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Der schwäbische Abgeordnete Anton Sommer untersucht den Mordanschlag auf seinen Freund und Parlamentskollegen Schmid-Selbelang. Dieser hat offenbar ein flottes wie gefährliches Doppelleben geführt. Im Golfclub kommt Sommer mafiosen Machenschaften auf die Spur.

Produktbeschreibung
Der schwäbische Abgeordnete Anton Sommer untersucht den Mordanschlag auf seinen Freund und Parlamentskollegen Schmid-Selbelang. Dieser hat offenbar ein flottes wie gefährliches Doppelleben geführt. Im Golfclub kommt Sommer mafiosen Machenschaften auf die Spur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.1997

Schokolade für den Kanzler
Neues vom Treibhaus: Wolfgang Herles begibt sich in Gesellschaft

Antonius Sommer, Abgeordneter der Regierungspartei aus einem oberschwäbischen Wahlkreis, führt das weitgehend schuld- und ahnungslose Leben eines parlamentarischen Hinterbänklers, pendelnd zwischen Bonn und Bodensee. Doch dann wird er durch Ereignisse, die er kaum mehr überblickt, in einen Skandal katapultiert. Schien es zunächst nur darum zu gehen, daß sich der Umbau des Reichstags durch Schiebereien bei der Ausschreibung unvorhergesehen teuer gestaltet, so steht später nicht weniger als das Überleben des Kanzlers auf dem Spiel, politisch, ja physisch. Denn wer weiß, ob die schöne ostdeutsche Malerin Gisi (das ist ein Vorname) nicht doch eine Schußwaffe auf die Besuchertribüne des Bundestags geschmuggelt hat . . .

Man soll ja von einem Thriller nicht den Ausgang des Plots erzählen. Hier aber liegt die Sache etwas anders. Nicht daß der Roman keine Spannung hätte - von einem gewissen Punkt an beflügelt sie die Lektüre, wie Leser und Autor es sich nur wünschen können. Doch das Herz dieses Romans ist dieser Plot nicht, vielmehr der Vorwand, der die Zustände, von denen er sprechen will, zur Erzählung beschleunigt. Um die Wahrheit zu sagen: Der Plot übernimmt sich am Ende ein wenig, entfernt sich weit von der Geographie und den Wahrscheinlichkeiten der deutschen Politik bis auf die Bermudas und stellt das Teufelsweib Gisi, den Revolver in der Hand, dem armen Anton gegenüber - da trifft sie von hinten der Hieb eines Golfschlägers (genauer, eines "Sandeisens", denn der Golfsport mit seinen Spezifikationen spielt eine große Rolle), geführt von Antons treuer Sekretärin Antje, tödlich. Alles wird gut, und Antonius, der dafür so wenig kann wie für den ganzen Schlamassel vorher, vielleicht sogar Staatssekretär.

"Im wesentlichen bildeten sich zwei Lager, das der Zyniker und das der Humorlosen", heißt es in dem Roman einmal. Das scheint im wesentlichen auch von der Darstellung der Macht und ihrer Organe in der Bundesrepublik Deutschland zu gelten. Der humorlosen, das heißt der moralischen Seite gehört (das darf man bei allem Respekt behaupten) das "Treibhaus" an, jener Roman Wolfgang Koeppens, der sich als genaues Gegenstück zu Herles' Buch aufdrängt. Überrascht nimmt man wahr, daß kaum noch ein Schriftsteller in Deutschland versucht, die Macht von innen zu schildern.

Bei Koeppen war es der Oppositionsabgeordnete Keetenheuve gewesen, der, aus dem Exil zurück, sich in der parlamentarischen Landschaft nicht zurechtfindet, einer Intrige der Adenauer-Regierung unterliegt und zuletzt von einer Rheinbrücke springt, um Freiheit zu erlangen. Es war ein Buch des Scheiterns, zunächst Keetenheuves, aber zuletzt auch Koeppens, der das Neue des neuen Staates nur in das alte Paradigma der Restauration zu fassen vermochte: So verstummte er als Romanautor noch in den fünfziger Jahren. Dabei war seine beiläufige Analyse der parlamentarischen Demokratie so genau wie desillusionierend gewesen: Im Bundestag, so sah es Koeppen, traten zwei Mannschaften gegeneinander an, wie beim Fußball, um sich mit erzielten Toren zu übertrumpfen. Doch im Unterschied zum Fußball war hier der Torstand schon vorab durch die Zahl der errungenen Sitze festgelegt, und die Regierungsmannschaft, die die Überzahl besaß, siegte immerzu und hörte nicht auf zu siegen. Was Koeppen und Keetenheuve verzweifeln ließ - davon gehen Sommer und Herles als von ihrer selbstverständlichen Arbeitsgrundlage aus: "In diesem demokratischen Land war es nicht üblich, daß Regierungen durch Wahlen abgelöst wurden. Tatsächlich war dies noch niemals geschehen." Die Politik, wenn sie ihren Glauben an den Akt der Entscheidung noch zu Protokoll gibt, träumt oder lügt.

