Helge Schneider bringt den lauwarmen Hauch des Familiendramas in unsere Lesestuben zurückRobert Forks Eine Liebe im Sechsachteltakt versucht uns mit den neuzeitlichen Mitteln des multiperspektivischen Erzählens ein Bild der klassischen englischen Gartenlandschaften und ihrer Menschen zu vermitteln. Unter Verzicht auf spektakuläre Handlung konzentriert sich Robert Fork ganz auf die seelischen Innenwelten seiner Protagonisten, auch wenn diese düster und stumpf sind.
Helge Schneider setzt sich in seinem neuen Roman mit der Nouvelle Romantic auseinander. Der Hauptdarsteller wirkt auf den Leser wie ein angefaulter Apfel im Einkaufsnetz, vergessen auszupacken nach dem Einkauf. Dieser Mensch lebt zu ca. 30 Prozent im Hier und Jetzt, der Rest ist mystifizierte Vergangenheit, noch nicht einmal übertrieben. Ob Kollendorf mit Gummistiefeln durch das Wattenmeer stapft oder aus dem Flugzeug fällt, ist dem Leser egal, denn dieser Mann ist pures Selbstmitleid, man kann sich für sein Schicksal genauso wenig erwärmen wie für die Leute aus den TV-Zweiteilern. Helge Schneider schafft es jedoch trotz der Passivität des Hauptdarstellers, Spannung in sein Epos zu zaubern.
Die vielen Namen und die vielen Toten, die unerschöpflich vom Rand her die Story auffüllen, sind Synonym für das Perpetuum mobile der Unpersönlichkeit in der neuzeitlichen Gesellschaft. So bringt Helge Schneider den lauwarmen Hauch des Familiendramas in unsere Lesestuben zurück. Nichts ist ihm zu belanglos, um nicht noch einmal darauf hinzuweisen. Am Ende aber bleibt die Frage aller Fragen offen, wie im Leben - das wahre Leben nimmt kein Ende. Wir warten auf eine Fortsetzung dieser Geschichte, die durch ihre knallharte Weichheit zu einem äußerst spannenden Thriller reift, je mehr man sich in die vielen Seiten vertieft. Ein Muss für Literaturkenner!
Helge Schneider setzt sich in seinem neuen Roman mit der Nouvelle Romantic auseinander. Der Hauptdarsteller wirkt auf den Leser wie ein angefaulter Apfel im Einkaufsnetz, vergessen auszupacken nach dem Einkauf. Dieser Mensch lebt zu ca. 30 Prozent im Hier und Jetzt, der Rest ist mystifizierte Vergangenheit, noch nicht einmal übertrieben. Ob Kollendorf mit Gummistiefeln durch das Wattenmeer stapft oder aus dem Flugzeug fällt, ist dem Leser egal, denn dieser Mann ist pures Selbstmitleid, man kann sich für sein Schicksal genauso wenig erwärmen wie für die Leute aus den TV-Zweiteilern. Helge Schneider schafft es jedoch trotz der Passivität des Hauptdarstellers, Spannung in sein Epos zu zaubern.
Die vielen Namen und die vielen Toten, die unerschöpflich vom Rand her die Story auffüllen, sind Synonym für das Perpetuum mobile der Unpersönlichkeit in der neuzeitlichen Gesellschaft. So bringt Helge Schneider den lauwarmen Hauch des Familiendramas in unsere Lesestuben zurück. Nichts ist ihm zu belanglos, um nicht noch einmal darauf hinzuweisen. Am Ende aber bleibt die Frage aller Fragen offen, wie im Leben - das wahre Leben nimmt kein Ende. Wir warten auf eine Fortsetzung dieser Geschichte, die durch ihre knallharte Weichheit zu einem äußerst spannenden Thriller reift, je mehr man sich in die vielen Seiten vertieft. Ein Muss für Literaturkenner!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.03.2008Nase ohne Ursprung
Helge Schneider beschwört das Schicksal für Eingeweihte
Ein Komiker, der ein Buch schreibt, hat es schwer. Er muss sich dafür von so ziemlich allem verabschieden, worauf er seine Wirkungen baut, und gibt den Lesern nur ungefähr so viel in die Hand, wie sie hätten, wenn sie von einem Film ausschließlich das Skript bekämen: die dürre Anweisung auf ein Gebilde, aber auch nicht annähernd dieses selbst. Man muss wohl ein ziemlich eingefleischter Fan von Helge Schneider sein, um sich an „Eine Liebe im Sechsachteltakt – Der große abgeschlossene Schicksalsroman von Robert Fork” wahrhaft zu ergötzen.
