Lieve Joris, vielfach ausgezeichnete Autorin ungewöhnlicher Reiseberichte, hat vor zehn Jahren V. S. Naipaul in seiner Heimat Trinidad getroffen und ein einfühlsames und atmosphärisch dichtes Porträt des weltläufigen Schriftstellers, seiner Familie und der Insel Trinidad gezeichnet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.12.2001Haßgeliebte Heimat
Lieve Joris besucht V. S. Naipaul in Trinidad
Wie porträtiert man einen Schriftsteller? Vielleicht hätte die belgische Reisebuchautorin Lieve Joris ihr soeben beim Piper-Verlag neu aufgelegtes Buch über V. S. Naipaul anders geschrieben, wenn sie die Dankesrede des Nobelpreisträgers gekannt hätte. Auf die Frage nach seiner Biographie zitierte Naipaul Marcel Prousts Diktum, wonach genaue Faktenwiedergabe noch nicht viel über einen Schreiber aussage. "Diese Methode", referierte der neue Nobelpreisträger Proust, "verkennt, daß ein Buch das Erzeugnis eines anderen Ichs ist als dessen, das wir in unseren Gewohnheiten zutage treten lassen." In der fehlenden Differenzierung zwischen Autor und Mensch liegt tatsächlich die wesentliche Schwäche von Joris' Porträt. Vor zehn Jahren hat sie Naipaul in seinem haßgeliebten Herkunftsland Trinidad besucht, wo sie begierig nach der "Naipaulschen Note" fahndete; an jeder Straßenecke glaubte sie dort, die Vorbilder für seine Romane zu entdecken. Ihre Darstellung aber krankt vor allem daran, daß Joris das Image vom störrischen Naipaul unbedingt zugunsten eines Gegenbildes der Marke "Rauhe Schale - weicher Kern" entkräften will. Wobei sie nicht davor zurückschreckt, die Autorenbiographie zur Heiligenvita umzumodeln, inklusive der üblichen Topoi: Das Initiationserlebnis einer Berufung kommt da ebenso vor wie die Erfahrung einer Einsamkeit, von der "man niemals ganz genest". Und bald schon hat Joris so wenig Abstand zu ihrem Gesprächspartner, daß sie beim Lesen seiner Werke sowohl gerührt "seine Stimme hört" als auch die rassistischen Ausfälle Naipauls unkommentiert in Kauf nimmt. Ungehindert darf der Autor in ihrer Gegenwart Farbige als "Geier", "Kaffern" und "faule Säcke" beschimpfen. Und spätestens an dieser Stelle sollte man Joris' Buch aus der Hand legen. (Lieve Joris: "V. S. Naipaul." Eine Begegnung in Trinidad. Piper Verlag, München 2001. 77 S., br., 10,- DM.)
gisa
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lieve Joris besucht V. S. Naipaul in Trinidad
Wie porträtiert man einen Schriftsteller? Vielleicht hätte die belgische Reisebuchautorin Lieve Joris ihr soeben beim Piper-Verlag neu aufgelegtes Buch über V. S. Naipaul anders geschrieben, wenn sie die Dankesrede des Nobelpreisträgers gekannt hätte. Auf die Frage nach seiner Biographie zitierte Naipaul Marcel Prousts Diktum, wonach genaue Faktenwiedergabe noch nicht viel über einen Schreiber aussage. "Diese Methode", referierte der neue Nobelpreisträger Proust, "verkennt, daß ein Buch das Erzeugnis eines anderen Ichs ist als dessen, das wir in unseren Gewohnheiten zutage treten lassen." In der fehlenden Differenzierung zwischen Autor und Mensch liegt tatsächlich die wesentliche Schwäche von Joris' Porträt. Vor zehn Jahren hat sie Naipaul in seinem haßgeliebten Herkunftsland Trinidad besucht, wo sie begierig nach der "Naipaulschen Note" fahndete; an jeder Straßenecke glaubte sie dort, die Vorbilder für seine Romane zu entdecken. Ihre Darstellung aber krankt vor allem daran, daß Joris das Image vom störrischen Naipaul unbedingt zugunsten eines Gegenbildes der Marke "Rauhe Schale - weicher Kern" entkräften will. Wobei sie nicht davor zurückschreckt, die Autorenbiographie zur Heiligenvita umzumodeln, inklusive der üblichen Topoi: Das Initiationserlebnis einer Berufung kommt da ebenso vor wie die Erfahrung einer Einsamkeit, von der "man niemals ganz genest". Und bald schon hat Joris so wenig Abstand zu ihrem Gesprächspartner, daß sie beim Lesen seiner Werke sowohl gerührt "seine Stimme hört" als auch die rassistischen Ausfälle Naipauls unkommentiert in Kauf nimmt. Ungehindert darf der Autor in ihrer Gegenwart Farbige als "Geier", "Kaffern" und "faule Säcke" beschimpfen. Und spätestens an dieser Stelle sollte man Joris' Buch aus der Hand legen. (Lieve Joris: "V. S. Naipaul." Eine Begegnung in Trinidad. Piper Verlag, München 2001. 77 S., br., 10,- DM.)
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Möglich, dass die Autorin ihr nun neu aufgelegtes Porträt des diesjährigen Nobelpreisträgers anders geschrieben hätte, sinniert "gisa", wenn sie dessen Dankesrede gekannt hätte. Darin nämlich bezieht sich Naipaul auf Proust und sein Diktum, wonach Faktenwiedergabe nicht viel über einen Autor, und die Beschreibung von dessen Gewohnheiten noch nichts über den Menschen aussage. Stimmt, meint "gisa" und bezichtigt die belgische Reiseschriftstellerin genau dieses Fehlers, zu wenig zwischen dem Autor und der Person des Autors zu unterscheiden. Joris hat Naipaul vor etwa zehn Jahren in seiner Heimat Trinidad besucht - und ist ihm dort, salopp formuliert, auf den Leim gegangen. Es gefällt "gisa" nämlich gar nicht, dass Joris Naipauls Leben "zur Heiligenvita" ummodelt, und dass hinter dem bärbeißigen Autor ein netter Kerl stecken soll, leuchtet "gisa" ebenso wenig ein. Dass dann Naipauls "rassistische Ausfälle" unkommentiert hingenommen werden, lässt "gisa" nur die Empfehlung: Buch weglegen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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