Danny Smiricky ist sechzehn. Und folglich hinter den Mädchen her. Seine Favoritinnen wechseln: An die zwanzig Versuche hat Danny schon unternommen, lauter Fehlschläge, aber diesmal - das steht für ihn fest - muß es mädchenmäßig eine prima Saison werden. Heiter, jugendlich leichtlebig, scheinbar unbeschwert läßt sich dieser Roman an. Doch die reine Idylle oder schlichte nostalgische Verklärung ist die Geschichte keineswegs. Denn sie spielt in jener Zeit, als die Tschechoslowakei als Protektorat Böhmen und Mähren unter Nazi-Okkupation stand, und so tauchen hinter der ironisch eingefärbten Schilderung von Schülerlieben und Jazzbegeisterung zunehmend bedrohlich die düsteren Gespenster von Krieg und Diktatur auf, die sich schon anschicken, mit all ihrer Zerstörungsmacht über das harmlose Leben in dem kleinen Provinzstädtchen Kostelec hereinzubrechen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998Anrufung des großen Fagotts
Josef Skvorecký kennt die wichtigsten Dinge des Lebens
Wer Geschichten zu erzählen hat, der soll sie erzählen, das Erklären aber anderen überlassen. So ist es bewährter Brauch der Dichter. Jedoch drängt es auch die besten unter den Poeten zuweilen, die Geschöpfe ihrer Fabulierlust nicht ohne Geleit in die verständnislose Welt zu entlassen, sondern ihnen ein Schildchen umzuhängen, damit sie geneigtere Aufnahme finden. Manchmal sind es auch zwei oder gar vier, wie in diesem Fall: "Feine und anmutige Tatsachen verstehen wir am besten, wenn sie erst durch Entfernung verklärt sind" (Nathaniel Hawthorne). "In eine Welt voller Schönheit hineingeboren worden zu sein und inmitten von Häßlichkeiten zu sterben, das ist gemeinhin das Schicksal von uns Exilanten" (Evelyn Waugh). "Von jedem wird erwartet, daß sein neues Werk einzigartig ist. Doch das geht nicht. Der Mensch erzählt sein ganzes Leben lang ein und dasselbe in verschiedenen Abwandlungen" (Milos Forman). Und schließlich stehen da noch ein paar Verse von Jaroslav Seifert, dem tschechischen Nobelpreisträger, über die Stadt mit den sieben Brücken und den tausend hübschen Mädchen, die sich alle gleich seien und doch alle anders.
Aus den vier Zitaten zu Beginn des Buches entsteht ein Autorporträt: Tscheche, Exilant bei den Angelsachsen, in jene Jahre vorgerückt, da man zurückblickt auf die schöne Freiheit des Jungseins, die zwar für immer verloren ist, aber im Erzählen ewige Gegenwart erhält, dazu noch ein wenig Zweifel an der eigenen Einfallskraft, der früherer Ruhm im Wege steht - kurzum: Josef Skvorecký, Jahrgang 1925, hat einen weiteren Roman geschrieben, in dem sein Daniel Smirický, der Casanova von Náchod in Böhmen, erneut eine Hauptrolle spielt.
Skvorecký ist kein gängiger Name im literarischen Haushalt der Deutschen. Frühen Ruhm erwarb er sich mit seinem Roman "Feiglinge", der bald nach dem Krieg geschrieben wurde, aber erst 1958 auf tschechisch und noch viel später, im Jahre 1969, auf deutsch erschien. Es war ein Stück Lebensgeschichte des besagten Daniel Smirický in der Zeit des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren, ein Buch, das in Prag sogleich offizielles Mißfallen auslöste. Denn beliebte Nachkriegslegenden über den heldenhaften kommunistischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer wurden da ungefällig mit einer sehr anderen Wirklichkeit konfrontiert. Opportunismus war nicht Skvoreckýs Sache. Nach dem sowjetischen Einmarsch im August 1968 emigrierte er nach Kanada, wurde dort Professor für Englisch, gründete zusammen mit seiner Frau in Toronto einen Verlag für tschechische Literatur und schrieb viele Bücher, von denen nun eines auf den deutschen Büchermarkt kommt, kein sehr neues übrigens, denn publiziert wurde es zuerst im Jahre 1975.
Die Frage, warum es gerade dieses Buch sein mußte, schwindet angesichts des Vergnügens, das es bereitet. Alles, was die vier Motti anzeigen, ist darin versammelt: zwar nicht gerade tausend hübsche Mädchen, denn wir sind in Kostelec, nicht in Prag, aber immerhin zwanzig, jede anders, aber alle gleich jung, dazu Schönheit und Anmut, natürlich auch ein wenig Melancholie und viel Witz. Im Grunde ist es ein sehr privates Buch, obwohl verhalten die Macht der uneingeladenen "Protektoren" spürbar bleibt und man in solidarischem Nachteinsatz ein Kirchenbuch umschreiben muß, um ein jüdisches Mädchen zu retten.
