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Dieses Buch spürt Widersprüchen des Fußballs nach. Es denkt über die politische Logik des Elfmeterschießens ebenso nach wie über Maradona, bürgerliche Ästhetik, Klassenbildung, Frauenfußball und Kaiserslautern. Dabei will das Buch in acht kurzen Skizzen den ideologischen Charakter einer hegemonialen Kulturpraxis unseres Zeitalters verstehen, den es begrifflich umkreist und auf eine Formel bringt: Einer verliert immer.

Produktbeschreibung
Dieses Buch spürt Widersprüchen des Fußballs nach. Es denkt über die politische Logik des Elfmeterschießens ebenso nach wie über Maradona, bürgerliche Ästhetik, Klassenbildung, Frauenfußball und Kaiserslautern. Dabei will das Buch in acht kurzen Skizzen den ideologischen Charakter einer hegemonialen Kulturpraxis unseres Zeitalters verstehen, den es begrifflich umkreist und auf eine Formel bringt: Einer verliert immer.
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Autorenporträt
Ansgar Mohnkern lehrt Deutsche und Allgemeine Literatur an der Universität von Amsterdam. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze zu Literatur, Kultur und Philosophie, u.a. G'egen die Erzählung: Melville, Proust und die Algorithmen der Gegenwart' (Turia + Kant, 2022)
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Allen Fans des populärsten aller Spiele empfiehlt Rezensent Thomas Steinfeld das schmale Buch des Philologen Ansgar Mohnkern. Mit philosophischer Hand widmet sich der Autor laut Steinfeld der schönsten Nebensache der Welt, sichtet WM-Spiele, milliardenschwere Vereine und die Entwicklung des Frauenfußballs. Vor allem aber denkt er nach über exemplarische Fälle der Entscheidung durch Münzwurf, Elfmeter und Gotteshand (siehe Maradona) und die Macht des Fußballs als einer gesellschaftlichen Praxis. Lesenswert, findet Steinfeld.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.01.2024

Vom Platz
Müssen denn
Fußballmannschaften
immer Gegner sein?
Der Philologe
Ansgar Mohnkern
legt in seinem Buch
„Einer verliert immer“
die Ideologie
des Sports frei.
Vor beinahe sechzig Jahren, am 24. März 1965, trafen im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister der 1. FC Köln und der FC Liverpool aufeinander. Hinspiel wie Rückspiel der beiden Mannschaften hatten jeweils geendet, ohne dass Tore gefallen waren. Nun sollte die Entscheidung herbeigeführt werden, auf neutralem Boden. Die Hoffnung erfüllte sich nicht, das Spiel in Rotterdam endete ebenfalls mit einem Unentschieden (2:2), woraufhin eine Regel in Kraft tat, die allen Beteiligten unheimlich erschienen sein muss: Ein Münzwurf, hatte der Europäische Fußballverband dekretiert, sollte das Spiel entscheiden.
Und so nahm man eine münzförmige Holzscheibe, deren Seiten verschieden lackiert waren, sodass je eine Farbe für je eine Mannschaft stand. Die Scheibe blieb senkrecht im Rasen stecken. Erst nach dem zweiten Wurf hatte der FC Liverpool gewonnen. „Wenn man ein Elfmeterschießen als Entscheidung herangezogen hätte“, schimpfte danach der Kölner Trainer, „so würde ich darin noch einen Sinn sehen, weil das mit Fußball ein wenig zu tun hat. Doch das Los mit einer Münze? Es ist einfach unfassbar.“
In diesem Sport geht es, wie diese Geschichte lehrt, um das Gewinnen, auf der Grundlage einer erkennbaren Leistung. Das Unentschieden verträgt er nur schlecht – und er tut es gar nicht in einem Pokalwettbewerb, in dem aus jeder Begegnung nur eine Mannschaft übrig bleiben darf. Bis zum nächsten Spiel.
Die Geschichte des Fußballs ist reich an Anekdoten. Ihm sind zahllose Erzählungen gewidmet und eine eigene historische Philologie. Ansgar Mohnkern, Literaturwissenschaftler an der Universität Amsterdam, hat mit seinem kleinen Buch „Einer verliert immer“ mehr im Sinn: eine philosophische Kritik, die den ideologischen Kern des Fußballs freilegen soll. Nicht um ihn aufzulösen (dazu bedürfte es ganz anderer Anstrengungen als der eines Buches), sondern um ihn kenntlich zu machen.
