Produktdetails
- Verlag: DuMont Buchverlag
- ISBN-13: 9783832117863
- ISBN-10: 3832117865
- Artikelnr.: 25154362
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.1996Entweder Goofy oder nicht Goofy
Wenn ehrwürdige Geisteswissenschaften sich um junge Leser bemühen / Von Ulrich Raulff
Man möchte es gern als Märchen erzählen: Wie vor wenigen Jahren ein norwegischer Philosophielehrer darauf verfiel, die Geschichte der Philosophie in Form eines Romans für junge Leute zu erzählen, und wie daraus erst ein Geheimtip und dann ein Welterfolg wurde. So daß die nächste Erzählung des jungen Mannes, obwohl keineswegs besser als "Sophies Welt", gleichsam über Nacht die ersten Ränge der internationalen Bestsellerlisten besetzte. Und weiter möchte man erzählen, wie "Sophies Welt" Schule machte und reihenweise neue Sachbücher entstehen ließ, feurig erzählte Geschichten der Philosophie und anderer Geisteswissenschaften, die nun endlich ein Lesepublikum fanden, das die Kulturkritik längst aufgegeben hatte: die jungen Leute, die man in den Wüsten von Internet und Extasy der Lesewelt abhanden gekommen glaubte. Aber nichts an diesem schönen Märchen stimmt - außer den Erfolgsmeldungen von "Sophies Welt".
Es stimmt nicht, daß "Sophies Welt" eine gut geschriebene, zuverlässige Geschichte der Philosophie ist. Es ist eine eher mühsam konstruierte Erzählung, sprachlich ranschmeißerisch und mit einem Haufen philosophischer Unrichtigkeiten: Wann und wo hätte Hegel je gesagt, vernünftig sei, was lebensfähig ist? Völkisch mag das zutreffen und eugenisch vielleicht auch, nur mit Hegel hat es nichts zu tun. Es stimmt auch nicht, daß "Sophies Welt" ein Buch für junge Leser ist. Kann sein, daß es sich hier und da in die Hände von jungen Leuten verirrt; fast alle seiner Käufer und bei weitem die meisten seiner Leser aber sind Erwachsene: Leute, die schon immer einmal verstehen wollten, was es mit der Philosophie auf sich hat, und die jetzt endlich, nach so vielen erst von Jaspers, dann von Sloterdijk verdorbenen Ferien, noch einmal einen Versuch mit der Weisheitsliebe machen möchten. Viele der Käufer, so heißt es, seien Lehrer gewesen: Vielleicht in der Hoffnung, der gefeierte Erzähler werde ihnen Hilfestellung für die Schule geben und die Räuberleiter für den Einstieg in die Nordwand des abendländischen Denkens halten; auch von philosophischen Proseminaren, denen "Sophies Welt" als Textbuch zugrunde lag, hat man schon gehört. Aber Schule hat es nicht gemacht - die erwartete Welle von flott erzählten Theoriegeschichten ist nicht eingetroffen, der neue Trend im Jugend-Sachbuch ausgeblieben.
Und noch etwas ist falsch am schönen Märchen vom Avantgardisten Jostein Gaarder: Darstellungen der Philosophie, der Geschichte und manch anderer Geisteswissenschaften für Kinder und Jugendliche gibt es nicht erst seit dem Siegeszug von "Sophies Welt", also seit drei, vier Jahren, es hat sie immer schon gegeben. Gerade die wirklichen Avantgardisten sind sich nie zu fein dafür gewesen, einem klugen Kinde zu erklären, was Denken, was Begriff und was begriffene Geschichte ist: Hat nicht vor einem Jahrzehnt, als der Begriff "Postmoderne" noch in allen Silbertönen des Neuen schillerte, Jean-Francois Lyotard sich darangegeben, Frankreichs Kindern diese neueste Ära zu erklären? Und ist nicht der populärste Versuch, Kindern die Weltgeschichte zu erzählen, Ernst H. Gombrichs "Kurze Weltgeschichte für junge Leser", kürzlich sechzig Jahre alt geworden (und somit dem Pensionsalter nahegekommen, ohne daß ein Nachfolgekandidat in Sicht wäre)? Lasset die Kindlein zu mir kommen, wird sich gelegentlich auch der Wissenschaftler sagen: Was sie nicht verstehen, mag zwar immer noch für einen DFG-Projektantrag taugen, zu drucken aber braucht man's eigentlich nicht mehr.
Vom Alter her ist das Werk von H. W. Janson (erst das Impressum löst das Mysterium der Initialen: Horst Woldemar) über die Geschichte der Kunst nicht mit Gombrichs unsterblichem Kinder-Klassiker zu vergleichen: Erst auf fünfundzwanzig Jahre und vier Auflagen hat es die "History of Art for Young People" gebracht, die seit dem Tode des Verfassers im Jahr 1982 von dessen Sohn, Anthony F. Janson, weitergeschrieben und vorsichtig modernisiert wird. Das Ergebnis des Familienunternehmens ist, um es mit einem Wort zu sagen, exzellent, sowohl was die Fülle und Qualität der Abbildungen als auch was den Text angeht, der in meisterlicher Knappheit von der Steinzeit und den Ägyptern bis zu Kiefer, Hockney und James Stirling führt.
