"Wir liebten uns, und mir war, als gelangte ich in jede Nische ihres mit fester Seide bespannten Körperinneren und als sei es ihr einziges Verlangen, daß ich zu einer Stelle vordringe, die ihr selbst bis dahin unbekannt war."
Anton ist Journalist in Berlin, geschieden, seine erwachsene Tochter lebt in London. An dem Tag, an dem die Welt die Öffnung des Brandenburger Tors erwartet, begegnet er der in Paris lebenden Journalistin Meret. Ihre Affäre beginnt leidenschaftlich und bedingungslos. Doch Meret ist zum zweiten Mal verheiratet und hat keinesfalls vor, ihren Mann zu verlassen. Eine amour fou ist es, in der Anton und Meret versinken, aus der sie jedoch immer wieder auftauchen, um für eine Weile in ihr »bürgerliches« Leben zurückzukehren. Was kann aus einer solchen Liebe werden, aus einer solchen Wochenend- und Hotelzimmeraffäre? Was fangen sie an mit ihren Sehnsüchten, den geheimen Augenblicken der Leidenschaft, der Überraschung, des Begehrens?
Anton ist Journalist in Berlin, geschieden, seine erwachsene Tochter lebt in London. An dem Tag, an dem die Welt die Öffnung des Brandenburger Tors erwartet, begegnet er der in Paris lebenden Journalistin Meret. Ihre Affäre beginnt leidenschaftlich und bedingungslos. Doch Meret ist zum zweiten Mal verheiratet und hat keinesfalls vor, ihren Mann zu verlassen. Eine amour fou ist es, in der Anton und Meret versinken, aus der sie jedoch immer wieder auftauchen, um für eine Weile in ihr »bürgerliches« Leben zurückzukehren. Was kann aus einer solchen Liebe werden, aus einer solchen Wochenend- und Hotelzimmeraffäre? Was fangen sie an mit ihren Sehnsüchten, den geheimen Augenblicken der Leidenschaft, der Überraschung, des Begehrens?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.1996Unbewacht durch die Welt
Ulrike Kolb schreibt über die Liebe, aber leider kein Drehbuch
Nur vage erinnere ich mich an ein Feuilleton aus den zwanziger Jahren, in dem der Autor über die Modernisierung des Ehebruchs nach der Erfindung des Reißverschlusses nachdachte. Die Erzählung von Meret und Anton, zwei in Berlin respektive Tel Aviv verankerten Journalisten, beginnt in der Novembernacht der Maueröffnung und endet knapp vor dem Ausbruch des Golfkriegs, ist aber - trotz des Austausches deutsch-jüdischer Familiengeschichten zwischen den Protagonisten - ein Reflex des Modernisierungsschubs, von dem Liebesaffären seit der Erfindung jener ingeniösen Verschlußtechnik von Hosen und Kleidern profitiert haben. Nicht mehr bloß Männer, auch Frauen fliegen unbewacht auf Geschäftsreisen durch die Welt, haben ein Büro, ein Telefon für geschäftliche Kommunikation und ein Fax, das sie gegebenenfalls auch für erotische Ziele einsetzen können.
Welche Möglichkeiten tun sich da für Leute auf, die, wie Anton, geschieden, Ende Vierzig, immer noch auf die große Liebeserlösung warten und auf diesem Wege viele Frauen, viel Rotwein, viele Zigaretten, aber auch Schlafstörungen, Depressionen und andere Abstürze hinter sich bringen müssen. Doch auch Meret, die erfolgreiche Kollegin aus Israel, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, emotional, gebunden, dabei erotischen Abenteuern nicht abgeneigt, weiß die Technik und ihre berufliche Mobilität zu nutzen, um uneingelöste Phantasien ein bißchen zu verwirklichen. Sie vor allem will die Affäre geheimhalten und behauptet von Anfang an, ihren schließlich auch noch an Krebs erkrankten Ehemann nie verlassen zu wollen.
