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Eine Entdeckung: ein Roman aus dem Jahr 1928, erschienen in der Pariser Emigration und nun neu aus dem Russischen übersetzt.
"In einer fremden Stadt entlieh ich den Titel meines ersten großen Romans bei einer der bemerkenswertesten Straßen meiner Heimatstadt" - schrieb Michail Ossorgin, der bereits 1922 auf Lenins Befehl hin die Sowjetunion verlassen musste und es mit diesem Roman zu internationaler Berühmtheit brachte.
Die Straße in Moskau heißt "Siwzew Wrazhek". Es ist eine kleine Straße im Zentrum von Moskau, doch seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit großer literarischer
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Produktbeschreibung
Eine Entdeckung: ein Roman aus dem Jahr 1928, erschienen in der Pariser Emigration und nun neu aus dem Russischen übersetzt.

"In einer fremden Stadt entlieh ich den Titel meines ersten großen Romans bei einer der bemerkenswertesten Straßen meiner Heimatstadt" - schrieb Michail Ossorgin, der bereits 1922 auf Lenins Befehl hin die Sowjetunion verlassen musste und es mit diesem Roman zu internationaler Berühmtheit brachte.

Die Straße in Moskau heißt "Siwzew Wrazhek". Es ist eine kleine Straße im Zentrum von Moskau, doch seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit großer literarischer Tradition: Der junge Tolstoj lebte hier, genauso wie Marina Zwetajewa und Pasternaks "Doktor Schiwago" spielte hier zum Teil.

Im Frühjahr 1914, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, beginnt "Eine Straße in Moskau" und endet im Frühlingserwachen des Jahres 1920: Weltkrieg, Revolution und der Kampf zwischen den "Roten" und "Weißen" ist auch durch diese Moskauer Straße gegangen, hat ihre Bewohner zu anderen Menschen gemacht. Wie durch ein Brennglas werden die epochalen Ereignisse im Mikrokosmos eines Professorenhaushalts um den Ornithologen Iwan Alexandrowitsch und seine Enkelin "Tanjuscha" verwundert betrachtet und zu einem Mosaik aus 86 Bildern und Szenen meisterhaft montiert: ein Film in Prosa, ein dramatisches Personal, unvergessliche Szenen, realistisch direkt oder symbolisch-parabelhaft überhöht. "Eine Straße in Moskau" ist ein Zeitroman und die literarische Chronik eines wiederentdeckten großen russischen Stilisten.

1878 als Spross einer Adelsfamilie in Perm/Ural geboren, wurde Michail Ossorgin (eigentlich Iljin) in der Zeit der revolutionären Unruhen des Jahres 1905 als Sozialrevolutionär verhaftet; er floh ins Ausland und kehrte erst mehr als ein Jahrzehnt später nach Russland zurück. Als Kritiker der Bolschewiki wurde Ossorgin zunächst verbannt, dann 1922 mit einer großen Gruppe Intellektueller auf dem berühmten "Philosophenschiff" außer Landes gebracht. Nach einer Zeit in Berlin ließ er sich in Paris nieder und starb als staatenloser Flüchtling 1942 im zentralfranzösischen Chabris.
Autorenporträt
Michail Andrejewitsch Ossorgin oder Iljin, wie er eigentlich hieß, ist bei uns und sogar in Russland eine unbekannte Schriftstellergröße. Er wurde 1878 in Perm geboren, war Mitglied der Partei der Sozialrevolutionäre, nahm am Aufstand von 1905 teil, trat 1913 wegen der Heirat mit Rachil Ginzberg zum Judentum über, wurde 1914 Freimauerer, wirkte nach der Oktoberrevolution gegen die Bolschewisten, wurde 1919 und 1921 verhaftet, kam jeweils nach Interventionen wieder frei und wurde schließlich 1921 mit anderen Intellektuellen des Landes verwiesen. Trotzki kommentierte dies folgendermaßen: "Wir haben diese Leute deshalb ausgewiesen, da wir einerseits keinen Vorwand hatten, sie zu erschießen, sie aber andererseits nicht mehr dulden konnten." Nach einer Zeit in Berlin ließ sich Ossorgin schließlich in Paris nieder, wo er andere Emigranten, wie Boris Sajzew oder Mark Aldanow, traf. In Frankreich entstanden auch seine wichtigsten Werke, wie Siwzew Wraschek (1928), unser AB-Titel Eine Straße in Moskau, und Der Freimaurer (1937). Bald nach Ausbruch des Krieges floh Ossorgin nach Chabris, wo er 1942 starb.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.12.2015

Warten auf die Schwalben
Eine großartige Wiederentdeckung: Michail Ossorgins Roman „Eine Straße in Moskau“ aus dem Jahr 1929 erzählt
vom Einbruch des Ersten Weltkriegs und der Revolution in den Haushalt eines bürgerlichen Gelehrten
VON THOMAS URBAN
Es gab kein Pulver, mit dem man auf die Wölfe hätte schießen können, es wurde ja nunmehr überwiegend auf Menschen geschossen“, stellt der Erzähler lakonisch fest. In Russland haben sich die Bolschewiki im Oktober 1917 an die Macht geputscht, das Land versinkt im Bürgerkrieg. Moskau hungert. Also ziehen immer mehr Menschen aufs Land, um bei den Bauern ihr Hab und Gut gegen Lebensmittel einzutauschen. Doch auch dort herrscht blanke Not, die Dörfler können sich nicht einmal mehr gegen die Wölfe wehren, die nachts um ihre Häuser streichen.
  „Der Wolf kreist“, hieß die erste deutsche Ausgabe des Romans des russischen Emigranten Michail Ossorgin über den Ersten Weltkrieg und die Revolutionswirren, der 1929 ein Erfolg war. Nun erscheint das Buch in einer prägnanten, präzisen Neuübersetzung und erstmals in voller Länge, eine fulminante Studie über orientierungslose Menschen in einer zusammenbrechenden Welt voller Gewalt. Im Original heißt das Buch „Siwzew wrashek“. Es ist der Name einer Straße im vielbesungenen Moskauer Arbat-Viertel, er erinnert an eine längst zugeschüttete kleine Schlucht, durch die einst der Bach Siwza floss.
  Einige Szenen aus Lew Tolstois „Krieg und Frieden“ und Boris Pasternaks „Doktor Schiwago“ spielen in der Straße, sie war stets eine begehrte Adresse. Ein Eckhaus ist der Schauplatz der meisten der 86 Szenen in dem Roman Ossorgins, der die Jahre 1914 bis 1920 umfasst. Zunächst geht in der großzügigen Wohnung des Ornithologie-Professors Iwan Alexandrowitsch alles seinen üblichen Gang: Der Professor beobachtet Schwalben, seine Frau dirigiert mit milder Nachsicht die Dienstboten, die bei ihnen lebende verwaiste Enkelin Tatjana, genannt Tanuschka, 16 Jahre alt, bereitet sich auf die Abschlussprüfungen auf der Höheren Mädchenschule vor und träumt von einer Karriere als Pianistin.
  Mit dem Ausbruch des Krieges bricht diese kleine Welt zusammen. Die meisten der Studenten des Professors und Verehrer der hübschen Tatjana sind zwar zunächst stolz auf ihre prächtigen neuen Uniformen. Doch die Kriegsbegeisterung verfliegt schnell, die ersten Toten im Freundeskreis sind zu beklagen. Einem vormals schmucken Oberleutnant und elegantem Tänzer reißt eine deutsche Granate alle Gliedmaßen weg, er überlebt als „Stumpf“, wie es der Erzähler gleichmütig nennt, umsorgt von seinem treuen Offiziersburschen, aber nach und nach verlassen von allen Freunden. Die jungen Frauen, die sich als Krankenschwestern melden, erschrecken über die „zertrümmerten Menschenleiber“. Doch noch werden Heldenbegräbnisse inszeniert: „Solche Friedhöfe gab es viele, große und kleine, sie waren der ganze Stolz der Länder, Herrscher und Völker.“ Nur ein Bauernbursche spricht die Wahrheit aus: „Wie Müll werden wir in den Eimer geworfen.“
  Der Halbanalphabet vom Dorf macht dann Karriere unter den Bolschewiki. Der mittlerweile verwitwete Professor und seine Enkelin verarmen und müssen ihre Wohnung mit einem Dutzend fremder Menschen teilen. Die Außerordentliche Kommission, auf Russisch „Tscheka“ abgekürzt, nimmt willkürlich Verhaftungen und Erschießungen vor, ein Klima der Angst, das auch schon Pasternak in seinem in der Sowjetunion verbotenen „Doktor Schiwago“ eindringlich vermittelt hat.
  Während die Masse blanke Not leidet, bekommen die Henker des Regimes Sonderrationen an Lebensmitteln. Der Tscheka-Exekutor, der im Haus neben dem Professor wohnt, kann seinem blutigen Handwerk aber nur nachgehen, wenn er sich betrinkt. Und er ist zu feige, ein Schwein zu schlachten, das seine Frau herangeschafft hat. Doch einen ihm persönlich bekannten Nachbarn, einen Dozenten für Philosophie, der sich als Clown in Arbeiterklubs durchschlägt, erschießt er in den Kellern der Geheimdienstzentrale Lubjanka. Die Erschossenen werden als „Abgänge“ verbucht, Zwangsverpflichtete müssen sie auf Äckern um Moskau verscharren. Das Ende des Romans lässt den weiteren Lauf der Dinge offen, der Professor und Tanuschka erwarten die Rückkehr der Schwalben.
  Die große Politik wird nur an wenigen Stellen angetippt, der Verfasser wollte offenkundig kein umfassendes Panorama der Zeit schaffen, wie dies Tolstoi und auch Pasternak getan haben. Zu diesen Stellen gehört die Frage eines Tscheka-Folterknechts nach Kontakten eines Verdächtigen zu Boris Sawinkow. Dieser war ein Terrorist in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, mit Bombenattentaten wollte er dazu beitragen, die Zarenherrschaft zu beseitigen. Sein autobiografisch geprägter Roman „Das fahle Pferd“ ist kürzlich erstmals auf Deutsch erschienen. Im wirklichen Leben dürfte Michail Ossorgin den Terroristen und Schriftsteller Sawinkow gekannt haben, denn beide waren in der Sozialrevolutionären Partei aktiv, die der Bolschewikenführer Lenin als politische Konkurrenz blutig verfolgen ließ.
  Ossorgin, von Beruf Journalist, hatte mehr Glück, er wurde ins Exil abgeschoben. In Paris schrieb er für sozialdemokratische und liberale Emigrantenblätter. Wenige Jahre nach dem Erfolg seines Erstlings brachte er noch den Roman „Der Freimaurer“ heraus, in dem er ebenfalls eigene Erfahrungen verarbeitete, doch fand er kein positives Echo. Auf der Flucht vor den deutschen Besatzern starb er 1942 in einem Dorf südlich von Paris. Mit der Schilderung von Verstümmelungen und Verbrennungen der russischen Gesellschaft in seinem Revolutionsroman liefert er auch Antworten auf die Frage, wo es begann, dass diese so wurde, wie sie heute ist.
Die Straße, in der dieser
Roman spielt, kommt auch bei
Tolstoi und Pasternak vor
Der Journalist Ossorgin hatte
Glück – er wurde abgeschoben
und ging nach Paris ins Exil
„Der Bolschewik“, gemalt von Boris Michailowitsch Kustodijew (1878 – 1927) im Jahr 1920, in dem Ossorgins Roman endet.
Foto: bridgemanart.com
Michail Ossorgin: Eine Straße in Moskau. Roman. Aus dem Russischen mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Ursula Keller unter Mitarbeit von Natalja Sharandak. Die Andere Bibliothek, Berlin 2015.
572 Seiten, 39,50 Euro.
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