Goethe und Kleist haben ihre Kunstexperimente im Denkhorizont Kants, insbesondere der Kritik der Urteilskraft, unternommen - so die leitende These dieses Bandes. Kant hatte hohe Erwartungen an die Kunst - daß sie die Kluft zwischen Erfahrungswirklichkeit und den Forderungen der Vernunft überbrücke - einerseits begründet, andererseits nachhaltig eingeschränkt: eine bloß analogische, bloß symbolische Verknüpfung beider sei möglich. Schiller und die Romantiker fanden sich damit nicht ab; Goethe und Kleist zeigen dagegen in den Figuren und Konstellationen, die sie entwerfen, daß ihnen der Abgrund zwischen Empirie und Idee und dessen bloß symbolische Überbrückung ein permanentes Ärgernis bleibt. Wer versuche, schreibt Goethe, diese Kluft zu überwinden, der gerate in Aporien, müsse Sich-Ausschließendes zusammendenken, was ihn in "eine Art Wahnsinn" versetze. Der Betrachtungsansatz grenzt deutlich Goethes von Schillers Entwurf einer "ästhetischen Erziehung" ab, führt zu einem neuen Verständnis von Kleists Kantkrise und zu markanten Neudeutungen etlicher Werke, darunter Torquato Tasso, Iphigenie auf Tauris, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Dichtung und Wahrheit und Robert Guiskard, Familie Schroffenstein, Amphitryon, Penthesilea, Prinz Friedrich von Homburg, Über das Marionettentheater.