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In England wurde Seths monumentales Indien-Epos "Eine gute Partie" als literarische Sensation gefeiert. Es beginnt in den Jahren nach der indischen Unabhängigkeit, als sich das Land auf die ersten allgemeinen Wahlen vorbereitet. Das Leben vierer Großfamilien wird erzählt - vor dem Hintergrund sozialer, politischer und religiöser indischer Wirklichkeit.

Produktbeschreibung
In England wurde Seths monumentales Indien-Epos "Eine gute Partie" als literarische Sensation gefeiert. Es beginnt in den Jahren nach der indischen Unabhängigkeit, als sich das Land auf die ersten allgemeinen Wahlen vorbereitet. Das Leben vierer Großfamilien wird erzählt - vor dem Hintergrund sozialer, politischer und religiöser indischer Wirklichkeit.
Autorenporträt
Vikram Seth wurde 1952 in Kalkutta geboren. Seine Mutter war die erste Richterin an Indiens Oberstem Gerichtshof. Vikram Seth studierte in Oxford und Stanford. In Kalifornien entstand sein Versroman 'The Golden Gate', seine Reise von China nach Indien durch das Himalaya hielt er in 'Tianchi' fest. Für seinen Weltbestseller 'Eine gute Partie' reiste er zwei Jahre lang durch die Städte und Dörfer Indiens. 'Zwei Leben' stand wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.1995

Strenge, Länge, Langeweile
Lesezeichen bereithalten: Vikram Seth erzählt von Indien

"Ein Buch wie ein Geröll" - mit dieser Formel hat vor Jahren der Verleger Ledig-Rowohlt, der sein bester Werbetexter war, eine dickleibige Familiensaga des irischen Erzählers Robert Crichton angepriesen. Gegen das inzwischen vergessene irische Geröll von damals nehmen sich die über eintausendvierhundert eng bedruckten Seiten des indischen Romans "Eine gute Partie" wie ein Gebirgszug des Himalaja aus. Als der Wälzer vor zwei Jahren in England erschien, erntete er überschwengliches Lob, erklomm schnell die Bestsellerlisten und galt als Anwärter für die höchste Literaturauszeichnung Englands, den Booker-Preis - der dann freilich ausblieb. Vielleicht hatte die Jury das Buch nicht rechtzeitig zu Ende bringen können.

Der Aufwand an Lesezeit, den es verlangt, sprengt alle Grenzen. Wehe dem Leser, der es versäumt, eine Stelle zu markieren, die er später noch einmal nachlesen möchte: Er wird den Ziegelstein aus Dünndruckpapier ermattet aus der Hand legen. Vielleicht wird es ihm auch ergehen wie Meenakshi Aparna geb. Chatterji, einer der unzähligen Figuren dieses wunderlichen Romans. Die Lektüre von Thomas Manns "Buddenbrooks" wird der Dame "unsäglich langweilig. Sie wußte nicht, wie sie auch nur fünf weitere Seiten lesen sollte." Die Namen der "Buddenbrooks" oder, wie ihr Gatte Arun meint, "ähnlich verquaster germanischer Erzeugnisse" müssen für indische Leser freilich nicht weniger schwer verdaulich sein als die Unzahl der Dibankar, Kakoli oder Tapan Chatterji, der Imtiaz und Firoz Khan oder der Nawab Sahib von Baitar für uns.

Wie der englische Titel "A suitable Boy" verspricht, handelt das Buch von der Suche einer rüstigen Witwe nach einem angemessenen Ehemann für ihre in Liebesdingen äußerst zögerliche Tochter Lata. Der 1952 in Kalkutta geborene Verfasser Vikram Seth, der in Oxford und Stanford studierte, dann nach China zog und sich dort an der Übersetzung chinesischer Lyrik erprobte, um nach weiteren Reisen in den Vereinigten Staaten einen eigenen Versroman zu veröffentlichen, ist ein vielsprachiger Weltbürger und Kenner der europäischen Literatur. Aus China zurückgekehrt, vertiefte er sich in seiner indischen Heimat in die Strukturen und Lebensmuster der dortigen Gesellschaft nach der Unabhängigkeit. Sechs Jahre schrieb er an seinem opus maximum. Aus dem anfänglichen Plan einer schmalen Novelle erwuchs ihm ein unüberschaubarer erzählerischer Kosmos, bei dem man gelegentlich befürchtet, der Autor habe sich in seinem eigenen Wissen verirrt.

