Wer erfahren will, wie es wirklich war, wird sich an die Frauen halten müssen. Denn die Männer haben sich in den Ruinen als "das schwächere Geschlecht" gezeigt. So sieht es die Autorin dieses Buches, die das Ende des Krieges in Berlin erlebt hat. Ihre Aufzeichnungen sind frei von jeder Selbstzensur. Ohne die geringste Retouche sind sie 1959 in einem kleinen Schweizer Verlag erschienen. Seitdem waren sie nicht mehr zugänglich; erst nach dem Tod der Verfasserin ist eine Neuausgabe möglich geworden.Nicht das Ungewöhnliche wird in diesem einzigartigen Dokument geschildert, sondern das, was Millionen von Frauen erlebt haben: zuerst das Überleben in den Trümmern, ohne Wasser, Gas und Strom, geprägt von Hunger, Angst und Ekel, und dann, nach der Schlacht um Berlin, die Rache der Sieger. Von jenem Selbstmitleid, an dem die geschlagenen Deutschen litten, fehlt hier jede Spur. Illusionslose Kaltblütigkeit, unbestechliche Reflexion, schonungslose Beobachtung und makabrer Humor zeichnen das Tagebuch aus. Lakonisch stellt die Autorin fest: "Die Geschichte ist sehr lästig." Auch darin zeigt sich ihre innere Überlegenheit, daß sie sogar unter den vergewaltigenden und plündernden russischen Soldaten noch sehr genau zu differenzieren weiß.Neben Ruth Andreas-Friedrich und Margret Boveri tritt hier eine dritte Zeugin auf, deren Bericht jahrzehntelang verschollen war. Niemand, der ihn liest, wird ihn wieder vergessen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Rezensentin Felicitas von Lovenberg findet dieses Buch ebenso ungeheuerlich wie einzigartig und wünscht ihm ähnliche Aufmerksamkeit wie Jörg Friedrichs Bombenkriegsstudie oder Grass' Novelle "Im Krebsgang". Die anonyme Frau, die in Tagebuchaufzeichnungen die letzten Tage des Krieges aus der Sicht einer mehrfach vergewaltigten beschreibe, moralisiere und urteile nicht. Sie notiere, "meist buchstäblich zwischen Tür und Angel", was der Tag gebracht habe. Im Überlebenskampf sei keine Zeit für komplizierte Beschreibungen. Stichworte müssten ausreichen, um Menschen auf den Punkt zu bringen, beschreibt von Lovenberg das literarische Verfahren, in dem sie auch einen Versuch der Autorin erkennt, sich zu betäuben und das Grauen zu benennen, um den Horror auf ein erträgliches Maß zu bringen. Besonders beeindruckend findet die Rezensentin Anonymas Beschreibung der Rotarmisten. Aus der "dumpfen Masse der plündernden und vergewaltigenden Soldaten" sieht sie "Männer mit Namen und Geschichten" hervortreten.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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