Chuck ist in Diane verliebt, aber auch in Quincy und Lenore. Die Liebe ist das größte Problem in Chucks Leben. Zum Glück hat der Musikjournalist einen Auftrag der allerdings scheint noch absurder als sein momentanes Lebensgefühl zu sein. Quer durch die USA fährt er nach Missoula, Ithaca und Rhode Island, an die Orte, an denen Rock-Heroen den Tod fanden. Vom Sumpf, in dem Lynyrd Skynyrds Flugzeug abstürzte bis zum Bungalow, wo sich Kurt Cobain mit einer Schrotflinte das Leben wegschoss. Rockstars sterben exzentrisch und werden so unsterblich. Ein witzig makabrer Roadmovie durch das Herz der Musik, die an den Sehnsüchten unserer Seele kratzt. Schließlich kehrt Chuck in die Welt der Lebenden zurück. Was er vom Tod halten soll, weiß er immer noch nicht nur dass er verliebt ist wie zu Beginn seiner Reise in Diane, Quincy und Lenore.
"Man kann gar nicht besser, witziger und unterhaltsamer über amerikanische Popkultur schreiben." (Stephen King)
"Man kann gar nicht besser, witziger und unterhaltsamer über amerikanische Popkultur schreiben." (Stephen King)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2006Wo ist Buddy Hollys Brille jetzt?
Straßenroman: Chuck Klosterman auf den Spuren des Rock'n'Roll
Für eine unkomplizierte Autofahrt quer durch Amerika braucht man ein Navigationsgerät, Kleidung zum Wechseln und CDs. Im Fall von Chuck Klosterman sechshundert Stück davon, und das sind nur die unentbehrlichen aus seiner umfangreichen Sammlung. Ein derart Musiksüchtiger, das wird schnell klar, philosophiert gerne stunden- und seitenlang über die Wichtigkeit von "Led Zeppelin", die prophetischen Qualitäten eines bestimmten "Radiohead"-Albums und die Fähigkeiten des Bassisten der "Sex Pistols": "Daß Sid Vicious etwas nicht konnte, es aber trotzdem wirkungsvoll praktizierte, ist eigentlich alles, was man über Punk Rock wissen muß." Mit Überlegungen dieser Art spickt der amerikanische Musikjournalist Chuck Klosterman "Eine zu 85% wahre Geschichte", in der er von seinem Road-Trip zu den Grabstätten des Rock'n'Roll erzählt.
Eigentlich sollte daraus ein Artikel für die Zeitschrift "Spin" werden. Da der Einunddreißigjährige aber während der Fahrt seinen emotionalen Lebenslauf nachempfindet, was den inhaltlichen Rahmen eines Musikmagazins sprengen würde, verfaßte er lieber ein Buch. Was darin zu den fünfzehn Prozent Erfindungen gehört, ist eigentlich unwichtig, zumal Klosterman diese Einteilung häufiger und nicht immer mit schlagender Logik benutzt: "Hitze ist zu 15% real und zu 85% gefühlt", heißt es da beispielsweise. Mit Gefühlen hat der Musikfanatiker überhaupt seine Schwierigkeiten, denn auf seiner Reise schwelgt er in Hoffnungen und Erinnerungen an gleich drei Frauen. Da ist zum einen Quincy, die erste Freundin und sein "Lieblingsmensch". Weiterhin Lenore, die wunderschöne Verflossene. Und schließlich Diane, die bezaubernde Schwierige, mit der außerhalb der Gefühlsebene so ziemlich gar nichts paßt. Doch diese Ebene ist leider nur auf seiner Seite vorhanden. Die Frauengeschichten sind also verworren, und man möchte einem Mann mit einem solchen Gefühlshaushalt eher zur Einkehr in ein buddhistisches Meditationszentrum raten als zu einer Reise, wie er sie unternimmt. Klosterman sucht das Gartenhaus auf, in dem Kurt Cobain sich erschossen hat, eine Kneipe, in der kurz vor einem Konzert der "Great White" ein tödlicher Brand ausbrach, und das Feld, in welches das Flugzeug von Buddy Holly, Ritchie Valens und Big Bopper stürzte - durch Don McLeans "American Pie" ging dieser Tag in die Musikgeschichte ein als "the day the music died".
