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Produktdetails
  • Verlag: Hirmer
  • ISBN-13: 9783777466804
  • Artikelnr.: 24734755
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.1996

Nur zwölf Sekunden
Wilhelm Holderieds "Land Art" am Münchner Flughafen

Christo ist daran schuld, daß kaum einer Wilhelm Holderied kennt. Seinetwegen hatte alle Welt aufgeregt nach Berlin geschaut, wo der amerikanische Künstler mit kilometerlangen Bahnen aus silbernem Stoff das Reichstagsgebäude in eine Plastik verwandelte - und übersehen, daß etwa zur gleichen Zeit am anderen Ende des Landes das wohl größte Werk deutscher "Land Art" entstand, dieses freilich von Dauer. Zumindest bis in das Jahr 2004 wird es erhalten bleiben. Solange läuft vorerst der Pachtvertrag für das Grundstück am Münchner Flughafen Erdinger Moos, auf dem die "Insel für die Zeit" angelegt worden ist.

Ein symbolträchtiges Muster hat der Münchner Maler Wilhelm Holderied gemeinsam mit dem Bildhauer Karl Schlamminger dafür entworfen: halb Schnecke, halb liegende Acht, das Zeichen für Unendlichkeit. Als Relief in der Landschaft entstand es allein durch die Umschichtung des Bodens, gerade so wie das in den Kies geharkte Ornament eines Zen-Gartens - nur viel größer. Den zarten Rechen des Mönchs ersetzten hier mächtige Bagger und Schubraupen. Mehr als 260 Meter ist die Skulptur lang, knapp 170 Meter ist sie breit.

Im Zentrum der Arbeit laufen metertiefe Furchen und meterhohe Wälle konzentrisch um einen Punkt, am Rand trennen sich die Linien vom Kreis, laufen ein Stück als gerades Band, drehen sich zur Schlaufe und fransen schließlich im Gelände aus. Statik und fließende Bewegung verschmelzen miteinander.

Der "Spiral Jetty" von Robert Smithson kommt dem Betrachter in den Sinn, der spiralförmige Anlegesteg aus Steinbrocken im Great Salt Lake von Utah. Und auch an die Zick-Zack-Linien, die Michael Heizer in die Wüste Nevadas gegraben hat, erinnert die Skulptur. Doch Vorbild für die beiden deutschen Künstler waren vor allem die mystischen Geoglyphen aus Nasca, jene tausend Jahre alten gigantischen Muster und Tierbilder, von denen manche glauben, sie seien Botschaften an ein fernes Universum. Wie die fernen Vorläufer ist auch das Erdzeichen von Holderied und Schlamminger nur vom Himmel aus zu sehen.

Ihre "Insel für die Zeit", sagen die beiden Künstler, sei die erste Plastik der Welt, die gezielt für Fluggäste konzipiert worden sei. Zwölf Sekunden, so haben die beiden gemessen, kann man sie bei Start und Landung zwischen der Autobahn München-Deggendorf und den Rollfeldern des neuen Flughafens sehen - dann verschwindet sie wieder aus dem Blickfeld. Grund genug, ihr in einem Bildband Dauer zu verleihen. Mit Skizzen, Karten und Fotografien wird darin die Entstehung der Skulptur von den ersten Entwürfen und Modellen über die Arbeit auf der Großbaustelle bis zum fertigen Objekt dokumentiert, das sich fortan mit dem Wandel der Jahreszeiten in immer anderen Farben präsentieren soll: mal mit Raps oder Mohn, mal mit Rasen bewachsen oder versteckt unter dem Schnee. Jedesmal, dies zeigt das Buch schon jetzt, ergibt sich ein neues Bild von irritierender Schönheit. FREDDY LANGER

"Eine Insel für die Zeit". Hrsg. v. Wilhelm Holderied. Hirmer Verlag, München 1995. 128 S., 86 Abb., geb., 58,- DM.

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