Ist es Flucht? Ausweg oder Neuanfang? Nat kommt nach La Escapa, ein Dorf im spanischen Nirgendwo, und mietet sich dort ein Haus. Was sie an diesen Ort verschlägt, bleibt unklar. Eine alleinlebende junge Frau ist hier selten, und schon bald wird Nat von den Dorfbewohnern neugierig umkreist: einem Althippie, dem Mädchen aus dem Laden, einem alten Ehepaar und einem Mann, der nur »der Deutsche« genannt wird.Der Vermieter ist aufdringlich, kümmert sich aber kaum um den Zustand des Hauses: Es regnet durchs Dach, überall ist Ungeziefer. Nat ist mit dem Land-leben überfordert, fühlt sich beobachtet und doch allein - bis eines Tages »der Deutsche« vor ihrer Tür steht. Er bietet ihr an, das Dach zu reparieren, verlangt aber eine unerwartete Gegenleistung: Für Nat ist es der Auftakt einer Obsession mit dem rätselhaften unbehausten Mann. Im Dorf hingegen gerät sie zusehends in die Rolle der gefährdeten Außenseiterin.Sara Mesa verzichtet auf den Luxus des Details, ihre Sprache besticht durch Knappheit: Prägnant entwirft sie eine unheimliche Welt hinter glasigem Dunst - mit doppelten Böden, unscharfen Grenzen und moralischen Grauzonen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Meike Feßmann ist fasziniert von diesem "rätselhaft brillanten" Roman der spanischen Autorin Sara Mesa. Sie erzählt darin von einer verunsicherten Frau, Natalia, die aus der Großstadt aufs Land zieht, um ein neues Leben anzufangen. Viel Liebe kann sie in der menschlich und botanisch kargen Gegend nicht erwarten, aber der Deutsche Andreas bietet ihr an, gegen sexuelle Gefälligkeiten das Dach zu reparieren. Natalie lässt sich auf den Deal ein. Feßmann liest diese Geschichte umso verstörter, als Mesa sie ungeheuer kühl erzählt. Für Feßmann ist "Liebe" nicht nur ein Roman über städtische Ausbruchsfantasien, sondern auch über weibliches Begehren und darüber hinaus auch über die Vielfalt von Sprache, dargebracht mit virtuosem Understatement, wie sie versichert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.10.2022Obsession und Irrtum
Die spanische Schriftstellerin Sara Mesa
hat mit „Eine Liebe“ einen rätselhaft brillanten Roman geschrieben
VON MEIKE FESSMANN
So trocken und karg wie die Landschaft, in der dieser Roman spielt, so zurückhaltend ist er mit seiner Geschichte. Eine Frau verlässt die Stadt und zieht aufs Land, in ein kleines Dorf irgendwo im bergigen Süden Spaniens. Am Meer wäre ihr lieber gewesen, aber das kann sie sich nicht leisten. Sie mietet ein heruntergekommenes Haus von einem aufdringlichen Kerl, der kommt und geht, wie er will. Er hat ihr auch einen Hund besorgt, struppig und völlig unzugänglich. Immerhin braucht das Tier nicht viel, es ist daran gewöhnt, sich um sich selbst zu kümmern. Draußen brütet die Hitze. Ein paar Olivenbäume, Kork- und Steineichen, klebrige Zistrosen halten sich auf dem trockenen Boden. Mücken, Geckos, Ameisen bevölkern das trübe Innere des Hauses.
Sara Mesa braucht nur ein paar Pinselstriche, um die Atmosphäre einer südspanischen Landschaft entstehen zu lassen und sie zugleich mit einer Nuance Unheimlichkeit zu unterlegen. Alles ist sehr konkret erzählt, treffsicher, beinahe kühl. Und doch merkt man, wie die Kategorien ins Wanken geraten. Natalia, so heißt die Protagonistin, will offenbar ihr Leben ändern. Doch sie ist so ängstlich, dass sie sich nicht einmal diesen Wunsch eingesteht. Sie schlittert in die Metamorphose hinein, haltlos, überrascht, mit wachsender Begeisterung. Ihre Autorin scheint zu wissen, dass man ihr eine Falle stellen muss, um sie aus der Spur zu bringen.
