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Eine ganz normale norwegische Familie: Mama, Papa, die erwachsenen Kinder Liv, Ellen und Håkon und die Enkel Agnar und Hedda. Alle gehen ihren interessanten Berufen nach, verstehen sich gut. Feiern gemeinsam die Feste des Jahres. Treffen sich sonntags mit ihren zum Teil wechselnden Partnern zum Essen bei den Eltern. Im Sommer verbringt man Zeit in der Familien-Hütte in den Bergen. Und dann das: Am siebzigsten Geburtstag von Papa verkünden die Eltern, daß sie sich scheiden lassen wollen. Plötzlich ist nichts mehr, wie es war. Wie in einem Mikado-Spiel, bei dem ein herausgezogenes Stäbchen die…mehr

Produktbeschreibung
Eine ganz normale norwegische Familie: Mama, Papa, die erwachsenen Kinder Liv, Ellen und Håkon und die Enkel Agnar und Hedda. Alle gehen ihren interessanten Berufen nach, verstehen sich gut. Feiern gemeinsam die Feste des Jahres. Treffen sich sonntags mit ihren zum Teil wechselnden Partnern zum Essen bei den Eltern. Im Sommer verbringt man Zeit in der Familien-Hütte in den Bergen. Und dann das: Am siebzigsten Geburtstag von Papa verkünden die Eltern, daß sie sich scheiden lassen wollen. Plötzlich ist nichts mehr, wie es war. Wie in einem Mikado-Spiel, bei dem ein herausgezogenes Stäbchen die Balance zum Einsturz bringen kann, bricht die Familienidylle zusammen, es gibt scheinbar keinen sicheren Boden mehr. Auch das Leben der Kinder gerät in profunde Unordnung. Erzählt wird diese spannende Geschichte über die Untiefen des Familienlebens abwechselnd von Liv, Ellen und Håkon. Durch diesen Kunstgriff gewinnt der Roman einen einzigartigen Perspektivenreichtum und zeichnet konturscharfdas Bild moderner Menschen und ihrer Kämpfe, Verletzungen und Träume.
Autorenporträt
Helga Flatland (Jg. 1984) hat für ihren fünften Roman, »Eine moderne Familie« (2017), den »Preis der norwegischen Buchhändler« erhalten. Das Buch wird derzeit in mehrere Sprachen übersetzt ¿ in Norwegen wurden bereits über 100.000 Exemplare verkauft. Helga Flatland hat norwegische Sprache und Literatur an der Universität Oslo studiert und danach ein Aufbaustudium an der Westerdals School of Communication absolviert. Sie lebt in Oslo. Elke Ranzinger (Jg. 1980) studierte Theaterwissenschaft, Nordistik und Neuere Deutsche Literatur in München und Bergen. Am Landestheater Linz brachte sie als Schauspieldramaturgin Stücke von Aristophanes bis Jelinek mit auf die Bühne. 2015 begann sie mit dem Übersetzen. Sie lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2019

Skandal der Scheidung
Nordisch rational: Helga Flatlands Roman „Eine moderne Familie“
Vielleicht ist es gar nicht dieses phänomenale Licht, das Italien zum Sehnsuchtsland der Menschen aus dem Norden gemacht hat. Vielleicht ist es das Bild einer italienischen Großfamilie beim Essen gewesen: so lebendig, so genießerisch miteinander redend, während die Schüsseln und Teller sich auf dem Tisch türmen – ohne dass jemand hektisch aufspringt, alles wegreißt und für Ordnung sorgt –, und man sich erst nach Stunden, süßem Espresso und sündigen Zigaretten zufrieden wieder den eigenen Lebensdingen zuwendet. Klar, auch die glückliche italienische Familie ist schöner Schein, aber als Sehnsucht ist sie ganz real.
Die norwegische Autorin Helga Flatland, Jahrgang 1984, setzt in ihrem Roman „Eine moderne Familie“ diese Sehnsucht als Folie für die Selbstbetrachtungen der Geschwister Liv, Ellen und Håkon ein, die schon erwachsen sind. Allerdings nur dem Alter nach, tatsächlich sind sie noch voll integriert ins Netz der familiären Rollen und Abhängigkeiten. Liv, die Älteste, hat Mann und zwei Kinder. Ihre Gedanken nehmen den größten Raum ein und legen die Grundlage für die Reflexionen der beiden anderen. Aus Ellens Perspektive werden zwei Kapitel erzählt, und Håkons Sicht wird nur zum Schluss gegen das Erleben seiner Schwestern geblendet.
So nüchtern wie der Titel „Eine moderne Familie“, so sachlich ist die Erzählweise. Was hätte man aus der Einstiegssituation für eine Komödie machen können: Beim Familientreffen in Italien eröffnen die Eltern ihren erwachsenen Kindern in einer klassischen Tischszene, dass sie sich scheiden lassen werden. Die Kinder reagieren wie schon früher: Liv möchte sagen, dass „sie alles in Ordnung bringt“, Ellen treibt die Dinge mit ätzendem Sarkasmus auf die Spitze: „Auseinandergelebt? Zukunft? Mal im Ernst, ihr seid siebzig!“ Und der Jüngste zieht sich zurück, um dann für praktische Arbeiten zur Verfügung zu stehen.
