Am 17. August 1988 explodiert wenige Minuten nach dem Start in Richtung Islamabad das Flugzeug des pakistanischen Präsidenten Zia ul-Haq. An Bord befinden sich neben dem Militärdiktator und treuesten Verbündeten der USA im Afghanistankrieg auch einige seiner ranghöchsten Generäle und der US-Botschafter Arnold Raphel. Bis heute ist es eine der großen offenen Fragen in der gewaltreichen Geschichte Pakistans, ob es sich bei dem mysteriösen Absturz um einen Unfall oder um ein Attentat handelte.
Mohammed Hanif greift dieses Ereignis auf und entwickelt daraus einen Roman mit anarchischer Komik und schwarzem Humor. Hatte die CIA ihre Finger im Spiel? Waren es pakistanische Generäle, unglücklich über ihre bevorstehende Pensionierung? Geschah es wegen des Fluches einer blinden Frau? Oder durch ein Geschenk der All Pakistan Mango Farmers Cooperative?
Auch könnte der Erzähler, der Luftwaffenkadett Ali Shigri, verantwortlich gewesen sein, der eigene Pläne verfolgt. Ebenso sein Freund Obaid, der jede Frage des Lebens mit einem Spritzer Eau de Toilette und einem Rilke-Zitat beantwortet und plötzlich verschwindet. Oder ist es am Ende doch Leutnant Bannon, der aus seinem Vietnamtrauma in Marihuanaträume fällt? Eine Kiste explodierender Mangos ist eine vielschichtige und brillant erzählte Satire über Männer, Macht und Militär, die vor dem historischen Hintergrund auch die Strukturen und Verstrickungen der gegenwärtigen globalen Politik aufdeckt.
Mohammed Hanif greift dieses Ereignis auf und entwickelt daraus einen Roman mit anarchischer Komik und schwarzem Humor. Hatte die CIA ihre Finger im Spiel? Waren es pakistanische Generäle, unglücklich über ihre bevorstehende Pensionierung? Geschah es wegen des Fluches einer blinden Frau? Oder durch ein Geschenk der All Pakistan Mango Farmers Cooperative?
Auch könnte der Erzähler, der Luftwaffenkadett Ali Shigri, verantwortlich gewesen sein, der eigene Pläne verfolgt. Ebenso sein Freund Obaid, der jede Frage des Lebens mit einem Spritzer Eau de Toilette und einem Rilke-Zitat beantwortet und plötzlich verschwindet. Oder ist es am Ende doch Leutnant Bannon, der aus seinem Vietnamtrauma in Marihuanaträume fällt? Eine Kiste explodierender Mangos ist eine vielschichtige und brillant erzählte Satire über Männer, Macht und Militär, die vor dem historischen Hintergrund auch die Strukturen und Verstrickungen der gegenwärtigen globalen Politik aufdeckt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2009Schrei nach Freiheit
Von brutalen Militärs und tödlichen Mangos: Das Debüt des pakistanischen Autors Mohammed Hanif ist eine bitterböse Satire über die Militärdiktatur seiner Heimat unter Zia-ul-Haq.
Dieser Roman kommt gerade zur rechten Zeit. Das politische System in Pakistan versinkt immer tiefer im Chaos, und die Talibanisierung des Landes schreitet gefährlich voran. Islamischer Fundamentalismus und Terrorismus sind die Stichworte, die man vor allem mit Pakistan verbindet. Aber gibt es auch eine literarische Kultur? Lange schon dringt aus dem Land kulturell kaum noch etwas zu uns vor. Gewiss, ein Band mit Erzählungen von Saadat Hasan Manto, dem modernen Klassiker Pakistans, wurde 2006 in Deutschland herausgebracht; seine "Schwarzen Notizen" behandeln die Grausamkeiten während der Teilung des indischen Subkontinents. Unvergessen ist auch Bapsi Sidhwas Roman "Ice Candy Man"; der 1990 auf Deutsch erschien.
Doch die Woge englischschreibender indischer Schriftsteller des indischen Subkontinents, die seit gut zwei Jahrzehnten auch international präsent sind, hat in deutscher Übersetzung bisher nur eine pakistanische Autorin hochgespült, Kamila Shamsiem, von der seit 2004 drei Romane in rascher Folge übersetzt worden sind. Andere pakistanische Schriftsteller, die inzwischen in London und New York beachtet werden, etwa Mohsin Hamid, Nadeen Aslam oder Daniyal Mueenuddin, kennt man bei uns nicht einmal mit Namen. Bei einem von ihnen, Mohammed Hanif, könnte sich das jetzt jedoch ändern. Hanifs Debüt ist eine bitterböse Satire über die pakistanische Zeitgeschichte, die bei ihrem Erscheinen im vorigen Jahr in den angelsächsischen Ländern und in Indien hoch gelobt wurde.
Der ehemalige Pilot der pakistanischen Luftwaffe verflicht darin zwei Erzählstränge miteinander. Der eine befasst sich mit der Politik des Militärdiktators Mohammed Zia-ul-Haq, der 1988 zusammen mit Generälen sowie dem amerikanischen Botschafter an Bord seines Dienstflugzeuges abstürzte. Bis heute ist nicht geklärt, ob es sich dabei um ein Attentat oder ein Unglück handelt. Mit dem Absturz ging die elf Jahre währende Militärdiktatur zu Ende, die eine zunehmende Islamisierung des Landes, aber auch den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan erlebte. Der zweite Strang beschreibt aus der Sicht des Unteroffiziers Ali Shigri die Machenschaften an der Militärakademie, die Stupidität des Militärlebens, den Stumpfsinn der Generäle und des Systems, das lediglich ihrer Selbsterhaltung zu dienen scheint.
Erst nach und nach erfährt der Leser, dass mehrere Personen zugleich einen Komplott ausbrüten, mit dem Ziel, den Diktator Zia zu ermorden. Ali Shigri möchte den Tod seines Vaters rächen, der Chef des Geheimdienstes will die Macht an sich reißen. Die Gewerkschaft der Mangopflanzer schmuggelt mehrere Kisten mit Mangos in Zias Maschine, in denen, wie es heißt, Nervengas versteckt sei. So verbindet sich der Erzählstrang immer enger mit dem Leben des gottesfürchtigen Zia, der - getrieben von einer Mischung aus Sendungsbewusstsein und Todesangst - zur lächerlichen Figur wird und alles daransetzt, dass die Öffentlichkeit ihn dennoch ernst nimmt. Zuletzt kommt es zu einer grotesken Szene im Flugzeug, das außer Kontrolle gerät, als Zia mit aufgeblasenen Gesten Allah bittet, ihn zu retten.
Die Handlung entwickelt sich zunächst mit der uhrwerkhaften Präzision eines Spionagethrillers. Rasant geschrieben, frech, ruppig und kühl im Ton, detailreich in der Evokation der Militärsphäre, wird das marode und menschenverachtende System der Diktatur geschildert. Die Kleinen kuschen nach oben, die Mächtigen treten nach unten. Hanif deckt in schockierenden Szenen den Mechanismus von psychologischer und physischer Folter auf, so dass in englischsprachigen Rezensionen sogar vom pakistanischen GULag die Rede war.
Zweifellos hat Hanif großes Erzähltalent. Mit wenigen derben Pinselstrichen kreiert er Szenen von schwarzer Komik und von bitterem Sarkasmus, ohne je in Larmoyanz oder Kitsch abzustürzen. Keine Szene erscheint ihm zu heikel, weder eine homosexuelle Liaison zweier Kadetten noch die intime Beziehung des Diktators zu seiner Frau. Wie eng sich die Beschreibung von Zias Leben und politischem Wirken an die historische Wahrheit hält, ist schwer auszumachen. Dem Leser erscheint die Figur in ihrer bedauerlichen Komik durchaus rund und adäquat gestaltet.
In der zweiten Hälfte des Romans hätte Hanif dann aber die vielen Handlungsfäden verknüpfen und zu einem kompakten Abschluss führen müssen. Doch da geht sein Erzähltemperament dann doch mit ihm durch. Allzu spät führt er noch neue Figuren ein, eine blinde Frau etwa, die nach ihrer Vergewaltigung zum Tod durch Steinigen verurteilt wird. Nebenhandlungen führen in Sackgassen und verkommen zum Reportagestil, Andeutungen werden nicht mehr aufgegriffen, das Schürzen des Knotens misslingt. Trotzdem endet die Lektüre mit dem Eindruck, dass hier ein brisantes Stück Wirklichkeit authentisch dargestellt wird. Kein Wunder, dass in Pakistan kein Verlag bereit ist, den Roman zu veröffentlichen. Die hervorragende, im Ton immer stimmige Übersetzung von Ursula Gräfe trägt entscheidend zum Erfolg bei. Mohammed Hanif, der nach einem Jahrzehnt in England heute wieder in Karachi lebt, ist die scharfe Stimme eines nach einer gerechten, modernen Gesellschaft rufenden Pakistan. Möge sie nicht untergehen.
