Hätten Sie gewusst, dass Mozart sich fürchterlich über die Einfallslosigkeit seiner Kompositionsschüler aufregen konnte? Dass Händel als Opernproduzent tätig war und mehrfach bankrott ging? Dass Beethoven trotz Taubheit noch dirigierte? Christiane Tewinkels Streifzug durch die Musikgeschichte führt zu klassisch gewordenen Meisterwerken und zu den großen Männern und Frauen, die sie geschrieben haben - von den alten Griechen bis in unsere Zeit. Ihr Rundgang lädt aber auch dazu ein, all jene kennen zu lernen, die im Hintergrund mitspielten: die singenden Mönche und findigen Klavierbauer, die Königinnen und Wunderkinder, die schönen Musen und selbst die Musikkritiker. "Eine kurze Geschichte der Musik" ist ohne Vorwissen lesbar: Christiane Tewinkel erzählt vergnüglich, lehrreich und höchst lebendig die Geschichten hinter der Musik, erklärt die wichtigsten Entwicklungen und macht überaus neugierig aufs Hören und Wiederhören der Musik aller Zeiten.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.09.2007Von überallher Töne dazu
Vom Zwitschern der Singvögel bis zur Neuen Musik in Darmstadt: Christiane Tewinkels frische, fesche und kurze Musikgeschichte
Als der französische Politiker Charles de Brosses Mitte des 18. Jahrhunderts die Opernhäuser Italiens besuchte, klagte er über die „Leere der langen Rezitative” und empfahl, bei Langeweile während der Vorstellung eine Partie Schach zu spielen. Bei der Lektüre von Christiane Tewinkels Büchlein „Eine kurze Geschichte der Musik” kommt man indes kaum zum Schachspielen, denn ihr schönes, schnelles und schlaues musikgeschichtliches Rezitativ kennt weder Leere, noch vermittelt es Langeweile. Ist das normal?
Schwer zu sagen, aber was ist schon normal? „Bin ich normal, wenn ich mich im Konzert langweile?”, fragte die Autorin mit dem Titel ihrer 2004 erschienenen „musikalischen Betriebsanleitung”, nun liefert die 1969 geborene Germanistin und Musikwissenschaftlerin sozusagen das Historienstück nach.
Während ihr großer Vorgänger Hans Heinrich Eggebrecht in seinem Standardwerk „Musik im Abendland” noch seitenweise jammerte, wie schwer es doch sei, eine Musikgeschichte zu verfassen, macht sich Tewinkel einfach frisch ans Werk und legt ein reichlich fesches Tempo vor, mehr allegro und vivace als adagio oder gar grave. Sie hat nur 245 Seiten Zeit und sehr genaue Vorstellungen: „So geht es mit der Musikgeschichte”, schreibt sie, „überall liegen Erzählstränge, die aufgenommen werden sollen, zusammengebunden und erläutert, der eine hübscher anzusehen als der andere.”
Ihre Freude an der Sache kann die Autorin nicht verbergen, ihre Kenntnisse in Komposition und Arrangement aber auch nicht. Eingeführte Leitmotive wie Musik und Zahl, Musik und Kirche, Musik und Verschriftung werden immer wieder aufgegriffen, Themen wie die Orpheus- oder die Tristan-Sage wiederholt angespielt, und so kommt uns Tewinkels erfrischendes, zuweilen naseweises Parlando schon fast wie eine musikkundliche Motette vor. Oder hat man so schon mal jemand den berüchtigten Tristanakkord beschreiben hören? „Wagner hatte es unscheinbar beginnen lassen, bloß ein kleiner Absprungton in den Violoncelli, dann alle zusammen, hep, nach oben, halten!, stärker werden, sehnsuchtsvoller! langsam nun hinuntersinken, und dann auf einmal, von überall her, Töne dazu und darum herum, Oboen, Klarinetten, Englischhorn, Fagotte: der Tristanakkord. Ausfasern, Stille.”
Und wie ganz nebenbei schreibt Tewinkel mit dieser kleinen Musik- auch noch eine große Sozialgeschichte; denn Musik war immer, fast immer eine öffentliche Kunst, ein Klang ihrer Zeit. Hätte uns der Heiland nicht am Kreuz erlöst, hätten wir keine Kirche, keine notierten Gesänge, keine Popmusik. Gut, wir hätten wahrscheinlich schon eine, aber ohne das tradierte Klangmaterial würde uns heute vielleicht das Hören vergehen, schließlich ist mongolischer Kehlkopfgesang oder chinesisches Operngeschepper nicht jedermanns Sache. So erfahren wir in dieser begründetermaßen eurozentristischen Musikgeschichte auch vieles über das Entstehen des Christentums oder des Klavierbaus, Tewinkel startet „vor ungefähr vierzig Millionen Jahren, mit dem Zwitschern der ersten Singvögel” und endet vierzig Millionen Jahre später mit den Darmstädter Tagungen zur Neuen Musik, sie bringt uns von der tönenden ars antiqua zur ars nova und erklärt, quasi als Zugabe und ohne mit dem Quintenzirkel zu drohen, die Kunst der Fuge und die Sonatenhauptsatzform.
Dass da bisweilen auch die Grenzen der Verknappung erreicht werden, verwundert kaum, doch selbst das zwölfte und letzte Kapitel „Anything goes oder Eine Tripelfuge der Nachkriegsjahrzehnte” kommt mit der waghalsigen Verquickung von Adornos „Thesen gegen die musikpädagogische Musik”, dem Großkomplex Jazz-Beat-Rock-Punk und schließlich der aktuellen Entwicklung der sogenannten E-Musik so gerade noch ins Ziel. Aber knapp! Daher ist Tewinkels Abhandlung nicht unbedingt ein Ergänzungswerk für die Fachbibliothek beschlagener Musikexperten, sondern eine wohltemperierte Handreichung für Leute wie den Rezensenten, für interessierte Laien, die gerne wissen möchten, was überhaupt gespielt wird und bislang nicht wussten, was sie neben den handlichen dtv-Atlas „Musik” stellen sollen.
Der österreichische Musikhistoriker August Wilhelm Ambros hinterließ drei dicke Bände seiner „Geschichte der Musik” und verstarb über der Arbeit am vierten; Hans Heinz Stuckenschmidt schaffte es lediglich, „Die Musik eines halben Jahrhunderts” zu beschreiben; Christiane Tewinkel machte es kurz und hielt durch. Schade, seufzt man, wenn das Buch endet. Schade vor allem, dass dies schön arrangierte, lebendig und schwungvoll gespielte Werkchen nur zu lesen und nicht auch mit Klangbeispielen zu hören ist. Sonst würden wir jetzt rufen: Applaus! Bravissimo! Da capo! OLIVER MARIA SCHMITT
CHRISTIANE TEWINKEL: Eine kurze Geschichte der Musik. Dumont Verlag, Köln 2007, 245 Seiten. 14,90 Euro.
Orpheus bezaubert auf einem römischen Mosaik. Foto: bridegmanart.com
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Vom Zwitschern der Singvögel bis zur Neuen Musik in Darmstadt: Christiane Tewinkels frische, fesche und kurze Musikgeschichte
Als der französische Politiker Charles de Brosses Mitte des 18. Jahrhunderts die Opernhäuser Italiens besuchte, klagte er über die „Leere der langen Rezitative” und empfahl, bei Langeweile während der Vorstellung eine Partie Schach zu spielen. Bei der Lektüre von Christiane Tewinkels Büchlein „Eine kurze Geschichte der Musik” kommt man indes kaum zum Schachspielen, denn ihr schönes, schnelles und schlaues musikgeschichtliches Rezitativ kennt weder Leere, noch vermittelt es Langeweile. Ist das normal?
Schwer zu sagen, aber was ist schon normal? „Bin ich normal, wenn ich mich im Konzert langweile?”, fragte die Autorin mit dem Titel ihrer 2004 erschienenen „musikalischen Betriebsanleitung”, nun liefert die 1969 geborene Germanistin und Musikwissenschaftlerin sozusagen das Historienstück nach.
Während ihr großer Vorgänger Hans Heinrich Eggebrecht in seinem Standardwerk „Musik im Abendland” noch seitenweise jammerte, wie schwer es doch sei, eine Musikgeschichte zu verfassen, macht sich Tewinkel einfach frisch ans Werk und legt ein reichlich fesches Tempo vor, mehr allegro und vivace als adagio oder gar grave. Sie hat nur 245 Seiten Zeit und sehr genaue Vorstellungen: „So geht es mit der Musikgeschichte”, schreibt sie, „überall liegen Erzählstränge, die aufgenommen werden sollen, zusammengebunden und erläutert, der eine hübscher anzusehen als der andere.”
Ihre Freude an der Sache kann die Autorin nicht verbergen, ihre Kenntnisse in Komposition und Arrangement aber auch nicht. Eingeführte Leitmotive wie Musik und Zahl, Musik und Kirche, Musik und Verschriftung werden immer wieder aufgegriffen, Themen wie die Orpheus- oder die Tristan-Sage wiederholt angespielt, und so kommt uns Tewinkels erfrischendes, zuweilen naseweises Parlando schon fast wie eine musikkundliche Motette vor. Oder hat man so schon mal jemand den berüchtigten Tristanakkord beschreiben hören? „Wagner hatte es unscheinbar beginnen lassen, bloß ein kleiner Absprungton in den Violoncelli, dann alle zusammen, hep, nach oben, halten!, stärker werden, sehnsuchtsvoller! langsam nun hinuntersinken, und dann auf einmal, von überall her, Töne dazu und darum herum, Oboen, Klarinetten, Englischhorn, Fagotte: der Tristanakkord. Ausfasern, Stille.”
Und wie ganz nebenbei schreibt Tewinkel mit dieser kleinen Musik- auch noch eine große Sozialgeschichte; denn Musik war immer, fast immer eine öffentliche Kunst, ein Klang ihrer Zeit. Hätte uns der Heiland nicht am Kreuz erlöst, hätten wir keine Kirche, keine notierten Gesänge, keine Popmusik. Gut, wir hätten wahrscheinlich schon eine, aber ohne das tradierte Klangmaterial würde uns heute vielleicht das Hören vergehen, schließlich ist mongolischer Kehlkopfgesang oder chinesisches Operngeschepper nicht jedermanns Sache. So erfahren wir in dieser begründetermaßen eurozentristischen Musikgeschichte auch vieles über das Entstehen des Christentums oder des Klavierbaus, Tewinkel startet „vor ungefähr vierzig Millionen Jahren, mit dem Zwitschern der ersten Singvögel” und endet vierzig Millionen Jahre später mit den Darmstädter Tagungen zur Neuen Musik, sie bringt uns von der tönenden ars antiqua zur ars nova und erklärt, quasi als Zugabe und ohne mit dem Quintenzirkel zu drohen, die Kunst der Fuge und die Sonatenhauptsatzform.
Dass da bisweilen auch die Grenzen der Verknappung erreicht werden, verwundert kaum, doch selbst das zwölfte und letzte Kapitel „Anything goes oder Eine Tripelfuge der Nachkriegsjahrzehnte” kommt mit der waghalsigen Verquickung von Adornos „Thesen gegen die musikpädagogische Musik”, dem Großkomplex Jazz-Beat-Rock-Punk und schließlich der aktuellen Entwicklung der sogenannten E-Musik so gerade noch ins Ziel. Aber knapp! Daher ist Tewinkels Abhandlung nicht unbedingt ein Ergänzungswerk für die Fachbibliothek beschlagener Musikexperten, sondern eine wohltemperierte Handreichung für Leute wie den Rezensenten, für interessierte Laien, die gerne wissen möchten, was überhaupt gespielt wird und bislang nicht wussten, was sie neben den handlichen dtv-Atlas „Musik” stellen sollen.
Der österreichische Musikhistoriker August Wilhelm Ambros hinterließ drei dicke Bände seiner „Geschichte der Musik” und verstarb über der Arbeit am vierten; Hans Heinz Stuckenschmidt schaffte es lediglich, „Die Musik eines halben Jahrhunderts” zu beschreiben; Christiane Tewinkel machte es kurz und hielt durch. Schade, seufzt man, wenn das Buch endet. Schade vor allem, dass dies schön arrangierte, lebendig und schwungvoll gespielte Werkchen nur zu lesen und nicht auch mit Klangbeispielen zu hören ist. Sonst würden wir jetzt rufen: Applaus! Bravissimo! Da capo! OLIVER MARIA SCHMITT
CHRISTIANE TEWINKEL: Eine kurze Geschichte der Musik. Dumont Verlag, Köln 2007, 245 Seiten. 14,90 Euro.
