Von Determinismus und Freiheit war in den letzten Jahren viel die Rede. In Auseinandersetzung mit der Hirnforschung mußte vor allem die Philosophie häufig an differenzierte Auffassungen zu menschlicher Freiheit erinnern, die das abendländische Denken hervorgebracht hat. Gleiches ist für die vermeintlich determinierten Ereignisse in der Natur zu leisten. Denn was es bedeuten soll, daß in der Natur alles festgelegt ist, versteht nur, wer sich vor Augen führt, wie Naturgesetzlichkeit in der Entwicklung von Philosophie und Wissenschaft begriffen wurde.Michael Hampe hat eine kurze Geschichte des Naturgesetzbegriffs von der Antike bis zur Gegenwart geschrieben. Sie zeigt, daß es nie nur ein einziges einheitliches und "reines" Verständnis der Naturnotwendigkeiten gegeben hat, sondern immer auch theologische, juristische und moralische Ideen unser Naturverständnis geprägt haben und bis heute bestimmen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2008Nur Gott versteht das alles
Michael Hampe erzählt von der Suche nach dem Naturgesetz
Auch Naturgesetze haben Geschichte. Spätestens dann, wenn sie auf den Begriff gebracht sind. Denn das, was außerhalb der Zeit steht, wurde keinesfalls außerhalb der Zeit gefunden. Und so ist denn auch die Vorstellung davon, was ein Naturgesetz ist, und was es bedeutet, keineswegs festgeschrieben.
Eine kleine Geschichte des Naturgesetzbegriffs hat nun Michael Hampe, Professor für Philosophie an der ETH Zürich, vorgelegt. Das Problem, das er damit angeht, ist zentral für die Frage, ob und inwieweit sich die Naturwissenschaften mit ihrer Feststellung von Naturgesetzen aus der Geschichte einer Kultur absentieren. Schließlich scheint, wenn die Gesetze, nach denen die Natur funktioniert, erkannt sind, eine mit solchen Gesetzen umgehende Wissenschaft aus dem bloß Zufälligen der Geschichte herausgehoben zu sein. Die auf der Einsicht in solche Gesetzmäßigkeiten basierenden Naturwissenschaften wären so den Unwägbarkeiten des Historisch-Kulturellen entwunden.
Die Geschichte zeigt nun aber, dass die Philosophen immer wieder in Frage stellten, was ein Naturgesetz bedeutet, und was mit und an ihm klar wird. Dem Idealisten G. W. F. Hegel etwa war es verwunderlich, dass ein Physiker zufrieden zu sein schien, wenn man ihm erkläre, dass sich die Erde um die Sonne drehe, weil es Gravitations- und Zentrifugalkraft gebe. Ein Kaufmann wäre – so gab er zu bedenken – doch kaum damit abzuspeisen, dass man ihm darlege, er müsse nach Sankt Petersburg reisen, da dort eine ihn anziehende Kraft sei.
Gehen wir noch weiter zurück, so erschließt sich uns die Vorstellung, dass wir nur deshalb so etwas wie Naturgesetze brauchen, weil unser Verstand es eben nicht vermag, die Vielfalt von Detaillierungen als solche zu denken. Damit sind wir im Mittelalter. Dort schien die Abstraktion ein Notbehelf zu sein, der für ein Wesen notwendig war, das eben nicht wie Gott die Vielfalt der Wechselwirkungen in ihren Einzelheiten zu denken vermochte. Heute, in einer Situation, in der die Vielfalt der kaum mehr auf Gesetze zu bringenden Naturprozesse für uns geradezu explodiert, wird uns diese bescheiden anmutende Vorstellung von den Möglichkeiten unseres Urteilens aber vielleicht auch wieder verständlich.
Dabei geht es uns heute nicht „nur” um große Themen wie die globale Erwärmung. Es geht durchaus auch um einfachere Dinge. So sind schon die Verwirbelungen von Nährstoffen in Bioreaktoren nur in Näherungsverfahren zu beschreiben. Wir müssen hier abschätzen, Erfahrungswerte nutzen und kontrollieren, um uns in etwa sicher zu sein, was wir in diesen Reaktoren dann letztlich produzieren. Wir finden demnach schon im Kleinen Gesetzmäßigkeiten, die sich so überlagern, dass wir sie nicht mehr verstehen. Dabei müssen wir dann auch einsehen, dass selbst das Chaos in seinen Einzelreaktionen Gesetzen folgt. Die Naturgesetze statistischer Prozesse haben für uns aber zwei Ebenen, die strikt deterministische, in der jeder Schritt bestimmt ist, und die eines unüberschaubaren Gewirrs der ineinandergreifenden, nur in ihren Einzelfolgen klar bestimmten Teilschritte. Was ist aber nun das Naturgesetz in solchen Dingen? Ganz unerwartet wird uns damit eine Idee des Mittelalters – auch außerhalb der religiösen Denkmuster – wieder verständlich. Was aber „ist” ein Naturgesetz?
