Marktplatzangebote
31 Angebote ab € 0,99 €
  • Broschiertes Buch

Eine deutsche Studentin, die im heutigen Israel ihren Weg zu finden sucht, erzählt die Geschichte dreier Personen; eine Geschichte, die Vergangenheit und Gegenwart verbindet. Sie erzählt von Jean, einem französischen Trappistenmönch, der unter seltsamen Umständen in Berlin umgekommen ist, von Moshe, der als Kind unter anderem Namen in Frankreich die Nazi-Herrschaft überlebt hat, und vom eigenen Entschluß, die dunkle Vergangenheit auszuleuchten. Das Rätsel um Jeans Tod ist der Anlaß für die Recherche der Erzählerin und der Beginn aufkommender Fragen über Freundschaft und Verrat.

Produktbeschreibung
Eine deutsche Studentin, die im heutigen Israel ihren Weg zu finden sucht, erzählt die Geschichte dreier Personen; eine Geschichte, die Vergangenheit und Gegenwart verbindet. Sie erzählt von Jean, einem französischen Trappistenmönch, der unter seltsamen Umständen in Berlin umgekommen ist, von Moshe, der als Kind unter anderem Namen in Frankreich die Nazi-Herrschaft überlebt hat, und vom eigenen Entschluß, die dunkle Vergangenheit auszuleuchten. Das Rätsel um Jeans Tod ist der Anlaß für die Recherche der Erzählerin und der Beginn aufkommender Fragen über Freundschaft und Verrat.
Autorenporträt
Katharina Hacker, wurde 1967 in Frankfurt am Main geboren und wuchs auch dort auf. In Freiburg und Jerusalem studierte sie Philosophie, Geschichte und Judaistik. Sie arbeitete mehrere Jahre in Israel und lebt seit 1996 als Autorin in Berlin. Ihr Roman Die Habenichtse wurde 2006 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Abel lebt, doch Kain muß sterben
Ein Roman als Übertragung: Katharina Hackers jüdische Lebensgeschichte / Von Jörg Magenau

Wozu dient eine Geschichte? Katharina Hackers Erzählerin notiert: "Eine Geschichte ist keine Antwort auf eine Frage, manchmal ist eine Geschichte nicht einmal eine Frage." Sie scheint sich nicht klar zu sein über die Funktion dessen, was sie erzählt. Eine Geschichte, die keine Fragen stellt, wäre allerdings eine schlechte Geschichte. Der Roman "Eine Art Liebe" gibt viele Fragen auf. Er fragt danach, wie Erinnerung zustande kommt, welche Rolle dabei die Einbildungskraft spielt, wem die Erinnerungen gehören und ob man sich eine ganz andere Geschichte geben kann als die, die man hat. Es ist ein Roman über das Verhältnis einer jungen Deutschen zu einem etwa vierzig Jahre älteren Israeli, ein Roman mithin über die deutsche Geschichte und ihre Folgen.

Zugleich aber geht es - und das ist das Irritierende - um "eine Art Liebe". Denn je länger der jüdische Mann, ein Rechtsanwalt aus Jerusalem mit dem Namen Moshe Fein, der jungen Sophie, die dort Judaistik studiert, davon erzählt, wie er den Holocaust überlebte, um so eindringlicher fragt man sich: Warum tut er das? Warum erzählt er ausgerechnet einer Deutschen? Warum schreibt er nicht selbst, anstatt das Schreiben ihr aufzutragen? Moshe vermutet, daß er Sophie damit an sich binden will, denn er ist ein wenig verliebt. Zugleich wehrt er sich dagegen, ist oft schlecht gelaunt und mürrisch. Er fürchtet, das, was ihn traumatisierte, könnte heute bloß dazu dienen, daß die Nachgeborenen eben "ein paar hübsche Geschichten zu hören bekommen" - Grimms Märchen aus dem 20. Jahrhundert, Rührung und Grusel inklusive.

