Produktdetails
- Verlag: Artemis & Winkler
- Seitenzahl: 405
- Abmessung: 195mm
- Gewicht: 430g
- ISBN-13: 9783538066243
- Artikelnr.: 03778445
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.19961847
Iwan A. Gontscharow "Eine alltägliche Geschichte"
Diese "alltägliche oder "gewöhnliche" Geschichte ist auch ganz einfach zu lesen: Ein junger Mensch mit schönen Träumen kommt vom Lande ins prächtige St. Petersburg, er hat da sogar einen reichen Onkel, noch dazu mit einer anmutigen Frau, die selber noch träumen kann. Ans Dichten denkt der junge Mann, an die Liebe, und er dichtet und liebt. Der Onkel ist ein sogenannter Realist, er findet Dichten blöd und schlecht fürs Leben, und die wundervolle junge Dame, in die sich der junge Mann verliebt, findet, ungeachtet seiner völlig unpoetischen Seele, einen doofen Grafen liebenswerter, der besser reitet und sein erotisches Verhalten auf andre Dinge als bloß die Seele gründet. Was seine berufliche Ausbildung angeht, so ist der junge Mann faul. Als er ein Mädchen findet, das ihn liebt, langweilt er sich; dann verbrennt er seine Dichtungen und geht zurück aufs Land; da ist auch nichts mehr los, er geht wieder in die Stadt. Und als wir ihn da, nach Jahren, wiedersehn, ist er wie sein Onkel geworden, aber ohne Spuren etwa von Resignation (resigniert hat bloß die anmutige Tante; wenigstens aus dem Neffen, wird sie geträumt haben, hätte doch ein Mensch werden können), sondern vergnügt und verheiratet. Die éducation sentimentale des gewesenen fatalen Schwärmers ist geglückt, als ob nun sein wahres Innere ans Licht der gleichartigen Welt gekommen wäre; ja, der junge Mann von einst, jetzt ganz abgerichtet, ist ein glücklicher Mensch geworden. Vielleicht mag auch Gontscharow die anmutige Tante. Er überläßt es uns, eine angenehmere Gesellschaft zu ahnen, als es gegen jene, aus der der junge Mann stammt, die nun ist, in der er dann so angepaßt landet; er überläßt das uns, selber erzählt er ganz unvoreingenommen, ruhig, klug und gelassen eine Geschichte, aus der in größer denkenden Zeiten ebensogut eine Tragödie oder so etwas hätte werden können. Aber lohnt so ein junger Mann eine Tragödie? Genau das ist natürlich schon eine traurige Geschichte; und es ist nun doppelt bewundernswert, wie ruhig, wie cool Gontscharow dabei bleibt. (Iwan A. Gontscharow: "Eine alltägliche Geschichte". Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Ruth Fritze-Hanschmann. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1993. 405 S., br., 16,90 DM.) R.V.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Iwan A. Gontscharow "Eine alltägliche Geschichte"
Diese "alltägliche oder "gewöhnliche" Geschichte ist auch ganz einfach zu lesen: Ein junger Mensch mit schönen Träumen kommt vom Lande ins prächtige St. Petersburg, er hat da sogar einen reichen Onkel, noch dazu mit einer anmutigen Frau, die selber noch träumen kann. Ans Dichten denkt der junge Mann, an die Liebe, und er dichtet und liebt. Der Onkel ist ein sogenannter Realist, er findet Dichten blöd und schlecht fürs Leben, und die wundervolle junge Dame, in die sich der junge Mann verliebt, findet, ungeachtet seiner völlig unpoetischen Seele, einen doofen Grafen liebenswerter, der besser reitet und sein erotisches Verhalten auf andre Dinge als bloß die Seele gründet. Was seine berufliche Ausbildung angeht, so ist der junge Mann faul. Als er ein Mädchen findet, das ihn liebt, langweilt er sich; dann verbrennt er seine Dichtungen und geht zurück aufs Land; da ist auch nichts mehr los, er geht wieder in die Stadt. Und als wir ihn da, nach Jahren, wiedersehn, ist er wie sein Onkel geworden, aber ohne Spuren etwa von Resignation (resigniert hat bloß die anmutige Tante; wenigstens aus dem Neffen, wird sie geträumt haben, hätte doch ein Mensch werden können), sondern vergnügt und verheiratet. Die éducation sentimentale des gewesenen fatalen Schwärmers ist geglückt, als ob nun sein wahres Innere ans Licht der gleichartigen Welt gekommen wäre; ja, der junge Mann von einst, jetzt ganz abgerichtet, ist ein glücklicher Mensch geworden. Vielleicht mag auch Gontscharow die anmutige Tante. Er überläßt es uns, eine angenehmere Gesellschaft zu ahnen, als es gegen jene, aus der der junge Mann stammt, die nun ist, in der er dann so angepaßt landet; er überläßt das uns, selber erzählt er ganz unvoreingenommen, ruhig, klug und gelassen eine Geschichte, aus der in größer denkenden Zeiten ebensogut eine Tragödie oder so etwas hätte werden können. Aber lohnt so ein junger Mann eine Tragödie? Genau das ist natürlich schon eine traurige Geschichte; und es ist nun doppelt bewundernswert, wie ruhig, wie cool Gontscharow dabei bleibt. (Iwan A. Gontscharow: "Eine alltägliche Geschichte". Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Ruth Fritze-Hanschmann. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1993. 405 S., br., 16,90 DM.) R.V.
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