Beobachtung oder Formel
Der Biologe Ernst Haeckel, einer der bekannten Wissenschaftsoptimisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts, postulierte, dass in einer in der Natur zu beobachtenden Regel ein Gesetz verborgen liege. Er betrachtete die Abfolge von Entwicklungsprozessen verschiedener Tierarten, sah, dass diese vom Einfachen zum Komplizierten lief; wusste, dass in der Evolution jede Form in einfachen Vorformen ihre Ahnen zu suchen hat und formulierte dann ein biogenetisches Grundgesetz, demzufolge jede Art in ihrer individuellen Entwicklung vom frühen Embryo zum ausgewachsenen Tier oder zur Pflanze seine Stammesgeschichte nachlebt.
Haeckel beobachtete bestimmte Regelmäßigkeiten in dieser komplizierten Entwicklung, er konnte beobachtete Abweichungen von dieser Regel begründen. Damit – so schloss er – gab ihm die Regel ein Gesetz, einen Maßstab, an dem nicht nur seine Beobachtung ausgerichtet wurde, sondern nach dem sich auch seine Wissenschaft, die Evolutionsbiologie, auf eine neue Grundlage zu stellen hätte. Sein Gesetz war dabei keineswegs in eine Formel gefasst. Gesetzmäßig war für ihn das bloß Regelhafte, die aufeinander beziehbaren Beobachtungen komplizierter Einzelreaktionen. Solch ein Gesetz war demnach dann doch etwas anderes als das, was ein Jahrhundert vorher Immanuel Kant in seinem Postulat wahrer Wissenschaft zu begreifen suchte.
Für Kant waren in einer in sich bestimmten, für sich notwendigen Wissenschaft synthetische Urteile a priori zu fällen. Demnach war die wahre Wissenschaft denn auch auf die Mathematik zu bringen. Die Biologen nahmen diese Forderung schon im Beginn des 19. Jahrhunderts auf, als die Mathematik selbst noch gar nicht strikt axiomatisch, also über streng abgesicherte Grundvorstellungen, gesichert war. Notwendigkeit ist demnach bei Kant also nicht in der Natur, sondern im Denken über die Natur zu finden. Mit Haeckels Idee einer beobachtenden Naturforschung, die Naturgesetze findet, geht dies nicht zusammen.
Naturwissenschaft und Freiheit
Mit Kant kann ich die Notwendigkeit unserer Anschauungsformen belegen und daraus prinzipielle Bestimmungen dafür, wie wir in unseren Vorstellungen mit Natur umgehen, ableiten. Dass ich diese Notwendigkeiten dann in einer Formel erfassen kann, die unabhängig von den konkreten Beobachtungen gewonnen erscheint, aber auf jede mögliche Beobachtung dieser Qualität anzuwenden wäre, wird dann kaum mehr überraschen. Demnach kann ich aber auch bestimmte Zuordnungsmöglichkeiten gleichsam vorab mathematisch konstruieren und erst sekundär in der Realität einholen. Das steht hinter den Konzepten einer theoretischen Physik, deren Realität in ihren Formeln liegt, die sie erst in einem zweiten Schritt zu einer oft kaum zureichenden Anschauung bringt.
Michael Hampe setzt in seiner Studie mit einer Analyse einer Diskussion an, der die Freiheit des Denkens schon lange ein Thema war, der aber die Determiniertheit des anderen, der Natur, unproblematisch erschien, da dies Sache einzelner Disziplinen, nicht aber der Philosophie sei. Dabei war – wie er zeigt – das Naturgesetz von Anfang an ein Grundbegriff des europäischen Naturdenkens. Dieser Begriff hat seine Geschichte, die nicht einfach als Variation einer Grundthematik zu beschreiben ist.
Natur und Gesetz, Physis und Nomos, stehen in der Antike zunächst gegeneinander. Erst langsam findet die Natur in ihre Ordnung und damit ihren Begriff. Damit aber wird sie der Kultur verfügbar und weist zugleich im Naturgesetz aus dieser Kultur wieder heraus. Ist so eine Ordnung gefunden, kann sie schon Archimedes nutzen, um Verhältnisbestimmungen zu postulieren, über die er Naturalien systematisiert. Die viel spätere Theologisierung der Natur, die das, was da ist, als Schöpfung begriff und in der Ordnung der Natur das Denken Gottes erblickte, sieht die Gesetzmäßigkeit der Natur in deren System, nicht im Kausalnexus der von uns rekonstruierten Reaktionsfolgen. In dieser Tradition kann dann noch um 1750 Carl von Linné seine Wissenschaft, die systematisierende Botanik, als göttliche Wissenschaft preisen.
Michael Hampe – dem gegenüber nicht nur das ein oder andere Detail, sondern auch Linien zu ergänzen wären – bemisst seine Geschichte von Leibniz zu Charles S. Pierce, charakterisiert den Pragmatismus mathematischer Ordnungsbestimmungen und beschreibt, wie in diesen Bestimmungen Gesetz gedacht wird. Gesetze als Handlungskorrektive führen den Autor von Spinoza zu Donald Davidson. Und dazwischen steht die Erfahrungseingrenzung einer Transzendentalphilosophie, die in Nachfolge einer etwa von Jakob Friedrich Fries getroffenen Kant-Interpretation zu einer neuen Bestimmung dessen führte, was am Gesetz notwendig ist.
Diese kleine Geschichte des Naturgesetzes, die in einer Vielfalt von Exkursen auch innerfachliche Diskussionen der letzten Jahrzehnte mit einbindet, markiert die Orte nun notwendiger Tiefenbohrungen. Es lohnt sich, mit Michael Hampe ein Stück dieses Weges durch die Geschichte und ins Dickicht jüngster Diskussionen mitzugehen. OLAF BREIDBACH
MICHAEL HAMPE: Eine kurze Geschichte des Naturgesetzbegriffs. Die Gesetze der Natur und die Handlungen der Menschen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 201 Seiten, 10 Euro.
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Michael Hampe erzählt von der Suche nach dem Naturgesetz
Auch Naturgesetze haben Geschichte. Spätestens dann, wenn sie auf den Begriff gebracht sind. Denn das, was außerhalb der Zeit steht, wurde keinesfalls außerhalb der Zeit gefunden. Und so ist denn auch die Vorstellung davon, was ein Naturgesetz ist, und was es bedeutet, keineswegs festgeschrieben.
Eine kleine Geschichte des Naturgesetzbegriffs hat nun Michael Hampe, Professor für Philosophie an der ETH Zürich, vorgelegt. Das Problem, das er damit angeht, ist zentral für die Frage, ob und inwieweit sich die Naturwissenschaften mit ihrer Feststellung von Naturgesetzen aus der Geschichte einer Kultur absentieren. Schließlich scheint, wenn die Gesetze, nach denen die Natur funktioniert, erkannt sind, eine mit solchen Gesetzen umgehende Wissenschaft aus dem bloß Zufälligen der Geschichte herausgehoben zu sein. Die auf der Einsicht in solche Gesetzmäßigkeiten basierenden Naturwissenschaften wären so den Unwägbarkeiten des Historisch-Kulturellen entwunden.
Die Geschichte zeigt nun aber, dass die Philosophen immer wieder in Frage stellten, was ein Naturgesetz bedeutet, und was mit und an ihm klar wird. Dem Idealisten G. W. F. Hegel etwa war es verwunderlich, dass ein Physiker zufrieden zu sein schien, wenn man ihm erkläre, dass sich die Erde um die Sonne drehe, weil es Gravitations- und Zentrifugalkraft gebe. Ein Kaufmann wäre – so gab er zu bedenken – doch kaum damit abzuspeisen, dass man ihm darlege, er müsse nach Sankt Petersburg reisen, da dort eine ihn anziehende Kraft sei.
Gehen wir noch weiter zurück, so erschließt sich uns die Vorstellung, dass wir nur deshalb so etwas wie Naturgesetze brauchen, weil unser Verstand es eben nicht vermag, die Vielfalt von Detaillierungen als solche zu denken. Damit sind wir im Mittelalter. Dort schien die Abstraktion ein Notbehelf zu sein, der für ein Wesen notwendig war, das eben nicht wie Gott die Vielfalt der Wechselwirkungen in ihren Einzelheiten zu denken vermochte. Heute, in einer Situation, in der die Vielfalt der kaum mehr auf Gesetze zu bringenden Naturprozesse für uns geradezu explodiert, wird uns diese bescheiden anmutende Vorstellung von den Möglichkeiten unseres Urteilens aber vielleicht auch wieder verständlich.
Dabei geht es uns heute nicht „nur” um große Themen wie die globale Erwärmung. Es geht durchaus auch um einfachere Dinge. So sind schon die Verwirbelungen von Nährstoffen in Bioreaktoren nur in Näherungsverfahren zu beschreiben. Wir müssen hier abschätzen, Erfahrungswerte nutzen und kontrollieren, um uns in etwa sicher zu sein, was wir in diesen Reaktoren dann letztlich produzieren. Wir finden demnach schon im Kleinen Gesetzmäßigkeiten, die sich so überlagern, dass wir sie nicht mehr verstehen. Dabei müssen wir dann auch einsehen, dass selbst das Chaos in seinen Einzelreaktionen Gesetzen folgt. Die Naturgesetze statistischer Prozesse haben für uns aber zwei Ebenen, die strikt deterministische, in der jeder Schritt bestimmt ist, und die eines unüberschaubaren Gewirrs der ineinandergreifenden, nur in ihren Einzelfolgen klar bestimmten Teilschritte. Was ist aber nun das Naturgesetz in solchen Dingen? Ganz unerwartet wird uns damit eine Idee des Mittelalters – auch außerhalb der religiösen Denkmuster – wieder verständlich. Was aber „ist” ein Naturgesetz?
Beobachtung oder Formel
Der Biologe Ernst Haeckel, einer der bekannten Wissenschaftsoptimisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts, postulierte, dass in einer in der Natur zu beobachtenden Regel ein Gesetz verborgen liege. Er betrachtete die Abfolge von Entwicklungsprozessen verschiedener Tierarten, sah, dass diese vom Einfachen zum Komplizierten lief; wusste, dass in der Evolution jede Form in einfachen Vorformen ihre Ahnen zu suchen hat und formulierte dann ein biogenetisches Grundgesetz, demzufolge jede Art in ihrer individuellen Entwicklung vom frühen Embryo zum ausgewachsenen Tier oder zur Pflanze seine Stammesgeschichte nachlebt.
Haeckel beobachtete bestimmte Regelmäßigkeiten in dieser komplizierten Entwicklung, er konnte beobachtete Abweichungen von dieser Regel begründen. Damit – so schloss er – gab ihm die Regel ein Gesetz, einen Maßstab, an dem nicht nur seine Beobachtung ausgerichtet wurde, sondern nach dem sich auch seine Wissenschaft, die Evolutionsbiologie, auf eine neue Grundlage zu stellen hätte. Sein Gesetz war dabei keineswegs in eine Formel gefasst. Gesetzmäßig war für ihn das bloß Regelhafte, die aufeinander beziehbaren Beobachtungen komplizierter Einzelreaktionen. Solch ein Gesetz war demnach dann doch etwas anderes als das, was ein Jahrhundert vorher Immanuel Kant in seinem Postulat wahrer Wissenschaft zu begreifen suchte.
Für Kant waren in einer in sich bestimmten, für sich notwendigen Wissenschaft synthetische Urteile a priori zu fällen. Demnach war die wahre Wissenschaft denn auch auf die Mathematik zu bringen. Die Biologen nahmen diese Forderung schon im Beginn des 19. Jahrhunderts auf, als die Mathematik selbst noch gar nicht strikt axiomatisch, also über streng abgesicherte Grundvorstellungen, gesichert war. Notwendigkeit ist demnach bei Kant also nicht in der Natur, sondern im Denken über die Natur zu finden. Mit Haeckels Idee einer beobachtenden Naturforschung, die Naturgesetze findet, geht dies nicht zusammen.