Janson & Janson gehen chronologisch vor und gliedern nach Epochen, die sie dann nach Gattungen und weiter nach den prominentesten Künstlern unterteilen, wobei sie die jeweiligen Klassifikations- und Zuordnungsprobleme keineswegs unterschlagen: War Ingres bloß Klassizist oder vielmehr ein romantischer Klassizist? Und wie neobarock waren seine romantischen Zeitgenossen? Im Stil selbst eher amerikanisch-klassizistisch, versagen sich Janson & Janson gelegentlich doch nicht ein deftig Wörtlein der Deutung und der Wertung - etwa, wenn sie von Bouchers "Toilette der Venus" schreiben, im Gegensatz zu Vouets entrückter Göttin sei sie zu einer Koketten geraten. In ihrem "cosmetic never-never land" sei sie alterslos geworden, vom selben weichen, rosigen Fleisch wie die aufwartenden Engelchen, gefangen in ewiger Jugend, unfähig zu wirklicher Leidenschaft. Man mag solche Deskriptionen mögen oder nicht, unbestreitbar bringen sie boucherhaft rosiges Fleisch auf das, was leicht ein dürres Gerippe kunsthistorischer Daten hätte werden können.
Der Skylla des Knöchernen entkommen, wissen Janson & Janson die Charybdis des rein Schwelgerischen und insofern Unintellektuellen zu umschiffen, indem sie ihr Werk in vier große Epochen unterteilen, an deren Beginn jeweils eine Weltkarte (ergänzt um Kartenausschnitte) die Hauptschauplätze der Kunstentstehung in dieser Ära zeigt, und an deren Ende eine chronologisch-synoptische Tabelle einen Überblick über die hervorragenden Ereignisse in der Geschichte und in den Künsten gibt. Ein Glossar, sinnvolle Angaben zur weiterführenden Literatur und ein Namens-, Orts- und Sachindex runden das vorbildliche Werk ab, das einen noch mehr freuen würde, existierte es in einer deutschen Übersetzung: Ade, würden wir dann sagen, ade ihr Sorgen, was wir Neffen und Nichten, großen Kindern und kleinen Cousinen zu Ostern und Weihnachten schenken sollen! Aber ach, wir werden uns wohl noch eine Weile mit Sister Wendy Beckett zufrieden gebenmüssen, die immerhin acht Jahrhunderte der Geschichte der Malerei in schwesterlicher Liebe der Jugend nahebringt (Wendy Beckett: "Die Geschichte der Malerei". 8 Jahrhunderte in 455 Meisterwerken, Verlag DuMont, Köln 1995).
Neben der "History of Art for Young People" verdanken wir Janson dem Älteren übrigens das beste Buch, das es über Affendarstellungen und Affenverehrung in Mittelalter und Neuzeit gibt ("Apes und Ape Lore in the Middle Ages and the Renaissance"). Vielleicht muß man lange über Affen und äffisches Verhalten nachgedacht haben, bevor man erkennt, daß ein gutes Buch für Kinder und junge Leser nicht dadurch zustande kommt, daß man die Reden der Erwachsenen im Ton vermeintlicher Kindersprache nachäfft. Dies scheint auch die Auffassung von Roman Simon-Schaefer zu sein, der jungen Lesern das Geschäft der Philosophie erklären möchte und sich dazu keiner reißerischen oder herablassenden Prosa bedient.
Ganz ohne den Affen freilich geht die philosophische Chose nicht. Sie braucht ihn als Türsteher vor dem Kabinett, in dem ihr großes Thema verhandelt wird - was der Mensch sei. (Zu 99,9 Prozent, weiß Simon-Schaefer, sind die Gene von Mensch und Schimpanse identisch.) Drinnen im Kabinett wird die Sphinx-Frage nach dem Wesen des Menschen in speziellere Fragen zerlegt, deren Formulierung seit Kant kanonisch ist: Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? Anhand der klassischen Fragen, die die Grenzen des Wissens, die Richtschnur des Handelns und die Chancen des Glücks betreffen, entwickelt auch Simon-Schaefer den Themenkreis der Philosophie.
Meist geht er systematisch vor, nach Aufgaben und Problemen, bisweilen auch historisch, nach Autoren und Lösungen. Anders als Jostein Gaarder will er nicht den Roman der Philosophie schreiben, sondern Eigenart und Nutzen philosophischen Denkens erläutern. Dabei gelingen ihm recht gute, gelegentlich fast elegante Kurzfassungen komplexer Zusammenhänge, so in den Partien, die von der Philosophie des Staates und der Gesetze und vom utopischen Denken handeln. Nicht übel sind die wenigen Seiten über die Sprache, auch wenn sie nur den instrumentellen Aspekt behandeln und alle anderen Auffassungen von Sprache verschweigen (und das im Hinblick auf Kinder, also geborene Sprachmagier!). Und auch die Einführung in die Aussagenlogik ("Diese Gestalt da vorn ist entweder Goofy oder nicht Goofy") erfreut durch Klarheit und Kürze.
Leider aber hegt unser Philosoph eine unglückliche Liebe zur Astrophysik. Gleich einem postmodernen Rattenfänger führt er seine Leser über Seiten und Seiten hinweg immer tiefer in die Endlosigkeit der Galaxien und in die Unbeantwortbarkeit gewisser Fragen (nach dem Anfang der Welt, nach der Dynamik des Universums). Dort, wo der bestirnte Himmel über uns trübe und die Erkenntnis provisorisch wird, läßt er die lieben Kleinen in die bleichen Nebel schauen und verkündet - mit der hartgesottenen Gewißheit des dogmatischen Skeptikers - die Relativität und Ungewißheit allen Wissens. Wer hier stutzt und sich nach dem gesunden Menschenverstand eines Autors fragt, der die Theorie der Straße mit den Prolegomena des universalen Schlaglochs beginnen läßt, dem wird noch blümeranter, wenn der Philosoph zwischen Metaphysik- und Sinnfragen das Kapitel der historischen Religionen aufschlägt.
Unter dem oberlehrerhaften Titel "Die Mängel bestehender Religionen" wird nicht nur den Juden bescheinigt, ihr Wahn, das auserwählte Volk zu sein, habe "gewiß den Grundstein für das leidvolle Schicksal des jüdischen Volkes in der Weltgeschichte gelegt" - es wird vor allem den Christen der Prozeß wegen Dogmatismus und Verfolgung Andersgläubiger gemacht. "Wollte jemand", so lautet der Beschluß des philosophischen Kirchenkritikers, "der von außen das Christentum betrachtet, zu dem Schluß kommen, eine Religion, die derart fanatisch und intolerant ist, könne nicht von Gott, sondern müsse ein Werk des Teufels sein, wie könnte man ihm widersprechen?"
