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Die Geschwister Cardin sind zu viert. Als Tante Tamara und Onkel Simon sterben, werden am Tag der Beerdigung jedoch nicht nur die Trennlinien zwischen den vier Geschwistern sichtbar, sondern die Gräben in der gesamten Familie. Die Verstorbenen waren es, die alle zusammenhielten. Nun hinterlassen sie neben Uneinigkeit vor allem eine Auseinandersetzung um das Erbe, die schon auf dem Weg zur Trauerhalle ihren Anfang nimmt. Die gefühlte Ungerechtigkeit in der Verwandtschaft ist außergewöhnlich groß - und genau darin ist diese französische Familie so ziemlich gewöhnlich. Sylvie Schenk hat einen…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschwister Cardin sind zu viert. Als Tante Tamara und Onkel Simon sterben, werden am Tag der Beerdigung jedoch nicht nur die Trennlinien zwischen den vier Geschwistern sichtbar, sondern die Gräben in der gesamten Familie. Die Verstorbenen waren es, die alle zusammenhielten. Nun hinterlassen sie neben Uneinigkeit vor allem eine Auseinandersetzung um das Erbe, die schon auf dem Weg zur Trauerhalle ihren Anfang nimmt. Die gefühlte Ungerechtigkeit in der Verwandtschaft ist außergewöhnlich groß - und genau darin ist diese französische Familie so ziemlich gewöhnlich.
Sylvie Schenk hat einen Roman geschrieben, der auf wenigen Seiten poetisch, klar und klug die Geheimnisse einer ganzen Familie ausleuchtet.
Autorenporträt
Sylvie Schenk wurde 1944 in Chambéry, Frankreich, geboren, studierte in Lyon und lebt seit 1966 in Deutschland. Sylvie Schenk veröffentlichte Lyrik auf Französisch und schreibt seit 1992 auf Deutsch. Sie lebt bei Aachen und in La Roche-de-Rame, Hautes-Alpes. Bei Hanser erschienen ihre Romane Schnell, dein Leben (2016), Eine gewöhnliche Familie (2018), Roman d'amour (2021) und Maman (2023).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.02.2019

