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Mary und Huda, Schwestern aus einer christlich-arabischen Familie, im arabischen Viertel von Haifa lebend, müssen sich in der israelischen Gesellschaft behaupten. Als Huda sich in den russisch-jüdischen Emigranten Alex verliebt, scheint der Konflikt mit ihrer Familie unvermeidlich."Als ich nach Israel kam, empfand ich mich selbst als arabischen Juden. Ich kann darum Araber nicht hassen, ich müßte mich selber hassen... Ich bin in der arabischen Kultur geboren, aber ich habe mich in der hebräischen Kultur entwickelt. Das ermöglicht es mir, die jüdische und die arabische Kultur von innen zu…mehr

Produktbeschreibung
Mary und Huda, Schwestern aus einer christlich-arabischen Familie, im arabischen Viertel von Haifa lebend, müssen sich in der israelischen Gesellschaft behaupten. Als Huda sich in den russisch-jüdischen Emigranten Alex verliebt, scheint der Konflikt mit ihrer Familie unvermeidlich."Als ich nach Israel kam, empfand ich mich selbst als arabischen Juden. Ich kann darum Araber nicht hassen, ich müßte mich selber hassen... Ich bin in der arabischen Kultur geboren, aber ich habe mich in der hebräischen Kultur entwickelt. Das ermöglicht es mir, die jüdische und die arabische Kultur von innen zu beschreiben", sagt der 1926 in Bagdad geborene israelische Autor Sami Michael.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.1997

Romeo und Julia im Wadi
Sami Michael beschreibt israelisch-arabische Parallelaktionen

Alex ist ein ganzer Kerl und obendrein ein differenzierter Charakter. Von hinten fällt sein kompakter, muskulöser Rücken auf, der gut zu einer Ganovenphysiognomie passen würde. Von vorne wirkt er, durch seine Brille mit den zentimeterdicken Gläsern, wie ein typischer introvertierter Intelligenzler. Alex verkörpert nicht nur eine Schnittmenge von Typologien, sondern auch von Lebenswelten und Kulturräumen.

Die Zufälle der Wohnungssuche haben Alex ausgerechnet in das "Wadi" genannte arabische Viertel von Haifa verschlagen. Er ist der einzige jüdische Bewohner weit und breit inmitten einer arabischen Bewohnerschaft. Tagsüber studiert er Ingenieurwissenschaften. Nachts schleppt er Säcke im Hafen von Haifa, um Geld zu verdienen. Er spricht, wiewohl in Israel lebend, nur gebrochen Hebräisch, denn seine Muttersprache ist Russisch. Er ist Jude, aber nicht besonders bewandert in der jüdischen Religion und Alltagskultur. Alex wuchs in der Sowjetunion auf, im stalinistischen Glaubensmilieu seiner Eltern, das ebenfalls erstaunlich wenig auf ihn abgefärbt hat. Alex ist eine moderne literarische Figur; als Charakter mehrdeutig, als Mensch entwurzelt, als Kulturwesen gebrochen.

Im Lauf der Handlung beweist Alex noch eine andere Qualität, die als Glücksbringer. Denn erstens bewahrt er den Roman "Eine Trompete im Wadi" des israelischen Schriftstellers Sami Michael vor dem Schicksal der Trivialität. Und zweitens bewahrt er Huda vor dem Schicksal der alten Jungfer. Huda bewohnt mit ihrer Schwester Mary, ihrer Mutter und ihrem Großvater die Wohnung unter Alex' Dachmansarde. Aus der romantischen, aporetischen Liebe zwischen dem Juden und der Araberin, Romeo und Julia im heutigen Israel, entwickelt der Roman seinen Erzählfaden. Er entrollt ihn in einer sehr engen, bühnenhaften Topographie, in der Wohnstube der arabischen Familie, wo die Romanpersonen und Konfliktparteien auftreten und abtreten, debattieren und unendlich dialogisieren und wo der Schematismus überschaubarer, das heißt märchenhaft vereinfachter Verhältnisse herrscht. Das Eintreffen des modernen Alex in der guten Stube der traditionellen arabischen Familie hat die literarisch belebende Wirkung eines Kontrastmittels.

Huda und Mary sind so gegensätzlich, wie Schwestern wirklich nur im Märchen sind und sein dürfen. Huda ist ernst, schmal, unscheinbar, nachdenklich, verantwortungsbewußt, fleißig, menschen-und natürlich auch männerscheu, kurzum ein Aschenputtel. Mary dagegen ist lebenslustig, sehr sinnlich und auffallend attraktiv, wohlgerundet und oberflächlich, raffiniert und extrovertiert. Während Huda, die als einzige Araberin in einem Reisebüro mit jüdischen Kollegen arbeitet, sich nach Feierabend in einer Ecke der Wohnstube in ein Lyrikbändchen vertieft, wirft sich Mary rücklings aufs Bett, raucht Zigaretten und schaukelt im aparten Köpfchen Dummheiten und Schnapsideen hin und her.

Sami Michael hat versucht, die etwas biedere Konstellation wenigstens komödiantisch aufzulockern, das Gebiet des Lehrstücks zu verlassen und sich auf dem der Farce umzutun. Züge der Farce hat eine kleine Urlaubs- und Liebesreise im Quartett. Die Schwestern fahren mit ihren jeweiligen Verlobten gemeinsam aufs Land, Huda mit Alex, Mary mit einem stupiden Vetter. Der nervös angesteuerte Höhepunkt der kleinen Fahrt ins Blaue vollzieht sich als sexuelle Parallelaktion in den paarweise angemieteten Hotelzimmern. Wand an Wand, exakt zur gleichen Zeit und dramaturgisch aufeinander abgestimmt, gehen die Schwestern der Bewältigung schwieriger intimer Aufgaben entgegen. Sie haben das gleiche Ziel. Aber ihre Absichten und psychologischen Methoden unterscheiden sich entsprechend ihren diametralen Charakteren. Huda will endlich ihre Unschuld verlieren. Mary will den Vetter endlich dazu bringen, noch vor der Hochzeit das Werk zu vollenden, welches notwendig ist, um eine Schwangerschaft plausibel zu machen, die längst eingetreten ist. Denn Mary hat ihre Unschuld an einen Tunichtgut verloren, den der Vetter als Kindsvater ersetzen soll.

Die ganze Hotelszenerie ist nicht ohne Peinlichkeit und erzählerisch nicht ohne eine gewisse Penetranz. Wieder erweist sich Alex als Retter in der Not. "Du bist ja total verrückt", sagt er schlicht, sachlich und direkt zu Huda, die sich bis zur Nasenspitze unter die Bettdecke verdrückt hat und so in einer albernen Parodie auf das scheue arabische Schleiermädchen verschwunden ist. Der unbeeindruckte Kommentar von Alex bricht den Bann der Prüderie und kippt den literarischen Trivialeffekt.

Aber Sami Michael ist kein Trivialschriftsteller. Mit dem weltweit übersetzten Roman "Viktoria", einer wunderbaren Familiensaga, hatte er in Israel anhaltenden Erfolg. Auch "Viktoria" entwickelt die Spannung aus der des arabisch-jüdischen Verhältnisses. Der Roman spielt im jüdischen Viertel von Bagdad und erzählt mehr oder weniger autobiographisch die Geschichte und Vorgeschichte von Sami Michaels eigenem Leben. Denn der 1926 geborene Schriftsteller, der heute in Haifa lebt, ist ein in Bagdad geborener Jude, der jedoch - wie Alex - ohne Verwurzelung im Judentum aufwuchs. Seine Biographie beschenkte ihn mit einem Talent für die Darstellung ethnischer, kultureller und religiöser Kaleidoskope. Und es ist tatsächlich ein sehr kompliziertes Kaleidoskop, das der Roman "Eine Trompete im Wadi" auffächert, die komplizierte Geschichte des Nahen Ostens.

Der europäische Leser wird, wenn er ehrlich ist, vieles nur verstehen, wenn er im Lexikon nachschlägt. Wann und warum mußte der christliche Großvater von Huda und Mary aus Ägypten nach Israel fliehen? Wann wurde die Mutter der Schwestern, die aus reichen palästinensischen Verhältnissen stammt, von den Golan-Höhen vertrieben? Indirekt kann man darauf schließen, daß der Roman Anfang der achtziger Jahre spielt, da Alex am Ende der Handlung zur israelischen Armee eingezogen und sofort darauf in den Libanon kommandiert wird.

Sami Michael war sich der Kompliziertheit dieser geschichtlichen Hintergründe und politischen Kulissen wohl bewußt, womöglich zu bewußt. Denn wie es aussieht, kompensierte er sie einerseits mit literarischen Techniken der Vereinfachung, andererseits mit starker Befrachtung der Dialoge, aus denen der Romantext hauptsächlich besteht. Der Hang des Romans zum Schematismus wird mit Monotonie und Lähmung bestraft. Und dies bei einem Romanstoff, der mit Brisanz und Dynamik aufgeladen ist, wie sie auf der aktuellen politischen Weltkarte nicht häufig zu finden sind.

Sami Michael überwindet, wie David Groddmann bewundernd äußerte, "jene unsichtbare eiserne Grenze zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen ,wir' und ,sie'". Nun könnte es allerdings sein, daß sich diese Intention von Roman zu Roman in einen Auftrag des Schriftstellers an sich selbst verwandelt hat. Der Fall, daß daraus Mitteilungsliteratur entsteht, mit den typischen Schwächen des demonstrativen und deduktiven Erzählens, ist ja nicht selten. URSULA MÄRZ

Sami Michael: "Eine Trompete im Wadi". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Inken Kraft. Berlin Verlag, Berlin 1996. 300 S., geb., 39,80 DM.

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