Sara Mesa, 1976 in Sevilla geboren, gilt als eine der wichtigsten spanischen Schriftstellerinnen der Gegenwart. Ihren Eigensinn konnte man schon vor zwei Jahren bewundern, als der Wagenbach Verlag „Quasi“ herausbrachte, die deutsche Übersetzung des 2018 erschienenen Romans „Cara de pan“. Er erzählt von der obskuren Beziehung eines alten Mannes und einer Schülerin, die sich heimlich in einem Park von Sevilla treffen. Dort heißt es: „Bei dem Alten läuft es nun mal so: Er verknüpft die Tatsachen nicht wie die anderen – Ursache und Wirkung stehen bei ihm nicht im herkömmlichen Verhältnis –, für ihn ist es normal, was andere seltsam finden würden, und umgekehrt: Was normal ist, findet er seltsam.“
Natalia richtet sich in ihrem neuen Leben ein. Sie putzt wie eine Besessene, sie versucht der Erde ein wenig Fruchtbarkeit abzuringen, sie geht ins Dorf, in dem es nur einen einzigen Laden gibt. Allmählich lernt sie die Dorfbewohner kennen: den umgänglichen Píter, der als „Hippie“ tituliert wird und sich um sie kümmert, eine Romafamilie, die ihr ebenfalls hilft, den dicken Besitzer einer Bar, die eigentlich nur ein Wellblech-Verschlag ist, ein liebenswürdiges altes Ehepaar, sie bereits dement, er auf dem Weg in die Erblindung. Die in der Stadt wohnende Nachbarsfamilie kommt nur an den Wochenenden ins Dorf, dann aber mit lärmender Präsenz. Neben dem aufdringlichen Vermieter gibt es einen weiteren älteren Mann. Er taucht zunächst nur am Rande ihres Gesichtsfelds auf: klein, eher hässlich, mit Knubbelnase und verrutschter Brille. Man nennt ihn den „Deutschen“, obwohl er eher wie ein „Einheimischer“ aussieht. Er baut Gemüse an und fährt es in der Gegend aus.
Als mitten im August der ersehnte Regen fällt, muss Natalia feststellen, dass das Dach des Hauses undicht ist. Die mühsam geschaffene Ordnung steht in Frage. Sie beschwert sich bei ihrem Vermieter. Er kontert: „Ihr seid alle gleich, ihr glaubt, hier draußen kann man nachts immer schön Sterne gucken, und am Tag blöken die Lämmchen. Und dann kommt ihr an und meckert – die Mücken und der Regen und das viele Unkraut.“ Andreas, der „Deutsche“, schlägt ihr einen Deal vor: „Ich kann dir das Dach reparieren, und dafür lässt du mich ein Weilchen in dich rein“. Er wolle sie nicht beschämen, er wolle nicht, dass sie böse werde, aber er habe lange keine Frau gehabt, sein Körper brauche das einmal wieder. Zunächst lehnt sie empört ab. Doch am nächsten Abend geht sie zu ihm. Am Tag darauf repariert er das Dach. Der Tausch, „eine grundlegende soziale Interaktion“, wie sie sich beruhigt, ist vollzogen. Doch sie geht weiter zu ihm.
Sex war bisher nicht wichtig für sie. Nun wird er von der Nebensache zum Zentrum ihrer Existenz. Ob es „Liebe“ ist, wie der Titel nahelegt, bleibt unsicher, eine „Obsession“ ist es ganz gewiss. Die Konstellation wirkt zunächst ähnlich wie in Benoîte Groults sexuellem Befreiungsklassiker aus den 1980er-Jahren, „Salz auf unserer Haut“, in dem sich eine Pariser Intellektuelle in einen bretonischen Fischer verliebt. Es sind gerade die Einfachheit und Körperlichkeit, die Natalia an Andreas anziehen. Seine scheinbare Bedürftigkeit erhöht ihr „sexuelles Kapital“, das sie bereits mit Mitte Dreißig schwinden sieht. Doch irgendwann entdeckt sie, dass sie sich unter völlig falschen Annahmen auf den schweigsamen Liebhaber eingelassen hat. Er ist nicht „der einfache Mann vom Land“, für den sie ihn gehalten hatte, sondern Akademiker und war sogar verheiratet – mit einer zwanzig Jahre jüngeren Frau, die ihn verlassen hat. Die Eifersucht überfällt Natalia und zersetzt ihr ohnehin prekäres Selbstbewusstsein. Ähnlich wie Andrea Abreu in ihrem Debütroman „Panza de burro“ („So forsch, so furchtlos“) übersetzt auch Sara