27,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 3-5 Tagen
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Wie konnte sich Anders Breivik, der im wohlhabenden Westen aufwuchs, zu einem perfiden Terroristen entwickeln? Åsne Seierstads ausgezeichnetes Buch ist gleichzeitig psychologische Studie und literarisches True Crime, gleichzeitig Würdigung der Opfer und eine messerscharfe Analyse einer Tat, die sich jederzeit und überall wiederholen könnte.

Produktbeschreibung
Wie konnte sich Anders Breivik, der im wohlhabenden Westen aufwuchs, zu einem perfiden Terroristen entwickeln? Åsne Seierstads ausgezeichnetes Buch ist gleichzeitig psychologische Studie und literarisches True Crime, gleichzeitig Würdigung der Opfer und eine messerscharfe Analyse einer Tat, die sich jederzeit und überall wiederholen könnte.
Autorenporträt
Åsne Seierstad, geboren 1970 in Oslo, arbeitete als Korrespondentin und Kriegsberichterstatterin für verschiedene internationale Zeitungen und ist Autorin mehrerer Sachbücher. Sowohl als Journalistin als auch für ihre weltweiten Bestseller Der Buchhändler aus Kabul (2002) und Einer von uns (2016) wurde sie vielfach ausgezeichnet. Letzeres erhielt 2018 den Preis der Leipziger Buchmesse. Das 2017 ebenfalls bei Kein & Aber erschienene Werk  Zwei Schwestern. Im Bann des Dschihad war Norwegens Sachbuch des Jahres. 2023 erschien Land der vielen Wahrheiten. Drei Leben in Afghanistan . Åsne Seierstad lebt in Oslo. Frank Zuber übersetzt aus dem Norwegischen, Dänischen und Schwedischen. Für Kein & Aber hat er u. a. Dorte Nors und Åsne Seierstad ins Deutsche übertragen. Nora Pröfrock ist eine Übersetzerin aus den skandinavischen Sprachen. Für Kein & Aber hat sie von Åsne Seierstad Einer von uns sowie  Zwei Schwestern übertragen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Was die norwegische Journalistin Asne Seierstad in ihrem 2013 im Original erschienenen Buch über den Massenmörder Breivik schreibt, schockiert Matthias Hannemann, aber öffnet ihm auch die Augen. Dass die Autorin den Menschen Breivik in den Mittelpunkt ihrer auf Gesprächen mit Freunden, Parteigenossen, Überlebenden und auf Verhörprotokollen und Zeugenaussagen basierenden Untersuchung stellt, scheint Hannemann nachvollziehbar. Der Text entwickelt einen Sog, dem er sich schwer entziehen kann, nicht zuletzt, weil sich Seierstad mit Kommentaren zurückhält, wie der Rezensent erklärt. Wenn die Autorin in "solider Reporter-Prosa" über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft nachdenkt, schwant dem Rezensenten zwar, dass es letztlich doch Breivik ist, der für die Taten von Breivik verantwortlich ist, als gesellschaftliche und private Tragödie scheint ihm dieser Täter aber ganz gut umrissen. Eine intensivere Behandlung der politischen Facetten des Falls Breivik leistet das Buch laut Hannemann allerdings nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2016

Herr Möchtegern ist jetzt Terrorist

Die Lebensgeschichte als Rüstung: Åsne Seierstad untersucht die Beweggründe des Massenmörders Anders Behring Breivik.

Es gibt wahrlich genug Menschen, die in dysfunktionalen Familien aufwachsen, ohne deshalb zu Massenmördern zu werden. Dasselbe lässt sich für die Karrieren von Problemkindern sagen, die Graffiti-Tags auf Zugwänden hinterlassen, für Twens, die sich in der Phantasiewelt von "World of Warcraft" verlieren, für Jungpolitiker, die von ihren Leuten ignoriert werden, für Firmengründer, deren Geschäftsmodell auffliegt, und überhaupt all jene, die vom Leben Tempo erwarten und sich plötzlich - wie der Protagonist in Joachim Triers Suizid-Drama "Oslo, 31. August", das im Frühjahr 2011 in Cannes gezeigt wurde - abgehängt sehen.

Vielleicht muss man sogar betonen, dass nicht jeder Bomben zu bauen beginnt, der für populistische Ideen empfänglich ist und Internet-Foren mit islamophoben Ergüssen bereichert. Anders Behring Breivik freilich, zu dessen Biographie die genannten Kapitel gehören, wurde am Ende ein Massenmörder, er baute eine Bombe, die er am 22. Juli 2011 im Regierungsviertel von Oslo hochjagte, und dann tötete er auf der Insel Utøya, in einem sozialdemokratischen Ferienlager, per Schusswaffe noch einmal neunundsechzig Jugendliche. Was trieb diesen Mann an? Das Politische, das der Tempelritter betont wissen will, der sich der Polizei am Telefon als "Kommandant der antikommunistischen Widerstandsbewegung Norwegens" vorstellte und dafür sorgte, dass ein islamfeindliches "Manifest" im Internet stand?

Die Journalistin Åsne Seierstad, eine Auslandsreporterin und Bestsellerautorin, die einst für das "Arbeiderbladet" aus Russland schrieb und anschließend für das Fernsehen aus Ländern wie dem Kosovo, Afghanistan oder dem Irak arbeitete, hat den Menschen Breivik untersucht. Es dürfte sie angespornt haben, wie sehr sich Breivik vor Gericht über private, nicht von ihm selbst zurechtgelegte Biographie-Schnipsel empörte. Er hatte seine Lebensgeschichte "als glänzende Rüstung konstruiert", schreibt Seierstad. Das schreit nach Dekonstruktion, auch wenn es womöglich bedeutet, dass das Politische an Gewicht verliert.