Mohnkern hat Bücher über Metaphern und Aufsätze über Goethe, Stifter und Kafka geschrieben. Ob er ein Anhänger des Fußballsports ist, erfährt der Leser nicht. Für den 1. FC Kaiserslautern, der gegenwärtig am unteren Ende der Zweiten Bundesliga spielt, scheint er heimatliche Gefühle zu hegen. Dieser Verein, erklärt Mohnkern mit einem Blick auf den „Betzenberg“, die Fußballfestung über der Stadt, sei „die Essenz dessen, was aus der Zeit gefallen ist“. Ihm gelte unter Menschen, die sich an den Stürmer Fritz Walter (Weltmeisterschaft 1954) und den Trainer Otto Rehhagel (Deutscher Meister 1998) erinnern können, eine Nostalgie, die auf Grundlage „diffuser Impulse gegen das Falsche und Ungerechte einer gesellschaftlichen Gegenwart“ ankämpfe. Sentimentalität und Aktivismus beiseite, will Mohnkern durchaus das „Diffuse“ an diesem Unwillen in Begriffe überführen.
Gegenstand seiner Kritik ist, wie der Titel „Einer verliert immer“ ankündigt, die Kategorie der „Entscheidung“: Was sind das für Entscheidungen, um die es im Fußball geht, wie verändern sie ihren Charakter, und was haben sie letztlich zu bedeuten? Drei Spiele dienen Mohnkern als exemplarische Fälle, an denen die Geschichte dieser Entscheidung abzulesen sei: zuerst der Münzwurf von Rotterdam, bei dem die Leistungsethik, das vermeintliche Prinzip des Sports, aufgegeben und durch den Zufall – wenn nicht durch ein mythisches Gericht – ersetzt wurde. Die Münze, so Mohnkern, sei „der Triumph der einmaligen Entscheidung über das fürchterliche Gespenst des Unentschiedens“ gewesen.
Sein zweiter Fall ist das Finale der Europameisterschaft 1976, als sich in Belgrad die Mannschaften der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei gegenüberstanden. Zum ersten Mal in einem großen Turnier wurde das Spiel im Elfmeterschießen entschieden, wobei Uli Hoeneß den Ball über das Tor jagte und Deutschland verlor. In einer solchen Entscheidung werde, erklärt Mohnkern, tendenziell das Prinzip der Mannschaft aufgegeben. Zurück blieben „Subjekte, die sich nun als je einzelne und einsame um ihr Schicksal zu kümmern haben“, weshalb zwar der scheiternde Schütze zu einem „tragischen Helden“ werden könne, nicht aber der Torwart, der einen Schuss nicht halte.
Sinnbild dieses ganz und gar individuellen Verfehlens sei Uli Hoeneß, wie er in seinem Unglück die Hände vor dem Gesicht zusammenschlage. Zwischen dem Münzwurf und dem Elfmeterschießen vollziehe sich, so Mohnkern, die Entwicklung von einer sozialen Umgebung, die so umfassend gesichert war, dass sie Entscheidungen von absoluter Sinnlosigkeit zuließ („unfassbar“ hatte das Wort des Kölner Trainers gelautet), zu einem „Zeitalter der Selbstverantwortung“.
Das dritte Beispiel ist der berühmteste Fall: Im Viertelfinale der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko trafen Argentinien und England aufeinander. Entschieden wurde das Spiel durch zwei Tore Diego Maradonas. Mit dem ersten Tor brach er die Regeln des Spiels: Unmittelbar vor dem gegnerischen Tor angelangt, hob der kleine Mittelfeldspieler den Ball mit der Hand über den Kopf des Torhüters, was der Schiedsrichter nicht sah – und was in unzähligen Nachbearbeitungen des Ereignisses zu einem Akt mythischer Gerechtigkeit erhoben wurde. Es geschah, obwohl es nicht geschehen durfte, in einem Triumph der Anarchie über die Ordnung. Vier Minuten danach schoss Maradona noch ein Tor, über mehr als das halbe Spielfeld spurtend, einen Gegner nach dem anderen ausschaltend, im Fallen noch den Ball ins Gehäuse schiebend. Dieses Mal war keine Regel gebrochen.
So ging die Befreiung von der Regel in deren absolute Geltung über, der begnadete Held verwandelte sich in einen Virtuosen des Gesetzes, und das vorübergehend freigelassene Individuum kehrte zurück in Recht und Ordnung.
Und wenn Lionel Messi im April 2007, im Halbfinale des spanischen Pokals zwischen dem FC Barcelona und dem FC Getafe, Maradonas zweites Tor und das Wunder der Regelhaftigkeit nachspielte, bis ins letzte Detail, offenbart die Wiederholung nicht nur, dass Genie und Pflichterfüllung nach dem gegenwärtigen Stand der Fußballgeschichte zusammenfallen sollen, sondern auch, wie unentrinnbar die Spiele mittlerweile sind: Unablässig wälzt sich der Fußball voran, im Abstand von zwei oder drei Tagen, zu allen Jahreszeiten und in einem gigantischen Spektakel, für das es in Deutschland wie in vielen anderen Ländern nichts Vergleichbares gibt. Immer wieder beginnen die Spiele von vorn, und immer wieder beginnt die Saison von Neuem, und an jedes Ereignis knüpft sich ein nicht minder großer Erinnerungsapparat, für den die Helden und die Situationen längst vergangener Spiele mobilisiert werden.
