Produktdetails
- Verlag: Marion von Schröder
- Seitenzahl: 479
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 776g
- ISBN-13: 9783547798760
- Artikelnr.: 24884200
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1998Brust rauf
Neu in Amerika: Die Körperteilbörse / Von Burkhard Spinnen
In Marilyn Yaloms Geschichte der weiblichen Brust spielt die "Geschichte" eine seltsame Rolle: Die Autorin hat sie ganz nach Maßgabe ihrer Nützlichkeit für das aktuelle Leben betrachtet, mehr noch: für das richtige aktuelle Leben. Und das fällt ihr nicht schwer, denn sie ist sich sicher, was das ist: Es ist das Leben einer urbanen, intellektuellen und feministisch orientierten Nordamerikanerin in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Von diesem Lebenssockel aus und um ihn herum ordnet Yalom ihre Dokumente. Sie organisiert sie zu einer Geschichte, die mit innerer Notwendigkeit ihre Krise und ihren entscheidenden Wendepunkt genau dort hat, wo dieser Sockel steht: in der nordamerikanischen Frauenbewegung der Gegenwart.
Dergestalt wird die Geschichte der Brust bei Yalom zu einer Vorgeschichte. Die beginnt mit der heiligen Brust und eilt von den prähistorischen Fruchtbarkeitsgöttinnen zu den mittelalterlichen Bildern der Maria lactans, es folgen die Erotisierung der Brust in der Renaissance, ihre Privatisierung in den frühbürgerlichen Niederlanden, ihre psychologische Besetzung durch Freud, ihre Indienstnahme für vaterländische Propaganda-Pin-ups, ihre totale Kommerzialisierung durch Werbung und Pornoindustrie und ihre existentielle Gefährdung durch die Verbreitung von Brustkrebs. Doch das sind am Ende nur die Stationen einer eher dunklen Vergangenheit, der entgegen die unmittelbare Gegenwart eine "Befreiung der Brust" verspreche.
Alle Oppositionen gehen glatt auf. So ist die Vergangenheit der Brust männlich dominiert; Keuschheitsgebote, sexuelles Begehren, Kommerz und sogar Medizin sind Spielarten männlicher Inbesitznahme des weiblichen Körperteils. Die Gegenwart ist die Zeit, in der die Frauen ihre Brust "zurückerobern". Kann man das so sagen? Man kann, vorausgesetzt, man unterwirft die Geschichte der Menschheit mit einer gewissen Bedenkenlosigkeit dem eigenen Entwurf von der Gegenwart. Yaloms Gegenstand ist weniger der Mensch mitsamt seinem Nachdenken über seinen Körper als das Selbstverständnis der intellektuellen Nordamerikanerin und dessen Genese.
Man muß kein Mann sein, um das zu beklagen. Mich hat das Buch vielmehr erbittert, weil jenes Selbstbewußtsein sich auf eine Art und Weise äußert, die für alle, für Frauen und Männer gleichermaßen, voller Gefahren steckt. Das soll an einem Beispiel erläutert werden. Gegen Schluß ihrer Geschichte äußert Marilyn Yalom einen Wunsch: "Vielleicht kommt eine Zeit, in der die Affekte, die mit dem Anblick der Brust verbunden sind, auf ein vernünftiges Maß reduziert sein werden, sagen wir, auf das Erregungsniveau, das der Anblick eines schönen Knies oder Schenkels hervorruft."
Das klingt ganz sanft, human und zustimmungserheischend - die Autorin ahnt offenbar nichts davon, wie hoffnungslos antiquiert eine solche Utopie ist, schlimmer noch, wie grauenvoll sie bislang instrumentalisiert worden ist. "Die Affekte auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren", das war eine der Hauptforderungen des europäischen Aufklärungsdenkens; der Kopf, nicht der Unterleib sollte regieren. Doch wie viele Terroristen sind nicht unter dem Banner der Organisation und Nivellierung menschlicher Affekte angetreten. Mit dem Resultat, daß heute "jemandem Vernunft beibringen" beinahe immer schon heißt: jemanden verprügeln.
Doch für Marilyn Yalom hat die Forderung nach einer Reinigung des Körpers von seinen Affekten nichts Abgründiges. Denn diese Forderung ist eingebettet in einen korrekten Jargon der Gutwilligkeit, der seine Weltenfremdheit nicht bemerkt und die Frage nach seiner Geltung in der Alltagswelt ausgeklammert hat. Man darf Marilyn Yalom daher gar nicht fragen, wie denn die, von denen bei ihr niemals die Rede ist, über ihre Brust denken: die orthodoxe Jüdin in Jerusalem, die fundamentalistische Muslimin in Teheran, die Arbeiterin in Gorki oder die Marktfrau in Kinshasa. Das hieße nur, die eine, die gutwillig selbstgenügsame nordamerikanische Korrektheit mit einer anderen, einer gewissermaßen universalen aushebeln zu wollen. Und man sollte auch der Versuchung widerstehen, die eine oder andere Behauptung des Buches widerlegen zu wollen, obgleich sein Umgang mit der Geschichte gelegentlich sehr dazu reizt.
Aber man sollte fragen dürfen, ob nicht der gute Wille jenes feministischen Bewußtseins, das hier seine Welt ordnet, von seinem Jargon verraten wird. Ich will nicht beckmessern. Wer sagt: "Am Anfang war die Brust", der will sicher nichts Böses oder gar Blasphemisches sagen, sondern nur einen kleinen Scherz machen. Wer sagt: "Es ist nicht weit hergeholt, wenn man behauptet, daß die modernen westlichen Demokratien die politische Brust erfanden und sie seitdem nicht mehr losließen", der begeht ebenso wie mit "Es herrscht kein Mangel an Brust-Metaphern auf den Lippen der Poeten" oder mit "Seit den Anfängen der Psychoanalyse war die weibliche Brust die Kampfarena für die konkurrierenden Theorien verschiedener Generationen" bestimmt bloß einen lapsus linguae. Zugestanden. Aber: "Der weibliche Akt war in Frankreich und Italien während der Renaissance - so könnte man sagen - ein Hochkultur-Äquivalent zum ausklappbaren ,Playboy'-Poster" - das geht nicht! So kann man und frau eben nicht und niemals reden, wenn man nicht die ganze menschliche Geschichte demjenigen fortgeschritten gesunden Menschenverstand unterwerfen will, den einem Ort und Zeit der Geburt beschert haben und der doch oft genug nicht mehr ist als eine Sammlung von Sätzen, mit denen und durch die sich eine Peer-group identifiziert, eben: ein Jargon.
Der Jargon freilich ist nie etwas bloß Nebensächliches, etwas, das sich mildern oder verbessern ließe. Er ist Ausdruck eines beschränkten oder sich beschränkenden Bewußtseins. Geschichtsforschung betreiben wir, um solche Beschränkungen aufzubrechen, nicht um sie festzureden. So mag denn die Befreiung der Brust in Nordamerika voranschreiten; alle Anzeichen, so Marilyn Yalom, "sprechen dafür, daß die Brust-Aktien im Steigen begriffen sind". Mit einer Baisse von Sprache und Bewußtsein wäre dieser Erfolg zu teuer erkauft.
Marilyn Yalom: "Eine Geschichte der Brust". Aus dem Amerikanischen von Olga Rinne. Marion von Schröder Verlag, München 1998. 480 S., Abb., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neu in Amerika: Die Körperteilbörse / Von Burkhard Spinnen
In Marilyn Yaloms Geschichte der weiblichen Brust spielt die "Geschichte" eine seltsame Rolle: Die Autorin hat sie ganz nach Maßgabe ihrer Nützlichkeit für das aktuelle Leben betrachtet, mehr noch: für das richtige aktuelle Leben. Und das fällt ihr nicht schwer, denn sie ist sich sicher, was das ist: Es ist das Leben einer urbanen, intellektuellen und feministisch orientierten Nordamerikanerin in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Von diesem Lebenssockel aus und um ihn herum ordnet Yalom ihre Dokumente. Sie organisiert sie zu einer Geschichte, die mit innerer Notwendigkeit ihre Krise und ihren entscheidenden Wendepunkt genau dort hat, wo dieser Sockel steht: in der nordamerikanischen Frauenbewegung der Gegenwart.
Dergestalt wird die Geschichte der Brust bei Yalom zu einer Vorgeschichte. Die beginnt mit der heiligen Brust und eilt von den prähistorischen Fruchtbarkeitsgöttinnen zu den mittelalterlichen Bildern der Maria lactans, es folgen die Erotisierung der Brust in der Renaissance, ihre Privatisierung in den frühbürgerlichen Niederlanden, ihre psychologische Besetzung durch Freud, ihre Indienstnahme für vaterländische Propaganda-Pin-ups, ihre totale Kommerzialisierung durch Werbung und Pornoindustrie und ihre existentielle Gefährdung durch die Verbreitung von Brustkrebs. Doch das sind am Ende nur die Stationen einer eher dunklen Vergangenheit, der entgegen die unmittelbare Gegenwart eine "Befreiung der Brust" verspreche.
Alle Oppositionen gehen glatt auf. So ist die Vergangenheit der Brust männlich dominiert; Keuschheitsgebote, sexuelles Begehren, Kommerz und sogar Medizin sind Spielarten männlicher Inbesitznahme des weiblichen Körperteils. Die Gegenwart ist die Zeit, in der die Frauen ihre Brust "zurückerobern". Kann man das so sagen? Man kann, vorausgesetzt, man unterwirft die Geschichte der Menschheit mit einer gewissen Bedenkenlosigkeit dem eigenen Entwurf von der Gegenwart. Yaloms Gegenstand ist weniger der Mensch mitsamt seinem Nachdenken über seinen Körper als das Selbstverständnis der intellektuellen Nordamerikanerin und dessen Genese.