Erzählt werden Schülergeschichten über "Sextaner". Leider hat die im übrigen sehr geschickte Übersetzerin versäumt, ihren deutschen Lesern in einer Fußnote zu erklären, daß nach tschechischem Brauch die Oberschule mit den Primanern, den Elfjährigen, beginnt. Bei den hier mit ihrem Eros ringenden Sextanern handelt es sich also um Sechzehn- oder Siebzehnjährige. Keine Exzesse demnach unter allzu früh Gereiften, wie man zunächst vermuten könnte.
Das Problem aller dieser Geschichten ist einfach und wiederholt sich, aber es wiederholt sich in immer neuen, lustigen Variationen: Danny Smirický hat kein Glück in der Liebe, zumindest soweit es "das eine" angeht. Selbst im aussichtsreichsten Fall wird das bereits gebuchte Pensionszimmer leer bleiben. Ganz gleich also, ob es sich um Alena, Irena, Marie oder das wundervolle Zwillingsgespann von Karla-Marie Weberova handelt, ganz gleich ob die Versuche in Wald und Flur unternommen werden, auf Felsengipfeln, im Maleratelier oder der Studierstube - es wird schiefgehen. Von einer "prima Saison", wie es der Titel tut, kann man also eigentlich nicht sprechen.
Aber die Entfernung der Zeit verklärt diese Geschichten, die so fein und anmutig sind, wie sich das Nathaniel Hawthorne nur hätte vorstellen können. Für Harmonie sorgt außerdem der Jazz, der als Cantus firmus diesen Roman durchdringt, denn Dannys großer Trost ist sein Tenorsaxophon, das er erfolgreicher handhabt als die Liebe. An Anmut und Witz lassen es auch die Mädchen nicht fehlen, Karla-Marie vor allem, wenn sie von ihren Anbetern spricht, so dem "Fagottspieler der Wiener Philharmoniker", einem "der Urenkel des Paracelsus". Und selbst dem Herrn Rat, Irenas und Alenas strengem Vater, der als diabolus ex machina immer wieder die schönsten Ansätze Dannys zunichte macht, fehlt es nicht an tückischem Humor.
Aber am Ende wird es dann doch ernst beim Schlußball. Leopold Vána verkündet bereits seine Theorien von der Diktatur des Proletariats, Lexa spielt die Klarinette in Dannys Band, als man ihm sagt, daß sein Vater von den Deutschen erschossen worden ist, und auch Danny spürt, daß etwas geschehen ist: "Alles begann sich um mich zu drehen . . . alles war zu Ende . . . mit diesem Krieg ging alles zu Ende . . . die fingen an, sie zu erschießen . . . unsere Jugend . . . die Bourgeois . . . Did you ever dream, lucky baby . . . rief ich schmerzerfüllt, ins Leere, niemand hörte mich . . . and wake up . . . cold . . . in the dark . . ." Die wichtigsten Dinge des Lebens werden durch die Entfernung nicht immer nur verklärt. GERHARD SCHULZ
Josef Skvorecký: "Eine prima Saison. Ein Roman über die wichtigsten Dinge des Lebens". Aus dem Tschechischen übersetzt von Marcela Euler. Franz Deuticke Verlagsgesellschaft, Wien und München 1997. 270 S., geb., 34,- DM.
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Josef Skvorecký kennt die wichtigsten Dinge des Lebens
Wer Geschichten zu erzählen hat, der soll sie erzählen, das Erklären aber anderen überlassen. So ist es bewährter Brauch der Dichter. Jedoch drängt es auch die besten unter den Poeten zuweilen, die Geschöpfe ihrer Fabulierlust nicht ohne Geleit in die verständnislose Welt zu entlassen, sondern ihnen ein Schildchen umzuhängen, damit sie geneigtere Aufnahme finden. Manchmal sind es auch zwei oder gar vier, wie in diesem Fall: "Feine und anmutige Tatsachen verstehen wir am besten, wenn sie erst durch Entfernung verklärt sind" (Nathaniel Hawthorne). "In eine Welt voller Schönheit hineingeboren worden zu sein und inmitten von Häßlichkeiten zu sterben, das ist gemeinhin das Schicksal von uns Exilanten" (Evelyn Waugh). "Von jedem wird erwartet, daß sein neues Werk einzigartig ist. Doch das geht nicht. Der Mensch erzählt sein ganzes Leben lang ein und dasselbe in verschiedenen Abwandlungen" (Milos Forman). Und schließlich stehen da noch ein paar Verse von Jaroslav Seifert, dem tschechischen Nobelpreisträger, über die Stadt mit den sieben Brücken und den tausend hübschen Mädchen, die sich alle gleich seien und doch alle anders.
Aus den vier Zitaten zu Beginn des Buches entsteht ein Autorporträt: Tscheche, Exilant bei den Angelsachsen, in jene Jahre vorgerückt, da man zurückblickt auf die schöne Freiheit des Jungseins, die zwar für immer verloren ist, aber im Erzählen ewige Gegenwart erhält, dazu noch ein wenig Zweifel an der eigenen Einfallskraft, der früherer Ruhm im Wege steht - kurzum: Josef Skvorecký, Jahrgang 1925, hat einen weiteren Roman geschrieben, in dem sein Daniel Smirický, der Casanova von Náchod in Böhmen, erneut eine Hauptrolle spielt.
Skvorecký ist kein gängiger Name im literarischen Haushalt der Deutschen. Frühen Ruhm erwarb er sich mit seinem Roman "Feiglinge", der bald nach dem Krieg geschrieben wurde, aber erst 1958 auf tschechisch und noch viel später, im Jahre 1969, auf deutsch erschien. Es war ein Stück Lebensgeschichte des besagten Daniel Smirický in der Zeit des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren, ein Buch, das in Prag sogleich offizielles Mißfallen auslöste. Denn beliebte Nachkriegslegenden über den heldenhaften kommunistischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer wurden da ungefällig mit einer sehr anderen Wirklichkeit konfrontiert. Opportunismus war nicht Skvoreckýs Sache. Nach dem sowjetischen Einmarsch im August 1968 emigrierte er nach Kanada, wurde dort Professor für Englisch, gründete zusammen mit seiner Frau in Toronto einen Verlag für tschechische Literatur und schrieb viele Bücher, von denen nun eines auf den deutschen Büchermarkt kommt, kein sehr neues übrigens, denn publiziert wurde es zuerst im Jahre 1975.
Die Frage, warum es gerade dieses Buch sein mußte, schwindet angesichts des Vergnügens, das es bereitet. Alles, was die vier Motti anzeigen, ist darin versammelt: zwar nicht gerade tausend hübsche Mädchen, denn wir sind in Kostelec, nicht in Prag, aber immerhin zwanzig, jede anders, aber alle gleich jung, dazu Schönheit und Anmut, natürlich auch ein wenig Melancholie und viel Witz. Im Grunde ist es ein sehr privates Buch, obwohl verhalten die Macht der uneingeladenen "Protektoren" spürbar bleibt und man in solidarischem Nachteinsatz ein Kirchenbuch umschreiben muß, um ein jüdisches Mädchen zu retten.
Erzählt werden Schülergeschichten über "Sextaner". Leider hat die im übrigen sehr geschickte Übersetzerin versäumt, ihren deutschen Lesern in einer Fußnote zu erklären, daß nach tschechischem Brauch die Oberschule mit den Primanern, den Elfjährigen, beginnt. Bei den hier mit ihrem Eros ringenden Sextanern handelt es sich also um Sechzehn- oder Siebzehnjährige. Keine Exzesse demnach unter allzu früh Gereiften, wie man zunächst vermuten könnte.
Das Problem aller dieser Geschichten ist einfach und wiederholt sich, aber es wiederholt sich in immer neuen, lustigen Variationen: Danny Smirický hat kein Glück in der Liebe, zumindest soweit es "das eine" angeht. Selbst im aussichtsreichsten Fall wird das bereits gebuchte Pensionszimmer leer bleiben. Ganz gleich also, ob es sich um Alena, Irena, Marie oder das wundervolle Zwillingsgespann von Karla-Marie Weberova handelt, ganz gleich ob die Versuche in Wald und Flur unternommen werden, auf Felsengipfeln, im Maleratelier oder der Studierstube - es wird schiefgehen. Von einer "prima Saison", wie es der Titel tut, kann man also eigentlich nicht sprechen.
Aber die Entfernung der Zeit verklärt diese Geschichten, die so fein und anmutig sind, wie sich das Nathaniel Hawthorne nur hätte vorstellen können. Für Harmonie sorgt außerdem der Jazz, der als Cantus firmus diesen Roman durchdringt, denn Dannys großer Trost ist sein Tenorsaxophon, das er erfolgreicher handhabt als die Liebe. An Anmut und Witz lassen es auch die Mädchen nicht fehlen, Karla-Marie vor allem, wenn sie von ihren Anbetern spricht, so dem "Fagottspieler der Wiener Philharmoniker", einem "der Urenkel des Paracelsus". Und selbst dem Herrn Rat, Irenas und Alenas strengem Vater, der als diabolus ex machina immer wieder die schönsten Ansätze Dannys zunichte macht, fehlt es nicht an tückischem Humor.
Aber am Ende wird es dann doch ernst beim Schlußball. Leopold Vána verkündet bereits seine Theorien von der Diktatur des Proletariats, Lexa spielt die Klarinette in Dannys Band, als man ihm sagt, daß sein Vater von den Deutschen erschossen worden ist, und auch Danny spürt, daß etwas geschehen ist: "Alles begann sich um mich zu drehen . . . alles war zu Ende . . . mit diesem Krieg ging alles zu Ende . . . die fingen an, sie zu erschießen . . . unsere Jugend . . . die Bourgeois . . . Did you ever dream, lucky baby . . . rief ich schmerzerfüllt, ins Leere, niemand hörte mich . . . and wake up . . . cold . . . in the dark . . ." Die wichtigsten Dinge des Lebens werden durch die Entfernung nicht immer nur verklärt. GERHARD SCHULZ
Josef Skvorecký: "Eine prima Saison. Ein Roman über die wichtigsten Dinge des Lebens". Aus dem Tschechischen übersetzt von Marcela Euler. Franz Deuticke Verlagsgesellschaft, Wien und München 1997. 270 S., geb., 34,- DM.
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