Der deutschstämmige amerikanische Historiker G. L. Weinberg legt mit seiner "Geschichte des Zweiten Weltkriegs" ein Werk vor, das auf der Kenntnis der internationalen Literatur ebenso beruht wie auf gründlichen Forschungsarbeiten in britischen, amerikanischen und deutschen Archiven. Weinberg berücksichtigt sämtliche Kriegsschauplätze, bezieht sämtliche Kriegsparteien mit ein und beleuchtet auch die innenpolitische Entwicklung der einzelnen Staaten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.1995Weltsicht auf den Weltkrieg
Weinberg krönt sein Lebenswerk / Roosevelt als entscheidende Persönlichkeit
Gerhard L. Weinberg: Eine Welt in Waffen. Die globale Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, Karlheinz Dürr und Klaus Fritz. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1995. 1174 Seiten, gebunden, Subskriptionspreis 98,- Mark, ab 1996 128,- Mark.
Mit diesem Buch krönt der in Deutschland geborene und jetzt an der University of North Carolina, Chapel Hill, lehrende Historiker sein Lebenswerk: die Erforschung und Darstellung der Außenpolitik des Hitlerreiches - ein Vorhaben, aus dem bereits mehrere leider nicht ins Deutsche übersetzte Monographien hervorgegangen sind. Der Horizont des neuen Buches reicht freilich noch weiter, will der Autor den Zweiten Weltkrieg doch in seiner ganzen weltweiten Dimension schildern. Der fernöstliche Kriegsschauplatz gewinnt Gleichrangigkeit mit dem europäischen; den roten Faden dieses Epos liefern nicht nur die Kriegspolitik und Kriegführung Hitlers, sondern auch die Strategien seiner Verbündeten und seiner Gegenspieler sowie das Verhalten der Neutralen. Dies ist auch keineswegs nur eine politische Geschichte des Zweiten Weltkrieges, sondern eine Gesamtschau, die dem militärischen Ringen, den Heimatfronten und den Mitteln der Kriegführung, von der Funkaufklärung ("Ultra") bis zu Plänen eines neuen Gaskrieges, einen gebührenden Platz einräumt.
Nach einer knappen Skizze der Hintergründe für Hitlers Entscheidung zum Krieg gegen Polen und die Westmächte wendet sich der Autor der Phase der Eroberungen Hitlerdeutschlands und seines sowjetischen Bündnispartners zu. Wie er zeigt, enthielt schon diese Phase den Keim der schließlichen Niederlage - durch die erheblichen Verluste, die die deutsche Marine während des Norwegen-Feldzuges erlitt, durch den Beginn des Bombenterrors (deutscher Angriff auf Rotterdam), der dann in so verheerender Weise auf Deutschland zurückfallen sollte, und durch den Dreimächtepakt vom 27. 9. 1940, der die Vereinigten Staaten als Gegner der Achsenmächte anvisierte und den Grund legte für die japanische Neutralität im späteren Konflikt zwischen Deutschland und der UdSSR. In Großbritannien findet Weinberg auch im kritischen Sommer von 1940 den Wunsch einzulenken allenfalls im Umkreis des Herzogs von Windsor, den Churchill daraufhin kaltstellte. Dieser selbst hätte die deutschen Invasoren eher mit Giftgas bekämpft als klein beigegeben.
Hitlers Angriff auf die UdSSR sieht der Verfasser wie die meisten Historiker primär als Erfüllung von dessen rassistischem Expansionsprogramm und nicht etwa als Reaktion auf sowjetische Präventivkriegspläne. Die deutsche Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten und damit die endgültige globale Ausweitung des Krieges sei zum einen ein erster Schritt Hitlers in der von ihm schon mittelfristig geplanten militärischen Auseinandersetzung mit der transatlantischen Großmacht, zum anderen das Ergebnis eines simplen Kalküls gewesen: daß nämlich Japan als erklärter Verbündeter "Großdeutschlands" militärisch stärker ins Gewicht fallen würde als der Übergang Amerikas von verhüllter zu offener Feindschaft.
Indem der Weltkrieg globale Ausmaße annahm, schuf er eine Verzahnung der verschiedenen regionalen Konflikte. Diese wechselseitige Beeinflussung oft weit voneinander entfernter Kriegsschauplätze herausgearbeitet zu haben gehört zu den besonderen Verdiensten dieser souveränen Darstellung. Einige Beispiele mögen das illustrieren.
Die militärische Niederlage der deutschen Truppen in der UdSSR wird meist auf die exzentrische Kriegführung Hitlers zurückgeführt. Auch Weinberg macht das, nennt aber einen wichtigen zusätzlichen Grund - das Verhalten Japans, das amerikanische Hilfslieferungen an die UdSSR über die fernöstliche Route unbehelligt passieren ließ, um die Neutralität der UdSSR auf keinen Fall aufs Spiel zu setzen. Die Unfähigkeit der angelsächsischen Mächte, Stalin schon 1942 durch die Errichtung einer zweiten Front in Westeuropa zu Hilfe zu kommen, und der daraus resultierende Übergang Londons zum Flächenbombardement deutscher Großstädte liefern ein weiteres Beispiel für diese Interdependenz des globalen Kriegsgeschehens. Umgekehrt beeinflußten Stalins Sondierungsversuche bei den Achsenmächten mit dem Ziel eines Sonderfriedens die strategischen Entscheidungen der Westmächte: Nicht zuletzt, um einem solchen zweiten Hitler-Stalin-Pakt vorzubeugen, setzten sich die Amerikaner hier schließlich gegenüber den Briten durch. Für den Fernen Osten arbeitet Weinberg ähnliche übergreifende Zusammenhänge heraus. Die schicksalhafteste Entscheidung, die Washington hier traf, war natürlich der Beschluß, die Kapitulation Japans durch den Abwurf von zwei Atombomben (nur drei waren kurzfristig verfügbar) zu erzwingen. Das geschah, wie Weinberg zeigt, nicht nur infolge der militärischen Schwierigkeiten, denen amerikanische Truppen auf den Philippinen und in Okinawa begegnet waren, sondern auch, weil Japan im Frühsommer 1944 Nationalchina militärisch praktisch mattgesetzt hatte und damit eine Landmasse kontrollierte, die ihm nur unter großen Opfern hätte entrissen werden können. Im Vergleich dazu versprach der Einsatz der Atombombe im japanischen Mutterland, zusammen mit dem Einmarsch der Roten Armee in der Mandschurei, eine entscheidende Abkürzung des Krieges.
Zu den Stärken von Weinbergs Werk gehört nicht allein die Auswertung zahlreicher archivalischer Quellen, des weiteren nicht nur, wie sein umfänglicher Anmerkungsapparat zeigt, die Verarbeitung einer immensen Sekundärliteratur, sondern darüber hinaus auch die Aufdeckung von bisher wenig bekannten charakteristischen Einzelheiten - so etwa die Tatsache, daß Roosevelt von der ihm bekanntgewordenen Verurteilung der Euthanasie durch den Bischof Graf von Galen tief beeindruckt war, oder das strategische Gewicht der deutschen Niederlage auf der Krim im Mai 1944.
Weinberg schreckt schließlich vor unorthodoxen Neuinterpretationen seines Gegenstandes nicht zurück: Auf der deutschen Seite verweist er mehrfach auf die Mitverantwortung zahlreicher deutscher Militärs für die strategischen Entscheidungen Hitlers und für die Verbrechen, die von Deutschen hinter der Front begangen wurden - eine Beflissenheit, die er unter anderem darauf zurückführt, daß zahlreiche hohe Offiziere mit Geldzuwendungen und Grundbesitz von Hitler quasi gekauft worden seien. Der deutsche Diktator selbst erscheint bei Weinberg nicht so sehr als der Widerpart des Bolschewismus, als der er sich selbst stilisiert hat, denn als Feind des Westens. Den Beweis dafür liefern in Weinbergs Augen Hitlers mittelfristige Planungen für einen Krieg mit den Vereinigten Staaten und seine Bevorzugung der UdSSR als Partner für einen etwaigen Sonderfrieden.
