New York 1910: Der 18-jährige Adrian erreicht auf einem Auswandererschiff das "Gelobte Land". Allein und der Sprache nicht mächtig, muss er sich in der fremden Großstadt durchschlagen. Dabei entdeckt er nicht nur eine faszinierende Welt, sondern auch eine unerwartete Liebe: Die Liebe zu Jack, seinem besten Freund.Aline Sax zeichnet ein bewegendes Bild vom Schicksal der Auswanderer, von ihren Hoffnungen und von den Lebensumständen in New York. Die junge Autorin lässt den Leser eintauchen in diese andere Welt und teilhaben an Adrians Geschichte, an seiner Zerrissenheit, an der Entdeckung seiner Homosexualität und an der schwersten Entscheidung seines Lebens.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2007Neue Welten
Ein ungewöhnlicher Auswandererroman der jungen Flämin Aline Sax
Alle Geschichten, die wir kennen, enden mit dem Aufbruch nach Amerika. Meine beginnt damit.” - Ein Satz, der Phantasien beflügelt. Es ist der erste Satz des jungen Helden in einem Brief an seinen geliebten Zwillingsbruder. Er will ihm erklären, warum damals im Frühjahr des Jahres 1910 alles so geworden ist für ihn, den Auswanderer, in „Eine Welt dazwischen”, dem Roman der jungen flämischen Autorin und Historikerin Aline Sax (23).
Eines Frühjahrmorgens bricht seine Familie auf zu einer Reise in die Vereinigten Staaten, getrieben von der Hoffnung, im gelobten Land Frieden zu finden - Arbeit, Brot, ein Stück Land, das sie bewirtschaften kann, wie zu Hause in einem Dorf bei Antwerpen. Nur eben so, dass es sie ohne Not ernährt, das Land. Auswandererschicksale, ungezählt. In unserer Phantasie nehmen sie, dank Literatur und Film, immer wieder Gestalt an, manchmal eine sozialromantische, manchmal eine realistische. Und immer spielt ein riesengroßer Ozeandampfer eine Rolle. Besonders das Zwischendeck, wo die Passagiere dritter Klasse hausen, während man weiter oben im Luxus schwelgt. Dann der erste Blick auf die Skyline von Manhattan, die alles Leid für Augenblicke vergessen lässt. Dann die Freiheitsstatue, die Docks am East River und am Ende des Anfangs Ellis Island – die letzte und schwerste Hürde vor dem Schritt in die Freiheit.
In dieses bekannte Milieu setzt Aline Sax ihren jungen Helden. Und sie verschlimmert sein Leid. Die Familie wird auseinander gerissen. Die Mutter und die kleine Schwester dürfen nicht an Bord, der Vater wird bei der Gesundheitskontrolle auf Ellis Island zurückgewiesen und der Zwillingsbruder Alexander wird die Einreise wegen Aufmüpfigkeit verweigert. Adrian fühlt sich in der fremden Welt verloren, aber eine innere Kraft treibt ihn weiter, lässt ihn sich mit Küchenjobs über Wasser halten. Dieses Kapitel des Leidenswegs beherrscht etwa die Hälfte des 300-Seiten-Romans.
Aline Sax setzt die Geschichte nicht nur in detailreiche Kulissen. Sie zeigt zudem dramaturgisches Geschick und erzählt in klarer Sprache. Da werden Bilder lebendig, als säßen wir im Kino. Dann gibt es einen geplanten Bruch, der die Zeit verlangsamt: Adrian verliebt sich – in einen gleichaltrigen amerikanischen Jungen. Eine zweite neue Welt bricht auf. Völlig überraschend. Und der Junge, erschrocken und erstaunt über seine Neigung, berichtet in allen Einzelheiten von Gefühlsstürmen und von der Liebespraxis. Am Ende steht der moralische Konflikt, der dazu führt, sich mit seinen Erzählungen an den geliebten Bruder zu wenden. Für welchen Weg soll sich Adrian entscheiden? Fürs Anderssein oder für die vermeintliche Normalität und damit für die Familie?
So nachvollziehbar die Ereignisse im Leben des jungen Mannes sind, so präzise das Milieu und die Stimmungen auch beschrieben werden: Aufmerksame Leser spüren, dass zwar die Bilder lebendig werden, aber nicht in gleichem Maße die Menschen, die sie bevölkern. Manchmal erscheinen sie wie künstlich animierte Wesen in attraktiver Landschaft. Adrians Leidenschaften hätte man genauso in Antwerpen ansiedeln können oder in Paris. Die Charaktere handeln ihren Biographien nach zwar verständlich, aber ihre Beweggründe wirken selbst in den schwierigsten Situationen wie aus Musterbögen gestanzt. Wie man gelegentlich bei Theatervorstellungen die Nahtstellen der Kulissenteile erkennt, so spürt man bei diesem Roman mancherorts das hehre Bemühen, von einem Leben glaubwürdig zu erzählen, mit Dramatik, mit Atmosphäre, mit überraschenden Wendungen und mit einem ordentlich offenen Ende. Das klingt gut, lässt einen jedoch etwas vermissen: eine Geschichte, die sich aus sich selbst heraus entwickelt. SIGGI SEUSS
ALINE SAX: Eine Welt dazwischen. Aus dem Niederländischen von Stefan Häring und Verena Kiefer. Arena Verlag, Würzburg 2007. 334 Seiten, 14,95 Euro. Ab 14 Jahren
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Ein ungewöhnlicher Auswandererroman der jungen Flämin Aline Sax
Alle Geschichten, die wir kennen, enden mit dem Aufbruch nach Amerika. Meine beginnt damit.” - Ein Satz, der Phantasien beflügelt. Es ist der erste Satz des jungen Helden in einem Brief an seinen geliebten Zwillingsbruder. Er will ihm erklären, warum damals im Frühjahr des Jahres 1910 alles so geworden ist für ihn, den Auswanderer, in „Eine Welt dazwischen”, dem Roman der jungen flämischen Autorin und Historikerin Aline Sax (23).
