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Ein US-Amerikaner mit deutschen Wurzeln blickt liebevoll-kritisch auf das Deutschland zwischen 1926 und 1936
Er schlenderte mit James Joyce durch Goethes Geburtshaus, schunkelte auf dem Münchner Oktoberfest und durchzechte mit seinem Lektor Heinrich Maria Ledig-Rowohlt Berliner Sommernächte. Kein Autor der amerikanischen Moderne drang tiefer in deutsche Kultur und Mentalität ein als Thomas Wolfe, und so sind seine Deutschlanderkundungen zwischen 1926 und 1936 auch Reisen zu sich selbst. Im liebevollen und zugleich kritischen Blick des großen Erzählers lässt sich jene entscheidende Epoche…mehr

Produktbeschreibung
Ein US-Amerikaner mit deutschen Wurzeln blickt liebevoll-kritisch auf das Deutschland zwischen 1926 und 1936

Er schlenderte mit James Joyce durch Goethes Geburtshaus, schunkelte auf dem Münchner Oktoberfest und durchzechte mit seinem Lektor Heinrich Maria Ledig-Rowohlt Berliner Sommernächte. Kein Autor der amerikanischen Moderne drang tiefer in deutsche Kultur und Mentalität ein als Thomas Wolfe, und so sind seine Deutschlanderkundungen zwischen 1926 und 1936 auch Reisen zu sich selbst. Im liebevollen und zugleich kritischen Blick des großen Erzählers lässt sich jene entscheidende Epoche miterleben, als die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts die denkbar fatalste Wendung nahm.

Dieser Band enthält drei Stories («Dunkel im Walde, fremd wie die Zeit», «Oktoberfest», «Nun will ich Ihnen was sagen»), den Zeitschriftenartikel «Brooklyn, Europa und ich» sowie weitere faszinierende Fundstücke aus den Notizbüchern und Briefen des Autors in Erst- und Neuübersetzung, exklusiv zusammengestellt von Oliver Lubrich. Im Spannungsfeld zwischen Zeitdokumenten und erzählender Literatur entsteht ein beeindruckendes Panorama deutsch-amerikanischer Kulturgeschichte.

Mit 8 Originalseiten aus den Notizbüchern des Autors und 20 historischen Fotos

Schon als Sechsundzwanzigjähriger, bei seinem ersten Besuch, schwärmt Wolfe für die Heimat von Dürer, Goethe und Beethoven. Als er wiederkommt, steht er staunend vor den Schaufenstern deutscher Buchhandlungen, pilgert durch deutsche Museen und Bierkeller. Er besingt die Schönheit des Rheins, lässt sich bezaubern von den Altstadtidyllen Frankfurts und Nürnbergs, vom märchenhaften Schwarzwald, vor allem aber von der gastfreundlichen Aufnahme durch ein Kulturvolk, das sich seine Herzlichkeit und seinen liebenswerten Eigensinn bewahrt zu haben scheint. Keineswegs blind für bedenkliche Zeitsymptome, überwiegen doch die positiven Eindrücke bei Weitem. Nicht einmal eine blutige Wiesn-Schlägerei heilt den amerikanischen Dauergast von seiner akuten Germanophilie. Mitte der 1930er kehrt Wolfe als Weltberühmtheit in das Land seiner Vorväter zurück, wo man den Autor von «Schau heimwärts, Engel» euphorisch feiert. Er wird Zeuge des nationalsozialistischen Massenwahns und der Selbstinszenierungsorgie des «Dark Messiah» (wie er Hitler nennt) während der Olympischen Spiele 1936. Was Thomas Wolfe lange nicht wahrhaben wollte, wird ihm nun schlagartig klar: «Good old Germany», die Heimstatt von Humanität und unbedingtem Freiheitsstreben, gibt es nicht mehr. Und so endet die Liebe zu Deutschland, seiner zweiten Heimat, mit der schmerzlichen Abkehr und dem Abschied für immer.

«I have the deepest and most genuine affection for Germany, where I have spent some of the happiest and most fruitful months of my life.» Thomas Wolfe
Autorenporträt
Thomas Wolfe wurde im Jahr 1900 als letztes von acht Kindern in Asheville, North Carolina, geboren. Seinen literarischen Durchbruch feierte er 1929 mit «Look Homeward, Angel» (2009 bei Manesse in Neuübersetzung erschienen). Zwischen 1926 und 1936 bereiste er Deutschland insgesamt sechs Mal. 1938, im Jahr des «Anschlusses» Österreichs an das Deutsche Reich und der antisemitischen Novemberpogrome, stirbt der Autor, achtzehn Tage vor seinem 38. Geburtstag, an tuberkulärer Meningitis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.05.2020

