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Produktdetails
  • suhrkamp taschenbuch
  • Verlag: Suhrkamp
  • Abmessung: 176mm x 108mm x 14mm
  • Gewicht: 164g
  • ISBN-13: 9783518389508
  • Artikelnr.: 25028425
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2019

Im Schelmenroman des eigenen Lebens
Je länger das Schreiben ausblieb: Wolfgang Koeppens Selbstauskünfte und Legenden

Als Wolfgang Koeppen 1996 starb, hofften Leser, Kritiker und sicher auch sein Verleger, Siegfried Unseld, dass sich im Nachlass zumindest der eine oder andere von den diversen Romanen finden würde, die der Autor über Jahrzehnte immer wieder angekündigt hatte. Doch schon im Jahr 2000, als "Auf dem Phantasieross - Prosa aus dem Nachlass" erschien, wurde klar, dass - abgesehen von den 75 Seiten des Vorkriegsfragments "Die Jawang-Gesellschaft", von dem Koeppen behauptet hatte, es sei wahlweise in Holland verlorengegangen oder in Berlin verbrannt - nichts entstanden war, das auch nur annähernd einem fertigen Roman ähnelte.

Über die Gründe für Koeppens Verstummen ist viel spekuliert worden: Von Verbitterung über die Attacken, denen seine Nachkriegstrilogie ausgesetzt gewesen ist, war ebenso die Rede wie vom Scheitern an den eigenen Maßstäben oder von seiner schwierigen privaten Situation. Dementsprechend taucht in einem nun erschienenen Interview-Band bereits im dritten Gespräch, das Koeppen 1962, acht Jahre nach Erscheinen von "Der Tod in Rom" und drei Jahre nach "Amerikafahrt" - dem letzten seiner drei Reisebücher -, mit Horst Bienek führte, die Frage nach diesem neuen Roman auf, und Koeppen erklärt: "Ich will vorläufig keine neuen Reisebücher, ich will Romane schreiben."

In den folgenden fünfunddreißig Jahren und sechshundert Seiten Gesprächen, die der Band umfasst, wird diese Frage ihn kontinuierlich begleiten. Er antwortet darauf in schöner Regelmäßigkeit, dass Fertigstellung und Veröffentlichung unmittelbar bevorstünden, gibt Hinweise auf die Thematik: eine politische Geschichte, die in Amerika zur Zeit der Ermordung Kennedys spielt; sein Überleben während des Krieges; ein autobiographisches Werk, das alle Fäden aus Literatur und Leben zusammenführt - um nur einige zu nennen. Dabei klingt er stets so überzeugend, dass man, wenn man es nicht besser wüsste, in der nächsten Suhrkamp-Vorschau nach dem Erscheinungstermin schauen würde.

Überhaupt wirkt Koeppen immer verbindlich und zugewandt, was einen zunächst darüber hinwegtäuscht, dass er mit unerbittlicher Diskretion seine Geheimnisse wahrt. Kein noch so geschickter Gesprächspartner bringt ihn dazu, etwas auszuplaudern, was er eigentlich lieber für sich behalten hätte. Das betrifft sowohl seine Lebensumstände wie bestimmte Phasen seiner Biographie, insbesondere während der NS-Zeit.

Gelegentlich deutet er an, was vielleicht der Hauptgrund für seine Krise gewesen ist, und spricht von dem "privaten Roman, über den ich nicht reden will", ergänzt auf Nachfrage: "Da passiert leider sehr viel und Trauriges. Kein Kommentar dazu." Was dahinter steht, wird klar, wenn man weiß, dass Koeppens Frau, Marion, mit der er seit den letzten Kriegsmonaten bis zu deren Tod 1984 sein Leben geteilt hat, schwer alkohol- und tablettenabhängig war. Wer jedoch erwartet, intime Details über das Lebens- und Liebesdrama Wolfgang Koeppens zu erfahren, wird ebenso enttäuscht wie jemand, der auf wohlige Erschütterung angesichts des tragischen Scheiterns eines begnadeten Künstlers hofft. Das hängt auch mit einer Eigentümlichkeit zusammen, die diese Interviewsammlung von anderen ihrer Art unterscheidet: Dadurch, dass bis auf das Erzählfragment "Jugend" mehr als fast vierzig Jahre kein neues Buch erscheint, werden die Gespräche ziemlich bald historisch-biographisch, und Koeppen wandelt sich vom Autor zum Zeitzeugen in eigener Sache. Als solcher erzählt er von seinen Anfängen in der Theaterszene Ende der zwanziger Jahre, von seiner Arbeit als Kritiker beim Berliner "Boersen Courier", seinem selbstgewähltem Exil in Holland, aus dem er 1938 zurückkehrt, um als Drehbuchautor unter anderem bei der Bavaria zu arbeiten. Als ihm schließlich die Einberufung zur Wehrmacht droht, taucht er unter und verbringt die letzten Kriegsmonate in einem Keller am Starnberger See, wo er "von rohen Kartoffeln" lebt.

Daneben spricht er über literarische Einflüsse und seine künstlerische Positionierung, die Rezeption seiner Bücher, hier vor allem über die Ablehnung seines Debüts, "Eine unglückliche Liebe", durch die NS-Kritik, dann über die wütenden Reaktionen, die sein schonungsloser Blick in der "Trilogie des Scheiterns" auf die Zeit nach dem Krieg und die frühen Adenauer-Jahre auslöst. Dazwischen finden sich berührende Sätze über den Zustand des Menschen in dieser Welt, die prekäre Existenzform des Schriftstellers, das innere Drama des Schreibens und vieles mehr.

Doch im Grunde beantwortet Koeppen von 1962 bis zu seinem Tod 1996 immer wieder die gleichen Fragen, mal knapper, mal ausführlicher, mal humorvoller, mal düsterer. Durch diese Wiederholung in Variationen stellt sich eine eigenartige Irritation ein, als schaute man einem absurden Theaterstück zu; zugleich scheinen hinter dem netten Gesprächspartner Wolfgang Koeppen zunehmend Abgründe auf, die weit über die künstlerische Krise und sein privates Drama hinausreichen.

Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass er offenkundig Romane erfindet, von denen, wie wir heute wissen, wenig bis nichts in Schriftform existierte. Doch auch hinsichtlich seiner Biographie nimmt er das, was mutmaßlich passiert ist, eher als Ausgangspunkt der Selbsterzählung denn als gesicherte Faktenlage. Während man anfangs interessiert verfolgt, wie er taugliche Versionen für die verschiedenen Phasen seines Lebens entwickelt, beginnt man gleichzeitig, sich über die ausweichenden Antworten zu wundern, die er auf Fragen nach seiner Zeit im niederländischen Exil gibt, rätselt, weshalb er sich so raunend mysteriös über seine Lebensumstände während der Kriegsjahre äußert, sich an anderer Stelle dann auf die dubiose Formulierung zurückzieht, er habe sich "beim Film untergestellt", um gleich hinzuzufügen, seine Ideen und Drehbuchentwürfe seien so geschrieben gewesen, dass die Produzenten zwar sein Talent erkannt hätten, aber nicht in der Lage gewesen wären, daraus einen propagandatauglichen Film zu machen. Wirft man einen Blick in die biographische Dokumentation "Ich wurde eine Romanfigur - Wolfgang Koeppen 1906-1996", stellt sich allerdings heraus, dass zumindest zwei seiner Drehbücher sehr wohl in Produktion gegangen sind.

Auch im Herausgeberkommentar wird ausführlich auf die - vorsichtig formuliert - Unschärfen in Koeppens Selbstdarstellungen hingewiesen. So wurde ihm nach Erscheinen seines ersten Romans keineswegs mit "Arbeitslager" gedroht, und von 1944 an hat er weder in einem Kellerloch gehaust noch von rohen Kartoffeln gelebt, sondern war mit Hilfe von Freunden im Souterrain eines Tennishotels am Starnberger See untergekommen, wo alle möglichen Exzentriker logierten und Koeppen unter anderen die damals sechzehnjährige Marion Ulrich - seine spätere Frau - kennenlernte.

Und so erscheint Koeppen mehr und mehr wie der Picaro im Schelmenroman seines eigenen Lebens. Man weiß nicht genau, was man ihm glauben soll und was man besser in Zweifel zieht. Angesichts der aktuellen Diskussionen um fake news und erfundene Zitate ist das doppelt verstörend. Zugleich erinnert es aber auch daran, dass der neuzeitliche Roman mit dem "Lazarillo de Tormes" begonnen hat - einer dubiosen Mischung aus frisierter Lebensbeichte und bitterer Anklage, deren anonym gebliebener Autor uns lehrt, den Erzählern nicht zu sehr zu vertrauen, denn die Wahrheit der Geschichten muss sich nicht mit dem decken, was wirklich passiert ist. Und bevor wir uns darüber allzu sehr erheben, sollten wir uns selbst an die lange Nase fassen und überlegen, wie groß die Bandbreite unserer eigenen Lebensgeschichtenversionen ist, je nachdem ob wir sie dem Vorgesetzten, der Ehefrau, unserem Rechtsanwalt oder der besten Freundin erzählen.

CHRISTOPH PETERS

Wolfgang Koeppen:

"Gespräche und

Interviews". Werke, Bd. 16.

Hrsg. von Hans-Ulrich Treichel. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 770 S., geb., 48,- [Euro].

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