Eines Frühjahrmorgens bricht seine Familie auf zu einer Reise in die Vereinigten Staaten, getrieben von der Hoffnung, im gelobten Land Frieden zu finden - Arbeit, Brot, ein Stück Land, das sie bewirtschaften kann, wie zu Hause in einem Dorf bei Antwerpen. Nur eben so, dass es sie ohne Not ernährt, das Land. Auswandererschicksale, ungezählt. In unserer Phantasie nehmen sie, dank Literatur und Film, immer wieder Gestalt an, manchmal eine sozialromantische, manchmal eine realistische. Und immer spielt ein riesengroßer Ozeandampfer eine Rolle. Besonders das Zwischendeck, wo die Passagiere dritter Klasse hausen, während man weiter oben im Luxus schwelgt. Dann der erste Blick auf die Skyline von Manhattan, die alles Leid für Augenblicke vergessen lässt. Dann die Freiheitsstatue, die Docks am East River und am Ende des Anfangs Ellis Island – die letzte und schwerste Hürde vor dem Schritt in die Freiheit.
In dieses bekannte Milieu setzt Aline Sax ihren jungen Helden. Und sie verschlimmert sein Leid. Die Familie wird auseinander gerissen. Die Mutter und die kleine Schwester dürfen nicht an Bord, der Vater wird bei der Gesundheitskontrolle auf Ellis Island zurückgewiesen und der Zwillingsbruder Alexander wird die Einreise wegen Aufmüpfigkeit verweigert. Adrian fühlt sich in der fremden Welt verloren, aber eine innere Kraft treibt ihn weiter, lässt ihn sich mit Küchenjobs über Wasser halten. Dieses Kapitel des Leidenswegs beherrscht etwa die Hälfte des 300-Seiten-Romans.
Aline Sax setzt die Geschichte nicht nur in detailreiche Kulissen. Sie zeigt zudem dramaturgisches Geschick und erzählt in klarer Sprache. Da werden Bilder lebendig, als säßen wir im Kino. Dann gibt es einen geplanten Bruch, der die Zeit verlangsamt: Adrian verliebt sich – in einen gleichaltrigen amerikanischen Jungen. Eine zweite neue Welt bricht auf. Völlig überraschend. Und der Junge, erschrocken und erstaunt über seine Neigung, berichtet in allen Einzelheiten von Gefühlsstürmen und von der Liebespraxis. Am Ende steht der moralische Konflikt, der dazu führt, sich mit seinen Erzählungen an den geliebten Bruder zu wenden. Für welchen Weg soll sich Adrian entscheiden? Fürs Anderssein oder für die vermeintliche Normalität und damit für die Familie?
So nachvollziehbar die Ereignisse im Leben des jungen Mannes sind, so präzise das Milieu und die Stimmungen auch beschrieben werden: Aufmerksame Leser spüren, dass zwar die Bilder lebendig werden, aber nicht in gleichem Maße die Menschen, die sie bevölkern. Manchmal erscheinen sie wie künstlich animierte Wesen in attraktiver Landschaft. Adrians Leidenschaften hätte man genauso in Antwerpen ansiedeln können oder in Paris. Die Charaktere handeln ihren Biographien nach zwar verständlich, aber ihre Beweggründe wirken selbst in den schwierigsten Situationen wie aus Musterbögen gestanzt. Wie man gelegentlich bei Theatervorstellungen die Nahtstellen der Kulissenteile erkennt, so spürt man bei diesem Roman mancherorts das hehre Bemühen, von einem Leben glaubwürdig zu erzählen, mit Dramatik, mit Atmosphäre, mit überraschenden Wendungen und mit einem ordentlich offenen Ende. Das klingt gut, lässt einen jedoch etwas vermissen: eine Geschichte, die sich aus sich selbst heraus entwickelt. SIGGI SEUSS
ALINE SAX: Eine Welt dazwischen. Aus dem Niederländischen von Stefan Häring und Verena Kiefer. Arena Verlag, Würzburg 2007. 334 Seiten, 14,95 Euro. Ab 14 Jahren
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Reinhard Osteroth hofft auf eine Fortsetzung des Auswanderer-Romans "Eine Welt dazwischen" der erst 23-jährigen belgischen Schriftstellerin Aline Sax. Die Geschichte einer armen Familie, die es Anfang des 20. Jahrhunderts in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Amerika zieht, erzähle die Autorin "mit staunenswerter Selbstverständlichkeit und Dichte". Während sie im ersten Teil des Romans die Ankunft des Vaters und seiner beiden Zwillingssöhne in Amerika beschreibt (die Familie wurde schon auf der ersten Station ihrer Reise auseinander gerissen), widmet sich die Autorin im zweiten Teil dem Schicksal des Ich-Erzählers Adrian, einem der Zwillingsbrüder, der sich neben der Suche nach Arbeit auch auf die Suche nach der eigenen Sexualität machen muss. Diesen Wendepunkt betrachtet Osteroth zwar als "erzählerisches Wagnis". Da es Sax aber schaffe , Liebesgeschichte und historischen Roman "mühelos und detailreich" zu vereinen, gelinge ihr dieser Übergang trotzdem.
© Perlentaucher Medien GmbH
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