Jakub Procházka, erster Raumfahrer der tschechischen Geschichte, träumt davon, seinem Land Ruhm und Ehre zu bringen. Doch nach dreizehn einsamen Wochen im All beginnen Jakubs Sinne verrückt zu spielen. Als dann auch noch seine Frau mit ihm Schluss macht, nimmt die Mission einen ungeahnten Lauf.
April 2018: Die JanHus 1, das erste Raumschiff in der tschechischen Geschichte, erhebt sich in den Himmel. Eine ganze Nation ist auf den Beinen, um den Start vom staatseigenen Kartoffelacker aus mitzuverfolgen. Die Besatzung besteht aus einem einzigen Raumfahrer: Jakub Procházka, Spross einer Kollaborateursfamilie und Professor für Astrophysik mit einschlägiger Erfahrung in der Erforschung interstellaren Staubs. Nach dreizehn eintönigen Wochen im All ist der Forscherdrang Jakubs jedoch beinahe erloschen. Einziger Lichtblick sind die wöchentlichen Video-Chats mit seiner Frau Lenka. Doch als die ihn verlässt, gerät Jakubs Leben im Orbit in Schieflage. Und als wäre das nicht genug,schleicht sich auch noch ein haariger, achtbeiniger Mitbewohner in Jakubs Raumschiff ein. Jaroslav Kalfars Debüt ist verrrückt und voll überbordender Phantasie, dabei romantisch und ein klein wenig philosophisch.
April 2018: Die JanHus 1, das erste Raumschiff in der tschechischen Geschichte, erhebt sich in den Himmel. Eine ganze Nation ist auf den Beinen, um den Start vom staatseigenen Kartoffelacker aus mitzuverfolgen. Die Besatzung besteht aus einem einzigen Raumfahrer: Jakub Procházka, Spross einer Kollaborateursfamilie und Professor für Astrophysik mit einschlägiger Erfahrung in der Erforschung interstellaren Staubs. Nach dreizehn eintönigen Wochen im All ist der Forscherdrang Jakubs jedoch beinahe erloschen. Einziger Lichtblick sind die wöchentlichen Video-Chats mit seiner Frau Lenka. Doch als die ihn verlässt, gerät Jakubs Leben im Orbit in Schieflage. Und als wäre das nicht genug,schleicht sich auch noch ein haariger, achtbeiniger Mitbewohner in Jakubs Raumschiff ein. Jaroslav Kalfars Debüt ist verrrückt und voll überbordender Phantasie, dabei romantisch und ein klein wenig philosophisch.
buecher-magazin.deBöhmen liegt bekanntlich nicht am Meer und verfügt auch über kein eigenes Raumfahrtprogramm. Doch da in der Literatur alles möglich ist, hat Jaroslav Kalfa mit Shakespeare - der einst das Land der Tschechen an die Küste verlegte - gleichgezogen. Jakub Procházka heißt der erste Böhme im All, wohin er reisen soll, um einen Weltraumnebel zu erkunden, der sich nicht mehr von der Stelle bewegt. Das galaktische Phänomen ist von hochsymbolischer Bedeutung, denn auch in Jakubs Privatleben liegt ein Nebel zwischen ihm und seiner Frau. Der Astronaut aber bemerkt ihn erst, als er monatelang im All ausharren muss. Obwohl: nicht ganz allein. Jakub bekommt Gesellschaft von einem klugen Weltraumwesen, das vielleicht eine Halluzination ist, vielleicht auch nicht. Er tauft es Hanuš, nach dem Erbauer der Prager Aposteluhr. Auch das ist natürlich hochsymbolisch. Das toll erzählte, kafkaesk-burleske Weltraumabenteuer des Jakub Procházka ist nämlich nicht zuletzt ein veritabler Sehnsuchtsroman. Und der in Brooklyn auf Englisch schreibende Autor, der mit 15 Jahren aus Prag in die USA zog, bringt außer jeder Menge Heimatliebe sogar noch eine Abrechnung mit der jüngeren tschechischen Vergangenheit darin unter.
© BÜCHERmagazin, Katharina Granzin (kgr)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.09.2017Ein Wiedersehen mit Laika
Weltgeschichte im All – ein tschechischer Raumfahrerroman
Seit Monaten schon ist Jakub Procházka unterwegs. Er soll die geheimnisvolle lila Wolke erforschen, die sich vor die Venus geschoben hat, er ganz allein, denn die Tschechische Republik kann es sich nicht leisten, mehr als einen Astronauten ins All zu schießen. Im April 2018 ist er mit seinem Raumschiff Jan Hus 1 von einem staatseigenen Kartoffelacker nahe bei Prag gestartet und gleitet jetzt zunehmend trübsinnig – denn während seiner Abwesenheit scheint seine Ehe zu zerbröckeln – durch die schwere- und ereignislose Leere. Da plötzlich sieht er etwas Ungewöhnliches. Er begibt sich an die Scheibe, um das Objekt genau zu studieren, und erblickt eine kleine Schnauze mit einem weißen Strich bis zur Stirn, gespitzte Ohren und weit geöffnete schwarze Augen, in denen sich die Unendlichkeit spiegelt, ein Wesen, das in einem dicken Gurtgeschirr steckt.
„Sie war es, Moskaus Ausgestoßene, die erste Heldin der Raumfahrt, ein Straßenköter, zum Stolz der Nation avanciert. Es war die Hündin Laika, konserviert durch die Gunst des luftleeren Raums, der zersetzenden Wirkung des Sauerstoffs entzogen.“ Jakub erwägt eine Bergungsaktion, lässt es dann aber bleiben. „Wozu sie nach Hause bringen, wo sie in der Erde verrotten oder in Moskaus Katakomben neben Lenins einbalsamierter Leiche liegen würde, da sie hier doch in alle Ewigkeit die Königin ihres Reichs war? Die Genossen Ingenieure hatten um sie geweint, als sie qualvoll starb, und der Staat hatte ihr zur Buße für seine Sünden ein Denkmal errichtet. Die Erde konnte ihr nicht noch mehr Ehre erweisen, der Kosmos aber schenkte ihr Unsterblichkeit.“ Hin und her wie Seegras weht ihr falbes Haar; und nichts kann verhindern, dass sie länger dauern wird als diejenigen, die sie in den Tod geschickt haben, ja als deren ganze Spezies.
Sie treibt vorüber als ein Symbol des ganzen Buchs, „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ des noch nicht dreißigjährigen Jaroslav Kalfař, eines gebürtigen Tschechen, der aber, seit er fünfzehn ist, in den USA wohnt; das Original, sein Debüt, ist englisch geschrieben. Wie die im Tod verewigte Hündin hält sein Roman die Schwebe zwischen Köter- und Heldentum, Ruhm und Melancholie.
Auch Jakub ist im Grunde ein solcher Köter, dem niemand an der Wiege sang, dass er dereinst der erste Tscheche im All und der Stolz der Nation sein würde. Sein Vater hatte treu dem alten kommunistischen System gedient; die Wende lässt ihn und seine Frau tief stürzen. Wenig später kommen sie unter ungeklärten Umständen ums Leben, und Jakub wächst im Haus seiner Großeltern auf dem Lande auf. Dort geht es ungefähr so zu, wie man sich das bei ostmitteleuropäischen Kleinbauern vorstellt, langsam, ärmlich, aber im Einklang mit den Rhythmen der Natur; Oma zieht ihr Gemüse, Opa schlachtet zweimal im Jahr ein Schwein, das immer Louda heißt und sich fidel im Schlamm wälzt, ehe der Tag kommt, wo es mit einem alten Armeerevolver erschossen wird, mit einem Wort: ein Idyll.
Es endet jäh, als eines Tages der „Schuhmann“ im Dorf erscheint, der darum so heißt, weil er stets einen großen eisernen Schuh mit sich führt. In diesem Schuh, so lässt er die kleine Familie wissen, hatte Jakubs Vater den Fuß des Schuhmanns eingezwängt und ihm dann Stromstöße durch den Körper gejagt, so lang, bis er alle Geständnisse unterschrieb, die man von ihm haben wollte. Nun ist die Stunde seiner Rache gekommen; er sorgt dafür, dass Jakub und seine Großeltern von Haus und Hof verjagt werden und fortan eine elende Existenz in der Großstadt führen.
Die Vorgeschichte bricht sich immer wieder Bahn, vor allem, als Jakub bei seiner einsamen Mission in der Jan Hus 1 dann doch einen Gefährten bekommt. Es ist ein Alien von der Gestalt einer großen Spinne – einer Spinne allerdings mit rot geschminkten Lippen und gelben schiefen Zähnen –, der sich auf die Kunst versteht, Gedanken und Erinnerungen zu lesen. Er gleitet durch Raum und Äonen und steckt voller Neugier auf fremdartige Lebensformen. Am meisten entzücken ihn Jakubs Nutella-Vorräte. „Dünner Mensch“ nennt er Jakub, und dieser ihn „Hanuš“, im Gedenken an den gleichnamigen Erbauer der astronomischen Uhr am Altstädter Rathaus in Prag. Jan Hus hatte man als Ketzer verbrannt (obwohl der Roman daran Zweifel anmeldet) und Hanuš die Augen ausgestochen, damit er nie wieder so etwas Großartiges schaffen könne.
Erst waren es die Österreicher, die das tschechische Volk unterdrückt haben, dann die deutschen Nazis, schließlich die Sowjetrussen; und bis in die Gegenwart muss es darunter leiden, dass man es in Amerika mit den Tschetschenen verwechselt. Den eigenen Beitrag zu ihren Missgeschicken spielt die Nation herunter und zieht es vor, sich als ein kleines Land zu stilisieren, das den Mumm eines großen hat. Zu diesem Programm gehört die groteske Raummission, von der die Verantwortlichen sehr wohl ahnen, dass sie für den Astronauten ausgehen wird wie für die arme Laika. Aber so gewinnt das Land, was es am dringendsten braucht, ein Vorbild. Jakub, der durch eine Verkettung hanebüchener Zufälle dennoch gerettet wird, kommt in die süßsaure Lage, die eigenen Nachrufe lesen und sein eigenes Denkmal besichtigen zu dürfen. Er beschließt, es dabei zu belassen, denn seine Auferstehung wäre eine Peinlichkeit für alle Beteiligten. Auch tut er Verzicht auf die geliebte treulose Gattin und führt fortan ein stilles unerkanntes Leben in seinem alten Dorf.
So recht befriedigend ist dieser Ausgang nicht. Die Handlung kommt noch vor Mitte des Buchs ins Stocken; dann haben lila Wolke, Spinnen-Alien und Ehefrust das Ende ihrer narrativen Möglichkeiten erreicht. Es folgt ein turbulenter Abschnitt mit slapstickhaften Zügen und geringer Folgerichtigkeit und darauf die besinnliche Einhausung ins Altbekannte, die das Buch bis fast zum Stillstand abbremst. Der Roman will viel auf einmal – zu viel. Das Buch startet als Schelmenroman, dessen Schelm mehr oder weniger ein ganzes Volk ist, welches seine historisch-ökonomischen Nachteile durch Schlitzohrigkeit und Erfindungsreichtum bei wackligem Gerät ausgleicht; arbeitet sodann die jüngste und nicht ganz so junge Historie der Tschechoslowakei auf; und landet bei einer elegisch-milden Geschichtsphilosophie, die sich über alle Dumpfheit und Grässlichkeit des Geschehenden damit hinwegtröstet, dass das Leben doch immer weitergeht. Wir, die Menschheit, waren, von einer kosmischen Warte aus betrachtet, so unwahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto – aber da sind wir! Der Überschwang der Weltumarmung setzt sich fort in den nicht endenden Danksagungen des Autors, an erster Stelle „meinem Land und meinen Leuten. Für ihren Widerstand, ihre Weisheit, ihre Kunst, das Essen und ihren Humor angesichts großer Notzeiten.“
Ein Wort noch zur deutschen Ausgabe. Der Verlag machte aus dem auf Einzigartigkeit zielenden „Spaceman of Bohemia“ (vom Autor proklamiert) den sachlich nicht gedeckten Titel „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ (das Ganze spielt in der Zukunft!), womit er unübersehbar an den Erfolg von „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ anzuknüpfen gedachte. Damit hat er Erwartung und Rezeption jedenfalls in eine Richtung gelenkt, die dem Autor nicht recht sein kann.
BURKHARD MÜLLER
Der neue Gefährte ist ein Alien,
von der Gestalt einer Spinn –
mit rot geschminkten Lippen
Es startet als Schelmenroman,
dessen Schelm mehr oder
weniger ein ganzes Volk ist
Jaroslav Kalfař: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt. Roman. Aus dem Amerikanischen von Barbara Heller. Tropen Verlag, Stuttgart 2017.
367 Seiten, 22 Euro.
E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Weltgeschichte im All – ein tschechischer Raumfahrerroman
Seit Monaten schon ist Jakub Procházka unterwegs. Er soll die geheimnisvolle lila Wolke erforschen, die sich vor die Venus geschoben hat, er ganz allein, denn die Tschechische Republik kann es sich nicht leisten, mehr als einen Astronauten ins All zu schießen. Im April 2018 ist er mit seinem Raumschiff Jan Hus 1 von einem staatseigenen Kartoffelacker nahe bei Prag gestartet und gleitet jetzt zunehmend trübsinnig – denn während seiner Abwesenheit scheint seine Ehe zu zerbröckeln – durch die schwere- und ereignislose Leere. Da plötzlich sieht er etwas Ungewöhnliches. Er begibt sich an die Scheibe, um das Objekt genau zu studieren, und erblickt eine kleine Schnauze mit einem weißen Strich bis zur Stirn, gespitzte Ohren und weit geöffnete schwarze Augen, in denen sich die Unendlichkeit spiegelt, ein Wesen, das in einem dicken Gurtgeschirr steckt.
„Sie war es, Moskaus Ausgestoßene, die erste Heldin der Raumfahrt, ein Straßenköter, zum Stolz der Nation avanciert. Es war die Hündin Laika, konserviert durch die Gunst des luftleeren Raums, der zersetzenden Wirkung des Sauerstoffs entzogen.“ Jakub erwägt eine Bergungsaktion, lässt es dann aber bleiben. „Wozu sie nach Hause bringen, wo sie in der Erde verrotten oder in Moskaus Katakomben neben Lenins einbalsamierter Leiche liegen würde, da sie hier doch in alle Ewigkeit die Königin ihres Reichs war? Die Genossen Ingenieure hatten um sie geweint, als sie qualvoll starb, und der Staat hatte ihr zur Buße für seine Sünden ein Denkmal errichtet. Die Erde konnte ihr nicht noch mehr Ehre erweisen, der Kosmos aber schenkte ihr Unsterblichkeit.“ Hin und her wie Seegras weht ihr falbes Haar; und nichts kann verhindern, dass sie länger dauern wird als diejenigen, die sie in den Tod geschickt haben, ja als deren ganze Spezies.
Sie treibt vorüber als ein Symbol des ganzen Buchs, „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ des noch nicht dreißigjährigen Jaroslav Kalfař, eines gebürtigen Tschechen, der aber, seit er fünfzehn ist, in den USA wohnt; das Original, sein Debüt, ist englisch geschrieben. Wie die im Tod verewigte Hündin hält sein Roman die Schwebe zwischen Köter- und Heldentum, Ruhm und Melancholie.
Auch Jakub ist im Grunde ein solcher Köter, dem niemand an der Wiege sang, dass er dereinst der erste Tscheche im All und der Stolz der Nation sein würde. Sein Vater hatte treu dem alten kommunistischen System gedient; die Wende lässt ihn und seine Frau tief stürzen. Wenig später kommen sie unter ungeklärten Umständen ums Leben, und Jakub wächst im Haus seiner Großeltern auf dem Lande auf. Dort geht es ungefähr so zu, wie man sich das bei ostmitteleuropäischen Kleinbauern vorstellt, langsam, ärmlich, aber im Einklang mit den Rhythmen der Natur; Oma zieht ihr Gemüse, Opa schlachtet zweimal im Jahr ein Schwein, das immer Louda heißt und sich fidel im Schlamm wälzt, ehe der Tag kommt, wo es mit einem alten Armeerevolver erschossen wird, mit einem Wort: ein Idyll.
Es endet jäh, als eines Tages der „Schuhmann“ im Dorf erscheint, der darum so heißt, weil er stets einen großen eisernen Schuh mit sich führt. In diesem Schuh, so lässt er die kleine Familie wissen, hatte Jakubs Vater den Fuß des Schuhmanns eingezwängt und ihm dann Stromstöße durch den Körper gejagt, so lang, bis er alle Geständnisse unterschrieb, die man von ihm haben wollte. Nun ist die Stunde seiner Rache gekommen; er sorgt dafür, dass Jakub und seine Großeltern von Haus und Hof verjagt werden und fortan eine elende Existenz in der Großstadt führen.
Die Vorgeschichte bricht sich immer wieder Bahn, vor allem, als Jakub bei seiner einsamen Mission in der Jan Hus 1 dann doch einen Gefährten bekommt. Es ist ein Alien von der Gestalt einer großen Spinne – einer Spinne allerdings mit rot geschminkten Lippen und gelben schiefen Zähnen –, der sich auf die Kunst versteht, Gedanken und Erinnerungen zu lesen. Er gleitet durch Raum und Äonen und steckt voller Neugier auf fremdartige Lebensformen. Am meisten entzücken ihn Jakubs Nutella-Vorräte. „Dünner Mensch“ nennt er Jakub, und dieser ihn „Hanuš“, im Gedenken an den gleichnamigen Erbauer der astronomischen Uhr am Altstädter Rathaus in Prag. Jan Hus hatte man als Ketzer verbrannt (obwohl der Roman daran Zweifel anmeldet) und Hanuš die Augen ausgestochen, damit er nie wieder so etwas Großartiges schaffen könne.
Erst waren es die Österreicher, die das tschechische Volk unterdrückt haben, dann die deutschen Nazis, schließlich die Sowjetrussen; und bis in die Gegenwart muss es darunter leiden, dass man es in Amerika mit den Tschetschenen verwechselt. Den eigenen Beitrag zu ihren Missgeschicken spielt die Nation herunter und zieht es vor, sich als ein kleines Land zu stilisieren, das den Mumm eines großen hat. Zu diesem Programm gehört die groteske Raummission, von der die Verantwortlichen sehr wohl ahnen, dass sie für den Astronauten ausgehen wird wie für die arme Laika. Aber so gewinnt das Land, was es am dringendsten braucht, ein Vorbild. Jakub, der durch eine Verkettung hanebüchener Zufälle dennoch gerettet wird, kommt in die süßsaure Lage, die eigenen Nachrufe lesen und sein eigenes Denkmal besichtigen zu dürfen. Er beschließt, es dabei zu belassen, denn seine Auferstehung wäre eine Peinlichkeit für alle Beteiligten. Auch tut er Verzicht auf die geliebte treulose Gattin und führt fortan ein stilles unerkanntes Leben in seinem alten Dorf.
So recht befriedigend ist dieser Ausgang nicht. Die Handlung kommt noch vor Mitte des Buchs ins Stocken; dann haben lila Wolke, Spinnen-Alien und Ehefrust das Ende ihrer narrativen Möglichkeiten erreicht. Es folgt ein turbulenter Abschnitt mit slapstickhaften Zügen und geringer Folgerichtigkeit und darauf die besinnliche Einhausung ins Altbekannte, die das Buch bis fast zum Stillstand abbremst. Der Roman will viel auf einmal – zu viel. Das Buch startet als Schelmenroman, dessen Schelm mehr oder weniger ein ganzes Volk ist, welches seine historisch-ökonomischen Nachteile durch Schlitzohrigkeit und Erfindungsreichtum bei wackligem Gerät ausgleicht; arbeitet sodann die jüngste und nicht ganz so junge Historie der Tschechoslowakei auf; und landet bei einer elegisch-milden Geschichtsphilosophie, die sich über alle Dumpfheit und Grässlichkeit des Geschehenden damit hinwegtröstet, dass das Leben doch immer weitergeht. Wir, die Menschheit, waren, von einer kosmischen Warte aus betrachtet, so unwahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto – aber da sind wir! Der Überschwang der Weltumarmung setzt sich fort in den nicht endenden Danksagungen des Autors, an erster Stelle „meinem Land und meinen Leuten. Für ihren Widerstand, ihre Weisheit, ihre Kunst, das Essen und ihren Humor angesichts großer Notzeiten.“
Ein Wort noch zur deutschen Ausgabe. Der Verlag machte aus dem auf Einzigartigkeit zielenden „Spaceman of Bohemia“ (vom Autor proklamiert) den sachlich nicht gedeckten Titel „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ (das Ganze spielt in der Zukunft!), womit er unübersehbar an den Erfolg von „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ anzuknüpfen gedachte. Damit hat er Erwartung und Rezeption jedenfalls in eine Richtung gelenkt, die dem Autor nicht recht sein kann.
BURKHARD MÜLLER
Der neue Gefährte ist ein Alien,
von der Gestalt einer Spinn –
mit rot geschminkten Lippen
Es startet als Schelmenroman,
dessen Schelm mehr oder
weniger ein ganzes Volk ist
Jaroslav Kalfař: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt. Roman. Aus dem Amerikanischen von Barbara Heller. Tropen Verlag, Stuttgart 2017.
367 Seiten, 22 Euro.
E-Book 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Man muss Jaroslav Kalfars böhmische Raumfahrtsgeschichte nicht an Kafka, Lem, Hasek oder Philipp K. Dick messen. Der junge tschechische Autor mit amerikanischem Pass und einem auf den rechten Unterarm tätowierten Astronauten bringt in seinem Romandebüt Realität und Fantasie auf eine durchaus eigene Formel.« Walter Famler, spectrum, 24.02.3018 »Der Roman platzt vor Geschichten und Fantastereien, weil sein einfallsreicher Autor mit so ungebremsten Erzähldrang bei der Sache ist. Ebenso groß ist dementsprechend auch der Lesedrang.« Katharina Granzin, taz, 13.02.2018 »"Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt", teilweise eine Auseinandersetzung mit der jüngsten tschechischen Geschichte, andererseits ein skurriler Sciene-Fiction, besticht vor allem durch die Fabulierkunst des geborenen Ich-Erzählers Jaroslav Kalfar.« Hans Durrer, buchkritik, 12.2017 »davon spricht dieser so überschäumend erzählte wie klug konstruierte Roman auf jeder Seite: Was hat sich durch den Systemwechsel geändert, was ist geblieben und was sind die Faktoren, die das eine wie das andere bewirken?« Tilman Spreckelsen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.08.2017 »Kalfar hat mit "Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt" einen rasanten, turbulenten Debütroman geschrieben; einen Roman, der an die frühen Bücher eines Jonathan Safran Foer oder eines Gary Shteyngart erinnert ... einen ebenso absurden wie realistischen, einen gleichermaßen komischen, klugen und melancholischen, vor allem aber als junger amerikanischer Autor einen typisch tschechischen Roman« Gerrit Bartels, Der Tagesspiegel, 03.08.2017 »In imaginärer Lichtgeschwindigkeit verbindet Kalfars Roman Politik, Märchen, Trash und die Geschichte einer scheiternden Liebe mit dem ersten und letzten Dingen. Steven Spielberg trifft auf Bohumil Hrabal.« Stefan Kister, Stuttgarter Zeitung, 07.08.2017 »Eine wunderbare Sommerüberraschung. Spannend, unterhaltsam, nie oberflächlich.« Irene Zöch, Die Presse, 20.08.2017 »[Kalfar] vermischt Elemente von Thriller, Science-Fiction und Liebesstory mit packenden Ausflügen in die Geschichte der Tschechischen Republik. Prager Geheimdienstler und ihre Opfer spielen ebenso mit wie Moskauer Himmelsstürmer.« Karin Grossmann, Sächsische Zeitung, 05./06.08.2017 »Mit Kalfars Werk erhält diese literarische Landschaft eine weitere Perspektive, die absolut lesenswert ist: die unmittelbare Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von persönlichen, kollektiven und historischen Erfahrungen, von tragischen und komischen Momenten. Großartig.« Martina Winkler, zeitgeschichte-online.de, 01.08.2017 »es ist ein herrlicher Unfug, den Jaroslav Kalfar da verfasst hat.« Katja Zimmermann, missmesmerized.wordpress.com, 31.07.2017 »Alles zusammen ergibt einen modernen, interessanten tschechisch-amerikanischen Roman, der davon lebt, dass der philosophisch veranlagte Kalfar seine Wurzeln erforscht und sie zugleich bis in die menschliche Seele und ins wundersame All ranken lässt.« Christian Endres, Geek!, August 2017