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Der Modernisierungsschub im wilhelminischen Kaiserreich und in der Weimarer Republik provozierte von Anfang an eine intensive Debatte über die Ambivalenzen des Fortschritts, eine Debatte von nicht nur geistesgeschichtlicher, sondern auch von kultur- und sozialgeschichtlich höchster Brisanz.
Walter Rathenau, Ludwig Klages und Ernst Jünger stehen in dieser Zeit und dementsprechend auch in diesem Buch exemplarisch und idealtypisch für ganz unterschiedliche Lösungswege, um Zivilisationskritik nicht zur bloßen Flucht vor der Moderne werden zu lassen, sondern - im Gegenteil - um durch sie eine
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Produktbeschreibung
Der Modernisierungsschub im wilhelminischen Kaiserreich und in der Weimarer Republik provozierte von Anfang an eine intensive Debatte über die Ambivalenzen des Fortschritts, eine Debatte von nicht nur geistesgeschichtlicher, sondern auch von kultur- und sozialgeschichtlich höchster Brisanz.

Walter Rathenau, Ludwig Klages und Ernst Jünger stehen in dieser Zeit und dementsprechend auch in diesem Buch exemplarisch und idealtypisch für ganz unterschiedliche Lösungswege, um Zivilisationskritik nicht zur bloßen Flucht vor der Moderne werden zu lassen, sondern - im Gegenteil - um durch sie eine andere, eine bessere Moderne zu suchen und zu verwirklichen.

Dabei steht Walther Rathenau für den Versuch, die Technik der bürgerlichen Kultur dienstbar zu machen, Ludwig Klages für die Vision einer Versöhnung von Natur und Technik, Ernst Jünger für den Glauben, durch eine perfektionierte Technik die Probleme der Moderne in den Griff bekommen zu können. Dieses Verständnis der Zivilisationskritik wirft auch neues Licht auf die vieldiskutierte Frage nach ihrem Verhältnis zum Nationalsozialismus.

Gegen die noch immer verbreitete Annahme, die Zivilisationskritik sei eine irrationale Abwehrreaktion gegen den Fortschritt mit gefährlichen politischen Folgen gewesen, zwingt die Tatsache, daß die Modernisierung immer deutlicher auch ihre problematische Seite offenbart, den zivilisationskritischen Diskurs ernstzunehmen - als Antwort auf sehr reale Probleme. Der öffentliche Streit über den "Kulturwert der Technik" und soziale Bewegungen vom Natur- und Heimatschutz über den "Wandervogel" bis hin zu technokratischen Organisationen zeigen genauso wie die Texte prominenter Zivilisationskritiker, daß in der Diskussion über die Ambivalenzen der Moderne nicht immer stereotyp die gleichen Argumente wiederholt wurden. Auch wenn die Auseinandersetzung mit der modernen Technik sicherlich nicht immer fachkundig genug ausfiel, so zeigt sich doch eine komplexe Entwicklungslinie, die von einem Ringen mit den sich wandelnden Erscheinungen der Zeit zeugt.

Zumindest die reflektierteren Zivilisationskritiker gaben sich nicht der Illusion hin, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu können, sondern entwickelten diskussionswürdige Konzepte von einer anderen Moderne. Ihre Glorifizierung zu direkten Vorläufern der Ökologiebewegung wäre verfehlt, aber ihre Gedankengänge sind noch immer anregend und die Gründe für ihr Scheitern noch immer lehrreich.
Autorenporträt
Thomas Rohkrämer, Dr. phil. habil., geb. 1957, studierte Geschichte und Englisch in Freiburg und Amherst (USA), Habilitation 1998 an der Universität Bern, Lecturer in Modern European History 1991-96 an der University of Auckland (Neuseeland), seit 1996 an der University of Lancaster (Großbritannien).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.1999

Nun sag, wie hältst du's mit dem Elektron?
Maschinenstürmer schauen weit voraus: Thomas Rohkrämer zeigt, wie alternative intellektuelle Energie in den letzten hundert Jahren verpufft ist

Nicht nur mit dem Krieg haben die Grünen ihren Frieden gemacht, auch die Technik hat als Feindbild ausgedient: Nicht zurück zur Natur geht der Weg, sondern bestenfalls vorwärts zu alternativen Technologien. Als sich um die Jahrhundertwende erstmals in breiteren Bevölkerungsschichten Unmut über den hohen Preis der durchgreifenden Umgestaltung der Lebenswelt artikulierte, wurde die Frage nach dem Nutzen der Technik noch radikaler gestellt. Die Vordenker der Zeit begaben sich auf die Suche nach dem Zauberspruch, der die voreilig gerufenen Geister wieder an die Kette menschlicher Kontrolle legen konnte.

Thomas Rohkrämer zeichnet in seiner umfangreichen Studie die Einstellung zur Technik von den 1880er Jahren bis in die Nazi-Zeit in ihrem sozial- und technikgeschichtlichen Kontext nach. Dabei geht er nicht streng chronologisch vor, sondern sortiert sein Material nach drei idealtypischen Reaktionsweisen auf die drohende Verselbständigung der technischen Entwicklung. Unterschieden werden die Forderung nach ethischer Selbstbesinnung, nach einem neuen Verhältnis zur Natur und nach konsequenter Durchorganisierung aller gesellschaftlichen Bereiche nach dem Muster der Maschine. Näher diskutiert werden diese drei Typen jeweils an einer intellektuellen Schlüsselgestalt der Epoche, nämlich an Walther Rathenau, Ludwig Klages und Ernst Jünger.

In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg überwog eine "neutrale" Einstellung zur Technik, die sich von einer höheren ethische Reife der Benutzer ihre Zähmung versprach. Rathenaus "Kritik der Zeit" von 1917 kann exemplarisch für diese Strömung gelten, die die zerstörerischen Kräfte der Industrialisierung wahrnahm, aber die Entwicklung selbst für unumkehrbar hielt. So blieb als einziges Korrektiv der moralische Appell übrig. Doch die mit Pathos beschworene "Kraft der Seele" verpuffte wirkungslos, so dass sich Rathenau unter dem Eindruck des Weltkriegs gesamtgesellschaftlichen Lösungsversuchen zuwandte. Es galt nun, dem Maschinenleib des technischen Zeitalters das passende Gesellschaftsmodell zuzuschneiden.

Besonders attraktiv erschien ein Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, der die bürgerliche Gesellschaftsordnung mit zentraler Steuerung von Forschung und Industrie verbinden wollte. Als Vorbild diente unter anderem die Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs, an deren Organisation Rathenau großen Anteil hatte. Die "planlose Individualwirtschaft" war nicht nur Ingenieuren ein Horror. Das technische Denken verlangte nach Kontrollmechanismen, nicht nach dem Zufallsprinzip des freien Marktes. Während in den Vereinigten Staaten die Technokratiebewegung Thorstein Veblens die Debatte prägte, ließen sich in Deutschland rechte Vordenker wie Moeller van den Bruck von der totalitären sowjetischen Mobilisierung der Gesellschaft beeindrucken. Die Überspülung ideologischer Differenzen durch den Primat der technisch-bürokratischen Entwicklung nahm Vorstellungen vorweg, die auch Ernst Jüngers in politischer Hinsicht schillernden "Arbeiter" prägen sollten, und bereitete zugleich die notorische Blindheit vieler Zivilisationskritiker gegenüber totalitären Bewegungen vor.

An Ludwig Klages kann Rohkrämer vorführen, wie mit zunehmender Radikalität der Kritik an der modernen Lebenswelt die Indifferenz gegenüber "oberflächlicher" Politik zunimmt: "Amerika ist Dollarika, und Sowjetrussland wird ein Überamerika sein! . . . Das berechenbare Ende ist entweder: Untergang aller oder: Automatisierung aller", schreibt Klages in seinem Hauptwerk "Der Geist als Widersacher der Seele". Er ist ein Antipode Max Webers, da er die Entzauberung der Welt ebenso scharfsinnig diagnostiziert, sie allerdings theoretisch und praktisch zu überwinden beansprucht: Gegen die allerorten sichtbare Entfremdung des Menschen von der Natur propagiert Klages eine "innere Lebenswende", gegen die herrschende Wissenschaftspraxis eine ganzheitliche Wahrheit menschlichen Erlebens fern dem rationalistischen Reduktionismus und dem hybriden Machbarkeitswahn. Gegen das schlechte Image Klages' als spintisierender Seelenmystiker, wie sie Musils Meingast-Figur im "Mann ohne Eigenschaften" karikaturistisch festschrieb, setzt Rohkrämer das differenzierte Bild eines hellsichtigen Geistes, der die moderne Technik keineswegs in Bausch und Bogen verdammen, ihre destruktiven Auswüchse aber mit scharfer Feder bekämpfen wollte.

Auch die Vertreter der "Konservativen Revolution" waren keineswegs durch die Bank Feinde des technischen Fortschritts. Manchen erschien er nach den Verheerungen des Kriegs als soziales Allheilmittel, das dem kranken Gesellschaftskörper nur konsequent verabreicht werden musste. Eine solche Rosskur empfahl Ernst Jünger, der sich keine Illusionen über die Möglichkeit machte, die Räder des Fortschritts zurückzudrehen, unter die die Menschheit zu geraten drohte. Unter dem Feldzeichen eines durchaus zeittypischen "heroischen Realismus" gelangte Jünger von einer Akzeptanz des Unvermeidlichen zu einer utopischen Technikkonzeption, die die Mechanisierung nicht mehr als Problem, sondern als Lösung betrachtete. Schon im "Abenteuerlichen Herzen" (1929) vertrat er den Standpunkt, "dass man der Zivilisation nicht in den Zügel fallen darf, dass man im Gegenteil Dampf hinter ihre Erscheinungen setzen muss". Im "Arbeiter" von 1932 verkündet er dann die Heraufkunft eines neuen Menschentyps, dem die Technik zur zweiten Haut geworden ist und der bürokratisch-technische Organisation auf allen gesellschaftlichen Ebenen verlangt.

Nach den mörderischen Exzessen der instrumentellen Vernunft im Nationalsozialismus sind Konzepte wie das von Klages als weltfremd, das von Jünger als inhuman diskreditiert. Das schließt natürlich nicht aus, dass einzelne Denkfiguren nicht auch im Zeitalter des Computers und der Gentechnologie wieder aufgegriffen werden. Schon aus diesem Grund ist Rohkrämers zusammenhängende Darstellung begrüßenswert. Mit seinem Herzensanliegen, die Verbindung von gesellschaftlicher Demokratisierung im Sinne eines "Projekts Moderne" à la Habermas und der janusköpfigen technisch-ökonomischen Entwicklung zu kappen, läuft er allerdings sperrangelweit geöffnete Türen ein. Die Kritische Theorie, Verfechter einer autonomen ästhetischen Moderne wie Karl Heinz Bohrer oder die Zeitgeschichtsforschung im Anschluss an Jeffrey Herfs Konzept des reactionary modernism haben schon längst einem "alternativen", differenzierteren Modernekonzept den Weg geebnet. Auch ist den "Fortschrittsfeinden" beispielsweise in den Arbeiten Rolf Peter Sieferles schon früher Gerechtigkeit zuteil geworden.

Rohkrämer wertet keine neuen Quellen aus und geht kaum über den Forschungsstand hinaus, ja, er fällt sogar bei Jünger dahinter zurück. So hat etwa Martin Meyer den "Arbeiter" in prägnanter Weise als Prophetie des Posthistoire, als Renaturalisierung und damit Stilllegung geschichtlicher Progressivität gedeutet. Rohrkrämers Versuch, bei kulturkonservativen Vertretern der "Gegenmoderne" ein zukunftsweisendes ökologisches Bewusstsein aufzuweisen, zeigt aber eines in aller Deutlichkeit: Auch den Zeitgenossen war schon klar, dass der Kaufpreis des hohen Rosses Modernisierung unverhältnismäßig hoch war, jedoch kein anderer Gaul zur Verfügung stand, auf den die westliche Zivilisation hätte umsatteln können. Das Traumbild von einer besseren Moderne mag ein Phantasma gewesen sein, heute ist es gar nicht mehr vorstellbar. Diesen Realismus als heroisch zu bezeichnen wird niemand mehr wagen.

RICHARD KÄMMERLINGS

Thomas Rohkrämer: "Eine andere Moderne?". Zivilisationskritik, Natur und Technik in Deutschland 1880-1933. Schöningh Verlag, Paderborn 1999. 404 S., br., 98,- DM.

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