Sie plaudert aber doch, so daß Anton endlich von einer weiteren Kollegin die Leviten gelesen bekommt, die sich als Merets Cousine entpuppt. So klein ist die Welt, und so durchsichtig dann doch, trotz der konspirativen Möglichkeiten, die die Technik und die beruflich bedingten Reisen den beiden Liebesverschwörern bieten. Berichtet wird die Geschichte meist aus der Sicht von Anton, unterbrochen von Briefen, die Merets Sicht darstellen. Ältere Liebespaare haben sich ja nicht nur ihre Liebe, sondern vor allem ihre jeweilige Geschichte anzuvertrauen und müßten, wenn es ihnen ernst wäre, auf komplizierten Wegen, zur bekannten Luhmannschen Interpenetration der Weltbilder gelangen.
Am Ende der Erzählung angekommen, weiß man eigentlich nicht, warum Anton und Meret das nicht gelungen ist. Wollten sie nie etwas anderes als abenteuerlichen Sex in Pariser Hotelzimmern, romantisch verklärt von der Geheimnistuerei und melodramatisch untermalt von den Zeitereignissen zwischen Mauerfall und Golfkrieg, angeheizt zudem von der historischen Brisanz einer deutsch-jüdischen Begegnung? Oder wurde bewiesen, daß die Last der allgemeinen und der individuellen Vergangenheit zu groß war, als daß Anton und Meret sie, auf die Fünfzig zugehend, noch hätten abwerfen können?
Daß alle Fragen offen bleiben, hat mit der intelligenten, informierten Prosa zu tun, die ebenso authentisch wie trivial referiert, aber eben nicht, altmodisch gesprochen, die Hergänge gestaltet und irgend etwas evident macht. Die Geschichte von Anton und Meret erhebt sich an keiner Stelle über das gehobene Niveau autobiographischer Erzählung, das man heutzutage bei einem Restaurantbesuch beim Italiener von leidgeplagten Freunden und Freundinnen gewohnt ist. Verwunderlich ist aber, daß in der Rowohlt-Reihe "Neue Frau" ein Text erschienen ist, der, aus der Feder einer Frau, die männliche Seite der Geschichte so viel plausibler darstellt, bis hin in den Bereich physischer Empfindungen, als den der beteiligten Frau. Einen Anton kann ich mir vorstellen - Meret bleibt das Schema der Frau, die sich ein hoffnungsloser Phantast immer wieder erträumt.
Die Moderne, auch das zeigt diese Erzählung, beglückt uns nicht nur mit technischen Möglichkeiten, Affären mit leichter Hand zu inszenieren und sie am romantischen Modell der großen, späten, unmöglichen Liebe anzulehnen; die Moderne ist auch das Zeitalter der Differenzierung aller Funktionen. Das literarische Defizit dieser Erzählung hat mit einer Unsicherheit bei der Wahl des Genres zu tun. Läßt man das Buch sinken und denkt offen über das Potential der Geschichte nach, dann fällt einem das gute, ambitionierte Fernsehspiel ein. Der politische Hintergrund, die wechselnden Schauplätze, die Internationalisierung von Lebensgeschichten und der Einsatz von Flugzeug und Fax, Taxis und Hotels schreit förmlich nach der erzählerischen Visualisierung durch die Kamera.