Sophie protokolliert auch diese Zweifel brav und läßt sich doch nicht abhalten, die ergreifende Geschichte ihres Freundes aufzuschreiben: die Flucht mit den Eltern aus Berlin im Jahr 1938, sein Überleben unter fremdem Namen als getaufter Junge in einem katholischen Internat in Frankreich, seine Freundschaft zum Mitschüler Jean, der ihm seinen Namen borgte, den Tod der Eltern, die an der Grenze zur Schweiz verhaftet, der Gestapo übergeben und in Auschwitz ermordet werden. Moshe, der als Kind Moses, als Jugendlicher Jean-Marie hieß, kommt in der Abgeschiedenheit des Internats relativ ungefährdet, doch sehr verlassen durch die Zeit. Ahnungslos wartet er auf die Rückkehr der Eltern, nicht wissend, was in der Welt geschieht und was Auschwitz ist. Eine kleine Prise "Narziß und Goldmund" ist in dieser klösterlichen Elegie enthalten, doch auch die Freundschaft zu Jean wird von einem Verrat gezeichnet, von dem Moshe nichts weiß.

Die schicksalhafte Verbundenheit zwischen den beiden gegensätzlichen Figuren ist das zentrale Handlungselement des Romans. Jean geht nach dem Zweiten Weltkrieg ins Trappistenkloster und bleibt dort fünfzig Jahre. Als alter Mann, der nicht mehr an Gott glauben kann, flieht er nach Berlin und findet dort ein mysteriöses Ende. Moshe, der zunächst Jesuit werden möchte, schließt sich im Paris der Nachkriegszeit den Zionisten an und wandert nach Israel aus. Die Verbindung zu Jean bleibt auch über jahrelanges Schweigen hinweg bestehen. Sie seien füreinander wie Gesicht und Rücken einer einzigen Person, meint Moshe. Jean, von Schuldgefühlen gepeinigt, sieht eine Wiederholung der Geschichte von Kain und Abel. Doch am Ende ist er, der sich für Kain hält, tot, und Abel lebt.

Katharina Hacker hat ihren Roman dem Historiker und Holocaust-Forscher Saul Friedländer gewidmet, mit dem sie befreundet ist. Unschwer sind darin Elemente seiner Biographie zu erkennen, von der er in dem autobiographischen Essay "Wenn die Erinnerung kommt" erzählte. Hacker nimmt die äußeren Ereignisse seines Überlebens als Katholik im französischen Internat und erfindet in diesen Rahmen hinein ihren Roman. Er handelt, so schreibt sie in einem kurzen Nachwort, "von der Frage, wie es möglich ist, mit Hilfe der Imagination da zu verstehen, wo es kein eigenes Erinnern gibt". Eine merkwürdige Operation wird damit in Gang gesetzt: weniger ein Erzählen als eine Übertragung. Die junge Deutsche, die außer ein paar belanglosen Liebschaften kaum eine eigene Geschichte vorzuweisen hat, macht sich die Geschichte des Überlebenden zu eigen, indem sie zu einem Medium wird.

Ihr eigene nationale Identität spielt dabei überraschenderweise so gut wie keine Rolle. Niemand nimmt sie in Pflicht und Verantwortung für die deutsche Geschichte, und Sophie scheint an keinerlei Schuldgefühl und Schmerzempfinden zu leiden. Als wolle sie, die Nachgeborene, damit ihre Israel-Zugehörigkeit beweisen, betont sie immer wieder, wie gut sie Hebräisch kann. In einer seltsamen Verdoppelung des Erinnerns kommt es ihr im Lauf der fortdauernden Gespräche mit Moshe so vor, als würde sie sich "an eine Erinnerung erinnern, die zugleich eine fremde und eine eigene ist". Dieses Gefühl steigert sich weiter, bis sie glaubt, es handle sich tatsächlich um ihre eigenen Erinnerungen. Moshe gibt parallel dazu alle Ansprüche auf. Er schärft Sophie ein, sie könne mit dieser Geschichte machen, was sie wolle. "Es ist deine Geschichte", sagt er im Schlußsatz des Romans, "ich habe sie dir geschenkt." Das klingt wie eine Lösung, wie eine Erlösung für beide. Die Übertragung ist geglückt.

Man kann diese Aneignung als peinlichen Fall von Philosemitismus betrachten, als Versuch einer Deutschen, sich aus der Nachkommenschaft der Täter herauszuschreiben und in Identifikation mit einem Überlebenden auf die andere Seite zu retten. Wurde Moshe einst zum Christen gemacht, so vollzieht sie die Assimilation in die umgekehrte Richtung: eine Bewältigungsbewegung. "Ihr Name sei ausgelöscht", sagen Überlebende in Israel, wenn sie von den Deutschen sprechen. Also löscht die Erzählerin ihr Deutschtum aus und verzichtet auf eine eigene Geschichte. Über ihr Leben sagt sie schulterzuckend: "Erst läßt man die Vergangenheit zugunsten der Gegenwart verkommen, dann die Gegenwart für nichts." Alles was ihr wichtig ist, konzentriert sich auf die Geschichte von Moshe und Jean. Alles andere, selbst die eigene Hochzeit, bleibt Nebensache.

Erzählerisch ist diese Konstruktion einer Übertragung jedoch äußerst produktiv. Katharina Hacker kann die Erinnerungen bruchstückhaft entwickeln, auf Notizzettel, Briefe, Telefonate, Gespräche zurückgreifen. Aber auch der Unwille und das Schweigen Moshes werden deutlich und damit die Stellen, an denen die eigene Phantasie einsetzen muß. Sie erzählt zurückhaltend, in einer nüchternen Sprache und schafft eindrückliche Bilder - etwa die Szene, in der Moshe und Jean sich in einer Kirche zum ersten Mal begegnen und aneinander festklammern wie Ertrinkende. Die Geschichten sind jederzeit als Fiktion kenntlich. Sie sind das Resultat einer um Verstehen bemühten Montagearbeit, die auch das Verdrängte hervorholen will. Sie entstehen im Gespräch und entfalten ihre Kraft, weil sie das verbindende Element zwischen zwei Menschen sind. So betrachtet ist die Übertragung der Erinnerungen auch eine Liebesgeschichte, eine "Art Liebe", wie es der Titel verspricht. Da es sich aber um eine deutsch-jüdische Beziehung handelt, kann es dabei nicht bleiben.

Die Gegenwartsebene, in der die Freundschaft sich entwickelt, umfaßt die Jahre 1990 bis 2002. Nebenbei werden die Veränderungen in der israelischen Gesellschaft sichtbar: Vom ersten Golfkrieg, als die Menschen mit Gasmasken den Raketenalarm überstanden, über die Ermordung Rabins bis hin zu bedrohlichen Selbstmordattentaten in der Nachbarschaft. Eine politische Analyse dazu gibt es jedoch nicht; das Schicksal der Palästinenser gerät nicht in den Blick. Katharina Hacker begnügt sich mit der Erhöhung einer schicksalhaften jüdischen Heimatlosigkeit ins Mythisch-Allgemeine, wenn sie Moshe sagen läßt: "Erst sind wir von Land zu Land getrieben worden, jetzt bleiben wir in einem Land und ziehen uns selbst den Boden unter den Füßen weg. Wir sind eingewandert, aber das Land, in das wir eingewandert sind, existiert schon nicht mehr, und sein Name verhöhnt uns und unsere Geschichte." Das sind bittere Worte eines resignierten Zionisten.

Vielleicht wendet er sich auch deshalb so rückhaltlos seiner Zuhörerin und der Vergangenheit zu, weil die Zukunft so ausweglos erscheint. Ob es aber tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der erzählten Geschichte und der deprimierenden Gegenwart des Staates Israel gibt, bleibt offen. Die Erzählerin setzt der Vergangenheitsdominanz nichts entgegen. Die Autorin schreibt im Nachwort: "Durch die Freundschaft zu Saul Friedländer habe ich gelernt, über Erinnerung und über Wissen, das die Distanz - die Unmöglichkeit zu begreifen - nicht überwinden kann, nachzudenken." Gibt es ein Wissen diesseits des Begreifens? Katharina Hacker versucht sich daran.

Katharina Hacker: "Eine Art Liebe". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 268 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr