Elizabeth Zott hat alle Herzen erobert!
»Eine Frage der Chemie« stürmte weltweit die Bestsellerlisten und begeisterte Leser:innen und Kritiker:innen gleichermaßen. Bonnie Garmus' Schlüssel zum Erfolg für ihr hinreißend erzähltes, ja vielleicht sogar weises Buch lässt sich in zwei Worten zusammenfassen: Elizabeth Zott. So heißt ihre Heldin, die allen Widerständen ihrer Zeit zum Trotz Chemikerin werden will. Sprühend vor Originalität und Sprachwitz gelingt es Bonnie Garmus, unseren Verstand und unser Herz zu erobern - und das nicht zuletzt mit einem Hund namens Halbsieben, der den Roman mit großer, heiterer Lebensklugheit erfüllt.
Der Weltbestseller endlich im Paperback!
»Eine Frage der Chemie« stürmte weltweit die Bestsellerlisten und begeisterte Leser:innen und Kritiker:innen gleichermaßen. Bonnie Garmus' Schlüssel zum Erfolg für ihr hinreißend erzähltes, ja vielleicht sogar weises Buch lässt sich in zwei Worten zusammenfassen: Elizabeth Zott. So heißt ihre Heldin, die allen Widerständen ihrer Zeit zum Trotz Chemikerin werden will. Sprühend vor Originalität und Sprachwitz gelingt es Bonnie Garmus, unseren Verstand und unser Herz zu erobern - und das nicht zuletzt mit einem Hund namens Halbsieben, der den Roman mit großer, heiterer Lebensklugheit erfüllt.
Der Weltbestseller endlich im Paperback!
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensentin Ursula März liest sehr gerne, wie die US-amerikanische Autorin Bonnie Garmus in ihrem Buch die Dichotomie von Hausfrau und Karrierefrau "durcheinanderwirbelt". In den sechziger Jahren startet die Chemikerin Elizabeth Zott, nachdem ihr ihre wissenschaftliche Karriere von Männern verbaut wurde, kurzerhand eine Kochshow im Fernsehen, in der sie sich dem Kochen mit chemischem Blick widmet und zum Überraschungsstar wird. Reizvoll findet die Kritikerin dabei die "kratzbürstige Souveränität" der Protagonistin, wie sie noch selten in der Literatur zu finden sei, und lobt auch den "schwungvollen" und lustigen Ton des Romans, der trotzdem nie ins Alberne kippe. Eine unterhaltsame Lektüre, die ein neues Licht auf die "Kulturgeschichte hausfraulicher Tätigkeiten" wirft, schließt März.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.07.2022Im Takt
Der Bestseller-Roman des Sommers
heißt „Eine Frage der Chemie“,
seine Autorin Bonnie Garmus
war bisher unbekannt. Die Geschichte
hinter einem Erfolg, den
der Buchmarkt gerade bitter nötig hat
VON MARIE SCHMIDT
In ihrem ersten Leben kam Bonnie Garmus vor ein paar Jahren frustriert von der Arbeit nach Hause. Da war ein Meeting allein unter Männern gewesen, mit dem dafür typischen Sexismus, erzählt sie heute in Interviews. Und dass das der Abend war, an dem sie sich hinsetzte und das erste Kapitel ihres Romans schrieb. In ihrem zweiten Leben hat Bonnie Garmus aus Seattle in diesem Frühjahr mit Mitte 60 ihr Debüt herausgebracht. Und gleich den Bestseller der Saison gelandet.
Das passt gut, denn genau darum geht es in ihrem Buch: Wie eine zielstrebige Frau der muffigen Männerwelt trotzt, ihren Platz im Leben sucht und andere Frauen inspiriert. Die Hauptfigur heißt Elizabeth Zott und ist Chemikerin. Allerdings im Kalifornien der Fünfziger, weshalb Männer ihrer Karriere alle denkbaren Steine in den Weg legen. Ihr Doktorvater vergewaltigt sie, ihre Kollegen missachten sie, ihr Chef klaut ihre Forschungsergebnisse. Einer aber, ein unattraktiver, genialer Chemiker, wird ihre große Liebe.
Nachdem er ums Leben kommt, findet Elizabeth Zott heraus, dass sie schwanger ist. Als alleinerziehende Mutter einer auffällig intelligenten Tochter verliert sie ihren Job und stolpert in einen neuen: Fernsehköchin. In dieser Rolle ermutigt sie ihre Zuschauerinnen, amerikanische Midcentury-Housewives, ihre Arbeit ernst zu nehmen und für ihre Wertschätzung einzutreten. Dieser Roman hat alles, was Erzählungen über die Emanzipation von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich gemacht hat. Vor allem klare Geschlechterrollen, die eben nur im Rückblick auf jene Fünfziger und Sechziger plausibel zu erzählen sind, in denen Männer skrupellos machistisch sein konnten und Frauen Kämpfe ausfochten, die
wir heute unzweideutig als Befreiungsschläge erleben. Die Serie „Mad Men“, Prototyp dieses Szenarios, wird gerade 15 Jahre alt.
„So smart wie ,Damengambit‘, so amüsant wie ,Mrs. Maisel‘“, bewirbt der Verlag völlig richtig die deutsche Übersetzung von Garmus’ „Eine Frage der Chemie“. Der Struggle von Frauen, die sich in Männerdomänen durchsetzen müssen, ob Schach, Stand-up-Comedy, Wissenschaft oder TV-Entertainment, bereitet in der Unterhaltungskultur heute noch größeren Genuss als die jeweils fälligen Liebesgeschichten.
Man erinnert sich auch an den Film und die Serie, die zuletzt von den Bemühungen der Fernsehköchin Julia Childs um die Ernährungsgewohnheiten der Amerikaner handelten. In „Eine Frage der Chemie“ kombiniert Elizabeth Zott das Kochen mit ihrer Leidenschaft für Chemie, sodass Spuren von Kochbuch-Erfolgen wie Samin Nosrats „Salz. Fett. Säure. Hitze“ oder Orthorektiker-Büchern wie Bas Kasts „Ernährungskompass“ in dem Roman enthalten sein können. Zu all dem erzählt Bonnie Garmus von dieser Expertin, die zum Ärger der Fernsehleute beharrlich „Natriumchlorid“ sagt statt Salz, mit sympathischem Witz und geradliniger Jovialität. Ein sprechender Hund ist die gute Seele von Elizabeth Zotts kleiner Familie. Und jede ihrer Sendungen beendet sie mit der schön altmodischen und doch jederzeit wiederverwendbaren Parole: „Kinder deckt den Tisch, eure Mutter braucht einen Moment für sich.“
„Eine Frage der Chemie“ erfüllt alle Erwartungen, die man haben kann an eine solche Geschichte und die Stimmung, die sie verbreitet. Das macht einen guten populären Roman aus. In Deutschland steht der Roman seit 13 Wochen in den Top 5 der Spiegel-Bestsellerliste. Und es ist ein Sommer- und Urlaubsbuch. Gerade ist es wieder auf Platz eins geklettert. Ein solcher Erfolg gilt als enorm unwahrscheinlich für eine unbekannte Autorin, die wie Bonnie Garmus zuvor noch nicht einmal eine Kurzgeschichte veröffentlicht hatte. Klingt nach einem Wunder, einem unglaublichen Durchbruch? Nicht ganz.
Verleger, Bookscouts und Subagenten auf der ganzen Welt wissen, dass sie sich am Abend besser nichts vornehmen, wenn sie eine Mail im Postfach haben, in der Felicity Blunt etwas schreibt wie: „Elizabeth Zott ist keine gewöhnliche Frau.“ Ende September 2020 betraf diese Mail das Debüt von Bonnie Garmus. Und die Branche weiß, bei so einem Angebot heißt es, schnell zu sein. Eine Stunde nachdem sie das Exposé zu dem Roman verschickt hatte, habe sie die ersten Antworten von Lektoren bekommen, erzählt Blunt. Als Literaturagentin ist sie bei der Londoner Agentur Curtis Brown unter Vertrag, die zu ihren früheren Klienten Margaret Atwood zählt, John le Carré, A.A. Milne. 1899 von Albert Curtis Brown gegründet, ist die Firma im Juni 2022, nachdem man „viele Jahre erfolgreich zusammengearbeitet“ hatte, gekauft worden von United Talents, einer amerikanische Entertainment-Agentur, die ihrem Portfolio kurz zuvor ein Strategieberatungsunternehmen und eine Datenanalyse-Firma hinzugefügt hatte.
In der nach der Corona-Pandemie besonders strauchelnden Unterhaltungsbranche scheint das die letzte Art zu sein, viel Geld zu verdienen: Ressourcen bündeln und den Verkauf von Buch-, Übersetzungs- und Filmrechten, die Vertretung von Autoren, Schauspielern, Kreativen aller Art sowie diverse Marketingstrategien aus einer Hand erledigen. Mit Felicity Blunt, der Schwester von Hollywood-Superstar Emily Blunt und Frau des kaum weniger bekannten amerikanischen Schauspielers Stanley Tucci lassen sich die Verwandtschaftsgrade und Synergien der Unterhaltungsindustrie sogar in den Promi-News illustrieren.
Bonnie Garmus, die ursprünglich in der Werbebranche arbeitete, kam zu Curtis Brown, nachdem sie der Arbeit ihres Mannes wegen von Seattle nach London gezogen war. Die Agentur veranstaltet regelmäßig Schreibkurse: „Schreiben Sie Ihren Roman zu Ende“ für etwa 350 Pfund oder ein Sechs-Monate-Seminar für 3190 Pfund, inklusive „pitch letter workshop“ und Einführung ins Buchgeschäft. Dort fand Bonnie Garmus Rat, Mitstreiter, Freunde. Und wurde von Felicity Blunt entdeckt.
Dreimal haben sie das Manuskript zusammen überarbeitet, erzählen Autorin und Agentin auf der Website von Curtis Brown. „War es Folter?“, sagt Bonnie Garmus. „Ja! Aber das will man doch. Jemanden, den es genug interessiert, um einen zu quälen.“ Vor allem sei es dabei um „Struktur und Tempo“ gegangen.
Selbst ohne das zu wissen, fällt auf, dass die Spannungskurven dieses Romans so präzise geschwungen sind, wie es heute eben noch kein Algorithmus kann. Der in Stanford lehrende Literaturwissenschaftler Mark McGurl, bekannt geworden mit einem Buch über den Einfluss von Schreibschulen auf die Gegenwartsliteratur, hat zuletzt versucht zu zeigen, wie der Amazon-Versandhandel heute Romane verändere. Seine These ist in etwa die: Vom Prinzip des Online-Einzelhandels lerne die populäre Literatur in immer höherer Taktung Bedürfnisse in der Leserschaft zu erzeugen, um sie dann zu befriedigen. Das Versprechen an den Kunden, Käufer, Leser sei, dass es für genau sein Bedürfnis in genau diesem Moment genau das richtige Ding oder Buch gebe: „Retail Therapy“ nennt McGurl das.
Er argumentiert dabei vor allem an den sich immer stärker ausdifferenzierenden Genres der Selfpublishing-Literatur entlang, und man hat seinem Buch „Everything and Less. The Novel in the Age of Amazon“ vorgeworfen, dass er kaum Beispiele für die Wirksamkeit dieser Bedürfnis-Produktion in den Texten selbst findet. „Eine Frage der Chemie“ wäre ein gutes Beispiel: Der Roman baut Ungerechtigkeit, Gewalt oder Widerwärtigkeiten gegenüber Elizabeth Zott und ihren Getreuen so eindeutig auf, dass es einem den Magen umdreht. Um dann absolut verlässlich einige Seiten später Zotts Rache oder zumindest einen coolen Spruch folgen zu lassen, mit dem sie die Situation in den Griff bekommt. Dieses Buch verschafft einem Genugtuungen im Minutentakt. Bei der ersten digitalen Frankfurter Buchmesse 2020 sei „Lessons in Chemistry“ die heißeste Ware gewesen, berichten Branchendienste. Über Nacht hatten Scouts und Agenten das Manuskript gelesen, um Verlagen auf der ganzen Welt zu raten, ob sie in die Verhandlungen um die Übersetzungsrechte einsteigen sollten. In einer Auktion, an der sich 16 Verlage beteiligten, kaufte der Randomhouse-Verlag Doubleday die Rechte jeweils für Großbritannien und die USA. Zahlen sind auch in dieser Branche Geschäftsgeheimnisse, der deutsche Buchreport will etwas von 2 Millionen Dollar vernommen haben. Eine Serie für Apple TV ist schon in Vorbereitung, mit der oscargekrönten Brie Larson in der Hauptrolle, geschrieben und produziert von Susannah Grant („Erin Brockovich“).
Bei Geschäften dieser Größenordnung müssen Verlage, die Übersetzungen herausbringen wollen, sich eher selbst bei den Rechtehändlern als für das Buch geeignet bewerben als umgekehrt. In Deutschland bekam der zur schwedischen Bonnier-Gruppe gehörende Piper-Verlag den Zuschlag. Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, die auch den überraschend nachhaltigen Bestseller „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens ins Deutsche gebracht haben, erschien „Eine Frage der Chemie“ dort als Spitzentitel des Literatur-Programms – und eben nicht in der Sparte „Populäre Unterhaltung“. „Upmarket Commercial“ nennt man im Verlagsgeschäft Bücher, denen man zutraut, in die Taschen von Lesern ernster und unterhaltender Literatur gleichermaßen zu wandern. Und die leicht und geistreich erzählende Bonnie Garmus hat genau dieses Potenzial.
Selbst für einen Verlag wie Piper bedeutet ein so hoch gehandelter Deal aber auch ein Risiko. Zumal mit neuem, unbekanntem Namen auf dem deutschen Buchmarkt weniger Geld zu verdienen ist denn je. Gerade hat der deutsche Börsenverein neue Buchhandelszahlen bekannt gegeben, und die auffälligste Entwicklung heißt „Bestsellerkonzentration“. Während die Absätze im Buchhandel 2021 im Vergleich zum Vorpandemiejahr 2019 leicht zurückgingen, nahmen die Verkäufe der Top-10-Bestseller stark zu, in der Belletristik um fast 40 Prozent. Käufer, die nicht in Buchhandlungen stöbern, weil sie im Lockdown sind oder es sich währenddessen abgewöhnt haben, bestellen online gezielter denn je Autorinnen oder Autoren, die sie kennen, oder was besonders beworben wird. Das Leben im Internet ist, auch was den Buchmarkt angeht, ein brutaler Verstärker der eigenen Meinung, des bereits Bekannten und todsicher Populären.
Seit Beginn des Ukrainekrieges gehen die Absatzzahlen indessen deutlich stärker zurück als in den Pandemiejahren zuvor, in denen sich die Branche wacker geschlagen hat. Sei es aus Eindruckserschöpfung der Leserinnen und Leser oder in Übereinstimmung mit einem allgemeinen Konsumklima, aus Angst vor der Rezession. Für Verlage bedeutet das kurz gesagt: Mit Büchern kann man im Moment schwer Geld verdienen – außer mit den ganz oberen Rängen der Bestsellerliste.
Davon, wie viel Geld insgesamt auf dem Markt zu verdienen ist, hängt aber ab, wie viel Ressourcen Verlage und Institutionen wie Literaturhäuser haben, um auch weniger Gefälliges, ästhetisch Avantgardistisches sichtbar zu machen: die klassische Mischkalkulation der Branche. Wenn indes immer größere Bereiche des literarischen Lebens vom ökonomischen Erfolg einer immer kleineren Zahl von Blockbustern abhängt, schadet das der Vielfalt des Buchmarkts.
Ein Buch wie Bonnie Garmus’ „Eine Frage der Chemie“ mag etwas schematisch funktionieren, aber dass sich eine Newcomerin breitmachen konnte unter den immer gleichen Namen oben auf den Bestsellerlisten – Lucinda Riley, Donna Leon, Klüpfel und Kobr, Sebastian Fitzek –, ist kein triviales Ereignis. Es brauchte schon eine klug auf populäre Affektlagen reagierende Geschichte, in niveauvollem Stil erzählt, von führenden Experten entschieden in Stellung gebracht. Da kommt einiges zusammen. Und so ist Garmus’ Heldin Elizabeth Zott nun eben nicht nur eine skurril eigensinnige Romanheldin. Sie bringt auch noch Leben in einen Markt, um den man sich sonst schon große Sorgen machen kann.
Die Spannungskurven sind so
präzise geschwungen, wie es
noch kein Algorithmus kann
Eine Serie für Apple TV ist
schon in Vorbereitung, mit der
oscargekrönten Brie Larson
Die Verkäufe der Top-10-Bücher
nahmen zuletzt stark zu, in der
Belletristik um fast 40 Prozent
Agentin Felicity Blunt mit Ehemann Stanley Tucci. Foto: getty
Genugtuungen im Minutentakt: Bonnie Garmus.
Foto: Serena Bolton/Piper
Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Piper, München 2022. 464 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der Bestseller-Roman des Sommers
heißt „Eine Frage der Chemie“,
seine Autorin Bonnie Garmus
war bisher unbekannt. Die Geschichte
hinter einem Erfolg, den
der Buchmarkt gerade bitter nötig hat
VON MARIE SCHMIDT
In ihrem ersten Leben kam Bonnie Garmus vor ein paar Jahren frustriert von der Arbeit nach Hause. Da war ein Meeting allein unter Männern gewesen, mit dem dafür typischen Sexismus, erzählt sie heute in Interviews. Und dass das der Abend war, an dem sie sich hinsetzte und das erste Kapitel ihres Romans schrieb. In ihrem zweiten Leben hat Bonnie Garmus aus Seattle in diesem Frühjahr mit Mitte 60 ihr Debüt herausgebracht. Und gleich den Bestseller der Saison gelandet.
Das passt gut, denn genau darum geht es in ihrem Buch: Wie eine zielstrebige Frau der muffigen Männerwelt trotzt, ihren Platz im Leben sucht und andere Frauen inspiriert. Die Hauptfigur heißt Elizabeth Zott und ist Chemikerin. Allerdings im Kalifornien der Fünfziger, weshalb Männer ihrer Karriere alle denkbaren Steine in den Weg legen. Ihr Doktorvater vergewaltigt sie, ihre Kollegen missachten sie, ihr Chef klaut ihre Forschungsergebnisse. Einer aber, ein unattraktiver, genialer Chemiker, wird ihre große Liebe.
Nachdem er ums Leben kommt, findet Elizabeth Zott heraus, dass sie schwanger ist. Als alleinerziehende Mutter einer auffällig intelligenten Tochter verliert sie ihren Job und stolpert in einen neuen: Fernsehköchin. In dieser Rolle ermutigt sie ihre Zuschauerinnen, amerikanische Midcentury-Housewives, ihre Arbeit ernst zu nehmen und für ihre Wertschätzung einzutreten. Dieser Roman hat alles, was Erzählungen über die Emanzipation von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich gemacht hat. Vor allem klare Geschlechterrollen, die eben nur im Rückblick auf jene Fünfziger und Sechziger plausibel zu erzählen sind, in denen Männer skrupellos machistisch sein konnten und Frauen Kämpfe ausfochten, die
wir heute unzweideutig als Befreiungsschläge erleben. Die Serie „Mad Men“, Prototyp dieses Szenarios, wird gerade 15 Jahre alt.
„So smart wie ,Damengambit‘, so amüsant wie ,Mrs. Maisel‘“, bewirbt der Verlag völlig richtig die deutsche Übersetzung von Garmus’ „Eine Frage der Chemie“. Der Struggle von Frauen, die sich in Männerdomänen durchsetzen müssen, ob Schach, Stand-up-Comedy, Wissenschaft oder TV-Entertainment, bereitet in der Unterhaltungskultur heute noch größeren Genuss als die jeweils fälligen Liebesgeschichten.
Man erinnert sich auch an den Film und die Serie, die zuletzt von den Bemühungen der Fernsehköchin Julia Childs um die Ernährungsgewohnheiten der Amerikaner handelten. In „Eine Frage der Chemie“ kombiniert Elizabeth Zott das Kochen mit ihrer Leidenschaft für Chemie, sodass Spuren von Kochbuch-Erfolgen wie Samin Nosrats „Salz. Fett. Säure. Hitze“ oder Orthorektiker-Büchern wie Bas Kasts „Ernährungskompass“ in dem Roman enthalten sein können. Zu all dem erzählt Bonnie Garmus von dieser Expertin, die zum Ärger der Fernsehleute beharrlich „Natriumchlorid“ sagt statt Salz, mit sympathischem Witz und geradliniger Jovialität. Ein sprechender Hund ist die gute Seele von Elizabeth Zotts kleiner Familie. Und jede ihrer Sendungen beendet sie mit der schön altmodischen und doch jederzeit wiederverwendbaren Parole: „Kinder deckt den Tisch, eure Mutter braucht einen Moment für sich.“
„Eine Frage der Chemie“ erfüllt alle Erwartungen, die man haben kann an eine solche Geschichte und die Stimmung, die sie verbreitet. Das macht einen guten populären Roman aus. In Deutschland steht der Roman seit 13 Wochen in den Top 5 der Spiegel-Bestsellerliste. Und es ist ein Sommer- und Urlaubsbuch. Gerade ist es wieder auf Platz eins geklettert. Ein solcher Erfolg gilt als enorm unwahrscheinlich für eine unbekannte Autorin, die wie Bonnie Garmus zuvor noch nicht einmal eine Kurzgeschichte veröffentlicht hatte. Klingt nach einem Wunder, einem unglaublichen Durchbruch? Nicht ganz.
Verleger, Bookscouts und Subagenten auf der ganzen Welt wissen, dass sie sich am Abend besser nichts vornehmen, wenn sie eine Mail im Postfach haben, in der Felicity Blunt etwas schreibt wie: „Elizabeth Zott ist keine gewöhnliche Frau.“ Ende September 2020 betraf diese Mail das Debüt von Bonnie Garmus. Und die Branche weiß, bei so einem Angebot heißt es, schnell zu sein. Eine Stunde nachdem sie das Exposé zu dem Roman verschickt hatte, habe sie die ersten Antworten von Lektoren bekommen, erzählt Blunt. Als Literaturagentin ist sie bei der Londoner Agentur Curtis Brown unter Vertrag, die zu ihren früheren Klienten Margaret Atwood zählt, John le Carré, A.A. Milne. 1899 von Albert Curtis Brown gegründet, ist die Firma im Juni 2022, nachdem man „viele Jahre erfolgreich zusammengearbeitet“ hatte, gekauft worden von United Talents, einer amerikanische Entertainment-Agentur, die ihrem Portfolio kurz zuvor ein Strategieberatungsunternehmen und eine Datenanalyse-Firma hinzugefügt hatte.
In der nach der Corona-Pandemie besonders strauchelnden Unterhaltungsbranche scheint das die letzte Art zu sein, viel Geld zu verdienen: Ressourcen bündeln und den Verkauf von Buch-, Übersetzungs- und Filmrechten, die Vertretung von Autoren, Schauspielern, Kreativen aller Art sowie diverse Marketingstrategien aus einer Hand erledigen. Mit Felicity Blunt, der Schwester von Hollywood-Superstar Emily Blunt und Frau des kaum weniger bekannten amerikanischen Schauspielers Stanley Tucci lassen sich die Verwandtschaftsgrade und Synergien der Unterhaltungsindustrie sogar in den Promi-News illustrieren.