Unter Erbfeinden
Sylvie Schenks Roman „Eine gewöhnliche Familie“
Tante Tamara und Onkel Simon waren der Gravitationspunkt der gesamten Familie. Kinderlos, aber unabdingbar als Ansprechpartner und Ankerstation für die Neffen und Nichten. Elegant und unkonventionell in ihrem Lebenswandel, freigeistig, noch dazu wohlhabend. Das jüngere, strahlende Gegenpaar zu Ernest und Suzanne, den Eltern der vier Kinder, die in Sylvie Schenks jüngstem Roman im Mittelpunkt stehen. Zahnärzte waren sie beide, Simon und sein Bruder Ernest; doch der eine in einer noblen Praxis in Lyon, der andere in dem abgelegenen Alpendorf, in dem auch Céline, die personale Erzählinstanz des Romans, aufgewachsen ist. Der Riss, der die Verwandten trennt und stets trennen wird, ist auch der zwischen Stadt und Provinz, Überlegenheits- und Minderwertigkeitsgefühl.
Anders als der Vorgängerroman „Schnell, dein Leben“ (2016) ist „Eine gewöhnliche Familie“ nicht mehr in der schwesterlichen Halbdistanz der zweiten Person, sondern in der dritten Person erzählt. „Schnell, dein Leben“ war irritierend, weil der Autorin darin ausgezeichnete Milieu- und Zeitschilderungen der 1960er-Jahre gelungen waren, ihr aber auch immer wieder Entgleisungen in den sprachlichen Kitsch unterliefen. Davon kann im neuen Roman nicht mehr die Rede sein: „Eine gewöhnliche Familie“ ist ein fein gearbeitetes, thematisch komprimiertes und dennoch erfahrungsreiches Buch. Eine Familienchronik über Jahrzehnte, und es ist ein großer Vorzug des Romans, dass die Autorin nicht der Mode der ausufernden Generationenerzählungen folgt, sondern pointiert, hin und wieder geradezu aphoristisch und mit einem guten Gespür für Auslassungen operiert.
Der Roman spielt an einem einzigen Tag, dem Tag der Beerdigung von Tamara und Simon. Von dort aus schweifen Céline Cardins Erinnerungen immer wieder in die Vergangenheit ab. So setzt sich ein Mosaik aus Beziehungen, Verletzungen und Ab- und Zuneigungen innerhalb der Familie zusammen. Céline reist aus Deutschland zur Beerdigung an. Wie die 1944 geborene Sylvie Schenk selbst und schon Louise, die Protagonistin aus „Schnell, dein Leben“, ist auch Céline mit Anfang zwanzig mit ihrem Ehemann nach Deutschland gegangen. Schenk, die ihre Bücher auf Deutsch schreibt, fügt ihrem Alter Ego nun also eine weitere Facette hinzu: Céline, die schon vor langer Zeit von ihrem Mann verlassen wurde, aber in Deutschland geblieben ist, fährt im Zug in Richtung Frankreich, den Kopf voll mit misanthropischen Gedanken. Simon und Tamara sind binnen weniger Stunden hintereinander gestorben; die Tante nach dem Onkel – ein nicht unwichtiges Detail, wie sich herausstellen soll. Nun sitzen sie also wieder beieinander, die vier Geschwister Cardin, Aline, Céline, Pauline und Philippe, sowie der verwandtschaftliche Zweig der verstorbenen Tamara; allen voran deren Schwester, genannt nur „die flotte Kati“.
Nach und nach, in kurzen, in die Haupthandlung des Beerdigungstages eingeflochtenen Porträts, rollt Sylvie Schenk die kleinen Dramen der Familie auf. Aline, Céline, Pauline und Philippe. Die Schöne, die Intellektuelle, die Lustige, der Sportliche. Das sind die Stereotypen, die der längst verstorbene Vater ihnen angeklebt hat. Und es sind zugleich Zuschreibungen, welche die Figuren selbst nur allzu gerne erfüllt hätten, die aber von Sylvie Schenk subtil dekonstruiert werden. Pauline, die Lustige, hat beispielsweise ein ganz und gar unlustiges Leben geführt, mit den Männern nur Pech gehabt und wird, so steht es zunächst zu vermuten, auch beim Erbe leer ausgehen, obwohl sie Tamara und Simon bis zu deren Ende gepflegt hat. Céline, die Intellektuelle wiederum, die als Übersetzerin arbeitet, hat sich in einen Kältepanzer gesteckt und aus dem sozialen Leben mehr oder weniger verabschiedet.
So gewinnt jede Figur eine reizvolle Ambivalenz. Die Mechanik, die hinter dem vermeintlich in Trauer vereinten Funktionssystem Familie offenbar wird, hat die verstorbene Tamara schon Jahrzehnte zuvor offengelegt. Es geht um Sex, und es geht um Geld. Das Original des Testaments, in dem Simon und Tamara das durchaus opulente Vermögen unter allen Hinterbliebenen gerecht verteilt hatten, ist verschwunden. Also erbt Tamaras Schwester, die flotte Kati, alles. Die Szene, in der die Trauergesellschaft im Anschluss an die Beerdigung in einem deprimierenden Bistro sitzt und sich gegenseitig belauert, wer nun welche Ansprüche formuliert, ist so quälend wie komisch. Auch hier zeigt sich Schenks glänzender Blick für sprechende Details.
Doch ist „Eine gewöhnliche Familie“ mehr als nur ein gelungenes Familien-Kammerspiel auf dem schmalen Grat zwischen Farce und Drama. Hinter den aufgefächerten Biografien scheint die enttäuschte Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Dasein auf. Selbst diejenigen, die in einem libertären Klima aus einem studentischen Milieu aufgebrochen sind, landen schließlich als in ihre gescheiterten Beziehungen eingesponnene Monaden wieder in den familiären Zwängen. „Die Liebe? Ein Trug.“, so hat es Célines Großmutter formuliert. Das ist eine simple Erkenntnis, die Sylvie Schenk auf intelligente Weise in Lebensläufen sichtbar werden lässt.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Sylvie Schenk: Eine gewöhnliche Familie. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2018. 158 S., 18 Euro.
Eine Familienchronik über
Jahrzehnte, erzählt
an einem einzigen Tag
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"Mehr als nur ein gelungenes Familien-Kammerspiel auf dem schmalen Grat zwischen Farce und Drama." Christoph Schröder, Süddeutsche Zeitung, 26.02.19

"'Ein nachdenklicher und sehr lesenswerter Roman: Klug, böse, liebevoll, ironisch und von seltener Ehrlichkeit." Melanie Weidemüller, Deutschlandfunk Kultur, 10.08.18

"Der Roman ist wie eine Tiefenbohrung durch eine komplizierte Familienhistorie. Er ist schmal, schlank, subtil, spannend zu lesen und sehr unterhaltsam." Sylvia Schwab, HR2, 09.09.18

"Ein spannendes, berührendes - und ein sehr kluges Buch - und die darin beschriebene Familie könnte in etwa die von uns allen sein." Maria Otte, WDR5, 08.09.18