Die europäische Integration befindet sich derzeit an einer Wegscheide: Das bisherige intergouvernementale Modell der europäischen Integration wird zunehmend in Frage gestellt. Die staatliche Vereinigung zu einem Bundesstaat scheitert jedoch an der fehlenden Zustimmung in den einzelnen Mitgliedstaaten.
Die Autoren verfolgen vor diesem Hintergrund die Konzeption einer freiheitlichen supranationalen Föderation. Sie zielt auf ein demokratischeres Europa, das die Chancen föderaler Differenzierung intensiv nutzt und das Freiheitsrecht der Individuen umfassend gewährleistet. In der gegenwärtigen Debatte um eine künftige europäische Verfassung weist diese Konzeption auf eine Option hin, die jenseits traditioneller föderaler Staatsformen liegt.
Neben Vorschlägen für die institutionelle Ordnung Europas diskutieren die Autoren Anforderungen an die Aufgabenverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten in einer solchen freiheitlichen supranationalen Föderation für die Bereiche Beihilfenpolitik, Umweltpolitik, Beschäftigungs- und Sozialpolitik sowie Steuerpolitik.
Die Autoren verfolgen vor diesem Hintergrund die Konzeption einer freiheitlichen supranationalen Föderation. Sie zielt auf ein demokratischeres Europa, das die Chancen föderaler Differenzierung intensiv nutzt und das Freiheitsrecht der Individuen umfassend gewährleistet. In der gegenwärtigen Debatte um eine künftige europäische Verfassung weist diese Konzeption auf eine Option hin, die jenseits traditioneller föderaler Staatsformen liegt.
Neben Vorschlägen für die institutionelle Ordnung Europas diskutieren die Autoren Anforderungen an die Aufgabenverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten in einer solchen freiheitlichen supranationalen Föderation für die Bereiche Beihilfenpolitik, Umweltpolitik, Beschäftigungs- und Sozialpolitik sowie Steuerpolitik.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2003Europa von unten
Ein radikaler Ratschlag für den Europäischen Konvent
Lüder Gerken/Jörg Märkt/Gerhard Schick/Andreas Renner: Eine freiheitliche supranationale Föderation. Zur Aufgabenverteilung in Europa. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2003, 352 Seiten, 58 Euro.
Der Europäische Konvent, der zur Zeit über die Verfassungsordnung der EU berät und am vergangenen Montag einen Entwurf vorgelegt hat, befaßt sich mit Grundfragen, die von der Wissenschaft - fast unbemerkt - schon länger und gründlicher erörtert werden als von der Politik selbst. Den Konventsmitgliedern kann daher nur empfohlen werden, sich mit der entsprechenden Fachliteratur vertraut zu machen.
Als guter Einstieg dazu könnte mit Sicherheit der vorliegende Band "Eine freiheitliche supranationale Föderation" dienen. Zugegeben: Dieses Buch ist keine leichte Lektüre, denn es behandelt seinen Gegenstand auf recht abstraktem Niveau. Wer sich dennoch der Mühe des Lesens unterzieht, wird allerdings reich belohnt. Die Autoren unterziehen zunächst einmal die EU in ihrer gegenwärtigen Form einer eingehenden Untersuchung. Dieser Untersuchung liegt ein striktes ordnungspolitisches Theoriegerüst zugrunde. Freiheit, Marktwirtschaft und Wettbewerb sind dabei die Grundanforderungen, die als Meßlatte angelegt werden. Beim Wettbewerb geht es auch um den Wettbewerb zwischen den politischen Institutionen, der wiederum dem Wettbewerb der privaten Akteure zugute kommen soll. Die Auswirkungen der vertieften Integration Europas auf den gemeinschaftsinternen und -externen Wettbewerb werden eingehend beleuchtet. Auf diese Weise wird begründet, warum man zum Beispiel keine Harmonisierung der Sozialpolitik will.
Das Problem, das die Autoren bei alledem ausmachen, ist die Tatsache, daß in der EU die Kompetenzübertragungen zwischen den Regierungsebenen keinen echten ordnungspolitischen Mustern folgen. Das vielbeschworene Subsidiaritätsprinzip werde ständig unterlaufen - wenn zum Beispiel die Kompetenz für Umweltpolitik so festgelegt sei, daß sie auch weitgehende Spielräume für europäische Initiativen in der Gesundheitspolitik erlaubten. Für den politischen Wettbewerb sei indes gerade hier Vorsicht geboten, weil er eigentlich Transparenz bei der Kompetenzverteilung voraussetze. Wie der Prozeß zur Zeit ablaufe, führe er unweigerlich zur vorgeblich gar nicht anvisierten Schaffung eines einheitlichen Bundesstaates.
Der Kern des von den Autoren entworfenen Konzeptes einer "supranationalen Föderation" ist ein sehr weitgehender und radikaler Vorschlag zur Reform des Prozesses der Kompetenzverlagerung. Dieser Prozeß soll nicht in die Hände derer gelegt werden, die ein Interesse an einer ordnungspolitisch undurchsichtigen Zentralisierung haben, zum Beispiel die Eurokratie in Brüssel oder Politikerkartelle, die sich supranational zusammenfinden. Jede Kompetenzübertragung in dieser Richtung sollte vielmehr durch eine Volksabstimmung in den einzelnen Staaten legitimiert sein müssen.
Mehr noch: Es sollte die Möglichkeit geben zum "opting out" aus bestehenden Subsystemen oder sogar letztlich zum Austritt aus der Union. Dies ermögliche eine Unterschiedlichkeit der Entwicklungstempi, die Wettbewerb und Bürgernähe fördere. "Bei der Frage", so schreiben die Autoren, "ob ein bestimmter Politikbereich harmonisiert werden soll, muß dem einzelnen Gliedstaat weiterhin die Möglichkeit offenstehen, sich nicht daran zu beteiligen."
Ein "Europa von unten" entwerfen die Autoren also, von einer konsequent liberalen Perspektive getragen. So verbirgt sich hinter der nüchternen Wissenschaftlichkeit dieses Buches doch der erfrischende Charme des Radikalen. Ob er den Politikern im Verfassungskonvent gefallen wird, bleibt abzuwarten. Zu wünschen wäre es.
DETMAR DOERING
Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung, Potsdam
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein radikaler Ratschlag für den Europäischen Konvent
Lüder Gerken/Jörg Märkt/Gerhard Schick/Andreas Renner: Eine freiheitliche supranationale Föderation. Zur Aufgabenverteilung in Europa. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2003, 352 Seiten, 58 Euro.
Der Europäische Konvent, der zur Zeit über die Verfassungsordnung der EU berät und am vergangenen Montag einen Entwurf vorgelegt hat, befaßt sich mit Grundfragen, die von der Wissenschaft - fast unbemerkt - schon länger und gründlicher erörtert werden als von der Politik selbst. Den Konventsmitgliedern kann daher nur empfohlen werden, sich mit der entsprechenden Fachliteratur vertraut zu machen.
Als guter Einstieg dazu könnte mit Sicherheit der vorliegende Band "Eine freiheitliche supranationale Föderation" dienen. Zugegeben: Dieses Buch ist keine leichte Lektüre, denn es behandelt seinen Gegenstand auf recht abstraktem Niveau. Wer sich dennoch der Mühe des Lesens unterzieht, wird allerdings reich belohnt. Die Autoren unterziehen zunächst einmal die EU in ihrer gegenwärtigen Form einer eingehenden Untersuchung. Dieser Untersuchung liegt ein striktes ordnungspolitisches Theoriegerüst zugrunde. Freiheit, Marktwirtschaft und Wettbewerb sind dabei die Grundanforderungen, die als Meßlatte angelegt werden. Beim Wettbewerb geht es auch um den Wettbewerb zwischen den politischen Institutionen, der wiederum dem Wettbewerb der privaten Akteure zugute kommen soll. Die Auswirkungen der vertieften Integration Europas auf den gemeinschaftsinternen und -externen Wettbewerb werden eingehend beleuchtet. Auf diese Weise wird begründet, warum man zum Beispiel keine Harmonisierung der Sozialpolitik will.