Als der eigentliche und prominenteste Gegenspieler Hitlers erscheint in Weinbergs Darstellung damit der amerikanische Präsident Roosevelt - auch auf Kosten Churchills, dessen zwar literarisch glanzvolle, aber tendenziöse Selbstdarstellung Weinberg auf Schritt und Tritt richtigstellt. Für ihn ist der britische Premierminister bei all seinem Mut und Durchhaltewillen (ähnlich wie de Gaulle) ein Staatsmann des 19. Jahrhunderts, der sich allzusehr von seinem nostalgischen Bemühen, das Empire wiederherzustellen, habe beeinflussen lassen. Stalin sieht Weinberg vor allem in seiner Rolle als Kumpan Hitlers - Stalin, der nach der Teilung Osteuropas 1939 ein gerütteltes Maß an Mitverantwortung für die 1940 erlittenen Rückschläge des Westens trage -, Stalin, der im August 1944 den polnischen Aufstand in Warschau durch deutsche Truppen niederwerfen lassen und damit die "Teilung der Welt" nach 1945 vorbereitet habe. Von daher verurteilt der Verfasser Stalins Klagen über die ausbleibende zweite Front der Westmächte in Europa als heuchlerisch, so sehr er den entscheidenden Anteil der Roten Armee an der Besiegung des Hitlerreiches anerkennt. Letztlich ist es für den Autor aber doch der amerikanische Präsident gewesen, der den Verlauf des Zweiten Weltkrieges entscheidend beeinflußt hat: durch die Festlegung der Westalliierten auf Europa als vorrangigen Kriegsschauplatz und auf eine Invasion in Frankreich zur Niederwerfung Hitlers - durch das Beharren auf dem Ziel der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands als einziges Mittel, Hitler und sein Regime (nicht zuletzt bei den Deutschen!) zu diskreditieren - durch sein geschicktes Vermeiden von Festlegungen gegenüber der UdSSR, solange die Westmächte Stalin aus einer Position militärischer Schwäche gegenübertraten. In dieses Bild Roosevelts als eines weitsichtigen Staatsmannes, das uns der Autor liefert, paßt nicht ganz die von ihm gleichfalls vertretene These, daß Roosevelt sein Land bis Pearl Harbor tunlichst aus dem Krieg habe heraushalten wollen. Dies widerspricht der Überzeugung Roosevelts, die schon für die Zeit vor Pearl Harbor nachweisbar ist, daß der Krieg nur mit einer Niederlage Hitlers enden dürfe und daß eine solche Niederlage ohne die Landung amerikanischer Truppen in Europa unmöglich sei. Lag es da nicht nahe, auf eine Teilnahme der USA an dem europäischen Krieg (vielleicht mittels eines "unerklärten Krieges", der Schwierigkeiten mit dem Kongreß vermied) gezielt hinauszuarbeiten? Liegt Roosevelts historische Größe nicht in ebendieser Erkenntnis und in der Wahl einer Politik, die ihr entsprach? Wie sehr Roosevelt schon vor Pearl Harbor das Zusammengehen mit Großbritannien als Ausfluß einer Wertegemeinschaft gesehen hat, erwies sich in der Atlantikcharta, der Weinberg zu wenig Aufmerksamkeit schenkt.