Einen der Hauptdefekte der drei großen monotheistischen Religionen erkennt der Philosoph darin, daß sie allesamt von Männern dominiert und gegenüber den Frauen "differenziert sadistisch" gewesen seien. Zu loben findet er demgegenüber die heidnische Religion der Griechen, die "eine Fülle weiblicher Gottheiten kannte und damit fortschrittlicher war als die christliche Religion". Ein Schlückchen Feuerbach, ein Häppchen Feminismus, eine Idee Fortschritt, dies ist des Philosophen Religionskritik. Nietzsche kommt nicht einmal dem Namen nach vor.
Er wollte, schreibt Roman Simon-Schaefer im "Vorwort an die Erwachsenen", seiner damals zwölfjährigen Tochter Berenike erklären, "was die Profession des Philosophen ist". Doch statt der Philosophie, die "von einem Kind und damit von allen Kindern und Jugendlichen verstanden werden kann", ist eine Philosophie herausgekommen, die über weite Strecken den Charakter einer Selbstverständigung hat - ein Gespräch des gelehrten Autors mit seinem dümmeren Doppelgänger. Simon-Schaefers Philosophiekurs wendet sich nicht an junge oder gar kindliche Leser, er wendet sich an den Laien in der Philosophie. Es ist ein Lehrbuch der Philosophie für lesende Arbeiter und Angestellte, kurz für Nichtexperten in reiferem Alter. Kinder sollte man damit verschonen.
Übrigens wendet sich auch die schöne Kunstgeschichte von Janson & Janson nicht wirklich an die Jugend, wir meinen die zwischen elf und fünfzehn Jahren. Der zweite Titel, unter dem das Buch auch (in etwas anderer Ausstattung) vertrieben wird, sagt, worum es sich in Wahrheit handelt: "A Basic History of Art". Janson & Janson haben eine Kunstgeschichte für Anfänger verfaßt. Zweifellos sind die Heranwachsenden all das; sie sind "Anfänger", und sie sind "Laien". Zunächst einmal aber sind sie Kinder, und danach sind sie junge Leute - und die anzusprechen ist offenbar gar nicht leicht.
Ernst Gombrich freilich ist es gelungen, als er 1935 im Auftrag eines österreichischen Verlegers eine "Kurze Weltgeschichte für junge Leser" schrieb. Zwei oder drei Dinge sind es, die diesen Klassiker so unglaublich frisch und jugendlich anmuten lassen. Es ist die subtile Kunst des Erzählers Gombrich, die sich gleich zu Beginn erweist, wenn er anhand einer Reihe von Bildern (die ganz typisch für seinen Stil in der Kunstwissenschaft sind, aber auch an Lewis Carroll erinnern) seinen jungen Lesern den Blick für die Tiefe der Geschichte öffnet. Dann ist es die von allen heutigen Besorgnissen politischer Korrektheit freie Art des unbekümmerten Erzählens von Geschichte ("Auch Neger und Inder mußten mitkämpfen", heißt es vom Ersten Weltkrieg) und der selbstbewußten Bewertung von Handelnden und Handlungen, die Gombrich praktiziert: Merkwürdig, denkt man, daß es das noch gibt . . . Aber war es nicht gerade dies, was wir bei Jacob Burckhardt so lieben? Und warum gestatten wir uns selbst nicht mehr diesen Ausdruck hingerissenen Staunens angesichts eines Napoleon, den sich Ernst Gombrich hier erlaubt?
Denn wie die einfühlsamen Seiten über die Arbeiter und die Armen des 19. Jahrhunderts zeigen, braucht die ästhetische Begeisterung für die Heroen der Weltgeschichte nicht mit hochmütiger Verachtung für die Unglücklichen erkauft zu werden. Und andererseits muß, wer die kulturgeschichtliche Bedeutung des Christentums feiert, wie es der Kunsthistoriker Gombrich tut, deswegen nicht zum Feind aller anderen Religionen werden: Gehören nicht die Seiten über die Entstehung des Islam zu den schönsten des ganzen Buches? Vielleicht wäre das die beste Lektion, die die Geisteswissenschaften ihren jungen Lesern, die man ihnen in großer Zahl wünscht, mit auf den Weg geben könnten: Daß man nicht erst ein Ideologe und schrecklicher Vereinfacher werden muß, um ein erwachsener und halbwegs vernünftiger Mensch zu sein.
"Für Natzel und Dizel", Renate und Judith, die beiden Töchter Karl Wolfskehls, hat Friedrich Gundolf ehedem eine gereimte Weltgeschichte verfaßt, ein "Bilderbuch drin Gott und Welt / Nach Laeng- und Querschnitt dargestellt". Leider ist sie nur ein einziges Mal in sehr kleiner Auflage gedruckt worden und deshalb allenfalls als Rarissimum in Privatsammlungen und großen Bibliotheken zu bewundern - schade, denn zweifellos ist es die reizendste Kurzgeschichte der Welt, die geschrieben wurde, seit Gott diese schuf. Ihren Höhepunkt hat sie, wie sollte es beim Caesar-Verehrer Gundolf anders sein, bei den Römern: "Die Römer, hart und sittenstreng / Gediegen, nervig, würdig, eng / Rechts speer, links pflug, zu füssen kohl / Im busen krieg und landeswohl. / Familie zwecklich, götter viel / Die menschheit nichts, der staat das ziel. / So unterwarfen klug und zäh / Sie sich Italiens fern und näh / Bis ihnen, welch ein zwischenfall / Erlag selbst Puniens Hannibal . . ."