Mesa die weibliche Sexualität in Metaphern der Landschaft. In Abreus in einem abgelegenen Dorf auf Teneriffa spielenden Coming-of-Age-Roman verkörpert der Vulkan Teide, der höchste Berg auf spanischem Staatsgebiet, das eruptive sexuelle Erwachen zweier Mädchen. Bei Sara Mesa lauert der fiktive Berg Glauco, ein graugrünes Ungetüm, als Symbol der Eifersucht und Verblendung im Hintergrund. „Eine Liebe“ ist beides: ein intimer Roman über die vertrackten Eigenschaften weiblichen Begehrens und ein Roman über das Land als romantisierten Fluchtpunkt städtischer Ausbruchsfantasien. Die Spannungen zwischen Stadt und Land haben in Spanien eine besondere Brisanz. Der Schriftsteller und Journalist Sergio del Molino prägte dafür den Begriff „Leeres Spanien“, der seit dem Erscheinen seines gleichnamigen Buches 2016 eine steile Karriere gemacht hat (und nun ebenfalls bei Wagenbach auf Deutsch vorliegt). Er zielt insbesondere auf Kastilien, wird aber auch auf all die anderen verlassenen Dörfer und versteppten Landschaften angewandt, die als Folge von Raubbau, Trockenheit, demografischem Wandel, Ab- und Auswanderung im ohnehin wenig besiedelten Hinterland zu Menetekeln des voranschreitenden Klimawandels werden.
Natalia, die bisher von Wirtschaftsübersetzungen lebte, hat sich für ihre Zeit in La Escapa ihre erste literarische Übersetzung vorgenommen. Es handelt sich um kleine Theaterszenen mit philosophischem Grundton. Eine scheinbar einfache Angelegenheit. Doch deren Autorin ist Exilantin, und Natalia traut der merkwürdig „flachen“ Sprache nicht. Wohl wissend, dass sie damit den Sinn von Sprache unterminiert, wendet sie jedes Wort um und um. Anders als Peter Kultzen, der den Roman mit souveräner Beweglichkeit in ein lebendiges Deutsch übersetzt hat, verheddert sie sich zwischen dem, was dasteht, und dem womöglich Gemeinten. Etwas Ähnliches zerstört auch das Glück ihrer sehr körperlichen Liebe: Als hätte sie Andreas, Sohn einer aus dem Nordirak nach Deutschland ausgewanderten Kurdin, in die falsche Sprache übersetzt, zwingt sie ihm Bedeutungen auf, die er nicht teilt.
Die Vielfalt der Sprachen im weitesten Sinne – die Sprache des Schweigens, der Gesten, des Körpers, der Gedanken, die Sprache von Hunden, Katzen und anderen Tieren, die Sprache der Pflanzen, des Regens und der sengenden Sonne – sind das Thema dieses rätselhaft brillanten Romans, in dem Understatement und Virtuosität eine herbe Verbindung eingehen.
Draußen brütet die Hitze, noch ist kein Meer in Sicht und die Nachbarn wundern sich, wenn jemand freiwillig in diese Gegend zieht: spanische Landschaft bei Olvera im Süden.
Foto: imago images/Alice Dias Didszoleit
Sara Mesa: Eine Liebe.
Roman. Aus dem
Spanischen von Peter Kultzen. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2022.
187 Seiten, 23 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die spanische Schriftstellerin Sara Mesa
hat mit „Eine Liebe“ einen rätselhaft brillanten Roman geschrieben
VON MEIKE FESSMANN
So trocken und karg wie die Landschaft, in der dieser Roman spielt, so zurückhaltend ist er mit seiner Geschichte. Eine Frau verlässt die Stadt und zieht aufs Land, in ein kleines Dorf irgendwo im bergigen Süden Spaniens. Am Meer wäre ihr lieber gewesen, aber das kann sie sich nicht leisten. Sie mietet ein heruntergekommenes Haus von einem aufdringlichen Kerl, der kommt und geht, wie er will. Er hat ihr auch einen Hund besorgt, struppig und völlig unzugänglich. Immerhin braucht das Tier nicht viel, es ist daran gewöhnt, sich um sich selbst zu kümmern. Draußen brütet die Hitze. Ein paar Olivenbäume, Kork- und Steineichen, klebrige Zistrosen halten sich auf dem trockenen Boden. Mücken, Geckos, Ameisen bevölkern das trübe Innere des Hauses.
Sara Mesa braucht nur ein paar Pinselstriche, um die Atmosphäre einer südspanischen Landschaft entstehen zu lassen und sie zugleich mit einer Nuance Unheimlichkeit zu unterlegen. Alles ist sehr konkret erzählt, treffsicher, beinahe kühl. Und doch merkt man, wie die Kategorien ins Wanken geraten. Natalia, so heißt die Protagonistin, will offenbar ihr Leben ändern. Doch sie ist so ängstlich, dass sie sich nicht einmal diesen Wunsch eingesteht. Sie schlittert in die Metamorphose hinein, haltlos, überrascht, mit wachsender Begeisterung. Ihre Autorin scheint zu wissen, dass man ihr eine Falle stellen muss, um sie aus der Spur zu bringen.
Sara Mesa, 1976 in Sevilla geboren, gilt als eine der wichtigsten spanischen Schriftstellerinnen der Gegenwart. Ihren Eigensinn konnte man schon vor zwei Jahren bewundern, als der Wagenbach Verlag „Quasi“ herausbrachte, die deutsche Übersetzung des 2018 erschienenen Romans „Cara de pan“. Er erzählt von der obskuren Beziehung eines alten Mannes und einer Schülerin, die sich heimlich in einem Park von Sevilla treffen. Dort heißt es: „Bei dem Alten läuft es nun mal so: Er verknüpft die Tatsachen nicht wie die anderen – Ursache und Wirkung stehen bei ihm nicht im herkömmlichen Verhältnis –, für ihn ist es normal, was andere seltsam finden würden, und umgekehrt: Was normal ist, findet er seltsam.“
Natalia richtet sich in ihrem neuen Leben ein. Sie putzt wie eine Besessene, sie versucht der Erde ein wenig Fruchtbarkeit abzuringen, sie geht ins Dorf, in dem es nur einen einzigen Laden gibt. Allmählich lernt sie die Dorfbewohner kennen: den umgänglichen Píter, der als „Hippie“ tituliert wird und sich um sie kümmert, eine Romafamilie, die ihr ebenfalls hilft, den dicken Besitzer einer Bar, die eigentlich nur ein Wellblech-Verschlag ist, ein liebenswürdiges altes Ehepaar, sie bereits dement, er auf dem Weg in die Erblindung. Die in der Stadt wohnende Nachbarsfamilie kommt nur an den Wochenenden ins Dorf, dann aber mit lärmender Präsenz. Neben dem aufdringlichen Vermieter gibt es einen weiteren älteren Mann. Er taucht zunächst nur am Rande ihres Gesichtsfelds auf: klein, eher hässlich, mit Knubbelnase und verrutschter Brille. Man nennt ihn den „Deutschen“, obwohl er eher wie ein „Einheimischer“ aussieht. Er baut Gemüse an und fährt es in der Gegend aus.
Als mitten im August der ersehnte Regen fällt, muss Natalia feststellen, dass das Dach des Hauses undicht ist. Die mühsam geschaffene Ordnung steht in Frage. Sie beschwert sich bei ihrem Vermieter. Er kontert: „Ihr seid alle gleich, ihr glaubt, hier draußen kann man nachts immer schön Sterne gucken, und am Tag blöken die Lämmchen. Und dann kommt ihr an und meckert – die Mücken und der Regen und das viele Unkraut.“ Andreas, der „Deutsche“, schlägt ihr einen Deal vor: „Ich kann dir das Dach reparieren, und dafür lässt du mich ein Weilchen in dich rein“. Er wolle sie nicht beschämen, er wolle nicht, dass sie böse werde, aber er habe lange keine Frau gehabt, sein Körper brauche das einmal wieder. Zunächst lehnt sie empört ab. Doch am nächsten Abend geht sie zu ihm. Am Tag darauf repariert er das Dach. Der Tausch, „eine grundlegende soziale Interaktion“, wie sie sich beruhigt, ist vollzogen. Doch sie geht weiter zu ihm.