Jeder Versuch, den Zweiten Weltkrieg in neuem Licht erscheinen zu lassen, löst derartige und weitere kritische Fragen aus, die deshalb auch den Autor nicht unvorbereitet finden dürften. Die Aussagekraft der großen Synthese, die wir Weinberg verdanken, wird dadurch nicht beeinträchtigt. Ein Kapitel für sich ist leider die holprige und stellenweise fehlerhafte Übersetzung. KLAUS SCHWABE
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Weinberg krönt sein Lebenswerk / Roosevelt als entscheidende Persönlichkeit
Gerhard L. Weinberg: Eine Welt in Waffen. Die globale Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, Karlheinz Dürr und Klaus Fritz. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1995. 1174 Seiten, gebunden, Subskriptionspreis 98,- Mark, ab 1996 128,- Mark.
Mit diesem Buch krönt der in Deutschland geborene und jetzt an der University of North Carolina, Chapel Hill, lehrende Historiker sein Lebenswerk: die Erforschung und Darstellung der Außenpolitik des Hitlerreiches - ein Vorhaben, aus dem bereits mehrere leider nicht ins Deutsche übersetzte Monographien hervorgegangen sind. Der Horizont des neuen Buches reicht freilich noch weiter, will der Autor den Zweiten Weltkrieg doch in seiner ganzen weltweiten Dimension schildern. Der fernöstliche Kriegsschauplatz gewinnt Gleichrangigkeit mit dem europäischen; den roten Faden dieses Epos liefern nicht nur die Kriegspolitik und Kriegführung Hitlers, sondern auch die Strategien seiner Verbündeten und seiner Gegenspieler sowie das Verhalten der Neutralen. Dies ist auch keineswegs nur eine politische Geschichte des Zweiten Weltkrieges, sondern eine Gesamtschau, die dem militärischen Ringen, den Heimatfronten und den Mitteln der Kriegführung, von der Funkaufklärung ("Ultra") bis zu Plänen eines neuen Gaskrieges, einen gebührenden Platz einräumt.
Nach einer knappen Skizze der Hintergründe für Hitlers Entscheidung zum Krieg gegen Polen und die Westmächte wendet sich der Autor der Phase der Eroberungen Hitlerdeutschlands und seines sowjetischen Bündnispartners zu. Wie er zeigt, enthielt schon diese Phase den Keim der schließlichen Niederlage - durch die erheblichen Verluste, die die deutsche Marine während des Norwegen-Feldzuges erlitt, durch den Beginn des Bombenterrors (deutscher Angriff auf Rotterdam), der dann in so verheerender Weise auf Deutschland zurückfallen sollte, und durch den Dreimächtepakt vom 27. 9. 1940, der die Vereinigten Staaten als Gegner der Achsenmächte anvisierte und den Grund legte für die japanische Neutralität im späteren Konflikt zwischen Deutschland und der UdSSR. In Großbritannien findet Weinberg auch im kritischen Sommer von 1940 den Wunsch einzulenken allenfalls im Umkreis des Herzogs von Windsor, den Churchill daraufhin kaltstellte. Dieser selbst hätte die deutschen Invasoren eher mit Giftgas bekämpft als klein beigegeben.
Hitlers Angriff auf die UdSSR sieht der Verfasser wie die meisten Historiker primär als Erfüllung von dessen rassistischem Expansionsprogramm und nicht etwa als Reaktion auf sowjetische Präventivkriegspläne. Die deutsche Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten und damit die endgültige globale Ausweitung des Krieges sei zum einen ein erster Schritt Hitlers in der von ihm schon mittelfristig geplanten militärischen Auseinandersetzung mit der transatlantischen Großmacht, zum anderen das Ergebnis eines simplen Kalküls gewesen: daß nämlich Japan als erklärter Verbündeter "Großdeutschlands" militärisch stärker ins Gewicht fallen würde als der Übergang Amerikas von verhüllter zu offener Feindschaft.
