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Wie lebt man in Ländern, in denen die Religion Vehikel politischer Veränderungen ist? Wie lebt man unter der Herrschaft des Islam? Das ist die Frage, die Naipaul den Ajatollahs, Studenten, Mullahs, Dichtern, Lehrern, Journalisten und anderen Gläubigen stellt. Iran, Pakistan, Malaysia und Indonesien sind seine Reiseziele. Es entstehen Porträts von seltener Lebendigkeit, Szenen von Schärfe und Genauigkeit. Manche dieser Porträts verdichten sich zu gestalten von exemplarischer Gültigkeit, wie bei Behzad, dem kommunitischen Studenten aus Teheran, der auf eine Fortentwicklung der religiösen…mehr

Produktbeschreibung
Wie lebt man in Ländern, in denen die Religion Vehikel politischer Veränderungen ist? Wie lebt man unter der Herrschaft des Islam? Das ist die Frage, die Naipaul den Ajatollahs, Studenten, Mullahs, Dichtern, Lehrern, Journalisten und anderen Gläubigen stellt. Iran, Pakistan, Malaysia und Indonesien sind seine Reiseziele. Es entstehen Porträts von seltener Lebendigkeit, Szenen von Schärfe und Genauigkeit. Manche dieser Porträts verdichten sich zu gestalten von exemplarischer Gültigkeit, wie bei Behzad, dem kommunitischen Studenten aus Teheran, der auf eine Fortentwicklung der religiösen Volksbewegung hofft, am Ende der Reise jedoch, tief enttäuscht, seine eigene Verfolgung befürchten muß.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2001

Den Gläubigen auf der Spur
Der Literatur-Nobelpreisträger V. S. Naipaul bereist die Welt des Islams

V. S. Naipaul: Eine islamische Reise. Deutscher Taschenbuch Verlag, Stuttgart, 1993, 609 Seiten, 24,90 Mark.

Die Verleihung des diesjährigen Nobelpreises für Literatur an V. S. Naipaul spricht dafür, daß sich das Verleihungs-Komitee in Stockholm der Tiefe der gegenwärtigen Weltkrise um den Terrorismus und die Taliban in Afghanistan bewußt ist. Der Geehrte ist ein Mann der Dritten Welt, geboren auf Trinidad in der Karibik, von indischer Abstammung und in England lebend, und hat sich immer wieder mit dem Islam befaßt. Dem Sproß einer Brahmanen-Familie ist auch die Geschichte seiner indischen Heimat sehr vertraut. Sie ist das tausend Jahre alte Drama einer Auseinandersetzung zwischen Hindus und Muslimen, zwischen Eroberern und Untertanen, die schließlich, als die britische Kolonialherrschaft anbrach, beide zu Beherrschten wurden. Nationale und religiöse Leidenschaften von Muslimen wie Hindus trugen zum Ende der britischen Herrschaft, des Raj, bei - und zur Entstehung der Staaten Indien, Pakistan und Bangladesh, das allerdings als Ost-Pakistan bis zur Sezession zunächst zu Pakistan gehörte.

Im Jahre 1981 veröffentlichte Naipaul ein Buch mit dem Titel "Among the Believers. An Islamic Journey", das auf deutsch den etwas unverfänglicheren, fast beschaulichen Titel "Eine islamische Reise" erhielt. Man hätte da leicht an Hermann Hesse oder an Waldemar Bonsels' "Indienfahrt" denken können. Es ist freilich ein Reisebuch ganz unbeschaulicher Art. Auf sechshundert Seiten erweist sich Naipaul als interessierter, doch innerlich neutraler Beobachter mit großer Sympathie für die Menschen, die er in knappen, unentrüsteten Worten schildert.

Wichtig ist, daß der Autor nicht den eigentlichen Kernraum des Islams bereiste und widerspiegelte, also Ägypten, die Arabische Halbinsel oder Syrien, sondern jene Regionen, in die der Islam als Eroberer oder durch die Mission von Kaufleuten und Sufis vordrang, die aber schon lange nicht mehr als Peripherie angesprochen werden können. In der Region zwischen Iran und Indonesien lebt heute sogar der überwiegende Teil der Muslime, ein Faktum, das in der Vergangenheit oft übersehen wurde. Und es ist eine Region, die von enormer Bevölkerungsexplosion, großer Armut, bisweilen aber auch - wie etwa in Malaysia - von Aufbrüchen zur wirtschaftlichen Moderne gekennzeichnet ist.

Naipaul widmet sich in diesem Buch weitgehend den einfachen Menschen. In Iran, das gerade die islamische Revolution hinter sich hat, versucht er im Gespräch mit Studenten und Taxifahrern, Journalisten und Frauen dahinterzukommen, was sie sich von der Revolution erhoffen. Zu jener Zeit herrschte bei vielen Iranern noch die Meinung, man werde auf der Grundlage des Islams eine bessere Gesellschaft aufbauen. Auch in Pakistan, einem Staat, dessen Daseinsgrund der Islam gewesen ist, trifft Naipaul auf Regungen des Islamismus, auf die Frage, was ein islamischer Staat eigentlich zu sein habe. Aber auch schon auf ein zwiespältiges Verhältnis zum Westen, den man bewundert und doch als fremd empfindet. Daneben erlebt er Zeugnisse individueller Frömmigkeit. Zu einer Zeit, da dieser Begriff noch nicht abgegriffen war, spürt der Autor heraus, daß es den Menschen in den von ihm bereisten Ländern um ihre "Identität" geht. Ganz besonders in den "Tigerstaaten" Indonesien und Malaysia, wo mehr als zweihundert Millionen Muslime leben und eine ethnische und religiöse Vielfalt zu beobachten ist. Heute spricht man von "Globalisierung". Schon damals war der Islam in Unruhe, hatten Islamisten die Große Moschee in Mekka vorübergehend besetzt, islamische "Studenten" in Iran das amerikanische Botschaftspersonal zu Geiseln genommen. Es lohnt sich, dies alles nachzulesen, um etwas über die Stimmung der Menschen zu erfahren. Sie ist heute ähnlich, aber schärfer. Je mehr Naipaul seine Gesprächspartner versteht, desto stärker wird dem Skeptiker und entschiedenen Agnostiker freilich deutlich, daß die Religion die Probleme dieser Menschen nicht wirklich lösen kann, daß sie zuvörderst auch Ausdruck ihrer Misere ist. Wie sein literarisches Vorbild Joseph Conrad registriert Naipaul illusionslos Hoffnungen und Leiden seiner islamischen Mitmenschen.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

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