Sex war bisher nicht wichtig für sie. Nun wird er von der Nebensache zum Zentrum ihrer Existenz. Ob es „Liebe“ ist, wie der Titel nahelegt, bleibt unsicher, eine „Obsession“ ist es ganz gewiss. Die Konstellation wirkt zunächst ähnlich wie in Benoîte Groults sexuellem Befreiungsklassiker aus den 1980er-Jahren, „Salz auf unserer Haut“, in dem sich eine Pariser Intellektuelle in einen bretonischen Fischer verliebt. Es sind gerade die Einfachheit und Körperlichkeit, die Natalia an Andreas anziehen. Seine scheinbare Bedürftigkeit erhöht ihr „sexuelles Kapital“, das sie bereits mit Mitte Dreißig schwinden sieht. Doch irgendwann entdeckt sie, dass sie sich unter völlig falschen Annahmen auf den schweigsamen Liebhaber eingelassen hat. Er ist nicht „der einfache Mann vom Land“, für den sie ihn gehalten hatte, sondern Akademiker und war sogar verheiratet – mit einer zwanzig Jahre jüngeren Frau, die ihn verlassen hat. Die Eifersucht überfällt Natalia und zersetzt ihr ohnehin prekäres Selbstbewusstsein. Ähnlich wie Andrea Abreu in ihrem Debütroman „Panza de burro“ („So forsch, so furchtlos“) übersetzt auch Sara Mesa die weibliche Sexualität in Metaphern der Landschaft. In Abreus in einem abgelegenen Dorf auf Teneriffa spielenden Coming-of-Age-Roman verkörpert der Vulkan Teide, der höchste Berg auf spanischem Staatsgebiet, das eruptive sexuelle Erwachen zweier Mädchen. Bei Sara Mesa lauert der fiktive Berg Glauco, ein graugrünes Ungetüm, als Symbol der Eifersucht und Verblendung im Hintergrund. „Eine Liebe“ ist beides: ein intimer Roman über die vertrackten Eigenschaften weiblichen Begehrens und ein Roman über das Land als romantisierten Fluchtpunkt städtischer Ausbruchsfantasien. Die Spannungen zwischen Stadt und Land haben in Spanien eine besondere Brisanz. Der Schriftsteller und Journalist Sergio del Molino prägte dafür den Begriff „Leeres Spanien“, der seit dem Erscheinen seines gleichnamigen Buches 2016 eine steile Karriere gemacht hat (und nun ebenfalls bei Wagenbach auf Deutsch vorliegt). Er zielt insbesondere auf Kastilien, wird aber auch auf all die anderen verlassenen Dörfer und versteppten Landschaften angewandt, die als Folge von Raubbau, Trockenheit, demografischem Wandel, Ab- und Auswanderung im ohnehin wenig besiedelten Hinterland zu Menetekeln des voranschreitenden Klimawandels werden.
Natalia, die bisher von Wirtschaftsübersetzungen lebte, hat sich für ihre Zeit in La Escapa ihre erste literarische Übersetzung vorgenommen. Es handelt sich um kleine Theaterszenen mit philosophischem Grundton. Eine scheinbar einfache Angelegenheit. Doch deren Autorin ist Exilantin, und Natalia traut der merkwürdig „flachen“ Sprache nicht. Wohl wissend, dass sie damit den Sinn von Sprache unterminiert, wendet sie jedes Wort um und um. Anders als Peter Kultzen, der den Roman mit souveräner Beweglichkeit in ein lebendiges Deutsch übersetzt hat, verheddert sie sich zwischen dem, was dasteht, und dem womöglich Gemeinten. Etwas Ähnliches zerstört auch das Glück ihrer sehr körperlichen Liebe: Als hätte sie Andreas, Sohn einer aus dem Nordirak nach Deutschland ausgewanderten Kurdin, in die falsche Sprache übersetzt, zwingt sie ihm Bedeutungen auf, die er nicht teilt.
Die Vielfalt der Sprachen im weitesten Sinne – die Sprache des Schweigens, der Gesten, des Körpers, der Gedanken, die Sprache von Hunden, Katzen und anderen Tieren, die Sprache der Pflanzen, des Regens und der sengenden Sonne – sind das Thema dieses rätselhaft brillanten Romans, in dem Understatement und Virtuosität eine herbe Verbindung eingehen.
Draußen brütet die Hitze, noch ist kein Meer in Sicht und die Nachbarn wundern sich, wenn jemand freiwillig in diese Gegend zieht: spanische Landschaft bei Olvera im Süden.
Foto: imago images/Alice Dias Didszoleit
Sara Mesa: Eine Liebe.
Roman. Aus dem
Spanischen von Peter Kultzen. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2022.
187 Seiten, 23 Euro.
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