Indem der Weltkrieg globale Ausmaße annahm, schuf er eine Verzahnung der verschiedenen regionalen Konflikte. Diese wechselseitige Beeinflussung oft weit voneinander entfernter Kriegsschauplätze herausgearbeitet zu haben gehört zu den besonderen Verdiensten dieser souveränen Darstellung. Einige Beispiele mögen das illustrieren.
Die militärische Niederlage der deutschen Truppen in der UdSSR wird meist auf die exzentrische Kriegführung Hitlers zurückgeführt. Auch Weinberg macht das, nennt aber einen wichtigen zusätzlichen Grund - das Verhalten Japans, das amerikanische Hilfslieferungen an die UdSSR über die fernöstliche Route unbehelligt passieren ließ, um die Neutralität der UdSSR auf keinen Fall aufs Spiel zu setzen. Die Unfähigkeit der angelsächsischen Mächte, Stalin schon 1942 durch die Errichtung einer zweiten Front in Westeuropa zu Hilfe zu kommen, und der daraus resultierende Übergang Londons zum Flächenbombardement deutscher Großstädte liefern ein weiteres Beispiel für diese Interdependenz des globalen Kriegsgeschehens. Umgekehrt beeinflußten Stalins Sondierungsversuche bei den Achsenmächten mit dem Ziel eines Sonderfriedens die strategischen Entscheidungen der Westmächte: Nicht zuletzt, um einem solchen zweiten Hitler-Stalin-Pakt vorzubeugen, setzten sich die Amerikaner hier schließlich gegenüber den Briten durch. Für den Fernen Osten arbeitet Weinberg ähnliche übergreifende Zusammenhänge heraus. Die schicksalhafteste Entscheidung, die Washington hier traf, war natürlich der Beschluß, die Kapitulation Japans durch den Abwurf von zwei Atombomben (nur drei waren kurzfristig verfügbar) zu erzwingen. Das geschah, wie Weinberg zeigt, nicht nur infolge der militärischen Schwierigkeiten, denen amerikanische Truppen auf den Philippinen und in Okinawa begegnet waren, sondern auch, weil Japan im Frühsommer 1944 Nationalchina militärisch praktisch mattgesetzt hatte und damit eine Landmasse kontrollierte, die ihm nur unter großen Opfern hätte entrissen werden können. Im Vergleich dazu versprach der Einsatz der Atombombe im japanischen Mutterland, zusammen mit dem Einmarsch der Roten Armee in der Mandschurei, eine entscheidende Abkürzung des Krieges.
Zu den Stärken von Weinbergs Werk gehört nicht allein die Auswertung zahlreicher archivalischer Quellen, des weiteren nicht nur, wie sein umfänglicher Anmerkungsapparat zeigt, die Verarbeitung einer immensen Sekundärliteratur, sondern darüber hinaus auch die Aufdeckung von bisher wenig bekannten charakteristischen Einzelheiten - so etwa die Tatsache, daß Roosevelt von der ihm bekanntgewordenen Verurteilung der Euthanasie durch den Bischof Graf von Galen tief beeindruckt war, oder das strategische Gewicht der deutschen Niederlage auf der Krim im Mai 1944.
Weinberg schreckt schließlich vor unorthodoxen Neuinterpretationen seines Gegenstandes nicht zurück: Auf der deutschen Seite verweist er mehrfach auf die Mitverantwortung zahlreicher deutscher Militärs für die strategischen Entscheidungen Hitlers und für die Verbrechen, die von Deutschen hinter der Front begangen wurden - eine Beflissenheit, die er unter anderem darauf zurückführt, daß zahlreiche hohe Offiziere mit Geldzuwendungen und Grundbesitz von Hitler quasi gekauft worden seien. Der deutsche Diktator selbst erscheint bei Weinberg nicht so sehr als der Widerpart des Bolschewismus, als der er sich selbst stilisiert hat, denn als Feind des Westens. Den Beweis dafür liefern in Weinbergs Augen Hitlers mittelfristige Planungen für einen Krieg mit den Vereinigten Staaten und seine Bevorzugung der UdSSR als Partner für einen etwaigen Sonderfrieden.
Als der eigentliche und prominenteste Gegenspieler Hitlers erscheint in Weinbergs Darstellung damit der amerikanische Präsident Roosevelt - auch auf Kosten Churchills, dessen zwar literarisch glanzvolle, aber tendenziöse Selbstdarstellung Weinberg auf Schritt und Tritt richtigstellt. Für ihn ist der britische Premierminister bei all seinem Mut und Durchhaltewillen (ähnlich wie de Gaulle) ein Staatsmann des 19. Jahrhunderts, der sich allzusehr von seinem nostalgischen Bemühen, das Empire wiederherzustellen, habe beeinflussen lassen. Stalin sieht Weinberg vor allem in seiner Rolle als Kumpan Hitlers - Stalin, der nach der Teilung Osteuropas 1939 ein gerütteltes Maß an Mitverantwortung für die 1940 erlittenen Rückschläge des Westens trage -, Stalin, der im August 1944 den polnischen Aufstand in Warschau durch deutsche Truppen niederwerfen lassen und damit die "Teilung der Welt" nach 1945 vorbereitet habe. Von daher verurteilt der Verfasser Stalins Klagen über die ausbleibende zweite Front der Westmächte in Europa als heuchlerisch, so sehr er den entscheidenden Anteil der Roten Armee an der Besiegung des Hitlerreiches anerkennt. Letztlich ist es für den Autor aber doch der amerikanische Präsident gewesen, der den Verlauf des Zweiten Weltkrieges entscheidend beeinflußt hat: durch die Festlegung der Westalliierten auf Europa als vorrangigen Kriegsschauplatz und auf eine Invasion in Frankreich zur Niederwerfung Hitlers - durch das Beharren auf dem Ziel der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands als einziges Mittel, Hitler und sein Regime (nicht zuletzt bei den Deutschen!) zu diskreditieren - durch sein geschicktes Vermeiden von Festlegungen gegenüber der UdSSR, solange die Westmächte Stalin aus einer Position militärischer Schwäche gegenübertraten. In dieses Bild Roosevelts als eines weitsichtigen Staatsmannes, das uns der Autor liefert, paßt nicht ganz die von ihm gleichfalls vertretene These, daß Roosevelt sein Land bis Pearl Harbor tunlichst aus dem Krieg habe heraushalten wollen. Dies widerspricht der Überzeugung Roosevelts, die schon für die Zeit vor Pearl Harbor nachweisbar ist, daß der Krieg nur mit einer Niederlage Hitlers enden dürfe und daß eine solche Niederlage ohne die Landung amerikanischer Truppen in Europa unmöglich sei. Lag es da nicht nahe, auf eine Teilnahme der USA an dem europäischen Krieg (vielleicht mittels eines "unerklärten Krieges", der Schwierigkeiten mit dem Kongreß vermied) gezielt hinauszuarbeiten? Liegt Roosevelts historische Größe nicht in ebendieser Erkenntnis und in der Wahl einer Politik, die ihr entsprach? Wie sehr Roosevelt schon vor Pearl Harbor das Zusammengehen mit Großbritannien als Ausfluß einer Wertegemeinschaft gesehen hat, erwies sich in der Atlantikcharta, der Weinberg zu wenig Aufmerksamkeit schenkt.
Jeder Versuch, den Zweiten Weltkrieg in neuem Licht erscheinen zu lassen, löst derartige und weitere kritische Fragen aus, die deshalb auch den Autor nicht unvorbereitet finden dürften. Die Aussagekraft der großen Synthese, die wir Weinberg verdanken, wird dadurch nicht beeinträchtigt. Ein Kapitel für sich ist leider die holprige und stellenweise fehlerhafte Übersetzung. KLAUS SCHWABE
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