Der Augsburger Maler Johann Moritz Rugendas erreicht 1837 zusammen mit dem Maler Robert Krause Lateinamerika. Als Landschafts- und Naturmaler soll er die Forschungen des Entdeckers durch Illustrationen unterstützen. Auf dem Weg von Chile nach Buenos Aires passieren sie einen unheimlich anmutenden Landstrich, bald zieht ein nachtschwarzes Gewitter auf und entlädt sich über ihnen. Rugendas wird vom Blitz getroffen. Er überlebt, doch er verfängt sich im Steigbügel und das erschreckte Pferd bricht aus und schleift ihn mit sich. Auch diese Tortur überlebt er, aber sein Gesicht wird aufs Fürchterlichste entstellt. Von nun an im Morphiumrausch, um die Schmerzen zu ertragen, malt er Bilder von atemberaubender Wucht. Auf seiner Jagd nach immer spektakuläreren Motiven wagt er sich eines Tages ins Zentrum eines echten Indianer überfalls, doch diesmal scheint seine Obsession zu weit zu gehen.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Jörg Plath ahnt schon, dass César Aira seine Erwartungen gekonnt umlaufen wird mit diesem Buch. Erzählen in Konstellationen, laut Plath ein Ideal des Meisters, gelingt hier anhand der Geschichte des Reisemalers Johann Moritz Rugendas. Wie der Autor die Genres der Reisebeschreibung und der Biografie auseinandernimmt und die Landschaftsmalerei gleich mit, hat ihm imponiert. Die Vereinigung von Kunst und Leben im unmöglichen Augenblick demonstriert der Autor laut Plath eindrucksvoll mit der Figur des morphiumsüchtigen Malers.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.09.2016Der elektrische Reiter
auf dem Weg nach Berlin
Erzählungen und Essays von César Aira
Das weite Land liegt bretteleben vor ihnen. Das muss sie sein, die berühmte argentinische Pampa, denkt der nicht mehr ganz junge Maler aus Augsburg. Aber der alte Führer schüttelt den Kopf, nein, die wahre Pampa beginne erst hinter San Luis. Leider bleibt dem Maler nicht mehr viel Zeit, um sich etwas Ebeneres als diese Ebene auszumalen, denn ein Gewitter zieht auf, Donner grollt und Blitze zucken. „Das Pferd unter ihm begann sich im Kreis zu drehen. Es kreiselte noch, als ein Blitz in seinen Schädel fuhr. Wie ein Standbild aus Nickel wurden Mensch und Tier von Elektrizität entflammt.“
Wie durch ein Wunder, besser gesagt, wie durch Literatur, überlebt der Augsburger den Blitzschlag. Er stürzt vom Pferd, und weil sich sein Fuß im Steigbügel verfängt, schleift ihn das fliehende Pferd eine quälende Strecke hinter sich her. Auch das Auf- und Abprallen seines Kopfes auf der Erde überlebt der Augsburger. Aber nie wieder wird er aussehen wie früher. Fortan sieht er aus wie ein Monster. Inspiriert vom vagabundierenden Leben des deutschen Landschaftsmalers Johann Moritz Rugendas (1802 – 1858), lässt César Aira dieses Ereignis in die, für seine Verhältnisse, gemächliche Erzählung fahren, womit er alles herumdreht und eine abermals unerhörte Novelle erzeugt. Unter dem Titel „Humboldts Schatten“, weil der hochberühmte Alexander von Humboldt den jungen Augsburger einst ermunterte und förderte, ist die Geschichte vor mehr als zehn Jahren erstmals auf Deutsch erschienen. Zum Glück hat der Verlag Matthes & Seitz diesen Titel als Unfug erkannt und ihn nun für seine „Bibliothek César Aira“ originalgetreu übersetzen lassen: „Eine Episode im Leben eines Reisemalers“.