Damit ist das Spiel eröffnet. Die Scheidung der Eltern veranlasst die Geschwister, ihre Lebens- und Familienauffassungen infrage gestellt zu sehen. Natürlich sind Norwegerinnen wie Liv um fortschrittlichere Einstellungen bemüht als beispielsweise die Bewohner der Alpenregion, an deren pädagogische Überzeugungen Liv im Flugzeug auf dem Weg nach Rom kopfschüttelnd denkt. Zurecht, in Österreich meint ein Drittel der Bevölkerung nämlich immer noch, so die Zeitung „Der Standard“ 2014, „eine Watschen“ sei gesund, was die österreichische Autorin Petra Piuk 2017, im selben Jahr, in dem „Eine moderne Familie“ in Norwegen erschien, zu ihrer tiefschwarzen Komödie „Toni und Moni oder: Anleitung zum Heimatroman“ veranlasst hat.
Es hat schon fast etwas klischeehaft Nordisches, wie rational Helga Flatland mit dem Eltern-Kind-Thema im Gegensatz zu Piuk verfährt. Ihr Roman nimmt die Stelle der Psychoanalyse ein, die die drei Geschwister dringend bräuchten: Liv belastet als Älteste das Gefühl, sich um alles kümmern zu müssen. Sie ist ein „Kontrollfreak“, wie ihr Mann sagt, und nimmt damit allen anderen jede Möglichkeit zu handeln. Zugleich leidet sie unter dem Gefühl, nichts wert zu sein, und gibt obendrein an ihre Kinder den Mangel an Empathie weiter, den sie von ihren Eltern erfahren hat. Ellen, die Mittlere, fühlt sich schuldig. Dafür, dass sie keine Kinder bekommen kann, dafür, dass sie überhaupt auf der Welt ist. Ihren Körper, um den Liv sie beneidet, hasst Ellen und empfindet ihn als „Mängelexemplar“. An ihrer abstrusen Überzeugung, dass sie als Kinderlose nie eine „tiefere Form von Verbundenheit und Sinn“ erleben wird, geht sie regelrecht zugrunde. Alles kein Wunder, hat ihre Mutter ihr doch schon früh erzählt, wie „grauenvoll“ ihre Geburt war und dass der von Ellen verursachte „Geburtsschaden“ (da trappst die Freud’sche Nachtigall) schuld gewesen sei, dass ihre Mutter keine Kinder mehr bekommen konnte. Eins kam dann doch noch, Håkon, allerdings mit Loch im Herzen. Von seinen Schwestern eifersüchtig klein gehalten, von den Eltern ausgenutzt und in die Pflicht genommen, vertritt er die Theorie, dass die Ehe widernatürlich sei. Da auch er keine Analyse macht, bleibt er in der Utopie eines freien Miteinanders gefangen – und unglücklich.
Es ist reizvoll, wie Helga Flatland diese Konstellationen durch die verschiedenen Blickwinkel als Kippbilder der Erinnerungen erzählt. Keine Anleitung zum Heimatroman, aber zur Familienaufstellung. Man hätte sich sogar noch für die Perspektiven der Eltern und der Angeheirateten interessiert. Flatland illustriert erzählend, wie wenig selbstverständlich es ist, sich aus dem Rahmen der Kindheitsrollen zu befreien. Dadurch wirkt der Roman allerdings zunehmend thesenhaft und teilweise sogar unlebendig, weil allzu häufig auf die elterliche Mitteilung zurückgegriffen wird, die aber eher eine Deus-ex-Machina-Technik ist, um das ganze tragische Familiending in Gang zu bringen. Die Skandalisierung der Scheidung durch die Geschwister wirkt selbst mit der psychoanalytischen Brille irgendwann unverhältnismäßig.
Trotzdem wird genau dieses unverhältnismäßige Vergrößerungsglas, mit dem Flatland die Familienpsyche anschaut, dazu geführt haben, dass die norwegischen Buchhändler ihren Roman 2017 ausgezeichnet haben. Er erzählt von Konflikten, die allen bekannt vorkommen und insbesondere Ellens Geschichte leuchtet innere Verstrickungen aus, über die selten gesprochen wird. Flatland gibt dem winzigen „Pieksen von einem Gefühl“ eine Sprache, das „im Gedächtnis als etwas abgespeichert“ wurde, wogegen man sich „verteidigen“ muss. Die hinter solchen Gefühlen schlummernden unbearbeiteten Verletzungen haben allerdings so wenig mit Modernität zu tun wie die Diskrepanzen zwischen tatsächlichem Alltag und den unerreichbaren Vorstellungen, die die Geschwister sich von ihrem Leben machen. – Das Moderne an dieser Familie ist ihre Betrachtung. Und die ist dann doch auch ironisch, was Flatlands Roman nicht zum erzählerischen Meisterwerk macht, sondern ihn eher als solide erzählten Kommentar zum gegenwärtigen Familiendiskurs zeigt.
INSA WILKE
Helga Flatland:
Eine moderne Familie. Roman. Aus dem
Norwegischen von
Elke Ranzinger.
Weidle Verlag,
Bonn 2019.
308 Seiten, 15 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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