Eine Geschichte mit dem Ruch des Authentischen, Autobiographischen kann von einem erstklassigen Schriftsteller natürlich auch heute erzählt werden - anders als in den zwanziger Jahren gibt es für jene, die das nicht sind, aber trotzdem einen interessanten Plot haben, andere Optionen, nämlich das Teamwork von Drehbuchschreibern, Regisseuren, Schauspielern, Kameramännern, Cuttern und allen anderen, die im Abspann dann genannt werden. Im Bild und im Film bliebe alles, was in der unausgegorenen Trivialität der referierenden Protokollprosa aussichtslos wirkt, annehmbar opak. KATHARINA RUTSCHKY
Ulrike Kolb: "Eine Liebe zu ihrer Zeit". Erzählung. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995. 142 S., br., 10,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ulrike Kolb schreibt über die Liebe, aber leider kein Drehbuch
Nur vage erinnere ich mich an ein Feuilleton aus den zwanziger Jahren, in dem der Autor über die Modernisierung des Ehebruchs nach der Erfindung des Reißverschlusses nachdachte. Die Erzählung von Meret und Anton, zwei in Berlin respektive Tel Aviv verankerten Journalisten, beginnt in der Novembernacht der Maueröffnung und endet knapp vor dem Ausbruch des Golfkriegs, ist aber - trotz des Austausches deutsch-jüdischer Familiengeschichten zwischen den Protagonisten - ein Reflex des Modernisierungsschubs, von dem Liebesaffären seit der Erfindung jener ingeniösen Verschlußtechnik von Hosen und Kleidern profitiert haben. Nicht mehr bloß Männer, auch Frauen fliegen unbewacht auf Geschäftsreisen durch die Welt, haben ein Büro, ein Telefon für geschäftliche Kommunikation und ein Fax, das sie gegebenenfalls auch für erotische Ziele einsetzen können.
Welche Möglichkeiten tun sich da für Leute auf, die, wie Anton, geschieden, Ende Vierzig, immer noch auf die große Liebeserlösung warten und auf diesem Wege viele Frauen, viel Rotwein, viele Zigaretten, aber auch Schlafstörungen, Depressionen und andere Abstürze hinter sich bringen müssen. Doch auch Meret, die erfolgreiche Kollegin aus Israel, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, emotional, gebunden, dabei erotischen Abenteuern nicht abgeneigt, weiß die Technik und ihre berufliche Mobilität zu nutzen, um uneingelöste Phantasien ein bißchen zu verwirklichen. Sie vor allem will die Affäre geheimhalten und behauptet von Anfang an, ihren schließlich auch noch an Krebs erkrankten Ehemann nie verlassen zu wollen.
Sie plaudert aber doch, so daß Anton endlich von einer weiteren Kollegin die Leviten gelesen bekommt, die sich als Merets Cousine entpuppt. So klein ist die Welt, und so durchsichtig dann doch, trotz der konspirativen Möglichkeiten, die die Technik und die beruflich bedingten Reisen den beiden Liebesverschwörern bieten. Berichtet wird die Geschichte meist aus der Sicht von Anton, unterbrochen von Briefen, die Merets Sicht darstellen. Ältere Liebespaare haben sich ja nicht nur ihre Liebe, sondern vor allem ihre jeweilige Geschichte anzuvertrauen und müßten, wenn es ihnen ernst wäre, auf komplizierten Wegen, zur bekannten Luhmannschen Interpenetration der Weltbilder gelangen.
Am Ende der Erzählung angekommen, weiß man eigentlich nicht, warum Anton und Meret das nicht gelungen ist. Wollten sie nie etwas anderes als abenteuerlichen Sex in Pariser Hotelzimmern, romantisch verklärt von der Geheimnistuerei und melodramatisch untermalt von den Zeitereignissen zwischen Mauerfall und Golfkrieg, angeheizt zudem von der historischen Brisanz einer deutsch-jüdischen Begegnung? Oder wurde bewiesen, daß die Last der allgemeinen und der individuellen Vergangenheit zu groß war, als daß Anton und Meret sie, auf die Fünfzig zugehend, noch hätten abwerfen können?
Daß alle Fragen offen bleiben, hat mit der intelligenten, informierten Prosa zu tun, die ebenso authentisch wie trivial referiert, aber eben nicht, altmodisch gesprochen, die Hergänge gestaltet und irgend etwas evident macht. Die Geschichte von Anton und Meret erhebt sich an keiner Stelle über das gehobene Niveau autobiographischer Erzählung, das man heutzutage bei einem Restaurantbesuch beim Italiener von leidgeplagten Freunden und Freundinnen gewohnt ist. Verwunderlich ist aber, daß in der Rowohlt-Reihe "Neue Frau" ein Text erschienen ist, der, aus der Feder einer Frau, die männliche Seite der Geschichte so viel plausibler darstellt, bis hin in den Bereich physischer Empfindungen, als den der beteiligten Frau. Einen Anton kann ich mir vorstellen - Meret bleibt das Schema der Frau, die sich ein hoffnungsloser Phantast immer wieder erträumt.