Angeregt von dem Auftrag, während des Prozesses gegen Breivik für "Newsweek" zu berichten, trug Seierstad alles zusammen, was über Breivik zusammengetragen werden konnte. Sie sprach mit Breiviks Freunden, Klassenkameraden, Parteigenossen, Geschäftspartnern und Opfern, die überlebten, und wertete Quellen wie Sozialamtspapiere, Verhörprotokolle, Zeugenaussagen, staatliche Studien und Breiviks sogenanntes "Manifest" aus. Am Ende veröffentlichte sie 2013 einen backsteindicken Wälzer, der nun in deutscher Übersetzung vorliegt und die Breivik-Literatur erweitert, zu der Sachbücher wie Erika Fatlands "Die Tage danach" und Klaus Theweleits "Das Lachen der Täter: Breivik u.a." zählen (F.A.Z. vom 9. April 2013 und 21. November 2015).

Auch Seierstads "Einer von uns", das im Original den Untertitel "Eine Norwegen-Erzählung" trug und im deutschen Untertitel "Die Geschichte eines Massenmörders" heißt, ist naturgemäß ein heftiges Buch. Die Passagen, in denen die Autorin die Morde von Oslo und Utøya literarisch ausmalt und nicht einmal das Geräusch ausspart, das zerschossenen Schädeldecken entfleucht, sind entsetzlich detailliert, und nicht alles, was sie auf diesen endlosen Seiten beschreibt, muss man wissen, um das Verbrechen für abscheulich zu halten oder mit den Familien der Opfer zu fühlen.

Ihr Bemühen, die Biographie des Täters auf alle Details abzuklopfen, die im Kleinklein dazu beigetragen haben könnten, aus einem 1979 geborenen Diplomatensohn einen hasserfüllten Killer zu machen, entwickelt trotzdem einen Sog, aus dem man - wie bei einem packenden psychologischen Krimi - aus eigener Kraft nicht herausfinden kann.

Die Autorin, die Breiviks Biographie mit den Geschichten einiger Opfer verschränkt, hält sich bei der Kommentierung des Aufgeschriebenen deutlich zurück. In solider Reporter-Prosa charakterisiert sie Breivik zwar als ewigen Möchtegern, als einen nach Bedeutung gierenden jungen Mann, der eine Identität nach der anderen ausprobierte und krampfhaft nach Zugehörigkeit suchte: "Am Ende entschied sich der Täter, aus der Gemeinschaft auszusteigen und sie so brutal wie möglich zu verletzen." Diesem Befund, der etwas zutiefst Skandinavisches hat, weil man im Norden stärker als hierzulande über das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft nachdenken mag, muss man sich aber nicht zwangsläufig anschließen.

Man muss sich beim Lesen nur daran erinnern, dass für die Taten von Breivik vor allem Breivik die Verantwortung trägt. Sonst erscheint alles und jedes an den Morden mitschuldig. Das beginnt bei den Eltern, die sich kurz nach der Geburt Breiviks trennten - die Psychiater, die sich 1983 mit Anders und seiner labilen Mutter befassten, "sahen einen Vierjährigen ohne Lebensfreude" -, und geht bis zur Polizei des Jahres 2011, deren Pannen und Versäumnisse dafür sorgten, dass auf die Autobombe im Regierungsviertel auch noch die Morde im Tyrifjord folgen konnten. Wichtige Hinweise gingen in der Aufregung unter, Polizeihelikopter konnten nicht starten, was an Booten verfügbar war, soff auf dem Weg vom Ufer nach Utøya vor lauter Polizisten an Bord beinahe ab.

Als Vorwurf gegen Einzelne dürfte das kaum gemeint sein. Wenn überhaupt, sind es Vorwürfe, die sich die Betroffenen auch selbst machen dürften. Die Bewohner von Østerdalen zum Beispiel. Sie hatten "den Schwefelgeruch, der über dem zarten Grün der Felder" nahe der Bombenküche Breiviks lag, nicht bemerkt, "und keinen der Nachbarn am Ufer der Glomma hatte es gewundert, dass der junge Mann aus West-Oslo am Nationalfeiertag das Haus nicht verlassen hatte".

Eine gesellschaftliche und private Tragödie, das ist Breivik, denkt man nach diesem Buch. Um sich zugleich zu fragen, ob man sich den politischen Facetten des Themas, die bei Seierstad natürlich vorkommen, aber oft nur en passant behandelt werden können, nicht trotzdem noch einmal intensiver annehmen muss. Die Islamophobie und der Hass auf die weltoffene Demokratie und ihre Repräsentanten nehmen in Zeiten des Populismus, der Flüchtlingsströme und der IS-Anschläge in Europa nicht gerade ab. Und anders als vor dem Juli 2011, als ein großer Anschlag von rechts die Vorstellungskraft vieler Beobachter überstieg, erscheint es heute nicht unwahrscheinlich, dass es auch von dieser Seite zu Anschlägen kommen kann, sobald es wieder einen gibt, der sich dazu berufen fühlt.

MATTHIAS HANNEMANN

Åsne Seierstad. "Einer von uns". Die Geschichte eines Massenmörders.

Aus dem Norwegischen und Englischen von Frank Zuber und Nora Pröfrock. Verlag Kein & Aber, Zürich 2016. 544 S., geb., 26,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr