Jörg-Uwe Albig ist ein Meister der spektakulären literarischen Volte. In seiner Novelle erzählt er die Geschichte einer Liebe, die man mit Fug und Recht ungewöhnlich nennen kann - der Liebe zwischen einem Mann und einem Gebäude.
Gregor Steinitz lebt als Paläontologe in einer ostdeutschen Kleinstadt. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Aktivisten kämpft er für den Erhalt der vom »Rückbau« bedrohten Bausubstanz der Stadt. Auf einem seiner Streifzüge durch Brachen und Plattenbausiedlungen trifft er Maria Magdalena. Sie ist klein und auf den ersten Blick unscheinbar, aber in Gregors Augen eine Schönheit - sie ist eine evangelische Kapelle. Greogor zieht es immer wieder zu ihr, er versucht möglichst viel Zeit mit ihr zu verbringen, mit ihr zu sprechen, sie zu berühren. Aber ihre Liebe ist bedroht - von Gregors Nebenbuhler, dem Pfarrer Dornkamp, und von einer Horde heidnischer Naturanbeter, die in den neuen Steppen des Ostens ihr Revier errichtet haben.
Gregor Steinitz lebt als Paläontologe in einer ostdeutschen Kleinstadt. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Aktivisten kämpft er für den Erhalt der vom »Rückbau« bedrohten Bausubstanz der Stadt. Auf einem seiner Streifzüge durch Brachen und Plattenbausiedlungen trifft er Maria Magdalena. Sie ist klein und auf den ersten Blick unscheinbar, aber in Gregors Augen eine Schönheit - sie ist eine evangelische Kapelle. Greogor zieht es immer wieder zu ihr, er versucht möglichst viel Zeit mit ihr zu verbringen, mit ihr zu sprechen, sie zu berühren. Aber ihre Liebe ist bedroht - von Gregors Nebenbuhler, dem Pfarrer Dornkamp, und von einer Horde heidnischer Naturanbeter, die in den neuen Steppen des Ostens ihr Revier errichtet haben.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.10.2017Privatmeer mit fester Schale
Von Braunkohle erleuchtet: Jörg-Uwe Albigs in der Erdgeschichte verankerte Novelle „Eine Liebe in der Steppe“
Das Motto des Ethnologen Georges Devereux gibt die Richtung vor: „Der Mensch reagiert auf die Stummheit der Materie mit Panik.“ Die Stummheit der Dinge zu durchdringen und sie zum Sprechen zu bringen, ist das Ziel von Jörg-Uwe Albig. Vielleicht ist die Sprache diese Novelle deshalb so seltsam erlesen, leblos, und aus Fundstücken aus „asthenosphärischen Tiefen“ zusammengesetzt, dass die einzelnen Sätze sich wie Kontinentalplatten übereinanderschieben. „Platten hoben und senkten sich, rieben sich aneinander, höhlten sich aus, warfen Gebirge auf.“ So beginnt die Novelle, so hochtönend geht es weiter, auf diesem Sprachboden bewegen wir uns.
Ort der Handlung ist die fiktive ostdeutsche Kleinstadt Zinnroda, die irgendwo in einem Braunkohle-Tagebaugebiet liegt, wo die Erde mehrfach umgepflügt worden ist und die verbliebenen Plattenbauten nach und nach „rückgebaut“ werden. In dieser Abrissregion, die aus nichts als Überresten der Erdgeschichte und der jüngsten Vergangenheit besteht, arbeitet der Paläontologe Gregor Stenitz. Zukunft ist für ihn etwas, was unvermeidlich ist, „und was man deshalb auch gleich hinter sich bringen“ kann. Nur als dinghaft gewordene Vergangenheit ist Zukunft für ihn erträglich.
Die Dinge in ihrer Dauer sagen ihm mehr als die Menschen, in denen er nichts anders sehen kann als flüchtige Erscheinungen auf Proteinbasis. So nimmt es dann auch nicht Wunder, dass er die Museumspädagogin Judith verlässt, weil er einer Sache, einem Ding verfällt. So seltsam es klingt: Er verliebt sich in eine Kapelle, die als letztes Mahnmal einer untergegangenen Moderne in der „Steppe“ steht und die er zunächst auch so nennt: „das Ding“.