Das alles ist überraschend wenig morbide, weil Klosterman es immer mit seinem trockenen Humor hinterfragt: "Ich bin mir vollkommen bewußt, daß es, wenn ich mal fünfzig bin, sehr schwer sein wird, irgend jemandem verständlich zu machen, warum ich hoffnungslos in Mississippi durch Straßengräben getrottet bin, in der Hoffnung, die satanische Majestät von Robert Johnson zu erfassen."
In der großen Tradition leicht wahnsinniger Road-Trips hat Klosterman nicht nur merkwürdige Erlebnisse mit Menschen, sondern auch mit Drogen. In diesem Buch zeigt sich einmal mehr, daß nichts langweiliger ist als Erzählungen von verrückten Nächten mit verrückten Leuten, die verrückte Substanzen im Körper haben. Da hilft es auch nicht, daß Klosterman einen reifen Umgang damit zu demonstrieren versucht. Viel lesenswerter sind seine amüsierten Beschreibungen einiger Orte, durch die er auf der Reise kommt. Meistens ist das Beste an dem Aufenthalt, daß er von kurzer Dauer ist, und der Journalist betrachtet die Zurückbleibenden wie ein interessierter Insektenforscher, wenn er zum Beispiel eine Party in seinem Motel mitbekommt. "Das ist offensichtlich die Methode, wie man sich als Highschoolkid in Missoula verlustiert: Man nimmt sich ein Einzelzimmer in einem Hotel und testet aus, wer an Alkoholvergiftung stirbt."
Der Vergleich mit Nick Hornbys "High Fidelity" liegt nahe und wird am Ende des Buches sogar angesprochen, aber er trifft nicht zu. Ebenso wie "Lost in music" von Giles Smith, Stuckrad-Barres "Soloalbum" und alle anderen in den letzten Jahren niedergeschriebenen Liebeserklärungen an die Popwelt thematisiert zwar auch Klosterman die klassischen Fragen wie die nach dem ersten gekauften Album. Aber er bleibt unpersönlicher. Er betrachtet die Musik relativ sachlich, und selbst wenn er eine als katastrophal geschmacklos geltende Band zufällig liebt, ist das nicht einfach eine sympathische Verirrung, sondern muß ausgiebig erläutert werden. Ein bißchen weniger Meta-Ebene hätte es auch getan.
JULIA BÄHR
Chuck Klosterman: "Eine zu 85% wahre Geschichte". Aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 284 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Straßenroman: Chuck Klosterman auf den Spuren des Rock'n'Roll
Für eine unkomplizierte Autofahrt quer durch Amerika braucht man ein Navigationsgerät, Kleidung zum Wechseln und CDs. Im Fall von Chuck Klosterman sechshundert Stück davon, und das sind nur die unentbehrlichen aus seiner umfangreichen Sammlung. Ein derart Musiksüchtiger, das wird schnell klar, philosophiert gerne stunden- und seitenlang über die Wichtigkeit von "Led Zeppelin", die prophetischen Qualitäten eines bestimmten "Radiohead"-Albums und die Fähigkeiten des Bassisten der "Sex Pistols": "Daß Sid Vicious etwas nicht konnte, es aber trotzdem wirkungsvoll praktizierte, ist eigentlich alles, was man über Punk Rock wissen muß." Mit Überlegungen dieser Art spickt der amerikanische Musikjournalist Chuck Klosterman "Eine zu 85% wahre Geschichte", in der er von seinem Road-Trip zu den Grabstätten des Rock'n'Roll erzählt.
Eigentlich sollte daraus ein Artikel für die Zeitschrift "Spin" werden. Da der Einunddreißigjährige aber während der Fahrt seinen emotionalen Lebenslauf nachempfindet, was den inhaltlichen Rahmen eines Musikmagazins sprengen würde, verfaßte er lieber ein Buch. Was darin zu den fünfzehn Prozent Erfindungen gehört, ist eigentlich unwichtig, zumal Klosterman diese Einteilung häufiger und nicht immer mit schlagender Logik benutzt: "Hitze ist zu 15% real und zu 85% gefühlt", heißt es da beispielsweise. Mit Gefühlen hat der Musikfanatiker überhaupt seine Schwierigkeiten, denn auf seiner Reise schwelgt er in Hoffnungen und Erinnerungen an gleich drei Frauen. Da ist zum einen Quincy, die erste Freundin und sein "Lieblingsmensch". Weiterhin Lenore, die wunderschöne Verflossene. Und schließlich Diane, die bezaubernde Schwierige, mit der außerhalb der Gefühlsebene so ziemlich gar nichts paßt. Doch diese Ebene ist leider nur auf seiner Seite vorhanden. Die Frauengeschichten sind also verworren, und man möchte einem Mann mit einem solchen Gefühlshaushalt eher zur Einkehr in ein buddhistisches Meditationszentrum raten als zu einer Reise, wie er sie unternimmt. Klosterman sucht das Gartenhaus auf, in dem Kurt Cobain sich erschossen hat, eine Kneipe, in der kurz vor einem Konzert der "Great White" ein tödlicher Brand ausbrach, und das Feld, in welches das Flugzeug von Buddy Holly, Ritchie Valens und Big Bopper stürzte - durch Don McLeans "American Pie" ging dieser Tag in die Musikgeschichte ein als "the day the music died".
Das alles ist überraschend wenig morbide, weil Klosterman es immer mit seinem trockenen Humor hinterfragt: "Ich bin mir vollkommen bewußt, daß es, wenn ich mal fünfzig bin, sehr schwer sein wird, irgend jemandem verständlich zu machen, warum ich hoffnungslos in Mississippi durch Straßengräben getrottet bin, in der Hoffnung, die satanische Majestät von Robert Johnson zu erfassen."
In der großen Tradition leicht wahnsinniger Road-Trips hat Klosterman nicht nur merkwürdige Erlebnisse mit Menschen, sondern auch mit Drogen. In diesem Buch zeigt sich einmal mehr, daß nichts langweiliger ist als Erzählungen von verrückten Nächten mit verrückten Leuten, die verrückte Substanzen im Körper haben. Da hilft es auch nicht, daß Klosterman einen reifen Umgang damit zu demonstrieren versucht. Viel lesenswerter sind seine amüsierten Beschreibungen einiger Orte, durch die er auf der Reise kommt. Meistens ist das Beste an dem Aufenthalt, daß er von kurzer Dauer ist, und der Journalist betrachtet die Zurückbleibenden wie ein interessierter Insektenforscher, wenn er zum Beispiel eine Party in seinem Motel mitbekommt. "Das ist offensichtlich die Methode, wie man sich als Highschoolkid in Missoula verlustiert: Man nimmt sich ein Einzelzimmer in einem Hotel und testet aus, wer an Alkoholvergiftung stirbt."
Der Vergleich mit Nick Hornbys "High Fidelity" liegt nahe und wird am Ende des Buches sogar angesprochen, aber er trifft nicht zu. Ebenso wie "Lost in music" von Giles Smith, Stuckrad-Barres "Soloalbum" und alle anderen in den letzten Jahren niedergeschriebenen Liebeserklärungen an die Popwelt thematisiert zwar auch Klosterman die klassischen Fragen wie die nach dem ersten gekauften Album. Aber er bleibt unpersönlicher. Er betrachtet die Musik relativ sachlich, und selbst wenn er eine als katastrophal geschmacklos geltende Band zufällig liebt, ist das nicht einfach eine sympathische Verirrung, sondern muß ausgiebig erläutert werden. Ein bißchen weniger Meta-Ebene hätte es auch getan.
JULIA BÄHR
Chuck Klosterman: "Eine zu 85% wahre Geschichte". Aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 284 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Weniger meta wäre mehr gewesen, meint Julia Bähr. Um einem Vergleich mit "Popbiografien" von Nick Hornby oder Gilles Smith standzuhalten, hätte Chick Klosterman schon ein bisschen persönlicher sein müssen, anstatt seitenlang die Bedeutung von "Led Zeppelin" zu erörtern. Merkwürdig. Denn der Grund, dass der Text nicht in der Zeitschrift "Spin" erschien, sondern als Buch, liegt für Bähr gerade in der Verquickung musiktheoretischer Exkurse mit dem "emotionalen Lebenslauf", der ungeschmeidigen Beziehungswelt des Autors. Macht nichts, Bähr will sich ohnehin vor allem amüsieren. Und das klappt mit diesem Buch an den seltsamsten Orten. In dem Gartenhaus, in dem Kurt Cobain sich das Hirn wegblies, zum Beispiel, dem "trockenen Humor" des Autors sei Dank.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH