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Ob als Zivilisationsbruch beklagt oder als Zeitenwende bejubelt, immer hat der Erste Weltkrieg die Menschen bewegt. Mit dem Sturz der regierenden Monarchien entstanden neue Herrschaftssysteme in Europa. Die Kriegsfolgen veränderten alle wesentlichen gesellschaftlichen Bereiche: die Staatsfunktionen und Wirtschaftsstrukturen, die Arbeiterbewegung und das Militär, das Verständnis von Geschichte und Kultur ebenso wie die Verhältnisse der Geschlechter zueinander. Die Autoren stellen diese mentalitäts-, ideologie- und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge erstmals im internationalen Vergleich dar.

Produktbeschreibung
Ob als Zivilisationsbruch beklagt oder als Zeitenwende bejubelt, immer hat der Erste Weltkrieg die Menschen bewegt. Mit dem Sturz der regierenden Monarchien entstanden neue Herrschaftssysteme in Europa. Die Kriegsfolgen veränderten alle wesentlichen gesellschaftlichen Bereiche: die Staatsfunktionen und Wirtschaftsstrukturen, die Arbeiterbewegung und das Militär, das Verständnis von Geschichte und Kultur ebenso wie die Verhältnisse der Geschlechter zueinander. Die Autoren stellen diese mentalitäts-, ideologie- und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge erstmals im internationalen Vergleich dar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.1998

Wurzel vieler Dinge
Ein Sammelband über Folgen des Ersten Weltkriegs

Wolfgang Kruse (Herausgeber): Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914-1918. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt amMain 1997. 255 Seiten, 24,90 Mark.

Die moderne Militärgeschichte hat sich von ihren Wurzeln weit entfernt. Ursprünglich galt sie in erster Linie als angewandte Geschichtswissenschaft für die Militärs, konzentrierte sich demnach auf Strategie und Taktik, auf Schlachten und Ausrüstungen der Armeen und berücksichtigte allenfalls noch die diplomatischen Randbedingungen der Kriegführung. Von dieser dienenden Funktion hat sie sich längst emanzipiert und zu einer veritablen Zweigwissenschaft der Geschichte entwickelt, die gerade dadurch wirkt, daß sie wie andere Teildisziplinen neuere Fragestellungen und Methoden der historischen Forschung aufgreift und zu integrieren versucht. Vielleicht ist in diesem Bereich der Geschichtswissenschaft in den vergangenen Jahren am deutlichsten demonstriert worden, daß verschiedene methodische Zugriffe sich nicht gegenseitig ausschließen müssen, sondern sich wechselseitig fruchtbar ergänzen können.

Als besonders ergiebiges und immer wieder neu behandeltes Thema gelten dabei der Erste Weltkrieg und seine folgenreiche Bedeutung; Kennan hat diese Bedeutung mit dem Begriff der "great seminal catastrophy of this century" charakterisiert, was mit "Urkatastrophe" nur recht unvollkommen übersetzt wird. Im allgemeinen verbindet man damit die tiefgreifende Erschütterung der Welt, die Wende zum Schlechteren, mit der unser von totalitären Systemen und ihren Verbrechen, von einem weiteren, noch grausameren Weltkrieg und von einer Unzahl regionaler Schlächtereien gepeinigtes "kurzes" Jahrhundert eingeleitet wurde. Legt man allerdings sozialhistorische, kultur- und mentalitätsgeschichtliche Parameter an, so stellt sich schnell die Frage, ob die unzweifelhaft festzustellenden Modernisierungstendenzen des Ersten Weltkriegs und deren Forcierungen durch den Krieg nur destruktive Kräfte freigesetzt haben. Sind sie nicht auch Motor von Demokratisierung und stärkerer Partizipation bisher nicht oder unzureichend integrierter sozialer Gruppen geworden und haben so zur Freisetzung produktiver Energien beigetragen?

Durchweg kenntnisreich wird in dem vorliegenden Sammelband von einer Gruppe jüngerer Historiker und einer Historikerin der Stand der neueren Forschungen zu diesen Fragestellungen präsentiert. Zweckmäßigerweise geschieht dies ganz überwiegend im internationalen Vergleich, der sich allerdings in der Regel auf Deutschland, Frankreich und Großbritannien beschränkt. Eingerahmt werden die sozial- und kulturhistorischen Abschnitte von eher konventionellen Kapiteln: Eingangs werden die Ursachen und die Auslösung des Krieges sowie Kriegsverlauf und -diplomatie skizziert; den Schluß bildet ein Kapitel über das anfängliche Scheitern der internationalen sozialistischen Antikriegspolitik, das Aufflammen von Massenbewegungen gegen die Fortdauer des Krieges und dessen Übergang in die Revolutionen, die zunächst in Rußland und dann bei den Mittelmächten ausbrachen. Ein größerer Abschnitt über die gesellschaftspolitischen Entwicklungen während des Krieges in den drei genannten Ländern weist auf Unterschiede in der Integration der Arbeiterschaft und allgemein der Parteien zwischen den Westmächten und Deutschland hin sowie auf die unterschiedliche Bewältigung der kriegswirtschaftlichen Anforderungen, vor die sich jedes Land angesichts der mangelhaften Vorbereitung auf einen langen Krieg gestellt sah. Aber die Differenzierung geschieht durchweg vorsichtig; allzu plakative Vereinfachungen - hier Demokratie und entwickelter Parlamentarismus, die den Krieg eben wegen dieser Errungenschaften gewinnen; dort mangelhafte politische Partizipation der Parteien und politische Rückständigkeit eines Regimes, das deswegen den Krieg verliert - werden vermieden, auch wenn die Auswirkungen dieser unterschiedlichen politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen durchaus gewichtet werden.

Ein Kapitel über die Folgen des Krieges für die Geschlechterverhältnisse und genauer für die Stellung der Frau in der Gesellschaft hinterfragt nachdrücklich die früher gängige Meinung, durch die kriegsbedingt stärkere Einbindung der Frauen in die Arbeitswelt sei deren Position nachhaltig verbessert worden; hier wird eine nur vorübergehend wirksame Änderung konstatiert, die nach dem Kriegsende schnell wieder korrigiert worden sei. Ob man allerdings wie die Autorin die politisch-formale Gleichberechtigung, die sich nach dem Krieg in der Einführung des Frauenwahlrechts ausdrückt, als reine Nachkriegsentwicklung beurteilen muß oder nicht doch einen engeren Zusammenhang mit der Kriegserfahrung beobachten kann?

In wissenschaftlicher Hinsicht am aktuellsten sind wohl die Abschnitte über das soldatische Kriegserlebnis und über die vermeintliche anfängliche Kriegsbegeisterung, weil sie direkt in neueste Infragestellungen jahrzehntelanger fester Überzeugungen einführen. Wer trägt nicht das - wohl schon in der Schule vermittelte - vermeintlich sichere Wissen mit sich, daß bei Kriegsausbruch im August 1914 nicht nur in Deutschland eine allgemeine Euphorie geherrscht habe und das sogenannte "Augusterlebnis" prägend gewesen sei, das die gesamte Bevölkerung in seinen Bann gezogen und Unmassen von Freiwilligen zu den Fahnen getrieben habe? Neueste Forschungen differenzieren dieses Bild, vor allem regional und schichtspezifisch, und zerlegen die vermeintliche Gewißheit eher in neue Fragefelder, bezweifeln aber auch die Ursprünglichkeit der Euphorie, wo sie denn überhaupt geherrscht hat, und suchen mit Hilfe massenpsychologischer Erklärungsmuster dem Phänomen als solchem näherzukommen. Die Brücke zur Propaganda, deren neue Techniken ebenfalls ein Charakteristikum des Ersten Weltkriegs darstellen, ist dabei schnell geschlagen. Gerade deren Grenzen lassen sich gut aufzeigen, was in den vergangenen Jahren vor allem durch die Auswertung von Massenquellen wie den Feldpostbriefen geleistet wurde.

Zahlreiche Thematiken werden also in dem Sammelband angesprochen. Daß dabei manches zu knapp gerät und sich daher in recht allgemeinen Aussagen erschöpft, ist etwa bei dem Abschnitt über die Vorgänge des Ersten Weltkriegs in den Kolonien und die Auswirkungen des Kriegs auf die europäische Kolonialherrschaft zu bedauern. Vielleicht wurde insgesamt zuviel gewollt - das Thema Kolonien und Erster Weltkrieg ist durchaus sinnvoll, weil bisher zu wenig beachtet - und konnte dann mangels Platzes nicht in ausreichender Breite eingelöst werden. Aber ansonsten ist das Buch als Einstieg in die vielfältigen Perspektiven der Forschung zum Ersten Weltkrieg all denen zu empfehlen, die nicht die Zeit finden, sich durch den 1994 von Michalka herausgegebenen, gut viermal so dicken Sammelband zum gleichen Thema durchzuarbeiten. WOLFGANG ELZ

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