Ein Liebesroman also, oder vielmehr die Geschichte einer Obsession. Nie ist Beton so zärtlich berührt worden wie hier, und wenn diese Zuneigung leblos bleibt, dann ist das ja gewissermaßen Programm. Jörg-Uwe Albig baut seine Romane stets als Versuchsanordnungen, in denen er gewohnte Verhältnisse umkehrt. So erzählte er in seinen bisherigen Büchern vom Anschluss Westdeutschlands an die DDR oder von deutschen Migranten in einem China der Zukunft oder, zuletzt, in dem Roman „Ueberdog“, von Obdachlosen als der neuen High Society. Dieses Mal geht es darum, die Liebe in einer Laborsituation zu isolieren, die toten Dinge zu beseelen und umgekehrt seelische Vorgänge im Menschen als hormonelle Reaktionen zu denunzieren.
Das führt zu einer planmäßigen Erstarrung der Sprache, so dass diese „Liebe in der Steppe“ am Ende selbst zu einem toten Ding wird, das man als Leser zunächst staunend, dann befremdet, schließlich aber nur noch gelangweilt betrachtet. Wenn Liebe, wie Gregor vermutet, wirklich nur „ein höherer Ruf der Hormone“ wäre, müsste man sich dafür ja gar nicht interessieren. Aber was ist dann die Liebe zu einem Gebäude? Die Begegnung zwischen Mensch und Kapelle tritt notwendigerweise und buchstäblich auf der Stelle.
Deshalb baut Albig einen zweiten, der Kapellen-Obsession korrespondierenden Handlungsstrang ein. In den Nächten begleitet Gregor (der nicht zufällig so heißt wie der zum Ungeziefer mutierte Gregor Samsa) seine Freundin Judith und den „Le Betram“ genannten Anhänger der architektonischen Le Corbusier-Moderne auf ihrem guerillahaften Kleinkrieg gegen den Abriss. Sie fackeln einen Bagger ab, fahren einen Kran in den Fluss, bis sich herausstellt, dass „Le Bertram“, einst Arbeiter im sozialistischen Betonplattenwerk, heute bei der Wohnungsverwaltungsgesellschaft angestellt ist und tagsüber dafür sorgt, die Mieter loszuwerden.
Das Problem mit der Liebe zu einem Gebäude ist offensichtlich. Alles darin ist Übertragung. Die Dinge antworten ja nicht – oder eben nur das, was wir in sie hineinlegen. Die Kapelle ist nichts als Symbol und als solches starr. Sie steht für die Überreste des Heiligen in einer säkularen, finster nihilistischen Welt. Sie ist zudem mit ihrer verschlossenen Pforte, dem uterusartigen Innenraum und ihrem geheimnisvollen Schweigen ein Sinnbild uneinnehmbarer Weiblichkeit, in dem der Pfarrer mit seinem speckigen Kragen und die letzten verbliebenen Gottesdienstbesucher zu Nebenbuhlern um die Gunst der Geliebten werden. Gregor nennt die Kapelle St. Maria Magdalena bald nur noch Magdalena und schließlich zärtlich „Madeleine“, als müsse sie auch noch die Erinnerung an das Proust’sche Gebäckstück tragen. Mehr kann sich daraus aber auch nicht entwickeln. Zu einer Liebesgeschichte fehlt diesem Setting die Umkehrung. Man kann ein Gebäude lieben, aber das Gebäude liebt nicht zurück. Doch erst wenn der Geliebte sich selbst in einen Liebenden verwandelt, könnte sich daraus ein lebendiger Prozess, also etwas Erotisches entwickeln.
