Die Gespräche Gombrowicz' mit Dominique de Roux dürfen als Schlüssel zu seinem Werk gelten: Hier gibt er Auskunft über seinen schweren Weg vom polnischen Landadligen zum anonymen argentinischen Exilanten, als der er seinen wichtigen Beitrag zur Weltliteratur leistete. Die anschließenden Aufsätze gehören zu den schönsten Exerzitien seines polemisch-sarkastischen Talents. "Gombrowicz - das ist Polen. Wenn jemand Polen erlernen, Polen verstehen, Polen tief empfinden will, muß er Gombrowicz lesen". DIE WELT
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.1996Ein Aal und Edelmann
Witold Gombrowicz als Amateur und Entwindungskünstler
An seinem Ruf als Klassiker der Moderne wird niemand mehr rütteln. Ist Witold Gombrowicz deshalb in den Bezirk der Literaturgeschichte entschwunden? Keineswegs. Der Dramatiker Gombrowicz genießt den Vorteil, daß gute Inszenierungen seine Werke immer von neuem aus papierenem Schlaf erwecken können. Wer etwa das finstere Märchen, die abgründige Operette "Yvonne, Prinzessin von Burgund" auf der Bühne des Wiener Akademietheaters sieht, der vermag sich Lebendigeres kaum vorzustellen. Aber auch um das Schicksal des Romanciers - zumal des Autors von "Ferdydurke" und "Trans-Atlantik" - braucht man sich wohl keine Sorgen zu machen. Und sein Tagebuch gehört zu den Glanzstücken des Genres in unserem Jahrhundert. Verständlich jedoch, daß nicht alle Teile des OEuvres im selben Maß beeindrucken. Merkwürdigerweise zählt dazu auch der zuletzt erschienene Band in der verdienstvollen Edition des Hanser Verlags: "Eine Art Testament". Fast die Hälfte des Umfangs nehmen die Gespräche mit Dominique de Roux ein, die 1968 - ein Jahr vor Gombrowicz' Tod - entstanden. Gewiß ist es informativ, hier authentische Interpretation seiner Texte zu lesen, ein Brevier in eigener Sache. Gewiß besticht die grandseigneurale und zugleich anarchistische Haltung des polnischen Edelmanns auf Abwegen. Zudem freuen wir uns über einige Bonmots und originelle Gedanken, denn an Intelligenz und Bosheit hat es diesem Schriftsteller nie gemangelt. Allein, wir werden nicht in den Sog des Dialogs gezogen. "Sie entwinden sich wie ein Aal", sagt Dominique de Roux einmal. Die Antwort hat viel für sich: "Die Literatur und der Aal leben so lange, wie sie sich entwinden. Immer spüren wir Unnahbarkeit und - bei aller vordergründigen Aufrichtigkeit - die Kälte einer eleganten Fassade."
Um die meisten der ebenfalls abgedruckten Rezensionen und literarischen Polemiken des jungen Gombrowicz würdigen zu können, müßte man wahrscheinlich Polonist sein. Indes läßt sich eines behaupten: Er war kein Kritiker von überragendem Format. Das heißt, er hat es nicht verstanden, jenseits der behandelten Materie Interesse zu wecken, das den Anlaß überdauert hätte. Und was er anno 1938 nach einem Rom-Aufenthalt über das Wesen des italienischen Faschismus, insbesondere über dessen Harmlosigkeit schrieb, berührt ein wenig seltsam. Freilich scheint auch das kein Wunder zu sein. Auf dem Gebiet der poetisch-politischen Reportage ist der große Künstler Witold Gombrowicz Amateur gewesen, schlimmer noch: ein Dilettant. Zumindest darin hat er bis heute Nachfahren gefunden. u.we.
Witold Gombrowicz: "Eine Art Testament." Gespräche und Aufsätze. Aus dem Polnischen und Französischen übersetzt von Rolf Fieguth, Walter Tiel und Renate Schmidgall. Carl Hanser Verlag, München 1996. 328 S., geb., 38,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Witold Gombrowicz als Amateur und Entwindungskünstler
An seinem Ruf als Klassiker der Moderne wird niemand mehr rütteln. Ist Witold Gombrowicz deshalb in den Bezirk der Literaturgeschichte entschwunden? Keineswegs. Der Dramatiker Gombrowicz genießt den Vorteil, daß gute Inszenierungen seine Werke immer von neuem aus papierenem Schlaf erwecken können. Wer etwa das finstere Märchen, die abgründige Operette "Yvonne, Prinzessin von Burgund" auf der Bühne des Wiener Akademietheaters sieht, der vermag sich Lebendigeres kaum vorzustellen. Aber auch um das Schicksal des Romanciers - zumal des Autors von "Ferdydurke" und "Trans-Atlantik" - braucht man sich wohl keine Sorgen zu machen. Und sein Tagebuch gehört zu den Glanzstücken des Genres in unserem Jahrhundert. Verständlich jedoch, daß nicht alle Teile des OEuvres im selben Maß beeindrucken. Merkwürdigerweise zählt dazu auch der zuletzt erschienene Band in der verdienstvollen Edition des Hanser Verlags: "Eine Art Testament". Fast die Hälfte des Umfangs nehmen die Gespräche mit Dominique de Roux ein, die 1968 - ein Jahr vor Gombrowicz' Tod - entstanden. Gewiß ist es informativ, hier authentische Interpretation seiner Texte zu lesen, ein Brevier in eigener Sache. Gewiß besticht die grandseigneurale und zugleich anarchistische Haltung des polnischen Edelmanns auf Abwegen. Zudem freuen wir uns über einige Bonmots und originelle Gedanken, denn an Intelligenz und Bosheit hat es diesem Schriftsteller nie gemangelt. Allein, wir werden nicht in den Sog des Dialogs gezogen. "Sie entwinden sich wie ein Aal", sagt Dominique de Roux einmal. Die Antwort hat viel für sich: "Die Literatur und der Aal leben so lange, wie sie sich entwinden. Immer spüren wir Unnahbarkeit und - bei aller vordergründigen Aufrichtigkeit - die Kälte einer eleganten Fassade."
Um die meisten der ebenfalls abgedruckten Rezensionen und literarischen Polemiken des jungen Gombrowicz würdigen zu können, müßte man wahrscheinlich Polonist sein. Indes läßt sich eines behaupten: Er war kein Kritiker von überragendem Format. Das heißt, er hat es nicht verstanden, jenseits der behandelten Materie Interesse zu wecken, das den Anlaß überdauert hätte. Und was er anno 1938 nach einem Rom-Aufenthalt über das Wesen des italienischen Faschismus, insbesondere über dessen Harmlosigkeit schrieb, berührt ein wenig seltsam. Freilich scheint auch das kein Wunder zu sein. Auf dem Gebiet der poetisch-politischen Reportage ist der große Künstler Witold Gombrowicz Amateur gewesen, schlimmer noch: ein Dilettant. Zumindest darin hat er bis heute Nachfahren gefunden. u.we.
Witold Gombrowicz: "Eine Art Testament." Gespräche und Aufsätze. Aus dem Polnischen und Französischen übersetzt von Rolf Fieguth, Walter Tiel und Renate Schmidgall. Carl Hanser Verlag, München 1996. 328 S., geb., 38,80 DM.
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"Gombrowicz - das ist Polen. Wenn jemand Polen erlernen, Polen verstehen, Polen tief empfinden will, muss er Gombrowicz lesen". DIE WELT