Schweinsgesichter im Zauberwald
Der germanophile Amerikaner Thomas Wolfe bereiste Deutschland zwischen 1926 und 1936.
Jetzt kann man nachlesen, wie seine Faszination umschlug
VON JUTTA PERSON
Manchmal wünscht man sich, man könnte einen längst schon toten Nicht-mehr-Zeitgenossen kennenlernen, an seinem Humor, seiner Aufgewecktheit und seiner Neugier teilhaben – und ihn präventiv wachrütteln, wenn die magische Mittelaltermärchenwaldmaschine ihn wieder einsaugen will: Forget these Holzwege! Der nicht mehr allzu bekannte amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe, geboren 1900 in North Carolina, gestorben 1938 an Tuberkulose, ist so ein Fall (und nicht zu verwechseln mit Tom Wolfe, dem Mitbegründer des New Journalism). Zwischen 1926 und 1936 reist er sechsmal durch Deutschland, hin und her zwischen München und Berlin, Wiesbaden und Bonn, Frankfurt und Freiburg, Oktoberfest und Schwarzwald, Bars und Museen. Dass all die zaubrischen Landschaften von bierseligen Hunnen bewohnt werden, die wiederum Beethoven und Goethe hervorbrachten, versetzt den kultursüchtigen Amerikaner immer wieder in höchstes Erstaunen.
Aus dieser Geist-versus-Barbarei-Formel speist sich Wolfes Deutschlandsympathie zu einem beträchtlichen Anteil, und sie bringt treffsichere physiognomische Beschreibungen ebenso hervor wie fatale Fehleinschätzungen. Wolfes Notizbucheinträge, Briefe und Erzählungen erscheinen jetzt in einer Auswahl, die den allmählichen Wandel seiner Begeisterung sichtbar werden lässt, bis hin zum ernüchterten, spät vollzogenen Abschied vom Nazi-Deutschland der Stiefeltritte und Eisenhelme. Oliver Lubrich, Literaturwissenschaftler und Herausgeber des Bandes, verweist darauf, dass Wolfes Impressionen nicht nur als Geschichtsdokumente lesbar seien, sondern auch als „individuelles Drama einer Deutschlandliebe in sechs Akten“.
Alles beginnt in München: „Der Hunnenchauffeur oder -pförtner mir gegenüber. Die rubinroten, bierfeuchten Lippen tropfend vor ausgerülpstem Bier“, notiert Wolfe 1926 im Hofbräuhaus; zwei Jahre später und viele faszinierende Gestalten weiter, besucht er das Oktoberfest und prügelt sich dort sogar (was ihn zur Erkundung der eigenen Tötungslust führt).
In der Erzählung „Oktoberfest“ hält die Hauptfigur fest: „Die Esser, schien es mir, waren zum größten Teil massige, schwere Leute, in deren Gesichtern schon etwas von der aufgedunsenen Saturiertheit von Schweinen lag.“ Der Icherzähler glaubt sich „in einem fremden barbarischen Wald erwacht“, fasst aber trotzdem Zutrauen, auch zu sich selbst. Gerade vom Rohen und Archaischen geht eine höchst ambivalente, geradezu „furchtbare Anziehung“ aus.
Die dunklen, alten Wälder durchziehen Wolfes Texte ebenso wie sein Faible für ein Spielzeugland voller spitzgiebeliger Häuser und gotischer Lettern. Über den Schwarzwald heißt es 1930 in einem Brief aus Freiburg an einen New Yorker Freund: „eine Landschaft der üppigen dunklen Melancholie, eine Gegend mit einer schauerromantischen Seele“, und: „mein Inneres war wie ein schwarzer Wald, und ich glaube, der Name übte seinen anhaltenden, unbewussten Einfluss auf mich aus“. Wolfe erkennt sich in der tiefen deutschen Seele wieder und betreibt gleichzeitig einen Exotismus, der im Fremden die sehnsüchtig gesuchte Wahrheit längst vergangener Zeitalter zurückerobern will. Manchmal erinnert das, nur in anderer Himmelsrichtung, an den irisch-griechischen Schriftsteller Lafcadio Hearn, der um 1900 das reine, unvermischte Japan, ein Land der Feen und Zierfische, glorifiziert hatte.
Nur dass man es hierzulande eher mit übergewichtigen Karpfen zu tun hätte. Wolfe scheint in einer Weise auf deutsches Fett fixiert zu sein, die man heute wohl als Adipositas-Fetisch bezeichnen müsste. Sein physiognomischer Blick konzentriert sich auf das Massive, Specknackige, Prallbusige, auf die Kolosse und Bierleiber. Vom Rheintourismus mit seinen Vergnügungsdampfern behält er die „Kähne voll großer, fetter Fresser und Säufer“ im Gedächtnis, die stumpf in die malerische Landschaft glotzen; im Frankfurter Bierkeller notiert er: „Die meisten Gäste waren stämmig und schwer“; in Hannover, wo er sich auf die Suche nach seinen Ahnen macht, stößt ihn der „blödeste, bestialischste Blick“ eines Kneipenwirts ab.