Vielleicht betreibt Albig deshalb einen so gewaltigen sprachlichen Aufwand mit Sätzen, die ihm schon beim Wettlesen um den Bachmannpreis in Klagenfurt von der entnervten Jury um die Ohren geschlagen wurden, weil man sie ohne Lexikon nicht verstehen kann: „Nicht einmal Atem erschütterte den kalzitisierten Chitinpanzer seiner Muskulatur.“ Oder: „Er fühlte sich geborgen in dieser amniotischen Welt, seinem nährenden Privatmeer, das eine feste Schale umgab.“ So versteinert mit der Figur auch die Sprache, die vor lauter „wie“-Vergleichen überquillt: „Er sog die Luft ein, die dick war wie Dotter.“
Zur allgemeinen Erstarrung trägt zudem der unerschütterliche Tonfall des auktorialen Erzählers bei. Keine Regung bleibt dessen Allwissenheit verborgen, jede kleinste Gemütsbewegung wird aufgespießt wie ein totes Insekt. Doch alles ist nur Behauptung, weil ja nichts aus sich heraus leben darf. Zum Glück gibt es hin und wieder Anzeichen für Witz und Ironie, so etwa, wenn der „Rückbau“ der sozialistischen Wohnwelten mit der Zerstörungswut des „Islamischen Staates“ in Palmyra verglichen wird oder ein Hund gekränkt zurückschaut, als hätte er mehr Gefühle als sein Herrchen.
Gregor aber bleibt unerlöst. Sein Tanz auf den Kontinentalplatten der kosmologischen Gegenwart verläuft ergebnislos. Als er am Ende mit zahlreichen Knochenbrüchen im Krankenhaus liegt, „hatte Gregor noch immer kein Gefühl von Schmerz“. Das ist bedauerlich. Denn auch als Leser hat man jegliches Gefühl verloren. Falls das die Absicht von Jörg-Uwe Albig gewesen sein sollte, ist ihm das recht gut gelungen.
JÖRG MAGENAU
Man kann ein Gebäude lieben,
aber das Gebäude liebt nicht
zurück. Das wird zum Problem
Jörg-Uwe Albig: Eine Liebe in der Steppe. Novelle. Klett-Cotta Verlag,
Stuttgart 2017.
176 Seiten, 20 Euro.
E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Von Braunkohle erleuchtet: Jörg-Uwe Albigs in der Erdgeschichte verankerte Novelle „Eine Liebe in der Steppe“
Das Motto des Ethnologen Georges Devereux gibt die Richtung vor: „Der Mensch reagiert auf die Stummheit der Materie mit Panik.“ Die Stummheit der Dinge zu durchdringen und sie zum Sprechen zu bringen, ist das Ziel von Jörg-Uwe Albig. Vielleicht ist die Sprache diese Novelle deshalb so seltsam erlesen, leblos, und aus Fundstücken aus „asthenosphärischen Tiefen“ zusammengesetzt, dass die einzelnen Sätze sich wie Kontinentalplatten übereinanderschieben. „Platten hoben und senkten sich, rieben sich aneinander, höhlten sich aus, warfen Gebirge auf.“ So beginnt die Novelle, so hochtönend geht es weiter, auf diesem Sprachboden bewegen wir uns.
Ort der Handlung ist die fiktive ostdeutsche Kleinstadt Zinnroda, die irgendwo in einem Braunkohle-Tagebaugebiet liegt, wo die Erde mehrfach umgepflügt worden ist und die verbliebenen Plattenbauten nach und nach „rückgebaut“ werden. In dieser Abrissregion, die aus nichts als Überresten der Erdgeschichte und der jüngsten Vergangenheit besteht, arbeitet der Paläontologe Gregor Stenitz. Zukunft ist für ihn etwas, was unvermeidlich ist, „und was man deshalb auch gleich hinter sich bringen“ kann. Nur als dinghaft gewordene Vergangenheit ist Zukunft für ihn erträglich.
Die Dinge in ihrer Dauer sagen ihm mehr als die Menschen, in denen er nichts anders sehen kann als flüchtige Erscheinungen auf Proteinbasis. So nimmt es dann auch nicht Wunder, dass er die Museumspädagogin Judith verlässt, weil er einer Sache, einem Ding verfällt. So seltsam es klingt: Er verliebt sich in eine Kapelle, die als letztes Mahnmal einer untergegangenen Moderne in der „Steppe“ steht und die er zunächst auch so nennt: „das Ding“.
