Kann Religion den Tod Gottes, ihres bisherigen Hauptdarstellers, überleben? Brauchen wir sie noch? Geht nicht alles ohne sie geradeso gut, ja inzwischen sogar deutlich besser? Im Augenblick sieht es fast danach aus; zumindest in den fortgeschritteneren Gebieten des Planeten scheint für Religionen, wie wir sie bisher kennen, Spätherbst, wenn nicht gar Winter angebrochen zu sein. In einigen Regionen der Erde mag in ihre welken Ballone noch die Heißluft politischer Agenden geblasen werden, doch auf diese Art entsteht allenfalls eine künstliche Religiosität, die kurzfristig eine kollektive Identität erzeugen und den Widerstandsgeist anfeuern mag, aber ihren Anlass gewöhnlich nicht lange überdauert.Was also kann heute Religion noch leisten? Wie hätte eine Religion auszusehen, die überhaupt noch etwas leisten kann, außer Flaggen und Parolen für letztlich machtpolitisch motivierte Kulturkämpfe zu liefern? Auf diese Frage soll hier eine Antwort versucht werden. Dabei werden wir zunächst Bilanz ziehen aus der bis in jüngste Zeit bei uns dominierenden Religion, dem Christentum. Welche Rolle hat es in der Geschichte Europas gespielt? Welche Haltungen und Einstellungen hat es in den Menschen herangebildet? Hat es dabei vielleicht Defizite hinterlassen, denen eine neue Religion sich zu stellen, die sie gegebenenfalls abzuarbeiten hätte?Bei einer solchen Abrechnung kann es eine neue Religion aber nicht belassen: Sie hat uns vielmehr neue Ziele zu setzen, um die Chancen zu nutzen, die sich aus dem Stand der geschichtlichen Entwicklung ergeben, und so unserem Leben eine zusätzliche Bedeutung zu verleihen. Und bei dieser Aufgabe hat sie uns dann auch hinauszuführen über die Märchenwelt erbaulicher Fabeln sowie die Bevormundungen eines moralischen Zuchtmeisters, um uns auf neue Wege zu lenken: die Wege einer reifen Religion - einer Religion für Reife.
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