Bonnie Garmus, die ursprünglich in der Werbebranche arbeitete, kam zu Curtis Brown, nachdem sie der Arbeit ihres Mannes wegen von Seattle nach London gezogen war. Die Agentur veranstaltet regelmäßig Schreibkurse: „Schreiben Sie Ihren Roman zu Ende“ für etwa 350 Pfund oder ein Sechs-Monate-Seminar für 3190 Pfund, inklusive „pitch letter workshop“ und Einführung ins Buchgeschäft. Dort fand Bonnie Garmus Rat, Mitstreiter, Freunde. Und wurde von Felicity Blunt entdeckt.
Dreimal haben sie das Manuskript zusammen überarbeitet, erzählen Autorin und Agentin auf der Website von Curtis Brown. „War es Folter?“, sagt Bonnie Garmus. „Ja! Aber das will man doch. Jemanden, den es genug interessiert, um einen zu quälen.“ Vor allem sei es dabei um „Struktur und Tempo“ gegangen.
Selbst ohne das zu wissen, fällt auf, dass die Spannungskurven dieses Romans so präzise geschwungen sind, wie es heute eben noch kein Algorithmus kann. Der in Stanford lehrende Literaturwissenschaftler Mark McGurl, bekannt geworden mit einem Buch über den Einfluss von Schreibschulen auf die Gegenwartsliteratur, hat zuletzt versucht zu zeigen, wie der Amazon-Versandhandel heute Romane verändere. Seine These ist in etwa die: Vom Prinzip des Online-Einzelhandels lerne die populäre Literatur in immer höherer Taktung Bedürfnisse in der Leserschaft zu erzeugen, um sie dann zu befriedigen. Das Versprechen an den Kunden, Käufer, Leser sei, dass es für genau sein Bedürfnis in genau diesem Moment genau das richtige Ding oder Buch gebe: „Retail Therapy“ nennt McGurl das.
Er argumentiert dabei vor allem an den sich immer stärker ausdifferenzierenden Genres der Selfpublishing-Literatur entlang, und man hat seinem Buch „Everything and Less. The Novel in the Age of Amazon“ vorgeworfen, dass er kaum Beispiele für die Wirksamkeit dieser Bedürfnis-Produktion in den Texten selbst findet. „Eine Frage der Chemie“ wäre ein gutes Beispiel: Der Roman baut Ungerechtigkeit, Gewalt oder Widerwärtigkeiten gegenüber Elizabeth Zott und ihren Getreuen so eindeutig auf, dass es einem den Magen umdreht. Um dann absolut verlässlich einige Seiten später Zotts Rache oder zumindest einen coolen Spruch folgen zu lassen, mit dem sie die Situation in den Griff bekommt. Dieses Buch verschafft einem Genugtuungen im Minutentakt. Bei der ersten digitalen Frankfurter Buchmesse 2020 sei „Lessons in Chemistry“ die heißeste Ware gewesen, berichten Branchendienste. Über Nacht hatten Scouts und Agenten das Manuskript gelesen, um Verlagen auf der ganzen Welt zu raten, ob sie in die Verhandlungen um die Übersetzungsrechte einsteigen sollten. In einer Auktion, an der sich 16 Verlage beteiligten, kaufte der Randomhouse-Verlag Doubleday die Rechte jeweils für Großbritannien und die USA. Zahlen sind auch in dieser Branche Geschäftsgeheimnisse, der deutsche Buchreport will etwas von 2 Millionen Dollar vernommen haben. Eine Serie für Apple TV ist schon in Vorbereitung, mit der oscargekrönten Brie Larson in der Hauptrolle, geschrieben und produziert von Susannah Grant („Erin Brockovich“).
Bei Geschäften dieser Größenordnung müssen Verlage, die Übersetzungen herausbringen wollen, sich eher selbst bei den Rechtehändlern als für das Buch geeignet bewerben als umgekehrt. In Deutschland bekam der zur schwedischen Bonnier-Gruppe gehörende Piper-Verlag den Zuschlag. Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, die auch den überraschend nachhaltigen Bestseller „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens ins Deutsche gebracht haben, erschien „Eine Frage der Chemie“ dort als Spitzentitel des Literatur-Programms – und eben nicht in der Sparte „Populäre Unterhaltung“. „Upmarket Commercial“ nennt man im Verlagsgeschäft Bücher, denen man zutraut, in die Taschen von Lesern ernster und unterhaltender Literatur gleichermaßen zu wandern. Und die leicht und geistreich erzählende Bonnie Garmus hat genau dieses Potenzial.