MARTIN KÄMPCHEN
Mohammed Hanif: "Eine Kiste explodierender Mangos". Roman. Aus dem Englischen von Ursula Gräfe. A1 Verlag, München 2009. 384 S., geb., 22,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von brutalen Militärs und tödlichen Mangos: Das Debüt des pakistanischen Autors Mohammed Hanif ist eine bitterböse Satire über die Militärdiktatur seiner Heimat unter Zia-ul-Haq.
Dieser Roman kommt gerade zur rechten Zeit. Das politische System in Pakistan versinkt immer tiefer im Chaos, und die Talibanisierung des Landes schreitet gefährlich voran. Islamischer Fundamentalismus und Terrorismus sind die Stichworte, die man vor allem mit Pakistan verbindet. Aber gibt es auch eine literarische Kultur? Lange schon dringt aus dem Land kulturell kaum noch etwas zu uns vor. Gewiss, ein Band mit Erzählungen von Saadat Hasan Manto, dem modernen Klassiker Pakistans, wurde 2006 in Deutschland herausgebracht; seine "Schwarzen Notizen" behandeln die Grausamkeiten während der Teilung des indischen Subkontinents. Unvergessen ist auch Bapsi Sidhwas Roman "Ice Candy Man"; der 1990 auf Deutsch erschien.
Doch die Woge englischschreibender indischer Schriftsteller des indischen Subkontinents, die seit gut zwei Jahrzehnten auch international präsent sind, hat in deutscher Übersetzung bisher nur eine pakistanische Autorin hochgespült, Kamila Shamsiem, von der seit 2004 drei Romane in rascher Folge übersetzt worden sind. Andere pakistanische Schriftsteller, die inzwischen in London und New York beachtet werden, etwa Mohsin Hamid, Nadeen Aslam oder Daniyal Mueenuddin, kennt man bei uns nicht einmal mit Namen. Bei einem von ihnen, Mohammed Hanif, könnte sich das jetzt jedoch ändern. Hanifs Debüt ist eine bitterböse Satire über die pakistanische Zeitgeschichte, die bei ihrem Erscheinen im vorigen Jahr in den angelsächsischen Ländern und in Indien hoch gelobt wurde.
Der ehemalige Pilot der pakistanischen Luftwaffe verflicht darin zwei Erzählstränge miteinander. Der eine befasst sich mit der Politik des Militärdiktators Mohammed Zia-ul-Haq, der 1988 zusammen mit Generälen sowie dem amerikanischen Botschafter an Bord seines Dienstflugzeuges abstürzte. Bis heute ist nicht geklärt, ob es sich dabei um ein Attentat oder ein Unglück handelt. Mit dem Absturz ging die elf Jahre währende Militärdiktatur zu Ende, die eine zunehmende Islamisierung des Landes, aber auch den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan erlebte. Der zweite Strang beschreibt aus der Sicht des Unteroffiziers Ali Shigri die Machenschaften an der Militärakademie, die Stupidität des Militärlebens, den Stumpfsinn der Generäle und des Systems, das lediglich ihrer Selbsterhaltung zu dienen scheint.
Erst nach und nach erfährt der Leser, dass mehrere Personen zugleich einen Komplott ausbrüten, mit dem Ziel, den Diktator Zia zu ermorden. Ali Shigri möchte den Tod seines Vaters rächen, der Chef des Geheimdienstes will die Macht an sich reißen. Die Gewerkschaft der Mangopflanzer schmuggelt mehrere Kisten mit Mangos in Zias Maschine, in denen, wie es heißt, Nervengas versteckt sei. So verbindet sich der Erzählstrang immer enger mit dem Leben des gottesfürchtigen Zia, der - getrieben von einer Mischung aus Sendungsbewusstsein und Todesangst - zur lächerlichen Figur wird und alles daransetzt, dass die Öffentlichkeit ihn dennoch ernst nimmt. Zuletzt kommt es zu einer grotesken Szene im Flugzeug, das außer Kontrolle gerät, als Zia mit aufgeblasenen Gesten Allah bittet, ihn zu retten.
Die Handlung entwickelt sich zunächst mit der uhrwerkhaften Präzision eines Spionagethrillers. Rasant geschrieben, frech, ruppig und kühl im Ton, detailreich in der Evokation der Militärsphäre, wird das marode und menschenverachtende System der Diktatur geschildert. Die Kleinen kuschen nach oben, die Mächtigen treten nach unten. Hanif deckt in schockierenden Szenen den Mechanismus von psychologischer und physischer Folter auf, so dass in englischsprachigen Rezensionen sogar vom pakistanischen GULag die Rede war.
Zweifellos hat Hanif großes Erzähltalent. Mit wenigen derben Pinselstrichen kreiert er Szenen von schwarzer Komik und von bitterem Sarkasmus, ohne je in Larmoyanz oder Kitsch abzustürzen. Keine Szene erscheint ihm zu heikel, weder eine homosexuelle Liaison zweier Kadetten noch die intime Beziehung des Diktators zu seiner Frau. Wie eng sich die Beschreibung von Zias Leben und politischem Wirken an die historische Wahrheit hält, ist schwer auszumachen. Dem Leser erscheint die Figur in ihrer bedauerlichen Komik durchaus rund und adäquat gestaltet.
In der zweiten Hälfte des Romans hätte Hanif dann aber die vielen Handlungsfäden verknüpfen und zu einem kompakten Abschluss führen müssen. Doch da geht sein Erzähltemperament dann doch mit ihm durch. Allzu spät führt er noch neue Figuren ein, eine blinde Frau etwa, die nach ihrer Vergewaltigung zum Tod durch Steinigen verurteilt wird. Nebenhandlungen führen in Sackgassen und verkommen zum Reportagestil, Andeutungen werden nicht mehr aufgegriffen, das Schürzen des Knotens misslingt. Trotzdem endet die Lektüre mit dem Eindruck, dass hier ein brisantes Stück Wirklichkeit authentisch dargestellt wird. Kein Wunder, dass in Pakistan kein Verlag bereit ist, den Roman zu veröffentlichen. Die hervorragende, im Ton immer stimmige Übersetzung von Ursula Gräfe trägt entscheidend zum Erfolg bei. Mohammed Hanif, der nach einem Jahrzehnt in England heute wieder in Karachi lebt, ist die scharfe Stimme eines nach einer gerechten, modernen Gesellschaft rufenden Pakistan. Möge sie nicht untergehen.
MARTIN KÄMPCHEN
Mohammed Hanif: "Eine Kiste explodierender Mangos". Roman. Aus dem Englischen von Ursula Gräfe. A1 Verlag, München 2009. 384 S., geb., 22,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Sigrid Löffler macht im Debütroman "Eine Kiste explodierender Mangos" von Mohammed Hanif die Entdeckung eines äußerst zynischen und bitterbösen Autors, der sich mit seinem Thriller als eines "Großmeisters" wie John Le Carre ebenbürtig erweist, wie sie preist. Der als Reporter für die BBC in Karachi berichtende Journalist erzählt vom Ende des Gewaltherrschers Zia ul-Haq, dem Pakistan die radikale Islamisierung verdankt und dessen Tod bei einem Flugzeugabsturz nie aufgeklärt wurde (mit an Bord: sein Geheimdienstchef und der amerikanische Botschafter). Parallel dazu erzählt er vom etwas ungefestigten Luftwaffen-Kadetten Shigri, der in die finsteren Machenschaften des Geheimdienstes ISI verstrickt wird. Außerdem liest sie aus dem Roman heraus, dass Hanif sich Mario Vargas Llosas "böse Sage" über den Diktator Trujillo zur Vorlage genommen hat. Wo allerdings der peruanische Autor "kitschiges Kolportage-Beiwerk" einflicht, konzentriere sich Hanif mit messerscharfem Blick auf die politischen Vorgänge, stellt Löffler anerkennend fest. Und so feiert sie den Autor nicht nur wegen seiner mit "hinterhältiger Ironie" aufgeladenen Dialoge als ein Meister "perfider, mehrdeutiger Tonfälle" und zeigt sich von diesem Roman rundum begeistert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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