. Einen Tag und eine Nacht lang fährt er durch Portugal, von der Küste durch die Berge und Dörfer des Alentejo zu den Sümpfen vor der Hauptstadt, und die Erinnerungen an die Klinik, an den Krieg, an seine gescheiterten Beziehungen zu zwei Frauen, an seine beiden Töchter stürmen immer ungeordneter auf ihn ein, vermischen sich mit den Gerüchen, Farben und Formen der Landschaft, bis die Grenze zwischen Realität und wahnhaften Gewaltvisionen verschwimmt.
In seiner metaphernreichen und drastischen Sprache klagt Lobo Antunes die Unmenschlichkeit des Menschen an und evoziert zugleich ein Sein jenseits des Elends. Denn sein Haß speist sich aus einer unendlichen Liebe zu seinem Land und den Menschen.
Die Irrenanstalt war schlimmer als der Krieg: António Lobo Antunes erinnert sich an seine Jahre als Arzt
Klinikpapier, Kugelschreiber. Und die Frage: "Was mache ich hier eigentlich?" - Was der erzählte António Lobo Antunes noch nicht weiß, das weiß der erzählende längst, als der autobiographische Roman "Einblick in die Hölle" 1983 im Original erscheint: Lobo Antunes schreibt und publiziert; praktizieren wird er nicht mehr. Sein literarisches Alter ego aber quält sich noch mit dem ungeliebten Beruf, den unerfüllten Dichterträumen, der unerträglichen Verlogenheit der Gesellschaft. "Ich bin Arzt ich bin Arzt ich bin Arzt, ich bin dreißig Jahre alt, habe zwei Töchter, bin aus dem Krieg zurückgekehrt, schreibe Gedichte und Romane, die ich niemals veröffentliche, mir tut ein oberer Weisheitszahn weh, und ich werde Psychiater werden . . ." Ein Satz, eine ganze Buchseite, eine Verdammung. Und eine Erinnerung. Der dreihundertseitige "Einblick in die Hölle" ist ein böser Trip in die nähere und fernere Vergangenheit des Erzählers, ein Fiebertraum voller Schimären, die ihn überfallen, während er mit dem Auto von seinem Irrenhaus in der Algarve zu seinem Elternhaus in der Estremadura fährt.
Der Krieg war schrecklich, ein sinnloses Verrecken in Angola, war Geschichte, die sich eingebrannt hat, ewig präsent in den Romanen des Portugiesen, etwa in "Fado Alexandrino". Aber nichts war so schrecklich wie die Jahre als "Herr Doktor". "1973 war ich aus dem Krieg zurückgekehrt und wußte, was das war, Verletzte, das Schreien und Jammern auf dem Pfad durch den Busch, die Explosionen, die Schüsse, die Minen, die zerfetzten Leiber, ich wußte, was das war, Gefangene und ermordete Kinder, ich wußte, was das war, das vergossene Blut und Sehnsucht und Heimweh, aber vom Einblick in die Hölle war ich verschont geblieben." Den bekommt er erst, als er die Stelle in der psychiatrischen Anstalt Hospital Miguel Bombarda antritt.
Was Lobo Antunes von den Zuständen im Irrenhaus - die Bezeichnung "Hospital" verdient es nicht - erzählt, stellt alles in den Schatten, was Antipsychiatrie, Psychiatriekritik und "Einer flog übers Kuckucksnest" uns vor Augen geführt haben. Ausgemergelte Gestalten wandern durch die Flure, man sperrt die Kranken nackt ins Schlafzimmer, läßt sie in ihrem Kot liegen. Jeder Widerstand wird niedergespritzt, und koste es den letzten Rest Persönlichkeit des Patienten. Die Herren Doktoren wollen nichts sehen, nichts hören. Sie saufen sich ins Vergessen und stinken nach toten Mauleseln. "Ich bin in Auschwitz", denkt, außer sich, Lobo Antunes' Alter ego, "ich gehöre der höheren Rasse der Kerkermeister, der Kastrierer, der Polizisten, der Schulpräfekten und der Stiefmütter der Kindermärchen an." Irgendwann imaginiert er sich auf die andere Seite, ist Opfer der Ärzte, die ihm nicht glauben, daß er einer von ihnen ist; die ihn entwürdigen, pathologisieren, vollpumpen mit Psychopharmaka.