Gleichzeitig erweist sich Wolfe als enthusiastischer Ausstellungsbesucher und Museumsgänger, der seiner Geliebten von den entdeckten Dürers vorschwärmt. Dazu kommt, dass der Schriftsteller keine Buchhandlung auslässt und lange Listen mit den vorgefundenen Büchern erstellt (Amerikaner, Deutsche, lebende und tote Autoren). Nicht zuletzt geht es auch um den Erfolg der eigenen Bücher und um die Welle der Sympathie, die dem amerikanischen Autor entgegenschlägt. Mit seinem Verleger Ernst Rowohlt versteht er sich blendend, dessen Sohn Heinz Ledig führt ihn durch Berlin. Ledigs Erinnerungen an Wolfe vermerken auch den Schock beim Anblick einer Porträtskizze, die eine Pressezeichnerin von ihm angefertigt hatte: „Habe ich ein Sweinsgesicht?“ fragt er den Verlegersohn entsetzt.
In den Jahren 1935 und 1936 findet Wolfe in kleinen Schritten zu einer politischeren Sichtweise und zur Ablehnung der deutschen Diktatur. Allerdings schreibt er noch im Mai 1935 einen aufschlussreichen Brief an seinen Lektor. Einerseits ist die Rede von „verdammenswerten“ Dingen, die im Land vor sich gehen – und dennoch wirkt es, als ob er voller Trotz an seiner Begeisterung festhalten wolle: „die Wälder sind so überaus bezaubernd, die kleinen Städte so ungemein sauber und die Gesichter der Menschen die freundlichsten, die mir je begegnet sind; was kann man da also sagen?“
Schlimmer noch, ein Jahr später, bei seiner letzten Reise, erstellt er eine Pro-und-Contra-Liste zum Faschismus, hält im Notizbuch fest, dass er „Juden nicht leiden“ könne und vermerkt gegen alle amerikanischen Einsprüche zur Diktatur, dass man erst einmal deren gute Seiten verstehen müsse. Doch ihm werden schließlich die Augen geöffnet, was viel mit seinen Berliner Bekannten, vor allem mit Martha Dodd, der Tochter des US-Botschafters, zu tun hat. Wolfe verabschiedet sich für immer von Deutschland und findet vom antisemitischen Ressentiment zur Solidarität mit den Verfolgten, wie Oliver Lubrich mit seiner Interpretation der Erzählung „Nun will ich Ihnen was sagen“ zeigt. Auch deshalb sind Wolfes Texte ein unschätzbar wertvolles Wahrnehmungsarchiv: Sie führen vor, wie ein Faszinierter die fatale Verknüpfung von Physiognomie und Landschaft, Völkerpsychologie und Waldesmystik durchtrennt – und die Doppelgesichtigkeit der politischen Barbarei begreift.
Thomas Wolfe: Eine Deutschlandreise in sechs Etappen. Literarische Zeitbilder 1926-1936. Herausgegeben von Oliver Lubrich. Aus dem Englischen von Renate Haen, Barbara von Treskow und Irma Wehrli. Manesse Verlag, München 2020. 416 Seiten, 25 Euro.
Der physiognomische Blick
konzentriert sich auf das Massive,
Specknackige, Prallbusige
„Die Wälder sind so überaus
bezaubernd, die kleinen Städte
so ungemein sauber …“
In seinem Notizbuch hielt Thomas Wolfe fest: „Die Tausende deutscher Studenten, die schlagenden Verbindungen angehören – Der Säbel schneidet in ihre Gesichter“.
– Festkommers des Allgemeinen Burschenbundes, 1933.

Foto: SZ/Scherl
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Kai Sina folgt dem amerikanischen Schriftsteller Thomas Wolfe ins Deutschland der Jahre 1926-1936. Was er da sieht, macht ihm Angst, denn Wolfe geht in die Bierschwemme des Oktoberfestes und schaut zu, wie der Deutsche zum Tier wird. Auf der anderen Seite sprechen die "wortmächtigen" Tagebucheinträge, Briefe, Artikel und erzählenden Texte im Band für Sina von einer großen Liebe des Autors zur deutschen Landschaft und Kultur. Zwischen diesen Polen bewegen sich die Texte laut Sina. Dass der Verlag Wolfes "Germanophilie" hervorhebt, findet er entsprechend zu wenig differenziert, zumal für Sina deutlich eine politische Entwicklung beim Autor festzustellen ist, von der Bewunderung deutschen Organisationstalents (auf den Olympischen Spielen 1936!) und antisemitischer Tendenzen hin zur Abwehr des Nazitums.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Oliver Lubrich ist mit der Edition der aus Wolfes reichem Fundus geschöpften Deutschlandreise ein vorzügliches Buch gelungen.« taz - die tageszeitung, Ralf Höller