So geistreich kann Geisteswissenschaft für junge Leser sein - und so jugendlich. Und das nicht nur im Jugendstil.
Ernst H. Gombrich: "Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser". Von der Urzeit bis zur Gegenwart. DuMont Buchverlag, Köln 1985. 348 S., Abb., kt., 16,80 DM.
H. W. Janson / Anthony F. Janson: "History of Art for Young People". 4. Auflage. Harry N. Abrams, New York 1995. 527 S., Abb., geb., 35 Dollar.
Roland Simon-Schaefer: "Kleine Philosophie für Berenike". Reclam Verlag, Stuttgart 1996. 236 S., 13 Abb., br., 12,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn ehrwürdige Geisteswissenschaften sich um junge Leser bemühen / Von Ulrich Raulff
Man möchte es gern als Märchen erzählen: Wie vor wenigen Jahren ein norwegischer Philosophielehrer darauf verfiel, die Geschichte der Philosophie in Form eines Romans für junge Leute zu erzählen, und wie daraus erst ein Geheimtip und dann ein Welterfolg wurde. So daß die nächste Erzählung des jungen Mannes, obwohl keineswegs besser als "Sophies Welt", gleichsam über Nacht die ersten Ränge der internationalen Bestsellerlisten besetzte. Und weiter möchte man erzählen, wie "Sophies Welt" Schule machte und reihenweise neue Sachbücher entstehen ließ, feurig erzählte Geschichten der Philosophie und anderer Geisteswissenschaften, die nun endlich ein Lesepublikum fanden, das die Kulturkritik längst aufgegeben hatte: die jungen Leute, die man in den Wüsten von Internet und Extasy der Lesewelt abhanden gekommen glaubte. Aber nichts an diesem schönen Märchen stimmt - außer den Erfolgsmeldungen von "Sophies Welt".
Es stimmt nicht, daß "Sophies Welt" eine gut geschriebene, zuverlässige Geschichte der Philosophie ist. Es ist eine eher mühsam konstruierte Erzählung, sprachlich ranschmeißerisch und mit einem Haufen philosophischer Unrichtigkeiten: Wann und wo hätte Hegel je gesagt, vernünftig sei, was lebensfähig ist? Völkisch mag das zutreffen und eugenisch vielleicht auch, nur mit Hegel hat es nichts zu tun. Es stimmt auch nicht, daß "Sophies Welt" ein Buch für junge Leser ist. Kann sein, daß es sich hier und da in die Hände von jungen Leuten verirrt; fast alle seiner Käufer und bei weitem die meisten seiner Leser aber sind Erwachsene: Leute, die schon immer einmal verstehen wollten, was es mit der Philosophie auf sich hat, und die jetzt endlich, nach so vielen erst von Jaspers, dann von Sloterdijk verdorbenen Ferien, noch einmal einen Versuch mit der Weisheitsliebe machen möchten. Viele der Käufer, so heißt es, seien Lehrer gewesen: Vielleicht in der Hoffnung, der gefeierte Erzähler werde ihnen Hilfestellung für die Schule geben und die Räuberleiter für den Einstieg in die Nordwand des abendländischen Denkens halten; auch von philosophischen Proseminaren, denen "Sophies Welt" als Textbuch zugrunde lag, hat man schon gehört. Aber Schule hat es nicht gemacht - die erwartete Welle von flott erzählten Theoriegeschichten ist nicht eingetroffen, der neue Trend im Jugend-Sachbuch ausgeblieben.
Und noch etwas ist falsch am schönen Märchen vom Avantgardisten Jostein Gaarder: Darstellungen der Philosophie, der Geschichte und manch anderer Geisteswissenschaften für Kinder und Jugendliche gibt es nicht erst seit dem Siegeszug von "Sophies Welt", also seit drei, vier Jahren, es hat sie immer schon gegeben. Gerade die wirklichen Avantgardisten sind sich nie zu fein dafür gewesen, einem klugen Kinde zu erklären, was Denken, was Begriff und was begriffene Geschichte ist: Hat nicht vor einem Jahrzehnt, als der Begriff "Postmoderne" noch in allen Silbertönen des Neuen schillerte, Jean-Francois Lyotard sich darangegeben, Frankreichs Kindern diese neueste Ära zu erklären? Und ist nicht der populärste Versuch, Kindern die Weltgeschichte zu erzählen, Ernst H. Gombrichs "Kurze Weltgeschichte für junge Leser", kürzlich sechzig Jahre alt geworden (und somit dem Pensionsalter nahegekommen, ohne daß ein Nachfolgekandidat in Sicht wäre)? Lasset die Kindlein zu mir kommen, wird sich gelegentlich auch der Wissenschaftler sagen: Was sie nicht verstehen, mag zwar immer noch für einen DFG-Projektantrag taugen, zu drucken aber braucht man's eigentlich nicht mehr.
Vom Alter her ist das Werk von H. W. Janson (erst das Impressum löst das Mysterium der Initialen: Horst Woldemar) über die Geschichte der Kunst nicht mit Gombrichs unsterblichem Kinder-Klassiker zu vergleichen: Erst auf fünfundzwanzig Jahre und vier Auflagen hat es die "History of Art for Young People" gebracht, die seit dem Tode des Verfassers im Jahr 1982 von dessen Sohn, Anthony F. Janson, weitergeschrieben und vorsichtig modernisiert wird. Das Ergebnis des Familienunternehmens ist, um es mit einem Wort zu sagen, exzellent, sowohl was die Fülle und Qualität der Abbildungen als auch was den Text angeht, der in meisterlicher Knappheit von der Steinzeit und den Ägyptern bis zu Kiefer, Hockney und James Stirling führt.
Janson & Janson gehen chronologisch vor und gliedern nach Epochen, die sie dann nach Gattungen und weiter nach den prominentesten Künstlern unterteilen, wobei sie die jeweiligen Klassifikations- und Zuordnungsprobleme keineswegs unterschlagen: War Ingres bloß Klassizist oder vielmehr ein romantischer Klassizist? Und wie neobarock waren seine romantischen Zeitgenossen? Im Stil selbst eher amerikanisch-klassizistisch, versagen sich Janson & Janson gelegentlich doch nicht ein deftig Wörtlein der Deutung und der Wertung - etwa, wenn sie von Bouchers "Toilette der Venus" schreiben, im Gegensatz zu Vouets entrückter Göttin sei sie zu einer Koketten geraten. In ihrem "cosmetic never-never land" sei sie alterslos geworden, vom selben weichen, rosigen Fleisch wie die aufwartenden Engelchen, gefangen in ewiger Jugend, unfähig zu wirklicher Leidenschaft. Man mag solche Deskriptionen mögen oder nicht, unbestreitbar bringen sie boucherhaft rosiges Fleisch auf das, was leicht ein dürres Gerippe kunsthistorischer Daten hätte werden können.
Der Skylla des Knöchernen entkommen, wissen Janson & Janson die Charybdis des rein Schwelgerischen und insofern Unintellektuellen zu umschiffen, indem sie ihr Werk in vier große Epochen unterteilen, an deren Beginn jeweils eine Weltkarte (ergänzt um Kartenausschnitte) die Hauptschauplätze der Kunstentstehung in dieser Ära zeigt, und an deren Ende eine chronologisch-synoptische Tabelle einen Überblick über die hervorragenden Ereignisse in der Geschichte und in den Künsten gibt. Ein Glossar, sinnvolle Angaben zur weiterführenden Literatur und ein Namens-, Orts- und Sachindex runden das vorbildliche Werk ab, das einen noch mehr freuen würde, existierte es in einer deutschen Übersetzung: Ade, würden wir dann sagen, ade ihr Sorgen, was wir Neffen und Nichten, großen Kindern und kleinen Cousinen zu Ostern und Weihnachten schenken sollen! Aber ach, wir werden uns wohl noch eine Weile mit Sister Wendy Beckett zufrieden gebenmüssen, die immerhin acht Jahrhunderte der Geschichte der Malerei in schwesterlicher Liebe der Jugend nahebringt (Wendy Beckett: "Die Geschichte der Malerei". 8 Jahrhunderte in 455 Meisterwerken, Verlag DuMont, Köln 1995).
Neben der "History of Art for Young People" verdanken wir Janson dem Älteren übrigens das beste Buch, das es über Affendarstellungen und Affenverehrung in Mittelalter und Neuzeit gibt ("Apes und Ape Lore in the Middle Ages and the Renaissance"). Vielleicht muß man lange über Affen und äffisches Verhalten nachgedacht haben, bevor man erkennt, daß ein gutes Buch für Kinder und junge Leser nicht dadurch zustande kommt, daß man die Reden der Erwachsenen im Ton vermeintlicher Kindersprache nachäfft. Dies scheint auch die Auffassung von Roman Simon-Schaefer zu sein, der jungen Lesern das Geschäft der Philosophie erklären möchte und sich dazu keiner reißerischen oder herablassenden Prosa bedient.
Ganz ohne den Affen freilich geht die philosophische Chose nicht. Sie braucht ihn als Türsteher vor dem Kabinett, in dem ihr großes Thema verhandelt wird - was der Mensch sei. (Zu 99,9 Prozent, weiß Simon-Schaefer, sind die Gene von Mensch und Schimpanse identisch.) Drinnen im Kabinett wird die Sphinx-Frage nach dem Wesen des Menschen in speziellere Fragen zerlegt, deren Formulierung seit Kant kanonisch ist: Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? Anhand der klassischen Fragen, die die Grenzen des Wissens, die Richtschnur des Handelns und die Chancen des Glücks betreffen, entwickelt auch Simon-Schaefer den Themenkreis der Philosophie.
Meist geht er systematisch vor, nach Aufgaben und Problemen, bisweilen auch historisch, nach Autoren und Lösungen. Anders als Jostein Gaarder will er nicht den Roman der Philosophie schreiben, sondern Eigenart und Nutzen philosophischen Denkens erläutern. Dabei gelingen ihm recht gute, gelegentlich fast elegante Kurzfassungen komplexer Zusammenhänge, so in den Partien, die von der Philosophie des Staates und der Gesetze und vom utopischen Denken handeln. Nicht übel sind die wenigen Seiten über die Sprache, auch wenn sie nur den instrumentellen Aspekt behandeln und alle anderen Auffassungen von Sprache verschweigen (und das im Hinblick auf Kinder, also geborene Sprachmagier!). Und auch die Einführung in die Aussagenlogik ("Diese Gestalt da vorn ist entweder Goofy oder nicht Goofy") erfreut durch Klarheit und Kürze.
Leider aber hegt unser Philosoph eine unglückliche Liebe zur Astrophysik. Gleich einem postmodernen Rattenfänger führt er seine Leser über Seiten und Seiten hinweg immer tiefer in die Endlosigkeit der Galaxien und in die Unbeantwortbarkeit gewisser Fragen (nach dem Anfang der Welt, nach der Dynamik des Universums). Dort, wo der bestirnte Himmel über uns trübe und die Erkenntnis provisorisch wird, läßt er die lieben Kleinen in die bleichen Nebel schauen und verkündet - mit der hartgesottenen Gewißheit des dogmatischen Skeptikers - die Relativität und Ungewißheit allen Wissens. Wer hier stutzt und sich nach dem gesunden Menschenverstand eines Autors fragt, der die Theorie der Straße mit den Prolegomena des universalen Schlaglochs beginnen läßt, dem wird noch blümeranter, wenn der Philosoph zwischen Metaphysik- und Sinnfragen das Kapitel der historischen Religionen aufschlägt.
Unter dem oberlehrerhaften Titel "Die Mängel bestehender Religionen" wird nicht nur den Juden bescheinigt, ihr Wahn, das auserwählte Volk zu sein, habe "gewiß den Grundstein für das leidvolle Schicksal des jüdischen Volkes in der Weltgeschichte gelegt" - es wird vor allem den Christen der Prozeß wegen Dogmatismus und Verfolgung Andersgläubiger gemacht. "Wollte jemand", so lautet der Beschluß des philosophischen Kirchenkritikers, "der von außen das Christentum betrachtet, zu dem Schluß kommen, eine Religion, die derart fanatisch und intolerant ist, könne nicht von Gott, sondern müsse ein Werk des Teufels sein, wie könnte man ihm widersprechen?"
Einen der Hauptdefekte der drei großen monotheistischen Religionen erkennt der Philosoph darin, daß sie allesamt von Männern dominiert und gegenüber den Frauen "differenziert sadistisch" gewesen seien. Zu loben findet er demgegenüber die heidnische Religion der Griechen, die "eine Fülle weiblicher Gottheiten kannte und damit fortschrittlicher war als die christliche Religion". Ein Schlückchen Feuerbach, ein Häppchen Feminismus, eine Idee Fortschritt, dies ist des Philosophen Religionskritik. Nietzsche kommt nicht einmal dem Namen nach vor.
Er wollte, schreibt Roman Simon-Schaefer im "Vorwort an die Erwachsenen", seiner damals zwölfjährigen Tochter Berenike erklären, "was die Profession des Philosophen ist". Doch statt der Philosophie, die "von einem Kind und damit von allen Kindern und Jugendlichen verstanden werden kann", ist eine Philosophie herausgekommen, die über weite Strecken den Charakter einer Selbstverständigung hat - ein Gespräch des gelehrten Autors mit seinem dümmeren Doppelgänger. Simon-Schaefers Philosophiekurs wendet sich nicht an junge oder gar kindliche Leser, er wendet sich an den Laien in der Philosophie. Es ist ein Lehrbuch der Philosophie für lesende Arbeiter und Angestellte, kurz für Nichtexperten in reiferem Alter. Kinder sollte man damit verschonen.
Übrigens wendet sich auch die schöne Kunstgeschichte von Janson & Janson nicht wirklich an die Jugend, wir meinen die zwischen elf und fünfzehn Jahren. Der zweite Titel, unter dem das Buch auch (in etwas anderer Ausstattung) vertrieben wird, sagt, worum es sich in Wahrheit handelt: "A Basic History of Art". Janson & Janson haben eine Kunstgeschichte für Anfänger verfaßt. Zweifellos sind die Heranwachsenden all das; sie sind "Anfänger", und sie sind "Laien". Zunächst einmal aber sind sie Kinder, und danach sind sie junge Leute - und die anzusprechen ist offenbar gar nicht leicht.
Ernst Gombrich freilich ist es gelungen, als er 1935 im Auftrag eines österreichischen Verlegers eine "Kurze Weltgeschichte für junge Leser" schrieb. Zwei oder drei Dinge sind es, die diesen Klassiker so unglaublich frisch und jugendlich anmuten lassen. Es ist die subtile Kunst des Erzählers Gombrich, die sich gleich zu Beginn erweist, wenn er anhand einer Reihe von Bildern (die ganz typisch für seinen Stil in der Kunstwissenschaft sind, aber auch an Lewis Carroll erinnern) seinen jungen Lesern den Blick für die Tiefe der Geschichte öffnet. Dann ist es die von allen heutigen Besorgnissen politischer Korrektheit freie Art des unbekümmerten Erzählens von Geschichte ("Auch Neger und Inder mußten mitkämpfen", heißt es vom Ersten Weltkrieg) und der selbstbewußten Bewertung von Handelnden und Handlungen, die Gombrich praktiziert: Merkwürdig, denkt man, daß es das noch gibt . . . Aber war es nicht gerade dies, was wir bei Jacob Burckhardt so lieben? Und warum gestatten wir uns selbst nicht mehr diesen Ausdruck hingerissenen Staunens angesichts eines Napoleon, den sich Ernst Gombrich hier erlaubt?
Denn wie die einfühlsamen Seiten über die Arbeiter und die Armen des 19. Jahrhunderts zeigen, braucht die ästhetische Begeisterung für die Heroen der Weltgeschichte nicht mit hochmütiger Verachtung für die Unglücklichen erkauft zu werden. Und andererseits muß, wer die kulturgeschichtliche Bedeutung des Christentums feiert, wie es der Kunsthistoriker Gombrich tut, deswegen nicht zum Feind aller anderen Religionen werden: Gehören nicht die Seiten über die Entstehung des Islam zu den schönsten des ganzen Buches? Vielleicht wäre das die beste Lektion, die die Geisteswissenschaften ihren jungen Lesern, die man ihnen in großer Zahl wünscht, mit auf den Weg geben könnten: Daß man nicht erst ein Ideologe und schrecklicher Vereinfacher werden muß, um ein erwachsener und halbwegs vernünftiger Mensch zu sein.
"Für Natzel und Dizel", Renate und Judith, die beiden Töchter Karl Wolfskehls, hat Friedrich Gundolf ehedem eine gereimte Weltgeschichte verfaßt, ein "Bilderbuch drin Gott und Welt / Nach Laeng- und Querschnitt dargestellt". Leider ist sie nur ein einziges Mal in sehr kleiner Auflage gedruckt worden und deshalb allenfalls als Rarissimum in Privatsammlungen und großen Bibliotheken zu bewundern - schade, denn zweifellos ist es die reizendste Kurzgeschichte der Welt, die geschrieben wurde, seit Gott diese schuf. Ihren Höhepunkt hat sie, wie sollte es beim Caesar-Verehrer Gundolf anders sein, bei den Römern: "Die Römer, hart und sittenstreng / Gediegen, nervig, würdig, eng / Rechts speer, links pflug, zu füssen kohl / Im busen krieg und landeswohl. / Familie zwecklich, götter viel / Die menschheit nichts, der staat das ziel. / So unterwarfen klug und zäh / Sie sich Italiens fern und näh / Bis ihnen, welch ein zwischenfall / Erlag selbst Puniens Hannibal . . ."
So geistreich kann Geisteswissenschaft für junge Leser sein - und so jugendlich. Und das nicht nur im Jugendstil.
Ernst H. Gombrich: "Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser". Von der Urzeit bis zur Gegenwart. DuMont Buchverlag, Köln 1985. 348 S., Abb., kt., 16,80 DM.
H. W. Janson / Anthony F. Janson: "History of Art for Young People". 4. Auflage. Harry N. Abrams, New York 1995. 527 S., Abb., geb., 35 Dollar.
Roland Simon-Schaefer: "Kleine Philosophie für Berenike". Reclam Verlag, Stuttgart 1996. 236 S., 13 Abb., br., 12,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.01.2012Ein Kind stellt Fragen
Ernst H. Gombrichs Klassiker: „Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser“, wendet sich an historisch Ahnungslose
Große historische Darstellungen, die mit ihrer Schilderung dem Leser ganze Epochen in ihren vielfältigen Zusammenhängen und Wechselwirkungen vorstellen, muten in aller Regel sehr schnell altbacken an und werden ungenießbar. Eine plausible Erklärung dafür ist, dass ein so großer Blickwinkel die Wahrnehmung des Lesers für die Perspektive schärft, unter der das Thema vom Autor aufgefasst wurde. Diese Perspektive verrät unweigerlich die Standortbindung des Verfassers in einer Gegenwart, die unter der Lektüre des Buchs bisweilen sehr rasch als schon sehr vergangen erkannt wird.
Eine sehr bemerkenswerte Ausnahme von dieser Regel stellt jedoch ein Buch dar, das erstmals 1936 erschienen ist und das seit 1985 bereits in einer dritten, behutsam überarbeiteten und ergänzten Auflage vorliegt. Verfasst hat dieses nimmerwelke Werk, das folglich durchaus den Rang eines „Klassikers“ beanspruchen kann und das als Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser firmiert, der aus Wien stammende Kunsthistoriker Ernst H. Gombrich.
Im Vorwort zu der jetzt veröffentlichten Ausgabe schreibt dessen Enkelin Leonie Gombrich, dass ihr Großvater dieses Werk binnen weniger Wochen zu Papier gebracht habe. Den Anstoß dazu habe ihm der Briefwechsel mit der kleinen Tochter von Freunden gegeben, die sich lebhaft dafür interessierte, womit er sich so intensiv beschäftige. Es habe ihm großen Spaß gemacht, dem Kind das Thema der Dissertation, mit der er damals befasst war, in verständlicher Weise zu vermitteln. Darunter gelangte er zu der festen Überzeugung, wie die Enkelin schreibt, „dass man die meisten Dinge einem intelligenten Kind in einfachen Worten erklären könne.“ Den Beweis für die Richtigkeit dieser Vermutung legte er mit dem Buch vor, das ursprünglich unter dem Titel Weltgeschichte von der Urzeit bis zur Gegenwart in der Reihe „Wissenschaft für Kinder“ des in Wien und Leipzig ansässigen Steyrermühl-Verlags erschienen ist. Ernst H. Gombrich hat die riesige Fülle des welthistorischen Stoffs in vierzig handliche Portionen unterteilt und in ebenso vielen Kapiteln von unterschiedlicher Länge erzählt, die, von ganzseitigen Illustrationen nach historischen Vorlagen unterbrochen, jeweils einen Umfang zwischen fünf und neun Seiten haben.
Diese Gliederung ist im Hinblick auf den schieren Umfang seines Themas vor allem deshalb so überzeugend, weil sich Gombrich klugerweise damit beschied, lediglich die großen Epochen exemplarisch zu betrachten. Auch wenn der Standpunkt, den er bezog, im wesentlichen ein eurozentrischer ist, er also die welthistorischen Geschehensabläufe aus europäischer Sicht beschreibt, so werden noch die alt-ägyptische, die alt-indische oder die alt-chinesische Kultur und Geschichte erläutert, die sich nicht nur von der gleichzeitigen Entwicklung in Europa sehr unterschieden, sondern dieser auch in zivilisatorischer Hinsicht weit voraus waren.
Gombrichs Weltgeschichte endet mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs, nimmt also jenen historischen Erfahrungsraum in Betracht, der aus der zeitlichen Perspektive des Jahres 1936, als das Buch erstmals erschien, sich als eine sich abgeschlossene Vergangenheit ansprechen ließ. Was danach kam, die Herrschaft der Diktatoren in Europa, der Zweite Weltkrieg und der von den Nazis an den Juden verübte Völkermord, das hat Gombrich in einem neuen Schlusskapitel erzählt, das dem „Stückchen Weltgeschichte, das ich selbst erlebt habe“, gewidmet ist.