Dann wieder verschluckt ihn Angola, die Nächte, in denen es nach dem "wütenden Regen Afrikas" riecht. Im Dunkeln stolpert er über Gemüse und verfaulende Leichen, über Kisten und Särge - und in einem ist er selbst. Der Chef der Equipe teilt den Kadaver, gibt der Sozialarbeiterin ein Lendenstück aufs Tellerchen, löst das Fleisch von den Knochen. In der kannibalistischen Obduktion vereinen sich zwei Länder: Portugal, das blutige Kolonialreich, und Portugal, die europäische Diktatur (bis 1974); die Gesellschaft, ein Irrenhaus. Auf der Reise von der Algarve in die Estremadura verflüchtigen sich alle Grenzen - des Körpers und des Kopfs, von Raum und Zeit. In diesem stream of consciousness schwimmt die Zeitgeschichte als Hauptfigur mit.
Das Entsetzen der Höllenfahrt bahnt sich seinen Weg mit Bildern, Vergleichen und Metaphern, die sich verselbständigen, sich zu schwarzen Phantasien und ellenlangen Sätzen verknäulen: Die buchstäblich verrückten Szenen und Szenerien, die Verfahren der Auflösung muten expressionistisch an. In ihrer Fülle mögen sie den Leser und auch den Text bisweilen überfordern. "Er war schon ein paar Mal aufgewacht, zwischen den körperlosen Schatten der Nacht liegend wie ein toter Schmetterling, und hatte, auf dem Bett sitzend, die undeutlichen Umrisse der Schränke angeschaut, die Wäsche, die wahllos über den Stühlen hing wie müdes Spinnengewebe, das Rechteck des Spiegels, der Blumen trank wie die Ufer der Hölle die ängstlichen Profile der Verstorbenen." Eine feinziselierte Arabeske von den "körperlosen Schatten" über tote Materie und organische Überreste bis zu den "Profilen der Verstorbenen". Eine aufwendige, gar zu aufwendige Arabeske. Aber es lohnt, sich einzulassen auf das, was Lobo Antunes' Schreiben ausmacht: seine meisterliche Prosa aus Subjektivität und Historie.
António Lobo Antunes: "Einblick in die Hölle". Aus dem Portugiesischen übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2003. 290 S., geb., 20,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Für Martin Luchsinger ragt dieset Roman, der im Original bereits 1983 erschienen ist, aus zweierlei Gründen aus dem bis dahin entstandenen Werk des portugiesischen Autors heraus. Das Buch erzählt von dem Erinnerungsstrom eines Psychiaters auf einer Autofahrt von Algarve nach Lissabon und lässt Kindheit, Erlebnisse aus dem Krieg in Angola, den Berufsalltag als Psychiater und Erinnerungen an frühere Liebesbeziehungen Revue passieren, fasst der Rezensent zusammen. Ungewöhnlich für Antunes findet er den autobiografischen Hintergrund des Romans und zudem die "Überblendung verschiedener Erzählstränge", die er in diesem Buch erstmalig anwendet. Die Reflexionen, die fast durchweg pessimistisch, deprimiert und durch "Selbsthass" gefärbt sind, nehmen dennoch aufgrund ihrer "Empfindsamkeit" für den Protagonisten ein, meint der Rezensent, der zwar keinen "Nutzen" in diesen nihilistischen Betrachtungen erkennen kann, aber die Darstellung von "Scheitern und Weitermachen" gelten lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Lobo Antunes liebt seine Figuren. Aber er wühlt sich tief in ihre Versagensängste hinein und stülpt ihr Innerstes nach außen.« Der Tagesspiegel