César Aira ist der elektrische Reiter der lateinamerikanischen Literatur. Endlich wird ihm die Aufmerksamkeit zuteil, die er von Anfang an verdient hätte. Lange Jahre kamen seine schmalen Bücher, Kurzromane, Novellen, Essays nur in kleinen Verlagen heraus, noch dazu in nur geringer Auflage; es sind inzwischen an die neunzig Werke. Der Verblüffung ob seiner von Blitzschlägen erleuchteten Prosa, ob der eingespannten Widersprüche, ob des Unwahrscheinlichen und Fantastischen begegnete er einmal mit den Worten: „Im Grunde ist die Wirklichkeit viel theoretischer als das Denken.“ Erst vor wenigen Tagen wurde ihm der mit 60 000 Dollar dotierte Manuel-Rojas-Preis zuerkannt, der vielleicht bedeutendste Literaturpreis Lateinamerikas. Und an diesem Mittwoch eröffnet César Aira das Internationale Literaturfestival in Berlin. Dabei konnte man ihn mit Preisen und Festivals bisher jagen. Er gilt als scheu und hat für den Literaturbetrieb nicht viel übrig. Die ihm vor Jahren angetragene Samuel-Fischer-Gastprofessur an der FU Berlin hat er damals abgelehnt.
Wenn er jetzt für eine große Rede nach Berlin kommt, dann dämpft er erst mal alle Erwartungen, „Eine kurze Rede“ soll es werden, „Un discurso breve“, so der Titel. Vom Schreiben soll sie handeln und vom Lesen, außerdem von der Zeitlichkeit, aber das kann vieles heißen. Eine kurze Spanne, ein Augenblick, ein Atemzug genügt, so zeigt es Aira in seinen Geschichten, dass alles auseinanderfliegt, um sich hinterrücks neu zusammenzusetzen.
Er sei kurzsichtig und schüchtern, sagt César Aira. Von daher rühre seine „monströse Einbildungskraft“. In den Essays „Duchamp in Mexiko“, „In Havanna“ und „Über zeitgenössische Kunst“, die Anfang kommender Woche auf Deutsch erscheinen, lernt man einiges über Mexiko, Havanna und zeitgenössische Kunst, aber einiges mehr über Aira selbst, wie er denkt und wie er schreibt. Schamlos hängt er dem „irgendetwas“ an, irgendetwas fällt ihm schon ein; das sei aber weder leichtfertig noch gar beliebig gemeint. Irgendetwas kommt heraus, wenn ganz bestimmte Umstände zusammentreffen. Tatsächlich lässt ihn irgendetwas immer zum Sprung ansetzen, und wenn er im Aberwitz landet, umso besser. „Was aber ‚gut‘, ‚nach allen Regeln der Kunst‘ gemacht ist, was sich den schon etablierten Werten unterwirft, ist keine Kunst.“
1949 in Pringles geboren, lebt Aira seit Langem in Buenos Aires. Der Held seiner jungen wie seiner späten Jahre heißt Marcel Duchamp. Weil er weniger die Kunst als die Kunstfertigkeit zerstört hat. Und weil er zum Kunstwerk als einer der ersten gleich den Kunstwerk-Diskurs geliefert hat, ganz so, wie Aira mitten im Erzählen plötzlich in schweifende Betrachtungen ausschert. In Mexico City entdeckt Aira einen Kunstband über Duchamp und kauft ihn, wenig später denselben Kunstband, den er wieder kauft, weil preiswerter, wenig später den dritten, den er wieder kauft, weil noch preiswerter.
Und immer so weiter, bis am Ende zehn solche Marcel-Duchamp-Kunstbände auf einem Stapel liegen und César Aira ebenso geisteshell wie gaga berechnet, wie viel Geld er gespart hat, weil der Preis des ersten Kunstbandes in zeitlicher Reihenfolge unentwegt unterboten worden ist. Duchamp stopfte Pariser Luft in eine Glasampulle, und alles war gut; Aira stopft seine Gedanken so lange in die Form einer Erzählung, bis sie zerspringt.