Der Eindruck trügt. Der erschöpfte Leser stellt am Ende bewundernd fest, daß der mäandernde Strom des Erzählens schließlich doch mit einiger Genauigkeit sein Ziel gefunden hat: Lata entscheidet sich nach mannigfachen Prüfungen und wiederholtem Zögern zuletzt doch noch für den besten Verehrer. Bis wir endlich der Hochzeit beiwohnen dürfen, hat sich ein verwirrendes, gelegentlich dramatisches, oft aber irritierend funkelndes Kaleidoskop vor uns entfaltet. Die verzweigte Chronik von vier großen indischen Familien liefert dem Autor die Gelegenheit, die wirtschaftliche, politische, geographische und administrative Geschichte der jungen indischen Republik in den Jahren von 1950 bis 1952 in unzähligen Momentaufnahmen aufzublättern. Keine Parlamentsdebatte ist zu lang und keine Kricketregel zu nebensächlich, als daß er sie nicht mit endloser Geduld und geradezu wissenschaftlicher Genauigkeit erklärte. Das Ergebnis solchen akribischen Erzählens ist keine gigantische "Seifenoper" (Salman Rushdie). Vikram Seth ist, das macht jede Zeile seines Epos deutlich, zu gebildet, zu seriös und auch zu skrupulös, als daß er nur die Klischees der Familiensaga bediente.

Die Gefahr, der das Buch trotz seiner Ernsthaftigkeit und seines Lokalkolorits streckenweise nicht entgeht, liegt in Seths eingeschränkten Mitteln, seelische Vorgänge und Handlungsabläufe in eigenständige Bilder zu fassen. Seine Figuren bleiben Schemen, die in ihrem und des allwissenden Erzählers Redestrom zu versinken drohen. So entsteht der Eindruck profund recherchierter Sekundärliteratur, bei der die unbeweglichen Personen nur als Staffage einer Landeschronik fungieren.

Das liegt gewiß nicht allein an der überbordenden Stoffülle, sondern auch an den zuweilen papierenen Dialogen, die den Roman durchziehen. Einige englische Kritiker haben sich an der konventionellen Erzählweise gestört, die das Buch gelegentlich wie eine perfekte Kopie europäischer Vorbilder erscheinen läßt. Die literarische Wirkung aber stören weniger die den Romanen des letzten Jahrhunderts entlehnten Stilmittel als der Mangel an erzählerischer Verdichtung.

Bevor Lata ihrem Haresh schließlich das Jawort gibt, haben wir von dem "unpassenden", weil muslimischen Studenten Kabir Durrani, ihrem verehrungsvollen Schwager Amit Chatterji und den Angehörigen der vier indischen Familien ebenso erfahren wie von einem Beinahe-Mord aus Eifersucht oder der Welt der schönen Kurtisane Saeeda Bai und ihrer Schwester, die dem sonst so spröden Erzählfluß gelegentlich einen willkommenen Hauch von Laster verleihen.

Vor allem aber wissen wir zuletzt Tausende von Einzelheiten über die Schuhherstellung, die Studentenaufstände in Brahmpur, die Feinheiten indischer Gartenkultur, die schmerzlichen Umstände einer Geburt, die Schwierigkeiten indischer Kasten bei der Namensfindung, den zähen Konflikt zwischen Nehru und Tandon, dem Präsidenten der Kongreßpartei, die Zerreißprobe zwischen Hindus und Muslimen, die Konflikte um die Auslegung der indischen Verfassung, fanatische Prozessionen, das Kricketspiel, den Kampf zwischen Brahmanen, Banias, Jatavs und anderen Kasten, die Bodenreform nach dem Abzug der englischen Kolonialherren, die Einzelheiten der Parlamentswahlen von 1952 und andere Details der indischen Sozialgeschichte.

Das ist von beachtlichem Informationswert für alle, die bereit sind, die Fabel des Romans immer wieder für weite Strecken aus den Augen zu verlieren. Indische Leser (die wohl in England den Großteil ausmachen) und hiesige Indologen kommen zweifellos auf ihre Kosten. Wer hingegen weniger bereit ist, in das Innenleben der jungen indischen Republik einzutauchen, wird bei aller Seriosität der Informationen irgendwo im Dickicht der Fakten, Tabellen und Protokollauszüge auf der Strecke bleiben - oder sich durch das Überschlagen von Seiten nur auf Latas Suche nach dem Ehemann konzentrieren.

Vikram Seth breitet ein merkwürdiges Wortgebirge vor uns aus. Man wird ihm gewiß nicht gerecht, wenn man sich nur an seiner Detailbesessenheit stört, zumal einzelne Abschnitte durchaus erzählerische Kraft verraten. Seth lehrt uns vieles über die tradierten und festgefahrenen Verhaltensformen des indischen Mittelstands und das politische Reifen des Subkontinents. Aber wieviel bewegender könnte dieser Roman, der die menschliche ebenso wie die politische Toleranz unter den Religionen auf sympathische Weise predigt, sein, wenn sich zu der ordnenden Hand des Autors auch noch eine suggestivere, eigenständige Handschrift und mehr Ökonomie im Umgang mit seinen Stoffmassen gesellten. Als nächstes plant der Autor ein Theaterstück. Da werden die Intendanten für das richtige Zeitmaß sorgen müssen. MATTHIAS WEGNER

Vikram Seth: "Eine gute Partie". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Annette Grube. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1995. 1422 S., geb., 68,- DM.

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