Ernst H. Gombrichs Eine kurze Weltgeschichte ist eine ebenso unterhaltsame wie informative Lektüre. Das Buch wendet sich aber nicht nur, wie sein Titel besagt, an „junge Leser“, sondern vor allem auch an jene Schar von historisch Ahnungslosen, von der man den Eindruck hat, dass sie trotz oder wegen des riesigen Erfolgs der vom Komiker Hape Kerkeling im Fernsehen animierten Geschichtsshow immer größer wird. (ab 13 Jahre und Erwachsene)
JOHANNES WILLMS
ERNST H. GOMBRICH: Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser. Mit Illustrationen von Kat Menschik. Dumont Buchverlag 2011. 296 Seiten, 24,99 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ernst H. Gombrichs Klassiker: „Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser“, wendet sich an historisch Ahnungslose
Große historische Darstellungen, die mit ihrer Schilderung dem Leser ganze Epochen in ihren vielfältigen Zusammenhängen und Wechselwirkungen vorstellen, muten in aller Regel sehr schnell altbacken an und werden ungenießbar. Eine plausible Erklärung dafür ist, dass ein so großer Blickwinkel die Wahrnehmung des Lesers für die Perspektive schärft, unter der das Thema vom Autor aufgefasst wurde. Diese Perspektive verrät unweigerlich die Standortbindung des Verfassers in einer Gegenwart, die unter der Lektüre des Buchs bisweilen sehr rasch als schon sehr vergangen erkannt wird.
Eine sehr bemerkenswerte Ausnahme von dieser Regel stellt jedoch ein Buch dar, das erstmals 1936 erschienen ist und das seit 1985 bereits in einer dritten, behutsam überarbeiteten und ergänzten Auflage vorliegt. Verfasst hat dieses nimmerwelke Werk, das folglich durchaus den Rang eines „Klassikers“ beanspruchen kann und das als Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser firmiert, der aus Wien stammende Kunsthistoriker Ernst H. Gombrich.
Im Vorwort zu der jetzt veröffentlichten Ausgabe schreibt dessen Enkelin Leonie Gombrich, dass ihr Großvater dieses Werk binnen weniger Wochen zu Papier gebracht habe. Den Anstoß dazu habe ihm der Briefwechsel mit der kleinen Tochter von Freunden gegeben, die sich lebhaft dafür interessierte, womit er sich so intensiv beschäftige. Es habe ihm großen Spaß gemacht, dem Kind das Thema der Dissertation, mit der er damals befasst war, in verständlicher Weise zu vermitteln. Darunter gelangte er zu der festen Überzeugung, wie die Enkelin schreibt, „dass man die meisten Dinge einem intelligenten Kind in einfachen Worten erklären könne.“ Den Beweis für die Richtigkeit dieser Vermutung legte er mit dem Buch vor, das ursprünglich unter dem Titel Weltgeschichte von der Urzeit bis zur Gegenwart in der Reihe „Wissenschaft für Kinder“ des in Wien und Leipzig ansässigen Steyrermühl-Verlags erschienen ist. Ernst H. Gombrich hat die riesige Fülle des welthistorischen Stoffs in vierzig handliche Portionen unterteilt und in ebenso vielen Kapiteln von unterschiedlicher Länge erzählt, die, von ganzseitigen Illustrationen nach historischen Vorlagen unterbrochen, jeweils einen Umfang zwischen fünf und neun Seiten haben.
Diese Gliederung ist im Hinblick auf den schieren Umfang seines Themas vor allem deshalb so überzeugend, weil sich Gombrich klugerweise damit beschied, lediglich die großen Epochen exemplarisch zu betrachten. Auch wenn der Standpunkt, den er bezog, im wesentlichen ein eurozentrischer ist, er also die welthistorischen Geschehensabläufe aus europäischer Sicht beschreibt, so werden noch die alt-ägyptische, die alt-indische oder die alt-chinesische Kultur und Geschichte erläutert, die sich nicht nur von der gleichzeitigen Entwicklung in Europa sehr unterschieden, sondern dieser auch in zivilisatorischer Hinsicht weit voraus waren.
Gombrichs Weltgeschichte endet mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs, nimmt also jenen historischen Erfahrungsraum in Betracht, der aus der zeitlichen Perspektive des Jahres 1936, als das Buch erstmals erschien, sich als eine sich abgeschlossene Vergangenheit ansprechen ließ. Was danach kam, die Herrschaft der Diktatoren in Europa, der Zweite Weltkrieg und der von den Nazis an den Juden verübte Völkermord, das hat Gombrich in einem neuen Schlusskapitel erzählt, das dem „Stückchen Weltgeschichte, das ich selbst erlebt habe“, gewidmet ist.
Ernst H. Gombrichs Eine kurze Weltgeschichte ist eine ebenso unterhaltsame wie informative Lektüre. Das Buch wendet sich aber nicht nur, wie sein Titel besagt, an „junge Leser“, sondern vor allem auch an jene Schar von historisch Ahnungslosen, von der man den Eindruck hat, dass sie trotz oder wegen des riesigen Erfolgs der vom Komiker Hape Kerkeling im Fernsehen animierten Geschichtsshow immer größer wird. (ab 13 Jahre und Erwachsene)
JOHANNES WILLMS
ERNST H. GOMBRICH: Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser. Mit Illustrationen von Kat Menschik. Dumont Buchverlag 2011. 296 Seiten, 24,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
"Endlich wieder da." Schon in der Überschrift wird schnell klar, wie begeistert Elisabeth von Thadden von Ernst Gombrichs kleiner Weltgeschichte für junge Leser ist. Besonders gefällt ihr der "freundliche Grundton", in dem stets die leise Hoffnung mitschwingt, die Welt möge künftig besser werden. Aber auch die "Neugier auf die Welt", die in jedem Kapitel zu spüren ist, beeindruckt sie ganz ihr ungemein. Und "zum Vorlesen ist dieses Buch unverändert wie geschaffen". Nur wenige Seiten umfasst jedes Kapitel, eine halbe Stunde zum Vorlesen, schätzt die Rezensentin. "In schöner Gleichheit" werden so Epochen und Weltkulturen zusammenfassend dargestellt. Jeder Zeitabschnitt wird dabei von Gombrich mit einigen lockeren oder auch persönlichen Bemerkungen eröffnet, "ein Tor, durch das man augenblicks gehen möchte", verspricht Thadden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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