Ein Liebesroman also, oder vielmehr die Geschichte einer Obsession. Nie ist Beton so zärtlich berührt worden wie hier, und wenn diese Zuneigung leblos bleibt, dann ist das ja gewissermaßen Programm. Jörg-Uwe Albig baut seine Romane stets als Versuchsanordnungen, in denen er gewohnte Verhältnisse umkehrt. So erzählte er in seinen bisherigen Büchern vom Anschluss Westdeutschlands an die DDR oder von deutschen Migranten in einem China der Zukunft oder, zuletzt, in dem Roman „Ueberdog“, von Obdachlosen als der neuen High Society. Dieses Mal geht es darum, die Liebe in einer Laborsituation zu isolieren, die toten Dinge zu beseelen und umgekehrt seelische Vorgänge im Menschen als hormonelle Reaktionen zu denunzieren.
Das führt zu einer planmäßigen Erstarrung der Sprache, so dass diese „Liebe in der Steppe“ am Ende selbst zu einem toten Ding wird, das man als Leser zunächst staunend, dann befremdet, schließlich aber nur noch gelangweilt betrachtet. Wenn Liebe, wie Gregor vermutet, wirklich nur „ein höherer Ruf der Hormone“ wäre, müsste man sich dafür ja gar nicht interessieren. Aber was ist dann die Liebe zu einem Gebäude? Die Begegnung zwischen Mensch und Kapelle tritt notwendigerweise und buchstäblich auf der Stelle.
Deshalb baut Albig einen zweiten, der Kapellen-Obsession korrespondierenden Handlungsstrang ein. In den Nächten begleitet Gregor (der nicht zufällig so heißt wie der zum Ungeziefer mutierte Gregor Samsa) seine Freundin Judith und den „Le Betram“ genannten Anhänger der architektonischen Le Corbusier-Moderne auf ihrem guerillahaften Kleinkrieg gegen den Abriss. Sie fackeln einen Bagger ab, fahren einen Kran in den Fluss, bis sich herausstellt, dass „Le Bertram“, einst Arbeiter im sozialistischen Betonplattenwerk, heute bei der Wohnungsverwaltungsgesellschaft angestellt ist und tagsüber dafür sorgt, die Mieter loszuwerden.
Das Problem mit der Liebe zu einem Gebäude ist offensichtlich. Alles darin ist Übertragung. Die Dinge antworten ja nicht – oder eben nur das, was wir in sie hineinlegen. Die Kapelle ist nichts als Symbol und als solches starr. Sie steht für die Überreste des Heiligen in einer säkularen, finster nihilistischen Welt. Sie ist zudem mit ihrer verschlossenen Pforte, dem uterusartigen Innenraum und ihrem geheimnisvollen Schweigen ein Sinnbild uneinnehmbarer Weiblichkeit, in dem der Pfarrer mit seinem speckigen Kragen und die letzten verbliebenen Gottesdienstbesucher zu Nebenbuhlern um die Gunst der Geliebten werden. Gregor nennt die Kapelle St. Maria Magdalena bald nur noch Magdalena und schließlich zärtlich „Madeleine“, als müsse sie auch noch die Erinnerung an das Proust’sche Gebäckstück tragen. Mehr kann sich daraus aber auch nicht entwickeln. Zu einer Liebesgeschichte fehlt diesem Setting die Umkehrung. Man kann ein Gebäude lieben, aber das Gebäude liebt nicht zurück. Doch erst wenn der Geliebte sich selbst in einen Liebenden verwandelt, könnte sich daraus ein lebendiger Prozess, also etwas Erotisches entwickeln.
Vielleicht betreibt Albig deshalb einen so gewaltigen sprachlichen Aufwand mit Sätzen, die ihm schon beim Wettlesen um den Bachmannpreis in Klagenfurt von der entnervten Jury um die Ohren geschlagen wurden, weil man sie ohne Lexikon nicht verstehen kann: „Nicht einmal Atem erschütterte den kalzitisierten Chitinpanzer seiner Muskulatur.“ Oder: „Er fühlte sich geborgen in dieser amniotischen Welt, seinem nährenden Privatmeer, das eine feste Schale umgab.“ So versteinert mit der Figur auch die Sprache, die vor lauter „wie“-Vergleichen überquillt: „Er sog die Luft ein, die dick war wie Dotter.“
Zur allgemeinen Erstarrung trägt zudem der unerschütterliche Tonfall des auktorialen Erzählers bei. Keine Regung bleibt dessen Allwissenheit verborgen, jede kleinste Gemütsbewegung wird aufgespießt wie ein totes Insekt. Doch alles ist nur Behauptung, weil ja nichts aus sich heraus leben darf. Zum Glück gibt es hin und wieder Anzeichen für Witz und Ironie, so etwa, wenn der „Rückbau“ der sozialistischen Wohnwelten mit der Zerstörungswut des „Islamischen Staates“ in Palmyra verglichen wird oder ein Hund gekränkt zurückschaut, als hätte er mehr Gefühle als sein Herrchen.