Schneider gehört, wie Buster Keaton und Karl Valentin, zu den Komikern, die auf das „deadpan” setzen, die völlige Ausdruckslosigkeit bei ihren absurden Aktionen. Aber gerade diese Qualität vermittelt sich auf dem Papier, das ja von vornherein ausdruckslos ist und jeden Unfug duldet, schlecht, viel schlechter als der Gegentypus des Aufgekratzten. Dem Gesicht fehlt was, wenn es unbewegt bleibt, darauf beruht der Kontrasteffekt; dem Blatt nicht, und vom Skurrilen zum Faden ist es da nur ein kleiner Schritt.
„Zwiebeltürme ragten in den von Krähen bevölkerten Novemberhimmel”, beginnt es. „Die Stadt atmete schwer ihre letzten Nachttropfen ein, schon schwärmte die Sonne aus, und ihre goldgelbe Natur umheerte den Horizont wie eine nölige Nase ohne Ursprung.” Na gut, denkt man sich, doch wie weiter? Denn mit der Poesie der Rätselmetapher kann sich ein Schicksalsroman nicht ewig aufhalten. Das Schicksal schlägt dann aber folgendermaßen zu: Der gewesene Chefarzt Wolfgang Kollendorf sitzt im Café und weint, weil er erfahren hat, dass seine Lebensgefährtin, die reiche Unternehmerin Angélique Tessier, Selbstmord begangen hat. Nun bricht ihm, dem Trinker, der alles verloren hat, auch der letzte Halt weg. Als er ihr noch offenes Grab in Brisbane / Australien aufsucht, schubst ihn ein Unbekannter hinein. Sein Verfasser Robert Fork lässt ihn versuchsweise einmal vom Auto überfahren, überlegt es sich und rettet ihn, aber dann überlegt er es sich noch mal, und Kollendorf kommt doch unter die Räder – und zwar just in dem Augenblick, als er in der jungen Frau Silke-Lara aus Schweinfurt (der Ortsname Schweinfurt will als autonomes Humorelement gewürdigt werden) wiederum eine große Liebe gefunden hat.
Dazwischen wird viel von Kontinent zu Kontinent geflogen und noch mehr gestorben, mal explodiert die Gasleitung, mal fällt einer vom Pferd und bricht sich das Rückgrat, mal zieht sich die ertappte Erbschleicherin mit einer Rolle rückwärts vom Fenster des zehnten Stocks aus der Affäre; und dazwischen erlebt man immer wieder Kollendorf, den haltlosen Säufer, wie er still vor sich hinweint. Ein echter Knaller also, bei dem sich ein Schneider-Fan auf die Schenkel klatscht und vor Lachen fast erstickt. Wer Schneider ferner steht, wird eine unglückliche Mitte zwischen Konsistenz und Inkonsistenz der Handlungsführung bemerken. Der Plot hängt gerade genug zusammen, um als Parodie auf einen „Tatort”-Krimi zu langweilen, fällt aber dann doch wieder so weit auseinander, dass man dem, was geschieht, nicht wirklich aufmerksam folgen mag. Das Beste, was sich von diesem Buch sagen lässt, wäre, dass es Mimesis an einen durchgezappten deutschen Fernsehabend treibt, wenn der Daumen lustlos auf der Fernbedienung ruht und man aus vollem Herzen spricht: Es läuft mal wieder überhaupt nichts!BURKHARD MÜLLER
HELGE SCHNEIDER: Eine Liebe im Sechsachteltakt. Der große abgeschlossene Schicksalsroman von Robert Fork. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 208 Seiten, 7,95 Euro.
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Helge Schneider beschwört das Schicksal für Eingeweihte
Ein Komiker, der ein Buch schreibt, hat es schwer. Er muss sich dafür von so ziemlich allem verabschieden, worauf er seine Wirkungen baut, und gibt den Lesern nur ungefähr so viel in die Hand, wie sie hätten, wenn sie von einem Film ausschließlich das Skript bekämen: die dürre Anweisung auf ein Gebilde, aber auch nicht annähernd dieses selbst. Man muss wohl ein ziemlich eingefleischter Fan von Helge Schneider sein, um sich an „Eine Liebe im Sechsachteltakt – Der große abgeschlossene Schicksalsroman von Robert Fork” wahrhaft zu ergötzen.