Orpheus bezaubert auf einem römischen Mosaik. Foto: bridegmanart.com
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
40 Millionen Jahre Musikgeschichte auf 245 Seiten - denn die Buchautorin Christiane Tewinkel lässt laut Rezensent Oliver Maria Schmitt die Musikgeschichte mit dem Evolutionsschritt der Singvögel beginnen. Im wesentlichen aber, so Schmitt, beschränkt sich Tewinkel in einem seiner Meinung nach wohlbegründeten Eurozentrismus auf die bekannten Etappen der abendländischen Musikgeschichte. Mit Erstaunen notiert Schmitt, mit welcher Leichtigkeit und unterhaltsamen Prosa die Autorin dabei einen großen Themenreichtum beherrscht, denn es geht um durchaus komplexe Themen wie etwa Musik und Verschriftlichung oder die Revolution des "Tristan-Akkords". Im 20. Jahrhundert, so gesteht Schmitt ein, rast die Autorin dann vielleicht doch ein bisschen zu schnell durchs Geschehen: Aber sie scheint die richtigen Fragen zu stellen und interessierte Laien stichhaltig zu informieren und inspirieren. Schmitt hätte nach den 245 Seiten gern weitergelesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Eine frische, fesche und kurze Musikgeschichte. [...] Ihr schönes, schnelles und schlaues musikgeschichtliches Rezitativ kennt weder Leere, noch vermittelt es Langeweile (...) schade nur, dass dies schön arrangierte, lebendig und schwungvoll gespielte Werkchen nur zu lesen und nicht auch mit Klangbeispielen zu hören ist (..) Applaus! Bravissimo! Da capo!" SÜDDEUTSCHE ZEITUNG "Wie gerne hätte man diese Frau als Musiklehrerin gehabt!" DIE WELT "Mit leichtem Ton streift sie durch die Musikgeschichte von der griechischen Antike bis in die unmittelbare Gegenwart." TAGESSPIEGEL "Vermittelt wird eine unaufwändige - im besten Wortsinn 'kurzweilige' Musikgeschichte, die vor allem für jugendliche Leser und für musikalische Einsteiger interessant sein dürfte." NDR 1 -BÜCHERWELT "Die Musikwissenschaftlerin erzählt unterhaltsam, aber dennoch präzise wie sich die Musik und später die für Nachwelt so entscheidende Notation entwickelt. Obwohl sie den Gebrauch von Fachtermini konsequent reduziert, gelingt es ihr, so manche komplexe musikalische Entwicklung dem Leser näher zu bringen. Leicht im Ton, aber nicht leichtfertig geht die Autorin mit dem Sujet ihres Buches um, die Fachkompetenz ist immer spürbar, auch wenn sie ohne professoraler Attitüde daherkommt. 'Eine kurze Geschichte der Musik' ist ein lesbar-amüsantes, dabei geistreiches Buch geworden." PFORZHEIMER ZEITUNG "Ihre zwölf, sehr kurzweiligen und mit wenigen Fotos dekorierten Kapitel sind eine gelungene Einführung für Leute, die sich erstmals grundlegend mit der Materie beschäftigen und wissen möchten, warum und wie sich die Musik entwickelt hat. Ihre Sprache ist modern, ihr Stil angenehm flüssig und sehr leserfreundlich." MAIN-ECHO "Als leicht fasslicher Einstieg für Musikinteressierte, gerade auch für Jugendliche, kann das Buch ein paar angenehme und lehrreiche Schmökerstunden vermitteln." PFORZHEIMER ZEITUNG "Eine höchst lehrreiche und amüsante Lektüre." HEILBRONNER STIMME "Eine Lektüre die in einem flüssig zu lesenden Text neben harten Fakten auch die eine oder andere Anekdote, ein amüsantes Detail oder eine kulturgeschichtliche Fußnote dem Leser offenbart." LITERATURKURIER "Ein lehrreicher, vergnüglicher Streifzug." KURIER WIEN