Gregor aber bleibt unerlöst. Sein Tanz auf den Kontinentalplatten der kosmologischen Gegenwart verläuft ergebnislos. Als er am Ende mit zahlreichen Knochenbrüchen im Krankenhaus liegt, „hatte Gregor noch immer kein Gefühl von Schmerz“. Das ist bedauerlich. Denn auch als Leser hat man jegliches Gefühl verloren. Falls das die Absicht von Jörg-Uwe Albig gewesen sein sollte, ist ihm das recht gut gelungen.
JÖRG MAGENAU
Man kann ein Gebäude lieben,
aber das Gebäude liebt nicht
zurück. Das wird zum Problem
Jörg-Uwe Albig: Eine Liebe in der Steppe. Novelle. Klett-Cotta Verlag,
Stuttgart 2017.
176 Seiten, 20 Euro.
E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2018Auferstehung des Fleisches
Ein Mann begehrt eine Kapelle: Jörg-Uwe Albigs schräge Novelle "Eine Liebe in der Steppe"
Er heißt Gregor und rechnet als Kustos der Fossiliensammlung im Stadtmuseum Zinnroda eher in Jahrmillionen als mit der Gegenwart. Sie heißt Maria Magdalena (oder Madeleine, wie Gregor seine Angebetete mit proustschem Zartgefühl nennt) und hat trotz einer "leicht tantigen Anmutung" ein Flair von stiller Würde, Reinheit und "bäuerlicher Grazie", die ihm schier den Verstand raubt. Madeleine ist eine protestantische Kapelle in der Steppe, der Mondlandschaft des Braunkohletagebaus bei Cottbus, und Gregors Liebe zu dem vom Abriss bedrohten Kirchlein ist so stark wie Marmor, Stein und Eisenbeton. Als Agnostiker und Paläontologe hat er wenig spirituelle Neigungen, aber gegen seine keusche Geliebte kommen weder Gott noch Menschen an. Auch nicht Judith, die blonde Museumspädagogin, mit der Gregor vorher liiert war, nicht Pfarrer Dornkamp, sein mutmaßlicher Nebenbuhler, schon gar nicht die Druidensekte, die Madeleine nach Heidenart roh an die Wäsche und die edle Stirn geht.
Sachen gibt's, warum nicht auch die Liebe zu Sachen und Dingen? Der Neurologe Oliver Sacks kannte einen "Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte". Eine Schwedin, die 1979 die Berliner Mauer heiratete, prägte den Begriff "Objektophilie", und seither melden sich, sehr zur Freude von Psychoanalytikern und Kulturwissenschaftlern, immer öfter Frauen, die sich unsterblich in die Twin Towers verliebt haben wollen, oder Männer, die auf schnuckelige Hammondorgeln, süße Heizungen oder auch schwule Dampfloks stehen. Einem unbelebten Partner, so glauben sie, kann man sich vertrauensvoller nähern und intimer offenbaren als menschlichen Wesen.
Gregor umkreist seine Geliebte so rücksichtsvoll, achtsam und zärtlich, wie es eine Amour fou eben zulässt. Manchmal erlegt er sich sogar freiwillig Verehrungspausen und zölibatäre Beschränkungen auf. Er lässt Madeleine Zeit und Raum für das stumme Ja, und tatsächlich gewährt ihm die offene Kirche nach vielen abgewiesenen Avancen und Balzritualen heiße Liebesnächte auf hartem Betonfußboden. Die Vereinigung von Mensch und posthumaner Steppe, von wässrigen, flüchtigen Proteinen und harter anorganischer Materie, ist für einen Mann, der in Äonen denkt, eine orgasmische Vorstellung. Albig erspart uns anatomische Details, aber nicht ein Trommelfeuer exquisiter Mutterschoß-Metaphern und fossiler Fachtermini. Sein Gregor denkt präkambrisch und "schwitzt karbonisch, wie zu der Zeit, als der Boden, auf dem er stand, noch in den Tropen lag".
In Klagenfurt wurde Albigs Novelle letztes Jahr als "gewöhnungsbedürftig" und gedanklich überfrachtet gerügt. Aber der Autor will nicht eine "etwas schrullige Perversion" schönreden oder zur Satire geradebiegen, sondern die Tragikomödie der Liebe in Zeiten von Tinder, Robotern und Androiden beschreiben. Dinge, sagt die kluge Kulturwissenschaftlerin Judith, "sind schlauer, als wir denken. Ihr Pech ist nur, dass sie nicht laufen können." In der Regel sind sie Kulturfolger, treu und gut: Wir brauchen sie, sie uns. Sie gehen dem Menschen zur Hand und erwarten dafür, gepflegt, geachtet, vielleicht sogar geliebt zu werden. Werden sie verspottet und vernachlässigt, rächen sie sich. Das ist der Deal, den Judith "Koevolution" nennt.
"Vergangenheiten liegen so fern, dass sie schon wieder an die Zukunft stoßen": Zukunft ist bei Albig meist Vergangenheit verkehrt herum, Utopie ein anderes Wort für Dystopie. In seinem Roman "Berlin Palace" recycelten in der nahen Zukunft smarte Chinesen Hakenkreuze, Rotkäppchen-Dirndl und andere Mythen deutscher Populärkultur lächelnd als Stil-Accessoires und lehren so die Flüchtlinge und Gastarbeiter aus Deutschland Mores. In "Ueberdog" kreierte Albig zuletzt den Underdog-Chic: Obdachlose als Trendsetter, Bag Style als letzter Schrei. Diesmal spielt Albig mit alten Mythen, Erzählkonventionen und kontrafaktischen Erinnerungen an das Konzept romantische Liebe.
Überall ist der "Rückbau" der DDR-Kultur im Gange. Gregor, Judith und ihr gemeinsamer Freund, der Plattenbau-Ingenieur und Le-Corbusier-Fan Bertram, sabotieren den Abriss ihrer geliebten Plattenbauten in der "Zone", indem sie nachts Bagger und Kräne abfackeln oder die Kulturbarbarei des IS in Palmyra als Fanal an die Häuserwände projizieren. Aber "Le Bertram" verrät die Sache des Platten-Bauhauses und verkauft sich an die Abrissfirma; Judith verlässt Gregor für den phantasielosen Museumsdirektor, der seinen Fossilienwart schon immer für verrückt hielt. Der, von allen Menschen und guten Geistern verlassen, verrennt sich immer weiter in seine kaum erwiderte Liebe zu Madeleine. Am Ende liegt Gregor hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken, aber im Gegensatz zu seinem Namensvetter Gregor Samsa ist bei ihm der Chitinpanzer keine dauerhafte Versteinerung, sondern nur ein Gipsverband.
"Eine Liebe in der Steppe" ist keine leicht eingängige Parabel und für ein Gedankenspiel vielleicht ein bisschen zu lang. Aber es ist eine hübsch vertrackte, unterhaltsam erzählte Groteske über ein durchaus ernstes Thema: Die Vermenschlichung der Dinge geht einher mit der Verdinglichung des Menschen, der Rückbau der Vergangenheit führt zum Abriss aller Zukunft. Was, wenn sich die bunte Vielfalt der A-, Trans- und Neosexuellen weiter diversifiziert? Heute liebt man noch aufgelassene Kirchlein und fossile Kulturdenkmäler, morgen schnittige Prozessoren und schlaue Algorithmen, und übermorgen bleiben die Objekte mit ihrem erotischen Wispern und leidenschaftlichen Begehren vielleicht ganz unter sich.
MARTIN HALTER
Jörg-Uwe Albig:
"Eine Liebe in der Steppe". Novelle.