Das Problem, das die Autoren bei alledem ausmachen, ist die Tatsache, daß in der EU die Kompetenzübertragungen zwischen den Regierungsebenen keinen echten ordnungspolitischen Mustern folgen. Das vielbeschworene Subsidiaritätsprinzip werde ständig unterlaufen - wenn zum Beispiel die Kompetenz für Umweltpolitik so festgelegt sei, daß sie auch weitgehende Spielräume für europäische Initiativen in der Gesundheitspolitik erlaubten. Für den politischen Wettbewerb sei indes gerade hier Vorsicht geboten, weil er eigentlich Transparenz bei der Kompetenzverteilung voraussetze. Wie der Prozeß zur Zeit ablaufe, führe er unweigerlich zur vorgeblich gar nicht anvisierten Schaffung eines einheitlichen Bundesstaates.
Der Kern des von den Autoren entworfenen Konzeptes einer "supranationalen Föderation" ist ein sehr weitgehender und radikaler Vorschlag zur Reform des Prozesses der Kompetenzverlagerung. Dieser Prozeß soll nicht in die Hände derer gelegt werden, die ein Interesse an einer ordnungspolitisch undurchsichtigen Zentralisierung haben, zum Beispiel die Eurokratie in Brüssel oder Politikerkartelle, die sich supranational zusammenfinden. Jede Kompetenzübertragung in dieser Richtung sollte vielmehr durch eine Volksabstimmung in den einzelnen Staaten legitimiert sein müssen.
Mehr noch: Es sollte die Möglichkeit geben zum "opting out" aus bestehenden Subsystemen oder sogar letztlich zum Austritt aus der Union. Dies ermögliche eine Unterschiedlichkeit der Entwicklungstempi, die Wettbewerb und Bürgernähe fördere. "Bei der Frage", so schreiben die Autoren, "ob ein bestimmter Politikbereich harmonisiert werden soll, muß dem einzelnen Gliedstaat weiterhin die Möglichkeit offenstehen, sich nicht daran zu beteiligen."
Ein "Europa von unten" entwerfen die Autoren also, von einer konsequent liberalen Perspektive getragen. So verbirgt sich hinter der nüchternen Wissenschaftlichkeit dieses Buches doch der erfrischende Charme des Radikalen. Ob er den Politikern im Verfassungskonvent gefallen wird, bleibt abzuwarten. Zu wünschen wäre es.
DETMAR DOERING
Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung, Potsdam
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Detmar Doering wünscht diesem Band, dass er von den Politikern im europäischen Verfassungskonvent gelesen werden möge. Obwohl er seinen Gegenstand auf "recht abstraktem Niveau" behandele, werde der Leser für seine Mühe "reich belohnt, schreibt der Rezensent. Ihm gefällt vor allem, dass sich "hinter der nüchternen Wissenschaftlichkeit" dieses Buches "der erfrischende Charme des Radikalen" verberge. Ein "Europa von unten", "konsequent von einer liberalen Perspektive getragen", würden die Autoren hier entwerfen, erklärt der Rezensent. Das zentrale Problem der bisherigen Konstruktion der EU sehen die Autoren, wie wir erfahren, darin, dass die "Kompetenzübertragungen" zwischen den Regierungsebenen "keinen echten ordnungspolitischen Mustern" folge, das vielbeschworene Subsidiaritätsprinzip werde "ständig unterlaufen". Die von den Autoren vorgeschlagene Lösung ist tatsächlich recht radikal: Jede Kompetenzübertragung soll nach ihrem Willen, berichtet Doering, durch Volksabstimmungen in den Einzelstaaten legitimiert werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH