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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2011

Wenn der Tabakwarenhändler ein Patriarch sein will
Zwischen Unterwürfigkeit und Dominanz, Selbstbewusstsein und Konvention, Tradition und Emanzipation: Eva Sixt liest Marieluise Fleißers
„Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen“
Vor wenigen Wochen wäre Marieluise Fleißer 110 Jahre alt geworden. Vor achtzig Jahren ist ihr erster Roman „Eine Zierde für den Verein“, der damals noch „Mehlreisende Frieda Geier“ hieß, im Gustav Kiepenheuer Verlag erschienen. Zugegebenermaßen keine richtigen Jubiläen. Trotzdem wird gegenwärtig der gebürtigen Ingolstädterin und ihrem Prosatext mit dem schönen neusachlichen Untertitel „Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen“ eine größere Aufmerksamkeit zuteil. Das Stadttheater Ingolstadt und sein neuer Intendant Knut Weber haben vor kurzem den gefeierten Dramatiker Christoph Nußbaumeder beauftragt, eine Bühnenfassung zu erstellen. Die Inszenierung in der Regie von Donald Berkenhoff war dann auch recht furios und ein großer Erfolg. Beinahe zur gleichen Zeit hat Eva Sixt im Regensburger LohrBär-Verlag eine gekürzte Hörbuchfassung vorgelegt. Sie ist weit mehr als eine der gewöhnlichen Buch-Einlesungen.
Die Regensburger Schauspielerin saß nicht nur vor dem Mikro, sondern hat aus dem zweihundert Seiten starken Kleinstadt- und Kleinbürger-Roman eine überlegte Textauswahl getroffen und diese dramaturgisch geschickt neu angeordnet. Wobei ihr freilich entgegenkam, dass Fleißer zwei Jahre vor ihrem Tod noch einmal selbst Hand an das vielschichtige, mitunter auch autobiographische Buch anlegte und neben dem ursprünglichen Titel auch die Kapitelnummerierung aufhob. Sixts gut zweistündige Fassung ist eine Interpretation. Bei ihr steht die moderne Frau am Ende der Weimarer Republik zwischen Tradition und Emanzipation im Fokus. Sie konzentriert sich ganz auf das Geschwisterpaar Frieda und Linchen und deren Beziehung zum Tabakwarenhändler Gustl Gillich. Weshalb sie auch mit der langen Beschreibung von Person und Leben Friedas einsteigt. Und nicht wie Fleißer mit Gustl und seinem mehr schlecht als recht laufendem Geschäft.
Dass dieser zudem als „Zierde für den Verein“ ein gefeierter Schwimmstar ist, bekommt man als Hörer nur am Rande mitgeteilt. Etwa wenn vom „Schwimmgustl“ die Rede ist, der selbst im Winter seine Bahnen zieht, um seinen „Körper gefühllos“ zu machen. Das genügt Sixt zur Charakterisierung jenes Mannes, der zunächst so faszinierend auf die ihm intellektuell weit überlegene, in Schnürstiefeln, Rock und Lederjacke auch äußerlich äußerst selbstbewusst auftretende Vertreterin Frieda wirkt. Von allen vier Aktivitäten, die der Roman im Untertitel trägt, spielt das exzessive Sporteln hier so gut wie keine Rolle. Die Wettbewerbs-Passagen wurden ebenso weggelassen wie die große Schlägerei, in die Fleißer den Roman münden ließ. Im Gegensatz etwa zur Theaterfassung, die das Thema auch vor dem Hintergrund von Klaus Theweleits „Männerphantasien“ und dem „faschistischen Typ“ zur Diskussion stellte.
Sixt geht es nicht um die große Politik am Vorabend des Nationalsozialismus, sondern um Geschlechterpolitik. Die steckt bei einer so genau beobachtenden Autorin, wie Fleißer es Zeit ihres Lebens war, natürlich auch drin. Durch die Auswahl erlebt sie der Hörer wie unter einem Brennglas. Ganz nah ist er dran an Gustls überkommenem Frauen- und Eheverständnis. An seinem unterentwickelten männlichen Ego, seiner larmoyanten Art, die schließlich in Gewalt umschlägt, ausgeübt am schwächsten Glied in der Kette: an Friedas jüngerer Schwester Linchen, einer weltfremden Klosterschülerin.
Eva Sixt liest den Roman mit ihrer angenehm bayerisch temperierten Stimme zumeist nüchtern und sachlich, nur wenn es die Vorlage verlangt, wird sie schwärmerisch, naiv, gehässig oder energisch. Nach jedem Abschnitt erklingen die Eigenkompositionen des Saxophonisten und Klarinettisten Norbert Vollath. Sie sind nicht einfach Zwischenmusiken, sondern kommentieren die Handlung, werden etwa beim Zerwürfnis des Liebespaares Frieda und Gustl aggressiv-bedrohlich.
Fleißer muss nicht mehr entdeckt oder wiederentdeckt werden. Das haben schon Kroetz, Fassbinder und Sperr in den sechziger und siebziger Jahren getan. Aber ihre Texte laden immer wieder aufs Neue zu Adaptionen und Interpretationen ein. Das Beispiel der Eva Sixt zeigt ihre stete Aktualität. Ein großer Wurf. FLORIAN WELLE
Marieluise Fleißer
Eine Zierde für den Verein
Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen. Gelesen von Eva Sixt. Musik: Norbert Vollath. LohrBär Verlag, Regensburg 2011. 2 CD, ca. 120 Minuten. 17,90 Euro.
Marieluise Fleißer hat ihren Roman „Mehlreisende Frieda Geier“ kurz vor ihrem Tode überarbeitet: „Eine Zierde für den Verein“ Foto: Brigitte Friedrich/SZ Photo
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