Produktdetails
- Ullstein Taschenbuch
- Verlag: Ullstein TB
- Seitenzahl: 600
- Abmessung: 24mm x 120mm x 187mm
- Gewicht: 355g
- ISBN-13: 9783548332499
- Artikelnr.: 07946213
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.1999Nachrichten aus der Steinzeit
Frauenforschung mit dem Faustkeil
Alison Owings: Eine andere Erinnerung. Frauen erzählen von ihrem Leben im Dritten Reich. Aus dem Amerikanischen von Kay Dohnke. Mit einer Vorbemerkung von Elke Fröhlich. Verlag Ullstein, Berlin 1999. 601 Seiten, 18,90 Mark.
Oral history und teilnehmende Beobachtung sind Methoden der Materialbeschaffung verschiedener Disziplinen, der Geschichtswissenschaft und der Ethnologie. Gemeinsam ist ihnen, dass ihr Grundprinzip schnell erklärt ist, woraus so manches Mal das Missverständnis erwächst, sie seien derart simpel, dass jedermann sie ohne weiteres sofort anwenden könne. Mit der Frauenforschung verhält es sich genauso. Im vorliegenden Band kommen alle drei zusammen.
Die amerikanische Fernsehjournalistin Alison Owings stellte eines Tages fest, dass sie zwar Deutsch gelernt und ein Jahr in Freiburg studiert hatte, ihr dabei aber überhaupt nicht zu Bewusstsein gekommen war, von Menschen umgeben zu sein, die die Nazizeit persönlich miterlebt hatten. Um diese Bildungslücke zu füllen, reiste sie nach Deutschland zurück und befragte alle alten Frauen, die ihr vors Mikrofon liefen, zu ihren Erlebnissen im und mit dem Nationalsozialismus. Warum es nur Frauen sein sollten, erklärt sie so: Die "Männer . . . interessierten mich nicht; ich hatte den . . . Ausspruch ,Ich habe nur die Befehle ausgeführt' schon so oft gehört, dass ich die deutschen Männer allesamt als Mörder . . . abgeschrieben hatte. Die Frauen aber blieben mir nah. Sie waren auch keine Zerstörerinnen oder Kriegstreiberinnen - oder doch? . . . Solche Gedanken wirbelten um mich jedenfalls, und sie schienen davon auszugehen, dass die meisten Frauen einfach besser waren als die Männer." Woraus dann zum Beispiel eine solche Frage resultiert: "Wäre nach Frau Fischers Meinung das ,Dritte Reich' anders verlaufen, wenn Frauen die Macht gehabt hätten?"
Aus dieser steinzeitfeministischen Haltung erwuchs womöglich auch die Vorstellung, Frauen seien an sich schon Ethnologen oder wenigstens gute Beobachter, zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, und hätten darum mehr mitzuteilen als andere, als Männer. Warum sonst Leute befragen, die sich in erster Linie durch ihr Geschlecht und ihr Alter auszeichnen? Allerdings muss der Autorin zugute gehalten werden, dass sie ein breites Spektrum der weiblichen Bevölkerung vorführt, es kommen alle möglichen Frauentypen vor, von der KZ-Wächterin bis zu Freya von Moltke, von der BDM-Führerin bis zur Kommunistin.
Was die befragten Frauen nun zu erzählen haben, sind ihre privaten Geschichten in ihrer privaten Wahrnehmung. Es kommt vor: Wie sie kriegsgefangenen Zwangsarbeitern etwas zu essen gaben, sich aber trotzdem über das goldene Mutterkreuz freuten, für das sie das silberne allerdings zurückgeben mussten. Wie "mein eigenes Personal" sie denunziert hat. Dass sie im Krieg ohne ihren Mann auskommen mussten, was später zu Schwierigkeiten in der Ehe führte. Dass sie immer mutig waren. All das erhellt kaum, wie das Dritte Reich funktionierte, sondern nur, wie diese Frauen damals funktionierten und wie sie heute funktionieren. Und so besteht dieses Buch über weite Strecken aus nichts als der Transkription des Geplappers, das jeder kennt, der schon einmal mit einem Verwandten geredet hat, der den Nationalsozialismus als Erwachsener erlebt hat. Das Einzige, was die Interviews verbindet, ist, dass die Interviewerin stets auf der Frage insistierte, ob und wie viel die von ihr befragten Frauen von den Konzentrationslagern wussten und wie sie's mit dem Antisemitismus halten. Diese zwei Fragen stellten vor über 30 Jahren junge Menschen ihren Eltern, und die üblichen Antworten darauf kennt man - wer unbedingt wissen wollte, was in den KZs vor sich ging, der konnte es eventuell erfahren, wer es nicht unbedingt wissen wollte, dem wurde es nicht aufgedrängt. Und die Frage nach dem Antisemitismus zeitigt in der Regel die Wiederholung der Parolen, die den Frauen in ihrer Jugend eingetrichtert wurden.
Darüber hinaus ist die Autorin nicht sachlich, sondern macht Sympathien und Antipathien deutlich, sowie ihre eigene Naivität, in der sie mit der Kommunistin ebenso wenig anfangen kann wie mit der ungebrochenen Nazisse. An einer Stelle gibt sie sogar zu, Suggestivfragen zu stellen. Konkrete Angaben zu den Biografien der befragten Frauen, wie Geburtsdatum, Bildungsstand, Beruf, werden nur häppchenweise und nicht unbedingt vollständig mitgeteilt, und so sind diese Interviews nicht einmal als Materialsammlung zu gebrauchen.
Das für ihr Vorgehen bezeichnendste Gespräch führte Alison Owings mit drei oberfränkischen Bäuerinnen, deren Dialekt sie nicht verstand, wie auch die Bäuerinnen ihren Akzent nicht verstanden - wobei eine von ihnen allerdings die Quintessenz des ganzen Buches formuliert: ",Ach, des war a schwere Zeit', sagte Frau Lieb leise, ,des war a schwere Zeit.'"
IRIS HANIKA
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frauenforschung mit dem Faustkeil
Alison Owings: Eine andere Erinnerung. Frauen erzählen von ihrem Leben im Dritten Reich. Aus dem Amerikanischen von Kay Dohnke. Mit einer Vorbemerkung von Elke Fröhlich. Verlag Ullstein, Berlin 1999. 601 Seiten, 18,90 Mark.
Oral history und teilnehmende Beobachtung sind Methoden der Materialbeschaffung verschiedener Disziplinen, der Geschichtswissenschaft und der Ethnologie. Gemeinsam ist ihnen, dass ihr Grundprinzip schnell erklärt ist, woraus so manches Mal das Missverständnis erwächst, sie seien derart simpel, dass jedermann sie ohne weiteres sofort anwenden könne. Mit der Frauenforschung verhält es sich genauso. Im vorliegenden Band kommen alle drei zusammen.
Die amerikanische Fernsehjournalistin Alison Owings stellte eines Tages fest, dass sie zwar Deutsch gelernt und ein Jahr in Freiburg studiert hatte, ihr dabei aber überhaupt nicht zu Bewusstsein gekommen war, von Menschen umgeben zu sein, die die Nazizeit persönlich miterlebt hatten. Um diese Bildungslücke zu füllen, reiste sie nach Deutschland zurück und befragte alle alten Frauen, die ihr vors Mikrofon liefen, zu ihren Erlebnissen im und mit dem Nationalsozialismus. Warum es nur Frauen sein sollten, erklärt sie so: Die "Männer . . . interessierten mich nicht; ich hatte den . . . Ausspruch ,Ich habe nur die Befehle ausgeführt' schon so oft gehört, dass ich die deutschen Männer allesamt als Mörder . . . abgeschrieben hatte. Die Frauen aber blieben mir nah. Sie waren auch keine Zerstörerinnen oder Kriegstreiberinnen - oder doch? . . . Solche Gedanken wirbelten um mich jedenfalls, und sie schienen davon auszugehen, dass die meisten Frauen einfach besser waren als die Männer." Woraus dann zum Beispiel eine solche Frage resultiert: "Wäre nach Frau Fischers Meinung das ,Dritte Reich' anders verlaufen, wenn Frauen die Macht gehabt hätten?"
Aus dieser steinzeitfeministischen Haltung erwuchs womöglich auch die Vorstellung, Frauen seien an sich schon Ethnologen oder wenigstens gute Beobachter, zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, und hätten darum mehr mitzuteilen als andere, als Männer. Warum sonst Leute befragen, die sich in erster Linie durch ihr Geschlecht und ihr Alter auszeichnen? Allerdings muss der Autorin zugute gehalten werden, dass sie ein breites Spektrum der weiblichen Bevölkerung vorführt, es kommen alle möglichen Frauentypen vor, von der KZ-Wächterin bis zu Freya von Moltke, von der BDM-Führerin bis zur Kommunistin.
Was die befragten Frauen nun zu erzählen haben, sind ihre privaten Geschichten in ihrer privaten Wahrnehmung. Es kommt vor: Wie sie kriegsgefangenen Zwangsarbeitern etwas zu essen gaben, sich aber trotzdem über das goldene Mutterkreuz freuten, für das sie das silberne allerdings zurückgeben mussten. Wie "mein eigenes Personal" sie denunziert hat. Dass sie im Krieg ohne ihren Mann auskommen mussten, was später zu Schwierigkeiten in der Ehe führte. Dass sie immer mutig waren. All das erhellt kaum, wie das Dritte Reich funktionierte, sondern nur, wie diese Frauen damals funktionierten und wie sie heute funktionieren. Und so besteht dieses Buch über weite Strecken aus nichts als der Transkription des Geplappers, das jeder kennt, der schon einmal mit einem Verwandten geredet hat, der den Nationalsozialismus als Erwachsener erlebt hat. Das Einzige, was die Interviews verbindet, ist, dass die Interviewerin stets auf der Frage insistierte, ob und wie viel die von ihr befragten Frauen von den Konzentrationslagern wussten und wie sie's mit dem Antisemitismus halten. Diese zwei Fragen stellten vor über 30 Jahren junge Menschen ihren Eltern, und die üblichen Antworten darauf kennt man - wer unbedingt wissen wollte, was in den KZs vor sich ging, der konnte es eventuell erfahren, wer es nicht unbedingt wissen wollte, dem wurde es nicht aufgedrängt. Und die Frage nach dem Antisemitismus zeitigt in der Regel die Wiederholung der Parolen, die den Frauen in ihrer Jugend eingetrichtert wurden.
Darüber hinaus ist die Autorin nicht sachlich, sondern macht Sympathien und Antipathien deutlich, sowie ihre eigene Naivität, in der sie mit der Kommunistin ebenso wenig anfangen kann wie mit der ungebrochenen Nazisse. An einer Stelle gibt sie sogar zu, Suggestivfragen zu stellen. Konkrete Angaben zu den Biografien der befragten Frauen, wie Geburtsdatum, Bildungsstand, Beruf, werden nur häppchenweise und nicht unbedingt vollständig mitgeteilt, und so sind diese Interviews nicht einmal als Materialsammlung zu gebrauchen.
Das für ihr Vorgehen bezeichnendste Gespräch führte Alison Owings mit drei oberfränkischen Bäuerinnen, deren Dialekt sie nicht verstand, wie auch die Bäuerinnen ihren Akzent nicht verstanden - wobei eine von ihnen allerdings die Quintessenz des ganzen Buches formuliert: ",Ach, des war a schwere Zeit', sagte Frau Lieb leise, ,des war a schwere Zeit.'"
IRIS HANIKA
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main