Man muß kein Mann sein, um das zu beklagen. Mich hat das Buch vielmehr erbittert, weil jenes Selbstbewußtsein sich auf eine Art und Weise äußert, die für alle, für Frauen und Männer gleichermaßen, voller Gefahren steckt. Das soll an einem Beispiel erläutert werden. Gegen Schluß ihrer Geschichte äußert Marilyn Yalom einen Wunsch: "Vielleicht kommt eine Zeit, in der die Affekte, die mit dem Anblick der Brust verbunden sind, auf ein vernünftiges Maß reduziert sein werden, sagen wir, auf das Erregungsniveau, das der Anblick eines schönen Knies oder Schenkels hervorruft."
Das klingt ganz sanft, human und zustimmungserheischend - die Autorin ahnt offenbar nichts davon, wie hoffnungslos antiquiert eine solche Utopie ist, schlimmer noch, wie grauenvoll sie bislang instrumentalisiert worden ist. "Die Affekte auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren", das war eine der Hauptforderungen des europäischen Aufklärungsdenkens; der Kopf, nicht der Unterleib sollte regieren. Doch wie viele Terroristen sind nicht unter dem Banner der Organisation und Nivellierung menschlicher Affekte angetreten. Mit dem Resultat, daß heute "jemandem Vernunft beibringen" beinahe immer schon heißt: jemanden verprügeln.
Doch für Marilyn Yalom hat die Forderung nach einer Reinigung des Körpers von seinen Affekten nichts Abgründiges. Denn diese Forderung ist eingebettet in einen korrekten Jargon der Gutwilligkeit, der seine Weltenfremdheit nicht bemerkt und die Frage nach seiner Geltung in der Alltagswelt ausgeklammert hat. Man darf Marilyn Yalom daher gar nicht fragen, wie denn die, von denen bei ihr niemals die Rede ist, über ihre Brust denken: die orthodoxe Jüdin in Jerusalem, die fundamentalistische Muslimin in Teheran, die Arbeiterin in Gorki oder die Marktfrau in Kinshasa. Das hieße nur, die eine, die gutwillig selbstgenügsame nordamerikanische Korrektheit mit einer anderen, einer gewissermaßen universalen aushebeln zu wollen. Und man sollte auch der Versuchung widerstehen, die eine oder andere Behauptung des Buches widerlegen zu wollen, obgleich sein Umgang mit der Geschichte gelegentlich sehr dazu reizt.
Aber man sollte fragen dürfen, ob nicht der gute Wille jenes feministischen Bewußtseins, das hier seine Welt ordnet, von seinem Jargon verraten wird. Ich will nicht beckmessern. Wer sagt: "Am Anfang war die Brust", der will sicher nichts Böses oder gar Blasphemisches sagen, sondern nur einen kleinen Scherz machen. Wer sagt: "Es ist nicht weit hergeholt, wenn man behauptet, daß die modernen westlichen Demokratien die politische Brust erfanden und sie seitdem nicht mehr losließen", der begeht ebenso wie mit "Es herrscht kein Mangel an Brust-Metaphern auf den Lippen der Poeten" oder mit "Seit den Anfängen der Psychoanalyse war die weibliche Brust die Kampfarena für die konkurrierenden Theorien verschiedener Generationen" bestimmt bloß einen lapsus linguae. Zugestanden. Aber: "Der weibliche Akt war in Frankreich und Italien während der Renaissance - so könnte man sagen - ein Hochkultur-Äquivalent zum ausklappbaren ,Playboy'-Poster" - das geht nicht! So kann man und frau eben nicht und niemals reden, wenn man nicht die ganze menschliche Geschichte demjenigen fortgeschritten gesunden Menschenverstand unterwerfen will, den einem Ort und Zeit der Geburt beschert haben und der doch oft genug nicht mehr ist als eine Sammlung von Sätzen, mit denen und durch die sich eine Peer-group identifiziert, eben: ein Jargon.
Der Jargon freilich ist nie etwas bloß Nebensächliches, etwas, das sich mildern oder verbessern ließe. Er ist Ausdruck eines beschränkten oder sich beschränkenden Bewußtseins. Geschichtsforschung betreiben wir, um solche Beschränkungen aufzubrechen, nicht um sie festzureden. So mag denn die Befreiung der Brust in Nordamerika voranschreiten; alle Anzeichen, so Marilyn Yalom, "sprechen dafür, daß die Brust-Aktien im Steigen begriffen sind". Mit einer Baisse von Sprache und Bewußtsein wäre dieser Erfolg zu teuer erkauft.
Marilyn Yalom: "Eine Geschichte der Brust". Aus dem Amerikanischen von Olga Rinne. Marion von Schröder Verlag, München 1998. 480 S., Abb., geb., 58,- DM.
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