Die syrische Autorin Rasha Abbas zeigt in ihren neuen Erzählungen virtuos die Bandbreite ihrer Kunst: urbane Märchen und Traumlandschaften mit starken zeitgenössischen Bildern. Berührende Figuren, Fantasiegebete, Balladen und Monologe von ungeheurer Dringlichkeit."Teilweise geradezu liedhaft rhythmische Miniaturen über die Fremdheit, aber auch Wunderbarkeit der Welt." Berliner Zeitung"Bemerkenswert ist, wie Abbas die Vielfältigkeit der verschiedenen Fluchtgründe auffächert und dabei weibliche und männliche Erfahrungen gleichermaßen darstellt. ... Abbas schreibt in kurzen Sätzen, manchmal mit alttestamentarischem Pathos, nur um dann ihre ästhetisiert davonschwebenden Leser schnell wieder auf den Boden zu bringen." Süddeutsche Zeitung"Die Figuren der 21 Geschichten haben in menschliche Abgründe geschaut, und die Autorin zeigt, wie sie sich dem Vernichtungswillen anderer mithilfe ihrer Vorstellungskraft widersetzen." Deutschlandfunk Kultur
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.2018Schilka ist ein Flak-Geschoss
Eindrucksvolle syrische Erzählungen: "Eine Zusammenfassung von allem, was war" von Rasha Abbas
Ein abgetrennter Kopf, gefunden und sorgfältig begossen im Blumenkisterl vor dem Zimmerfenster, schreckt hier niemanden. Im Gegenteil, die junge Frau, fast ein Mädchen noch, möchte sich um das neue Gewächs durchaus kümmern. Und wie nennt man eigentlich das Gegenteil von Verfolgungswahn, also die Wahnvorstellung, jemanden beobachten, verfolgen, behelligen, auf Neudeutsch "stalken" zu müssen?
Nur zwei Beispiele, zweimal eine Kürzestbeschreibung aus insgesamt einundzwanzig meist anekdotenhaften Kurzgeschichten im schmalen Erzählband "Eine Zusammenfassung von allem, was war" der syrischen Autorin und Journalistin Rasha Abbas, die seit dem Jahr 2015 in Deutschland und den Niederlanden lebt. Zwei andere Texte daraus sind zuvor bereits in einem Sammelband des Secession Verlags erschienen.
Alle Erzählungen sind in der Ich-Form geschrieben - bei manchen ist allerdings nicht klar, ob dieses "Ich" auch tatsächlich immer dieselbe Person bleibt, nicht einmal, welchen Geschlechts die Erzählstimme wohl sei - und berichten von ungewöhnlichen Erlebnissen. Einige wenige, etwa "Manifest des absoluten Hasses" oder "Frevel", wirken wie Tagebucheinträge geflüchteter Menschen aus Syrien und erzählen von Korruption und Folter durch die Polizei.
Andere wiederum, zum Beispiel "Ein greller Schwarm Mangospinnen" oder "Eine Reihe nicht funktionierender Methoden, die Zeit totzuschlagen", erinnern in der Skurrilität ihrer Handlung, der Handlungsorte und dem recht freien Umgang mit den Gesetzen der Physik mitunter an Szenarien aus der Welt von Howard Phillips Lovecraft - freilich mit dem wesentlichen Unterschied, dass Rasha Abbas besser zu schreiben versteht.
Ihre Übersetzerin aus dem Arabischen, Sandra Hetzl, hat hervorragende Arbeit geleistet, und entweder sie oder die Lektorinnen Nikola Richter und Tine Mothes erläutern bisweilen aus der syrisch-arabischen Umgangssprache stammende Begriffe mittels Anmerkungen. Woher wüsste man sonst, dass mit dem ursprünglich aus der russischen Waffentechnik stammenden Wort "Schilka" ein Flak-Geschoss gemeint ist? Und die alliterierenden Wortfolgen "Aouss, Aoussam, Aamouss" sowie "Mierach, Mierchaad, Miechoud", die "Vogel, September, Felsen" und "Gewehr, Mütter, Erde" bedeuten sollen, werden als Eselsbrücken für Volksschulkinder vorgestellt.
Großteils verrückte Geschichten von Rasha Abbas also, die oft unterhaltsam, öfter aber beklemmend sind. Freudianisch denkende Leser könnten da vermutlich noch wer weiß was alles herauslesen. Hier aber muss der Hinweis genügen: Es ist schier unmöglich, dies dünne Bändchen, diese bemerkenswerten Kurzgeschichten, in einem zu lesen. Vielmehr legt man es nach höchstens zwei hintereinander verschlungenen Geschichten jedes Mal für eine Gedankenpause aus der Hand. Anders geht es kaum.
MARTIN LHOTZKY
Rasha Abbas:
"Eine Zusammenfassung von allem, was war".
Mikrotext-Verlag,
Berlin 2018.
168 S., geb., 20,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eindrucksvolle syrische Erzählungen: "Eine Zusammenfassung von allem, was war" von Rasha Abbas
Ein abgetrennter Kopf, gefunden und sorgfältig begossen im Blumenkisterl vor dem Zimmerfenster, schreckt hier niemanden. Im Gegenteil, die junge Frau, fast ein Mädchen noch, möchte sich um das neue Gewächs durchaus kümmern. Und wie nennt man eigentlich das Gegenteil von Verfolgungswahn, also die Wahnvorstellung, jemanden beobachten, verfolgen, behelligen, auf Neudeutsch "stalken" zu müssen?
Nur zwei Beispiele, zweimal eine Kürzestbeschreibung aus insgesamt einundzwanzig meist anekdotenhaften Kurzgeschichten im schmalen Erzählband "Eine Zusammenfassung von allem, was war" der syrischen Autorin und Journalistin Rasha Abbas, die seit dem Jahr 2015 in Deutschland und den Niederlanden lebt. Zwei andere Texte daraus sind zuvor bereits in einem Sammelband des Secession Verlags erschienen.
Alle Erzählungen sind in der Ich-Form geschrieben - bei manchen ist allerdings nicht klar, ob dieses "Ich" auch tatsächlich immer dieselbe Person bleibt, nicht einmal, welchen Geschlechts die Erzählstimme wohl sei - und berichten von ungewöhnlichen Erlebnissen. Einige wenige, etwa "Manifest des absoluten Hasses" oder "Frevel", wirken wie Tagebucheinträge geflüchteter Menschen aus Syrien und erzählen von Korruption und Folter durch die Polizei.
Andere wiederum, zum Beispiel "Ein greller Schwarm Mangospinnen" oder "Eine Reihe nicht funktionierender Methoden, die Zeit totzuschlagen", erinnern in der Skurrilität ihrer Handlung, der Handlungsorte und dem recht freien Umgang mit den Gesetzen der Physik mitunter an Szenarien aus der Welt von Howard Phillips Lovecraft - freilich mit dem wesentlichen Unterschied, dass Rasha Abbas besser zu schreiben versteht.
Ihre Übersetzerin aus dem Arabischen, Sandra Hetzl, hat hervorragende Arbeit geleistet, und entweder sie oder die Lektorinnen Nikola Richter und Tine Mothes erläutern bisweilen aus der syrisch-arabischen Umgangssprache stammende Begriffe mittels Anmerkungen. Woher wüsste man sonst, dass mit dem ursprünglich aus der russischen Waffentechnik stammenden Wort "Schilka" ein Flak-Geschoss gemeint ist? Und die alliterierenden Wortfolgen "Aouss, Aoussam, Aamouss" sowie "Mierach, Mierchaad, Miechoud", die "Vogel, September, Felsen" und "Gewehr, Mütter, Erde" bedeuten sollen, werden als Eselsbrücken für Volksschulkinder vorgestellt.
Großteils verrückte Geschichten von Rasha Abbas also, die oft unterhaltsam, öfter aber beklemmend sind. Freudianisch denkende Leser könnten da vermutlich noch wer weiß was alles herauslesen. Hier aber muss der Hinweis genügen: Es ist schier unmöglich, dies dünne Bändchen, diese bemerkenswerten Kurzgeschichten, in einem zu lesen. Vielmehr legt man es nach höchstens zwei hintereinander verschlungenen Geschichten jedes Mal für eine Gedankenpause aus der Hand. Anders geht es kaum.
MARTIN LHOTZKY
Rasha Abbas:
"Eine Zusammenfassung von allem, was war".
Mikrotext-Verlag,
Berlin 2018.
168 S., geb., 20,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Knapp, aber begeistert bespricht Martin Lhotzky diesen schmalen Erzählband der syrischen Autorin Rasha Abbas. Einundzwanzig aus der Ich-Perspektive geschriebene Kurzgeschichten entdeckt der Kritiker hier, "Beklemmendes" über Flucht, Korruption oder Folter etwa, aber auch Launiges, so Lhotzky: Wie H.P. Lovecraft, nur besser geschrieben, meint er. Insbesondere lobt der Rezensent die Übersetzung von Sandra Hetzl und das Lektorat durch Nikola Richter und Tine Mothes, die auch Begriffe aus der syrisch-arabischen Umgangssprache erläutern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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