Allgemeiner Verfall, Entfremdung und Vermassung, die Herrschaft des Geldes, der Technik und der Medien: das sind bis heute die Themen der Kulturkritiker. Auch wenn die Traditionen dieses Denkens bis in die Antike zurückreichen, beginnt die eigentliche Zeit der Kulturkritik erst mit der Aufklärung. Auf der Suche nach einer anderen, besseren Moderne erzählen die Kulturkritiker Geschichten vom Verlust. Georg Bollenbeck geht es um die Eigenart dieses unterschätzten und faszinierenden Denkens, das bis heute ungebrochen ist. Er lotet das Spektrum einer provokanten Dauerkommentierung der Moderne in allen ihren scharfsinnigen und problematischen Zeitdiagnosen aus.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2007So ging Kulturkritik
"Kulturkritik" erinnert an vergangene Zeiten. Zwar hat man es in zeitdiagnostischen Versuchen mitunter immer noch mit den für sie typischen Verlustgeschichten und Pathologiebefunden zu tun. Aber zum erreichten historischen Bewusstsein gehört, dass der Mangel an normativ noch plausibel zu machenden Verankerungen für große kritischen Gesten keinen Raum mehr lässt. Werden sie trotzdem geübt, hält man bei der Anverwandlung von Bestandteilen des kulturkritischen Repertoires erst recht auf tiefgründige Distanz zu den Vorgängern. Georg Bollenbeck führt vor, wie solches Abstoßen bei Autoren wie Lukács, Heidegger oder Adorno funktionierte. Der einschlägig bestens ausgewiesene Germanist und Kulturwissenschaftler weiß gut, dass die Zeit der großen kulturkritischen Würfe vorbei ist. Aber die "stimulierende Kraft kulturkritischen Denkens" streicht er trotzdem hervor. Seine "Geschichte der Kulturkritik" führt die Diskursanalyse in überzeugender Form vor: bei aller Distanz doch interessiert an ihrem Gegenstand und in dessen Beschreibungen pointiert, trocken und knapp. (Georg Bollenbeck: "Eine Geschichte der Kulturkritik". Von Rousseau bis Günther Anders. C. H. Beck Verlag, München 2007. 319 S., br., 14,95 [Euro].) hmay
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Kulturkritik" erinnert an vergangene Zeiten. Zwar hat man es in zeitdiagnostischen Versuchen mitunter immer noch mit den für sie typischen Verlustgeschichten und Pathologiebefunden zu tun. Aber zum erreichten historischen Bewusstsein gehört, dass der Mangel an normativ noch plausibel zu machenden Verankerungen für große kritischen Gesten keinen Raum mehr lässt. Werden sie trotzdem geübt, hält man bei der Anverwandlung von Bestandteilen des kulturkritischen Repertoires erst recht auf tiefgründige Distanz zu den Vorgängern. Georg Bollenbeck führt vor, wie solches Abstoßen bei Autoren wie Lukács, Heidegger oder Adorno funktionierte. Der einschlägig bestens ausgewiesene Germanist und Kulturwissenschaftler weiß gut, dass die Zeit der großen kulturkritischen Würfe vorbei ist. Aber die "stimulierende Kraft kulturkritischen Denkens" streicht er trotzdem hervor. Seine "Geschichte der Kulturkritik" führt die Diskursanalyse in überzeugender Form vor: bei aller Distanz doch interessiert an ihrem Gegenstand und in dessen Beschreibungen pointiert, trocken und knapp. (Georg Bollenbeck: "Eine Geschichte der Kulturkritik". Von Rousseau bis Günther Anders. C. H. Beck Verlag, München 2007. 319 S., br., 14,95 [Euro].) hmay
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Georg Bollenbecks "Geschichte der Kulturkritik" zeigt dem Rezensenten nicht nur, dass die umfassende klassische Kulturkritik heute der "partikulären Dauerkritik" gewichen ist, sondern auch, dass in der Rückschau Neugewichtungen möglich sind. So lässt sich Oliver Pfohlmann staunend Schiller als kulturkritischen Vordenker verkaufen und schaut zu, wie Bollenbeck Schopenhauer kurzerhand aus der Riege der Kulturkritiker ausschließt. "Erhellend", findet er, und "lesbar" dazu. Wenn ihm weitere Differenzierungen auch durchaus möglich erscheinen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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