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2017. 175 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Mann begehrt eine Kapelle: Jörg-Uwe Albigs schräge Novelle "Eine Liebe in der Steppe"
Er heißt Gregor und rechnet als Kustos der Fossiliensammlung im Stadtmuseum Zinnroda eher in Jahrmillionen als mit der Gegenwart. Sie heißt Maria Magdalena (oder Madeleine, wie Gregor seine Angebetete mit proustschem Zartgefühl nennt) und hat trotz einer "leicht tantigen Anmutung" ein Flair von stiller Würde, Reinheit und "bäuerlicher Grazie", die ihm schier den Verstand raubt. Madeleine ist eine protestantische Kapelle in der Steppe, der Mondlandschaft des Braunkohletagebaus bei Cottbus, und Gregors Liebe zu dem vom Abriss bedrohten Kirchlein ist so stark wie Marmor, Stein und Eisenbeton. Als Agnostiker und Paläontologe hat er wenig spirituelle Neigungen, aber gegen seine keusche Geliebte kommen weder Gott noch Menschen an. Auch nicht Judith, die blonde Museumspädagogin, mit der Gregor vorher liiert war, nicht Pfarrer Dornkamp, sein mutmaßlicher Nebenbuhler, schon gar nicht die Druidensekte, die Madeleine nach Heidenart roh an die Wäsche und die edle Stirn geht.
Sachen gibt's, warum nicht auch die Liebe zu Sachen und Dingen? Der Neurologe Oliver Sacks kannte einen "Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte". Eine Schwedin, die 1979 die Berliner Mauer heiratete, prägte den Begriff "Objektophilie", und seither melden sich, sehr zur Freude von Psychoanalytikern und Kulturwissenschaftlern, immer öfter Frauen, die sich unsterblich in die Twin Towers verliebt haben wollen, oder Männer, die auf schnuckelige Hammondorgeln, süße Heizungen oder auch schwule Dampfloks stehen. Einem unbelebten Partner, so glauben sie, kann man sich vertrauensvoller nähern und intimer offenbaren als menschlichen Wesen.
Gregor umkreist seine Geliebte so rücksichtsvoll, achtsam und zärtlich, wie es eine Amour fou eben zulässt. Manchmal erlegt er sich sogar freiwillig Verehrungspausen und zölibatäre Beschränkungen auf. Er lässt Madeleine Zeit und Raum für das stumme Ja, und tatsächlich gewährt ihm die offene Kirche nach vielen abgewiesenen Avancen und Balzritualen heiße Liebesnächte auf hartem Betonfußboden. Die Vereinigung von Mensch und posthumaner Steppe, von wässrigen, flüchtigen Proteinen und harter anorganischer Materie, ist für einen Mann, der in Äonen denkt, eine orgasmische Vorstellung. Albig erspart uns anatomische Details, aber nicht ein Trommelfeuer exquisiter Mutterschoß-Metaphern und fossiler Fachtermini. Sein Gregor denkt präkambrisch und "schwitzt karbonisch, wie zu der Zeit, als der Boden, auf dem er stand, noch in den Tropen lag".
In Klagenfurt wurde Albigs Novelle letztes Jahr als "gewöhnungsbedürftig" und gedanklich überfrachtet gerügt. Aber der Autor will nicht eine "etwas schrullige Perversion" schönreden oder zur Satire geradebiegen, sondern die Tragikomödie der Liebe in Zeiten von Tinder, Robotern und Androiden beschreiben. Dinge, sagt die kluge Kulturwissenschaftlerin Judith, "sind schlauer, als wir denken. Ihr Pech ist nur, dass sie nicht laufen können." In der Regel sind sie Kulturfolger, treu und gut: Wir brauchen sie, sie uns. Sie gehen dem Menschen zur Hand und erwarten dafür, gepflegt, geachtet, vielleicht sogar geliebt zu werden. Werden sie verspottet und vernachlässigt, rächen sie sich. Das ist der Deal, den Judith "Koevolution" nennt.
"Vergangenheiten liegen so fern, dass sie schon wieder an die Zukunft stoßen": Zukunft ist bei Albig meist Vergangenheit verkehrt herum, Utopie ein anderes Wort für Dystopie. In seinem Roman "Berlin Palace" recycelten in der nahen Zukunft smarte Chinesen Hakenkreuze, Rotkäppchen-Dirndl und andere Mythen deutscher Populärkultur lächelnd als Stil-Accessoires und lehren so die Flüchtlinge und Gastarbeiter aus Deutschland Mores. In "Ueberdog" kreierte Albig zuletzt den Underdog-Chic: Obdachlose als Trendsetter, Bag Style als letzter Schrei. Diesmal spielt Albig mit alten Mythen, Erzählkonventionen und kontrafaktischen Erinnerungen an das Konzept romantische Liebe.
Überall ist der "Rückbau" der DDR-Kultur im Gange. Gregor, Judith und ihr gemeinsamer Freund, der Plattenbau-Ingenieur und Le-Corbusier-Fan Bertram, sabotieren den Abriss ihrer geliebten Plattenbauten in der "Zone", indem sie nachts Bagger und Kräne abfackeln oder die Kulturbarbarei des IS in Palmyra als Fanal an die Häuserwände projizieren. Aber "Le Bertram" verrät die Sache des Platten-Bauhauses und verkauft sich an die Abrissfirma; Judith verlässt Gregor für den phantasielosen Museumsdirektor, der seinen Fossilienwart schon immer für verrückt hielt. Der, von allen Menschen und guten Geistern verlassen, verrennt sich immer weiter in seine kaum erwiderte Liebe zu Madeleine. Am Ende liegt Gregor hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken, aber im Gegensatz zu seinem Namensvetter Gregor Samsa ist bei ihm der Chitinpanzer keine dauerhafte Versteinerung, sondern nur ein Gipsverband.
"Eine Liebe in der Steppe" ist keine leicht eingängige Parabel und für ein Gedankenspiel vielleicht ein bisschen zu lang. Aber es ist eine hübsch vertrackte, unterhaltsam erzählte Groteske über ein durchaus ernstes Thema: Die Vermenschlichung der Dinge geht einher mit der Verdinglichung des Menschen, der Rückbau der Vergangenheit führt zum Abriss aller Zukunft. Was, wenn sich die bunte Vielfalt der A-, Trans- und Neosexuellen weiter diversifiziert? Heute liebt man noch aufgelassene Kirchlein und fossile Kulturdenkmäler, morgen schnittige Prozessoren und schlaue Algorithmen, und übermorgen bleiben die Objekte mit ihrem erotischen Wispern und leidenschaftlichen Begehren vielleicht ganz unter sich.
MARTIN HALTER
Jörg-Uwe Albig:
"Eine Liebe in der Steppe". Novelle.
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2017. 175 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Man kann Eine Liebe in der Steppe als mehrfach ineinander verschränkte Dreiecksgecshichte lesen oder als pathetisch-spirituelles Mysterienspiel - aber auch als Hichgesang auf die Dinge, die die Welt zusammenhalten. [...] Albig ist ein höchst außergewöhnliches Stück Literaturgelungen, das trotz aller Phantastik auch etwas beruhigend Tröstliches in sich birgt: Was zählt schon das eigene aktuelle Erleben angesichts der Jahrmillion der Erdgeschichte?« Ingeborg Jaiser, TITELKulturmagazin, 09.2017 »Man lese dieses Büchlein langsam, beschäftige sich sorgsam mit seinen Worten und Sätzen, als hätte man es in einer Ausgrabung zu tun. Es ist - man merkt es ihm an - auf ähnliche Weise geschrieben worden.« Ulrich Seidler, Frankfurter Rundschau, 15.08.2017 »Dies ist eine der merkwürdigsten Liebesgeschichten in Zeiten heranrückender Roboter. Die aufgeladene Sprache verdeutlicht die sinnliche Liebe und wird zum Ersatz für das menschliche Gegenüber. Eine schillernd, reizvoll abstoßende Zukunftsvision.« Verena Auffermann, Deutschlandfunk Kultur, 11.07.2017 »Verrückt? Ja! Aber Jörg-Uwe Albig erzählt die Geschichte der ungewöhnlichen Liebe vor trostlosem Hintergrund so glaubhaft, dass ich ihr bis zur letzten Seite mit wachsender Begeisterung folgen musste.« Ruth Justen, ruthjusten.de, 01.08.2017