Schneider gehört, wie Buster Keaton und Karl Valentin, zu den Komikern, die auf das „deadpan” setzen, die völlige Ausdruckslosigkeit bei ihren absurden Aktionen. Aber gerade diese Qualität vermittelt sich auf dem Papier, das ja von vornherein ausdruckslos ist und jeden Unfug duldet, schlecht, viel schlechter als der Gegentypus des Aufgekratzten. Dem Gesicht fehlt was, wenn es unbewegt bleibt, darauf beruht der Kontrasteffekt; dem Blatt nicht, und vom Skurrilen zum Faden ist es da nur ein kleiner Schritt.
„Zwiebeltürme ragten in den von Krähen bevölkerten Novemberhimmel”, beginnt es. „Die Stadt atmete schwer ihre letzten Nachttropfen ein, schon schwärmte die Sonne aus, und ihre goldgelbe Natur umheerte den Horizont wie eine nölige Nase ohne Ursprung.” Na gut, denkt man sich, doch wie weiter? Denn mit der Poesie der Rätselmetapher kann sich ein Schicksalsroman nicht ewig aufhalten. Das Schicksal schlägt dann aber folgendermaßen zu: Der gewesene Chefarzt Wolfgang Kollendorf sitzt im Café und weint, weil er erfahren hat, dass seine Lebensgefährtin, die reiche Unternehmerin Angélique Tessier, Selbstmord begangen hat. Nun bricht ihm, dem Trinker, der alles verloren hat, auch der letzte Halt weg. Als er ihr noch offenes Grab in Brisbane / Australien aufsucht, schubst ihn ein Unbekannter hinein. Sein Verfasser Robert Fork lässt ihn versuchsweise einmal vom Auto überfahren, überlegt es sich und rettet ihn, aber dann überlegt er es sich noch mal, und Kollendorf kommt doch unter die Räder – und zwar just in dem Augenblick, als er in der jungen Frau Silke-Lara aus Schweinfurt (der Ortsname Schweinfurt will als autonomes Humorelement gewürdigt werden) wiederum eine große Liebe gefunden hat.
Dazwischen wird viel von Kontinent zu Kontinent geflogen und noch mehr gestorben, mal explodiert die Gasleitung, mal fällt einer vom Pferd und bricht sich das Rückgrat, mal zieht sich die ertappte Erbschleicherin mit einer Rolle rückwärts vom Fenster des zehnten Stocks aus der Affäre; und dazwischen erlebt man immer wieder Kollendorf, den haltlosen Säufer, wie er still vor sich hinweint. Ein echter Knaller also, bei dem sich ein Schneider-Fan auf die Schenkel klatscht und vor Lachen fast erstickt. Wer Schneider ferner steht, wird eine unglückliche Mitte zwischen Konsistenz und Inkonsistenz der Handlungsführung bemerken. Der Plot hängt gerade genug zusammen, um als Parodie auf einen „Tatort”-Krimi zu langweilen, fällt aber dann doch wieder so weit auseinander, dass man dem, was geschieht, nicht wirklich aufmerksam folgen mag. Das Beste, was sich von diesem Buch sagen lässt, wäre, dass es Mimesis an einen durchgezappten deutschen Fernsehabend treibt, wenn der Daumen lustlos auf der Fernbedienung ruht und man aus vollem Herzen spricht: Es läuft mal wieder überhaupt nichts!BURKHARD MÜLLER
HELGE SCHNEIDER: Eine Liebe im Sechsachteltakt. Der große abgeschlossene Schicksalsroman von Robert Fork. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 208 Seiten, 7,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Soviel steht fest: Helge-Schneider-Fan ist Burkhard Müller nicht. Sonst wäre er nachsichtiger umgegangen mit diesem Roman. Dass Helge Schneiders "deadpan"-Gesicht zwischen Buchdeckeln nicht funktioniert, ist Müller klargeworden. Aber welcher Schneider-Verehrer hätte allen Ernstes nach einem Plot Ausschau gehalten, wie Müller es tut, hätte auf Konsistenz geschielt, den Text als Tatort-Parodie verstanden und enttäuscht festgestellt: "Vom Skurrilen zum Faden" ist es bei dieser Ballade vom Trinker Kollendorf nicht weit?
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Das Geheimnis des Erzählers Helge Schneider ist eine sanfte Komik, die seine papiernen Figuren zwar dem Lächeln des Lesers, nie aber gänzlich der Lächerlichkeit preisgibt.« Hendrik Werner Die Welt