Fußball ist das populärste aller Spiele, die sich in den Kategorien des Kriegs vollziehen. Es geht darum, die gegnerische Mannschaft auszuschalten, Terrain zu gewinnen und die Stellungen des Feindes zu erobern. Am Ende soll, aus der Perspektive jeder Mannschaft und jedes Spielers gesehen, der Sieg stehen. Gewiss wird der Krieg im Fußball sublimiert, erhöht, verfeinert, in seiner Gewalttätigkeit bis auf ein Minimum reduziert, was auch immer. Doch wird der Krieg deswegen nicht fiktiv.
Im Beruf wie im privaten Leben mag man sich daran gewöhnt haben, dass Entscheidungen nicht verhängt und exekutiert, sondern ausgehandelt und vermittelt werden. Im Fußball ist es anders, im selben Maß, wie die Entscheidung das eigentliche Ziel dieses Sports bildet, womit nicht nur ein immer wieder neu einsetzendes Streben nach Herrschaft verbunden ist, sondern auch eine „Ästhetik der Grausamkeit“. Denn wo es einen Gewinner gibt, gibt es mindestens einen Verlierer. Zur Logik der Meisterschaft gehört darüber hinaus, dass, wo es einen Gewinner geben soll, viele Verlierer geschaffen werden müssen. Und für jeden dieser Verlierer gilt, dass er die Niederlage nicht nur im Spiel zu ertragen hat, sondern auch im Leben.
Ansgar Mohnkern verfolgt die Wege der Entscheidung, er schreibt über die Herausbildung einer „Oligarchie“ besonders reicher Vereine, für die längst die Devise „competition is for losers“ („Wettbewerb ist etwas für Verlierer“) gilt. Er spricht über die Fußballweltmeisterschaft in Katar, an deren Absurdität zum Erschrecken vieler Beteiligter erkennbar wurde, dass Fußball etwas Geschichtliches und möglicherweise Vergehendes sein kann. Er verhandelt den Aufstieg des Frauenfußballs und streift zumindest die Herausbildung eines avancierten Menschenhandels, der sich längst nicht nur in den obersten Ligen zeigt.
Im Mittelpunkt dieses erstaunlichen kleinen Buches jedoch steht etwas Größeres: die Erkenntnis, dass es in der Mitte der Gesellschaft eine Macht gibt, die man zu Unrecht nur für eine Art von Unterhaltung, für ein Divertissement oder etwas Beiläufiges hält. Es ist anders: Fußball ist eine zentrale gesellschaftliche Praxis. Und einer verliert immer.
Vom kommenden Sommer an soll der Leistungsdruck im Kinderfußball vermindert werden. Die Reform wird, nach dem Willen von Kultusministerkonferenz und Familienministerium, mit der Aussetzung der Bundesjugendspiele in der Grundschule einhergehen. Kleinere Mannschaften, vier Tore auf jedem Spielfeld, kürzere Spielzeiten und die Abschaffung von Tabellen sollen dafür sorgen, dass mehr Kinder mitspielen können und der „Wettkampf“ in seiner Entschlossenheit und Härte durch einen offeneren, weicheren „Wettbewerb“ ersetzt wird.
Vorgeschlagen wurde diese Reform vom Deutschen Fußball-Bund. Dass die meisten guten Sportler unter den Kindern von solchen Maßnahmen wenig halten und auf dem Kampf, auf Triumph und Schmach bestehen werden, wurde bereits vielfach angemerkt. So spricht die Erfahrung. Dass der DFB auf solche Gedanken kommt, verweist hingegen auf etwas anderes: darauf nämlich, dass die Funktionäre dieses Vereins keine Vorstellung davon haben, mit was für einer Art Macht sie es täglich zu tun haben.
THOMAS STEINFELD
Der DFB will es jetzt
weicher: Wettbewerb
statt Wettkampf
Ansgar Mohnkern:
Einer verliert immer. Betrachtungen zu Fußball und Ideologie.
Turia und Kant,
Berlin 2023, 154 Seiten, 20 Euro.
Hier lässt der begnadete Held wieder Recht und Ordnung walten und wird zum Virtuosen: Diego Maradona auf dem Weg zum zweiten Tor im Viertelfinale der Weltmeisterschaft 1986, Argentinien gegen England.
Foto: Juha Tamminen / imago
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