Naturwissenschaft und Freiheit
Mit Kant kann ich die Notwendigkeit unserer Anschauungsformen belegen und daraus prinzipielle Bestimmungen dafür, wie wir in unseren Vorstellungen mit Natur umgehen, ableiten. Dass ich diese Notwendigkeiten dann in einer Formel erfassen kann, die unabhängig von den konkreten Beobachtungen gewonnen erscheint, aber auf jede mögliche Beobachtung dieser Qualität anzuwenden wäre, wird dann kaum mehr überraschen. Demnach kann ich aber auch bestimmte Zuordnungsmöglichkeiten gleichsam vorab mathematisch konstruieren und erst sekundär in der Realität einholen. Das steht hinter den Konzepten einer theoretischen Physik, deren Realität in ihren Formeln liegt, die sie erst in einem zweiten Schritt zu einer oft kaum zureichenden Anschauung bringt.
Michael Hampe setzt in seiner Studie mit einer Analyse einer Diskussion an, der die Freiheit des Denkens schon lange ein Thema war, der aber die Determiniertheit des anderen, der Natur, unproblematisch erschien, da dies Sache einzelner Disziplinen, nicht aber der Philosophie sei. Dabei war – wie er zeigt – das Naturgesetz von Anfang an ein Grundbegriff des europäischen Naturdenkens. Dieser Begriff hat seine Geschichte, die nicht einfach als Variation einer Grundthematik zu beschreiben ist.
Natur und Gesetz, Physis und Nomos, stehen in der Antike zunächst gegeneinander. Erst langsam findet die Natur in ihre Ordnung und damit ihren Begriff. Damit aber wird sie der Kultur verfügbar und weist zugleich im Naturgesetz aus dieser Kultur wieder heraus. Ist so eine Ordnung gefunden, kann sie schon Archimedes nutzen, um Verhältnisbestimmungen zu postulieren, über die er Naturalien systematisiert. Die viel spätere Theologisierung der Natur, die das, was da ist, als Schöpfung begriff und in der Ordnung der Natur das Denken Gottes erblickte, sieht die Gesetzmäßigkeit der Natur in deren System, nicht im Kausalnexus der von uns rekonstruierten Reaktionsfolgen. In dieser Tradition kann dann noch um 1750 Carl von Linné seine Wissenschaft, die systematisierende Botanik, als göttliche Wissenschaft preisen.
Michael Hampe – dem gegenüber nicht nur das ein oder andere Detail, sondern auch Linien zu ergänzen wären – bemisst seine Geschichte von Leibniz zu Charles S. Pierce, charakterisiert den Pragmatismus mathematischer Ordnungsbestimmungen und beschreibt, wie in diesen Bestimmungen Gesetz gedacht wird. Gesetze als Handlungskorrektive führen den Autor von Spinoza zu Donald Davidson. Und dazwischen steht die Erfahrungseingrenzung einer Transzendentalphilosophie, die in Nachfolge einer etwa von Jakob Friedrich Fries getroffenen Kant-Interpretation zu einer neuen Bestimmung dessen führte, was am Gesetz notwendig ist.
Diese kleine Geschichte des Naturgesetzes, die in einer Vielfalt von Exkursen auch innerfachliche Diskussionen der letzten Jahrzehnte mit einbindet, markiert die Orte nun notwendiger Tiefenbohrungen. Es lohnt sich, mit Michael Hampe ein Stück dieses Weges durch die Geschichte und ins Dickicht jüngster Diskussionen mitzugehen. OLAF BREIDBACH
MICHAEL HAMPE: Eine kurze Geschichte des Naturgesetzbegriffs. Die Gesetze der Natur und die Handlungen der Menschen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 201 Seiten, 10 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sehr positiv hat Rezensent Helmut Mayer diese "kleine Geschichte des Naturgesetzbegriffs" von Michael Hampe aufgenommen. Mit großer Zustimmung quittiert er dessen Kritik an der Naivität in der Philosophie und den Wissenschaften, die zum Beispiel in den modernen Neurowissenschaften bei unreflektierter Verwendung der Begriffe der Determiniertheit und Naturgesetzlichkeit anzutreffen ist. Dass Hampe nur auf einen kleinen Teil der Quellen zurückgreift, findet Mayer in Ordnung, ja er begrüßt diesen "Willen zur Knappheit". Zumal es dem Autor in seinen Augen wunderbar gelingt, die Entwicklungslinien des Naturgesetzbegriffs von Platos "Timaios" bis zu neueren Arbeiten von Wissenschaftshistorikern als philosophische Begriffsgeschichte einprägsam vor Augen zu führen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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