Die Moderne, auch das zeigt diese Erzählung, beglückt uns nicht nur mit technischen Möglichkeiten, Affären mit leichter Hand zu inszenieren und sie am romantischen Modell der großen, späten, unmöglichen Liebe anzulehnen; die Moderne ist auch das Zeitalter der Differenzierung aller Funktionen. Das literarische Defizit dieser Erzählung hat mit einer Unsicherheit bei der Wahl des Genres zu tun. Läßt man das Buch sinken und denkt offen über das Potential der Geschichte nach, dann fällt einem das gute, ambitionierte Fernsehspiel ein. Der politische Hintergrund, die wechselnden Schauplätze, die Internationalisierung von Lebensgeschichten und der Einsatz von Flugzeug und Fax, Taxis und Hotels schreit förmlich nach der erzählerischen Visualisierung durch die Kamera.
Eine Geschichte mit dem Ruch des Authentischen, Autobiographischen kann von einem erstklassigen Schriftsteller natürlich auch heute erzählt werden - anders als in den zwanziger Jahren gibt es für jene, die das nicht sind, aber trotzdem einen interessanten Plot haben, andere Optionen, nämlich das Teamwork von Drehbuchschreibern, Regisseuren, Schauspielern, Kameramännern, Cuttern und allen anderen, die im Abspann dann genannt werden. Im Bild und im Film bliebe alles, was in der unausgegorenen Trivialität der referierenden Protokollprosa aussichtslos wirkt, annehmbar opak. KATHARINA RUTSCHKY
Ulrike Kolb: "Eine Liebe zu ihrer Zeit". Erzählung. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995. 142 S., br., 10,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Musikalisch wie die frühe Duras, erkundet die Autorin den Parcours einer Liebe, die der säkularisierte Mensch Beziehung nennt." Verena Auffermann
"Diese Autorin schafft es, Sinneseindrücke gegenwärtig, die Präsenz von Augenblicken spürbar werden zu lassen [...] 'Eine Liebe zu ihrer Zeit' entwickelt Intensität nicht durch Psychologie, sondern im Sensuellen." Thomas E. Schmidt in der 'Frankfurter Rundschau'
"So ein literarisches Kunststück ist selten genug, und es hätte Satz für Satz eine bessere äußere Erscheinung verdient als die der Taschenbuchreihe 'Neue Frau'. Man hat ja auch Botho Strauß' 'Widmung' oder Bodo Kirchhoffs 'Mexikanische Novelle' nicht in einer Paperback-Reihe 'Neuer Mann' versteckt." Hubert Winkels in der 'Zeit'
"Der Autorin gelingt es, die leise Dramatik einer an sich ganz unspektakulären Liebesgeschichte sichtbar zu machen." Der Spiegel
"Diese Autorin schafft es, Sinneseindrücke gegenwärtig, die Präsenz von Augenblicken spürbar werden zu lassen [...] 'Eine Liebe zu ihrer Zeit' entwickelt Intensität nicht durch Psychologie, sondern im Sensuellen." Thomas E. Schmidt in der 'Frankfurter Rundschau'
"So ein literarisches Kunststück ist selten genug, und es hätte Satz für Satz eine bessere äußere Erscheinung verdient als die der Taschenbuchreihe 'Neue Frau'. Man hat ja auch Botho Strauß' 'Widmung' oder Bodo Kirchhoffs 'Mexikanische Novelle' nicht in einer Paperback-Reihe 'Neuer Mann' versteckt." Hubert Winkels in der 'Zeit'
"Der Autorin gelingt es, die leise Dramatik einer an sich ganz unspektakulären Liebesgeschichte sichtbar zu machen." Der Spiegel