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Produktdetails
  • Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek (KKB)
  • Verlag: Wagenbach
  • Seitenzahl: 126
  • Abmessung: 223mm x 136mm x 10mm
  • Gewicht: 292g
  • ISBN-13: 9783803151629
  • Artikelnr.: 25159688
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Der Schönheitsschlaf der Griechen

Keine Epoche nach der Antike kam an der Kunst der Griechen und Römer vorbei: Das Mittelalter reagierte mit Haßliebe, verabscheute die "heidnischen Götzen" und bezog sie doch immer wieder in die eigene Kunst ein. Die Renaissance sah in ihr den Spiegel der eigenen "Lust zu leben". Das Barock schätzte die Sinnenfreude antiker Kunstwerke, der Klassizismus errötete vor ihnen. Letzterem stand schon die Archäologie bei, freudig bewahrend, entdeckend - und prüde kanonisierend.

Daß die Antike spätestens seit dem Hellenismus eine "Kunst der Sinne" befördert hat, wurde noch nie bestritten. Ihre oft krasse Sinnlichkeit freilich lähmte seit Winckelmann so manchem Zunge und Stift. Endlosbahnen von Papier sind mit Schilderungen der Grazie und edlen Schönheit der "Aphrodite Kallipygos" bedruckt worden. Doch die maliziöse Erotik, mit der sie wie eine begnadete Pornodarstellerin selbstverliebt lächelnd ihr entblößtes Hinterteil anschaut, das sie dem Betrachter in raffiniert berechneter Absichtslosigkeit zuwendet, blieb im Halbdunkel der Nebensätze. Viele antike Darstellungen verdanken ihren Ruhm der Gratwanderung zwischen Sinn und Sinnlichkeit, Sex und Eros, die die Archäologie noch immer mit gleichsam halb abgewandtem Blick verfolgt.

Einer der berühmtesten Protagonisten in diesem Zusammenhang ist der "Barberinische Faun", jener nackte junge Athlet aus der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts vor Christus, der sich schlafend mit gespreizten Beinen auf einem Felsen räkelt. Seine laszive Pose ist der Stolz der Münchner Glyptothek und bis heute ein Zentralbild homoerotischer Luxusbände und Magazine, die fokussieren, was die offiziellen Deutungen umschreiben. Paul Zankers Analyse ist frei von dieser bifokalen Zensur: Bei der "direkten körperlichen Konfrontation" des Satyrs sei es um die "Entdeckung der Sinne, nicht um Reflexion" gegangen. Dem stimulierenden Überfall dieser Statue stellt Zanker den berühmten späthellenistischen "Trunkenen Faun" gegenüber. Rund einhundert Jahre nach dem nur vordergründig reglosen Schläfer entstanden, demselben gestischen Repertoire verpflichtet, ist der hellwache Rausch dieses Naturwesens in einem "unproblematischen, leicht ablesbaren" und auf Frontalansicht berechneten Bildnis konzentriert. Wie die antiken Künstler es dem Betrachter einst überließen, welche Sinnlichkeit er selbst in dieser Sinnenfreude beanspruchte, so überläßt Paul Zanker es dem Leser, darin die seine zu entdecken. DIETER BARTETZKO

Paul Zanker: "Eine Kunst für die Sinne". Zur Bildersprache des Dionysos und der Aphrodite. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1998. 96 S., Abb., br., 29,- DM.

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