Christian Hansen hat den „Reisemaler“ gekonnt übersetzt, Klaus Laabs die Essays, genauso sicher im Ton wie schon bei den ersten drei unerhörten Novellen, die im vergangenen Jahr herausgekommen sind, „Wie ich Nonne wurde“, „Der Beweis“ und „Der kleine buddhistische Mönch“. Fünf Bände liegen in der Bibliothek César Aira nun vor. In „Der Beweis“ wird ein grausamer Liebesbeweis erbracht. Nach allen Regeln der Splatter-Kunst wütet eine Punkerin in einem Supermarkt. Mehr kann Liebe nicht sagen, und mehr sagt auch César Aira nicht. Was also wird passieren, wenn er in Berlin „Eine kurze Rede“ hält? Ein Blitz fährt in seinen Schädel, und das Festspielhaus ist hell erleuchtet, der Redner und sein Publikum ein groteskes Standbild aus Nickel, von Elektrizität entflammt.
RALPH HAMMERTHALER
César Aira: Duchamp in Mexiko. Essays. Aus dem Spanischen von Klaus Laabs. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016. 131 Seiten, 16 Euro.
César Aira: Eine Episode im Leben des Reisemalers. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016. 128 Seiten, 16 Euro.
Er ist kurzsichtig und schüchtern,
und schamlos bis zum Aberwitz
Marcel Duchamp stopfte Pariser
Luft in eine Glasampulle
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
auf dem Weg nach Berlin
Erzählungen und Essays von César Aira
Das weite Land liegt bretteleben vor ihnen. Das muss sie sein, die berühmte argentinische Pampa, denkt der nicht mehr ganz junge Maler aus Augsburg. Aber der alte Führer schüttelt den Kopf, nein, die wahre Pampa beginne erst hinter San Luis. Leider bleibt dem Maler nicht mehr viel Zeit, um sich etwas Ebeneres als diese Ebene auszumalen, denn ein Gewitter zieht auf, Donner grollt und Blitze zucken. „Das Pferd unter ihm begann sich im Kreis zu drehen. Es kreiselte noch, als ein Blitz in seinen Schädel fuhr. Wie ein Standbild aus Nickel wurden Mensch und Tier von Elektrizität entflammt.“
Wie durch ein Wunder, besser gesagt, wie durch Literatur, überlebt der Augsburger den Blitzschlag. Er stürzt vom Pferd, und weil sich sein Fuß im Steigbügel verfängt, schleift ihn das fliehende Pferd eine quälende Strecke hinter sich her. Auch das Auf- und Abprallen seines Kopfes auf der Erde überlebt der Augsburger. Aber nie wieder wird er aussehen wie früher. Fortan sieht er aus wie ein Monster. Inspiriert vom vagabundierenden Leben des deutschen Landschaftsmalers Johann Moritz Rugendas (1802 – 1858), lässt César Aira dieses Ereignis in die, für seine Verhältnisse, gemächliche Erzählung fahren, womit er alles herumdreht und eine abermals unerhörte Novelle erzeugt. Unter dem Titel „Humboldts Schatten“, weil der hochberühmte Alexander von Humboldt den jungen Augsburger einst ermunterte und förderte, ist die Geschichte vor mehr als zehn Jahren erstmals auf Deutsch erschienen. Zum Glück hat der Verlag Matthes & Seitz diesen Titel als Unfug erkannt und ihn nun für seine „Bibliothek César Aira“ originalgetreu übersetzen lassen: „Eine Episode im Leben eines Reisemalers“.
César Aira ist der elektrische Reiter der lateinamerikanischen Literatur. Endlich wird ihm die Aufmerksamkeit zuteil, die er von Anfang an verdient hätte. Lange Jahre kamen seine schmalen Bücher, Kurzromane, Novellen, Essays nur in kleinen Verlagen heraus, noch dazu in nur geringer Auflage; es sind inzwischen an die neunzig Werke. Der Verblüffung ob seiner von Blitzschlägen erleuchteten Prosa, ob der eingespannten Widersprüche, ob des Unwahrscheinlichen und Fantastischen begegnete er einmal mit den Worten: „Im Grunde ist die Wirklichkeit viel theoretischer als das Denken.“ Erst vor wenigen Tagen wurde ihm der mit 60 000 Dollar dotierte Manuel-Rojas-Preis zuerkannt, der vielleicht bedeutendste Literaturpreis Lateinamerikas. Und an diesem Mittwoch eröffnet César Aira das Internationale Literaturfestival in Berlin. Dabei konnte man ihn mit Preisen und Festivals bisher jagen. Er gilt als scheu und hat für den Literaturbetrieb nicht viel übrig. Die ihm vor Jahren angetragene Samuel-Fischer-Gastprofessur an der FU Berlin hat er damals abgelehnt.
Wenn er jetzt für eine große Rede nach Berlin kommt, dann dämpft er erst mal alle Erwartungen, „Eine kurze Rede“ soll es werden, „Un discurso breve“, so der Titel. Vom Schreiben soll sie handeln und vom Lesen, außerdem von der Zeitlichkeit, aber das kann vieles heißen. Eine kurze Spanne, ein Augenblick, ein Atemzug genügt, so zeigt es Aira in seinen Geschichten, dass alles auseinanderfliegt, um sich hinterrücks neu zusammenzusetzen.
Er sei kurzsichtig und schüchtern, sagt César Aira. Von daher rühre seine „monströse Einbildungskraft“. In den Essays „Duchamp in Mexiko“, „In Havanna“ und „Über zeitgenössische Kunst“, die Anfang kommender Woche auf Deutsch erscheinen, lernt man einiges über Mexiko, Havanna und zeitgenössische Kunst, aber einiges mehr über Aira selbst, wie er denkt und wie er schreibt. Schamlos hängt er dem „irgendetwas“ an, irgendetwas fällt ihm schon ein; das sei aber weder leichtfertig noch gar beliebig gemeint. Irgendetwas kommt heraus, wenn ganz bestimmte Umstände zusammentreffen. Tatsächlich lässt ihn irgendetwas immer zum Sprung ansetzen, und wenn er im Aberwitz landet, umso besser. „Was aber ‚gut‘, ‚nach allen Regeln der Kunst‘ gemacht ist, was sich den schon etablierten Werten unterwirft, ist keine Kunst.“
1949 in Pringles geboren, lebt Aira seit Langem in Buenos Aires. Der Held seiner jungen wie seiner späten Jahre heißt Marcel Duchamp. Weil er weniger die Kunst als die Kunstfertigkeit zerstört hat. Und weil er zum Kunstwerk als einer der ersten gleich den Kunstwerk-Diskurs geliefert hat, ganz so, wie Aira mitten im Erzählen plötzlich in schweifende Betrachtungen ausschert. In Mexico City entdeckt Aira einen Kunstband über Duchamp und kauft ihn, wenig später denselben Kunstband, den er wieder kauft, weil preiswerter, wenig später den dritten, den er wieder kauft, weil noch preiswerter.
Und immer so weiter, bis am Ende zehn solche Marcel-Duchamp-Kunstbände auf einem Stapel liegen und César Aira ebenso geisteshell wie gaga berechnet, wie viel Geld er gespart hat, weil der Preis des ersten Kunstbandes in zeitlicher Reihenfolge unentwegt unterboten worden ist. Duchamp stopfte Pariser Luft in eine Glasampulle, und alles war gut; Aira stopft seine Gedanken so lange in die Form einer Erzählung, bis sie zerspringt.
Christian Hansen hat den „Reisemaler“ gekonnt übersetzt, Klaus Laabs die Essays, genauso sicher im Ton wie schon bei den ersten drei unerhörten Novellen, die im vergangenen Jahr herausgekommen sind, „Wie ich Nonne wurde“, „Der Beweis“ und „Der kleine buddhistische Mönch“. Fünf Bände liegen in der Bibliothek César Aira nun vor. In „Der Beweis“ wird ein grausamer Liebesbeweis erbracht. Nach allen Regeln der Splatter-Kunst wütet eine Punkerin in einem Supermarkt. Mehr kann Liebe nicht sagen, und mehr sagt auch César Aira nicht. Was also wird passieren, wenn er in Berlin „Eine kurze Rede“ hält? Ein Blitz fährt in seinen Schädel, und das Festspielhaus ist hell erleuchtet, der Redner und sein Publikum ein groteskes Standbild aus Nickel, von Elektrizität entflammt.
RALPH HAMMERTHALER
César Aira: Duchamp in Mexiko. Essays. Aus dem Spanischen von Klaus Laabs. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016. 131 Seiten, 16 Euro.
César Aira: Eine Episode im Leben des Reisemalers. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016. 128 Seiten, 16 Euro.
Er ist kurzsichtig und schüchtern,
und schamlos bis zum Aberwitz
Marcel Duchamp stopfte Pariser
Luft in eine Glasampulle
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2016Das Flackern der Welt
César Aira schickt Naturmaler durch Südamerika
Zwei junge Männer aus Deutschland reisen zur Pampa und malen dabei. Ihr Auftraggeber: der Universalgelehrte Alexander von Humboldt; ihr Auftrag: die Neue Welt ausgiebig erkunden, vollständig erfassen, detailliert darstellen - so, wie sie ist. Der Weg der Proto-Fotojournalisten Johann Moritz Rugendas und Robert Krause, den sie 1837 und 1838 zu beschreiten planen, hat Anfang und Ende, verläuft linear. Dazwischen liegen die chilenischen Anden und die Flachheit Argentiniens. Schließlich würden sie Buenos Aires erreichen und von da weiter nach Norden vorstoßen.
"Eine Episode im Leben des Reisemalers" heißt dieser Roman des Argentiniers César Aira, der mit Kafka und Borges verglichen und seit Jahren zum Nobelpreiskandidaten ausgerufen wird. Wie ein Sachbuch oder eine historische Abhandlung beginnt er, verwirrt sich aber immer mehr und reiht sich damit ein in das aus nahezu hundert Titeln, zumeist abgedrehten Kurzromanen, bestehende Werk, das der Verlag Matthes & Seitz seit vergangenem Jahr erstmals systematisch auf Deutsch herausgibt, in der "Bibliothek César Aira". Christian Hansens Übersetzung wird diesem der "Dadaist fairy tales" (Aira über Aira) dabei weitaus gerechter als die 2003 bei Nagel & Kimche erschienene, sprachlich behäbigere Variante.
"Die mendocinische Viehzucht, Walzer tanzend im tellurischen Treiben, machte sich die von der latenten chthonischen Gefahr beflügelte Frühreife der Stiere zunutze und belieferte die transandinen Märkte. Zu gern hätte Rugendas ein Erdbeben gemalt, aber man sagte ihm, dass die innere Uhr des Planeten dafür nicht günstig stünde." Auch für die physische Verfassung des Künstlers steht die Uhr nicht günstig: Kaum ist er aus den Anden raus und von der biblisch öden Ebene berauscht, entladen sich Blitze auf Reiter und Pferd, geschieht ein Unfall, findet er "die Kehrseite seiner Kunst": Der Maler verliert fast sein Leben, sein Gesicht ist entstellt.
Rugendas und Krause müssen umkehren an die "Schwelle des Landes", haben die "wahre Pampa", das leere Zentrum Argentiniens gar nicht erreicht. Sie verschiebt sich und entzieht sich: "Nein, man befände sich nicht in der vielgerühmten argentinischen Pampe, wohl aber in etwas, das ihr stark ähnelte. War denn die ,Pampa' noch ebener als die Ebenen, die sie durchquerten?" Rugendas nimmt wegen seiner Schmerzen starke Opiate und verhüllt sich mit einer schwarzen Mantille das Gesicht (und die Sicht); das Malen aber lässt er nicht.
Durchbrochen ist nämlich nun die Oberfläche, das Delirieren öffnet und verengt den Blick, ineinander gleißen der Sog des Erzählers, das Licht der Landschaft, die Absurdie der Indianerüberfälle ("Rugendas war so vertieft, dass er lediglich ,PENG! PENG!' auf sein Blatt schrieb"). An die Stelle von Kontinuität tritt für den Meister der Rekonstruktion und Reproduktion die Wiederholung, also die Wiederholung der Wiederholung der Realität, die sich entfernt. Und doch: "Die Welt wurde unmittelbar, wie ein Roman." In diesem Fall ein sehr dichter und beeindruckender.
ADRIAN SCHULZ.
César Aira: "Eine Episode im Leben des Reisemalers". Roman.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2016. 128 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
César Aira schickt Naturmaler durch Südamerika
Zwei junge Männer aus Deutschland reisen zur Pampa und malen dabei. Ihr Auftraggeber: der Universalgelehrte Alexander von Humboldt; ihr Auftrag: die Neue Welt ausgiebig erkunden, vollständig erfassen, detailliert darstellen - so, wie sie ist. Der Weg der Proto-Fotojournalisten Johann Moritz Rugendas und Robert Krause, den sie 1837 und 1838 zu beschreiten planen, hat Anfang und Ende, verläuft linear. Dazwischen liegen die chilenischen Anden und die Flachheit Argentiniens. Schließlich würden sie Buenos Aires erreichen und von da weiter nach Norden vorstoßen.
"Eine Episode im Leben des Reisemalers" heißt dieser Roman des Argentiniers César Aira, der mit Kafka und Borges verglichen und seit Jahren zum Nobelpreiskandidaten ausgerufen wird. Wie ein Sachbuch oder eine historische Abhandlung beginnt er, verwirrt sich aber immer mehr und reiht sich damit ein in das aus nahezu hundert Titeln, zumeist abgedrehten Kurzromanen, bestehende Werk, das der Verlag Matthes & Seitz seit vergangenem Jahr erstmals systematisch auf Deutsch herausgibt, in der "Bibliothek César Aira". Christian Hansens Übersetzung wird diesem der "Dadaist fairy tales" (Aira über Aira) dabei weitaus gerechter als die 2003 bei Nagel & Kimche erschienene, sprachlich behäbigere Variante.
"Die mendocinische Viehzucht, Walzer tanzend im tellurischen Treiben, machte sich die von der latenten chthonischen Gefahr beflügelte Frühreife der Stiere zunutze und belieferte die transandinen Märkte. Zu gern hätte Rugendas ein Erdbeben gemalt, aber man sagte ihm, dass die innere Uhr des Planeten dafür nicht günstig stünde." Auch für die physische Verfassung des Künstlers steht die Uhr nicht günstig: Kaum ist er aus den Anden raus und von der biblisch öden Ebene berauscht, entladen sich Blitze auf Reiter und Pferd, geschieht ein Unfall, findet er "die Kehrseite seiner Kunst": Der Maler verliert fast sein Leben, sein Gesicht ist entstellt.
Rugendas und Krause müssen umkehren an die "Schwelle des Landes", haben die "wahre Pampa", das leere Zentrum Argentiniens gar nicht erreicht. Sie verschiebt sich und entzieht sich: "Nein, man befände sich nicht in der vielgerühmten argentinischen Pampe, wohl aber in etwas, das ihr stark ähnelte. War denn die ,Pampa' noch ebener als die Ebenen, die sie durchquerten?" Rugendas nimmt wegen seiner Schmerzen starke Opiate und verhüllt sich mit einer schwarzen Mantille das Gesicht (und die Sicht); das Malen aber lässt er nicht.
Durchbrochen ist nämlich nun die Oberfläche, das Delirieren öffnet und verengt den Blick, ineinander gleißen der Sog des Erzählers, das Licht der Landschaft, die Absurdie der Indianerüberfälle ("Rugendas war so vertieft, dass er lediglich ,PENG! PENG!' auf sein Blatt schrieb"). An die Stelle von Kontinuität tritt für den Meister der Rekonstruktion und Reproduktion die Wiederholung, also die Wiederholung der Wiederholung der Realität, die sich entfernt. Und doch: "Die Welt wurde unmittelbar, wie ein Roman." In diesem Fall ein sehr dichter und beeindruckender.
ADRIAN SCHULZ.
César Aira: "Eine Episode im Leben des Reisemalers". Roman.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2016. 128 S., geb., 16,- [Euro].
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»César Aira ist einer der ganz großen Autoren Lateinamerikas - entsprechend toll und auch anspruchsvoll ist seine Sprache. Vor allem aber ist er ein Meister der Verwandlung.« - Jörg Petzold, fluxfm Jörg Petzold fluxfm 20161024