Bei solch epochaler Mutlosigkeit entgeht auch dieses Buch dem Zynismus nicht. Es spendet das Vergnügen, das zynischer Witz im allgemeinen zu spenden pflegt. Aber auch satirische Einfälle tun sich schwer, der bloßen Verdoppelung des Vorhandenen zu entrinnen. Daß es so etwas wie die Verleihung des "Bambi" wirklich gibt, läßt sich, indem man es durch eine "Goldene Röhre" ersetzt, nicht überbieten. Treibende Kraft des Plots sind die "Freunde des Golfs", eine Clique, die sich die Exklusivität dieses Sports zur Maske nimmt, um im Gefühl, Elite zu sein, dilettantische Prognosen und Ansprüche für Deutschlands Zukunft zu stellen. In einer konfusen Weise leiden sie an der Ohnmacht der Politik, machen dafür den Kanzler verantwortlich und bezichtigen ihn und seine Mannschaft, das Land dem Sozialismus ausgeliefert zu haben. Daß gerade die konservativen Eliten, die Kreuzritter, Saftfabrikanten, Dichter und Theaterintendanten (sie sind die "blendende Gesellschaft", die dem Buch den Titel gegeben hat), den tiefsten Groll empfinden, der bis hin zu terroristischen Gelüsten reicht, verleiht dem Roman seine erheiterndsten Momente.

",Was lesen Sie denn da?' Der tiefe Schatten hatte sich neben Anton materialisiert. Auf einem seiner berüchtigten Ausflüge auf die Hinterbank war ihm der Kanzler erschienen." Längst ist der Kanzler nicht mehr Figur unter Figuren. Erinnern Sie sich noch, wie falsch am Anfang der "Bundeskanzler Kohl" klang, weil man so sehr an den Bundeskanzler Schmidt gewöhnt war? Dann fand man sich in den neuen Namen. Aber inzwischen leben wir in einer dritten Phase, wo der Name von ihm abzufallen scheint: Der Kanzler - das genügt, Amt und Mann sind unveränderlich eines geworden. Die anderen alle heißen: Mespelkamp und Söhnlein, Schütterlich, von Schwalm und Argenthal. Er allein heißt nicht. Trotz seiner Keckheit wird Herles die Scheu nicht los, die seine Tat begleitet, selbst wenn er ihn dabei schildert, wie er abends zu den ausgeleierten Klängen der Brandenburgischen Konzerte vier Kugeln Schokoladeeis verdrückt: die Apotheose des Status quo als der heiligste Schauder, der die neunziger Jahre noch durchweht.

Es ist eine der wenigen Szenen, an denen dem Autor sichtbar zugute kommt, was der Umschlagtext als Empfehlung verheißt: daß er Chefkorrespondent des ZDF in Bonn war und darum die führenden Politiker aus nächster Nähe erlebt hat. Sonst enthält der Roman eine erstaunlich geringe Ausbeute daran, was man nur von einem Insider erfahren könnte - aber natürlich leben Fernsehkorrespondenten davon, daß sie die Grenzen privater und öffentlicher Erfahrung nachhaltig verwischen, und so können sie dann in ihren Schriften nicht mehr allzuviel mitteilen, was sie nicht schon vorher ausgeplaudert haben.

Man soll, sagt Wieland, ein Buch nach dem beurteilen, was es hat werden wollen. Das läßt sich hier aber gar nicht so einfach ausmachen, und das stellt seine eigentliche Schwäche dar. Ein politischer Thriller ist es nur am Rande, für die Abrechnung eines Insiders ist es zu gutgelaunt, für einen Gesellschaftsroman fehlt ihm der Ehrgeiz. Etwas eigentlich Neues erfährt man, obwohl immer wieder aphoristische Lichtblitze an seinem Horizont aufleuchten, aus ihm nicht. Es ist ein unterhaltsames Buch, auch ein intelligentes. Nachwirkungen hat es nicht. BURKHARD MÜLLER

Wolfgang Herles: "Eine blendende Gesellschaft". Roman. Blessing Verlag, München 1996, 288 S., geb., 38,80 DM.

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