Selbst für einen Verlag wie Piper bedeutet ein so hoch gehandelter Deal aber auch ein Risiko. Zumal mit neuem, unbekanntem Namen auf dem deutschen Buchmarkt weniger Geld zu verdienen ist denn je. Gerade hat der deutsche Börsenverein neue Buchhandelszahlen bekannt gegeben, und die auffälligste Entwicklung heißt „Bestsellerkonzentration“. Während die Absätze im Buchhandel 2021 im Vergleich zum Vorpandemiejahr 2019 leicht zurückgingen, nahmen die Verkäufe der Top-10-Bestseller stark zu, in der Belletristik um fast 40 Prozent. Käufer, die nicht in Buchhandlungen stöbern, weil sie im Lockdown sind oder es sich währenddessen abgewöhnt haben, bestellen online gezielter denn je Autorinnen oder Autoren, die sie kennen, oder was besonders beworben wird. Das Leben im Internet ist, auch was den Buchmarkt angeht, ein brutaler Verstärker der eigenen Meinung, des bereits Bekannten und todsicher Populären.
Seit Beginn des Ukrainekrieges gehen die Absatzzahlen indessen deutlich stärker zurück als in den Pandemiejahren zuvor, in denen sich die Branche wacker geschlagen hat. Sei es aus Eindruckserschöpfung der Leserinnen und Leser oder in Übereinstimmung mit einem allgemeinen Konsumklima, aus Angst vor der Rezession. Für Verlage bedeutet das kurz gesagt: Mit Büchern kann man im Moment schwer Geld verdienen – außer mit den ganz oberen Rängen der Bestsellerliste.
Davon, wie viel Geld insgesamt auf dem Markt zu verdienen ist, hängt aber ab, wie viel Ressourcen Verlage und Institutionen wie Literaturhäuser haben, um auch weniger Gefälliges, ästhetisch Avantgardistisches sichtbar zu machen: die klassische Mischkalkulation der Branche. Wenn indes immer größere Bereiche des literarischen Lebens vom ökonomischen Erfolg einer immer kleineren Zahl von Blockbustern abhängt, schadet das der Vielfalt des Buchmarkts.
Ein Buch wie Bonnie Garmus’ „Eine Frage der Chemie“ mag etwas schematisch funktionieren, aber dass sich eine Newcomerin breitmachen konnte unter den immer gleichen Namen oben auf den Bestsellerlisten – Lucinda Riley, Donna Leon, Klüpfel und Kobr, Sebastian Fitzek –, ist kein triviales Ereignis. Es brauchte schon eine klug auf populäre Affektlagen reagierende Geschichte, in niveauvollem Stil erzählt, von führenden Experten entschieden in Stellung gebracht. Da kommt einiges zusammen. Und so ist Garmus’ Heldin Elizabeth Zott nun eben nicht nur eine skurril eigensinnige Romanheldin. Sie bringt auch noch Leben in einen Markt, um den man sich sonst schon große Sorgen machen kann.
Die Spannungskurven sind so
präzise geschwungen, wie es
noch kein Algorithmus kann
Eine Serie für Apple TV ist
schon in Vorbereitung, mit der
oscargekrönten Brie Larson
Die Verkäufe der Top-10-Bücher
nahmen zuletzt stark zu, in der
Belletristik um fast 40 Prozent
Agentin Felicity Blunt mit Ehemann Stanley Tucci. Foto: getty
Genugtuungen im Minutentakt: Bonnie Garmus.
Foto: Serena Bolton/Piper
Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Piper, München 2022. 464 Seiten, 22 Euro.
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»So klug, lustig und tiefsinnig kann Unterhaltung sein.« Welt am Sonntag 20230108