Lebensprall, anrührend und voller unerhörter Wendungen. Norbert Zähringers neuer Roman ist keiner von vielen.
Mit einem Erdbeben fängt alles an, am 1. September 1923: Während ein japanischer Polizist im brennenden Tokio um sein Leben rennt, bringt Mary Frimm in der Mojave-Wüste ihren Sohn Edison zur Welt. Fast zur selben Zeit wird, rund 10000 Kilometer weiter westlich, Siegfried geboren, dessen Vater noch am Abend bei einer Schießerei ums Leben kommt. Ein Erdbeben, zwei Neugeborene und ein Jahrzehnte umspannender Kriminalfall: Norbert Zähringer erzählt von der Ironie der Geschichte, ihrem Motor, dem Zufall, von großen Katastrophen und kleinen Dramen - ebenso leicht wie lebensprall, abgründig und komisch. «Einer von vielen ist eines von sehr wenigen Büchern, die, zugleich klug und unterhaltsam, dem Leser ein ganzes Jahrhundert mit seinen Träumen und Albträumen aufschließen.» FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG «Ein grandioser Roman.» BERLINER ZEITUNG
Mit einem Erdbeben fängt alles an, am 1. September 1923: Während ein japanischer Polizist im brennenden Tokio um sein Leben rennt, bringt Mary Frimm in der Mojave-Wüste ihren Sohn Edison zur Welt. Fast zur selben Zeit wird, rund 10000 Kilometer weiter westlich, Siegfried geboren, dessen Vater noch am Abend bei einer Schießerei ums Leben kommt. Ein Erdbeben, zwei Neugeborene und ein Jahrzehnte umspannender Kriminalfall: Norbert Zähringer erzählt von der Ironie der Geschichte, ihrem Motor, dem Zufall, von großen Katastrophen und kleinen Dramen - ebenso leicht wie lebensprall, abgründig und komisch. «Einer von vielen ist eines von sehr wenigen Büchern, die, zugleich klug und unterhaltsam, dem Leser ein ganzes Jahrhundert mit seinen Träumen und Albträumen aufschließen.» FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG «Ein grandioser Roman.» BERLINER ZEITUNG
Jeder Mensch ist auf der Suche nach seiner besseren Hälfte: Norbert Zähringer, unser amerikanischster Erzähler, entwirft in seinem neuen Roman ein Panorama des zwanzigsten Jahrhunderts.
Von Richard Kämmerlings
Wenn eine seiner Romanfiguren bei der Wach- und Schließgesellschaft angestellt ist, dann erleichtert das die Arbeit des allwissenden Erzählers gewaltig. Keine Tür bleibt versperrt, keine Mauer verwehrt den Einblick - im Roman passt der Generalschlüssel stets auf jedes Schloss. Nun könnte man einwenden, der Erzähler brauche doch gar keinen Schlüssel, da er ja das, was hinter den Türen zu finden ist, ohnehin selbst erfunden hat (wie ja auch ein Zufall im Roman nie ein Zufall, sondern stets Absicht ist). Das verkennt aber, dass die auktoriale Perspektive im modernen Roman ob der Anmaßung ihrer Allwissenheit ein notorisch schlechtes Gewissen hat und um Rechtfertigung bemüht ist.
In Norbert Zähringers neuem Roman "Einer von vielen" gibt es eine Figur, die als Fahrer bei der Berliner Firma "Blohfeld & Co. Wach- und Schließdienste" jobt, genau wie jener Paul Mahlow aus Zähringers letztem Roman "Als ich schlief". Vielleicht sind die beiden auch ein und dieselbe Person, jedenfalls legt Zähringer damit einen ausdrücklichen Link zwischen beide Bücher, deren gemeinsames Thema das Verhältnis von freiem Willen, Zufall und Vorsehung ist. Der Erzähler Zähringer überlässt selbstverständlich nichts dem Zufall. Blofeld (ohne h) heißt der diabolische Gegenspieler James Bonds in mehreren Filmen, darunter "Man lebt nur zweimal".
Zwei Männer, beide am selben Tag, dem 1. September 1923, geboren, der eine in einer anarchokommunistischen Aussteiger-Siedlung in der Mojave-Wüste, der andere im ideologischen Hitzekessel Berlin, sind die Hauptfiguren dieser verschlungenen Geschichte, die das ganze zwanzigste Jahrhundert, mehrere Kontinente und die tiefsten Geheimnisse der menschlichen Existenz überspannt. Die Schicksale von Edison Frimm und Siegfried Heinze sind kontrapunktisch aufeinander bezogen, wie zwei Parallelen berühren sie sich nie, sondern schneiden sich im Unendlichen.
Einmal allerdings, im Berlin der letzten Kriegstage, wäre es um ein Haar zu einem fatalen Zusammentreffen der beiden gekommen. Frimm hängt nach dem Abschuss seines Bombers mit dem Fallschirm im Baum; Heinze, Geschützführer einer Flak, sucht nach Überlebenden und wird von SS-Offizieren gezwungen, einen von ihnen zu exekutieren. Von diesem Tag an verbindet die beiden das Trauma des Krieges und der Schuld.
Mit der bereits von seinem Debüt "So" bekannten Virtuosität führt Zähringer zahlreiche Geschichten an der kurzen Leine. Das Schicksal des Japaners Koga, der als junger Polizist das furchtbare Erdbeben von 1923 und die Zerstörung Tokios erlebt und danach ein neues Leben in Amerika beginnt, oder die Darstellung der verschlungenen Fluchtwege des armenisch-georgischen Exilanten Bebo ergänzen das Jahrhundertpanorama. Das Drama um den Berliner Polizeikommissar Mauser, der mitten im Luftkrieg einen Serienmörder jagt und einen jüdischen Jungen rettet und versteckt, ist fast ein kleiner Roman im Roman über Mitläufertum und Widerstand, dessen Verbindung mit der Haupthandlung sich erst auf den allerletzten Seiten auf überraschende Weise offenbart.
Ein Faden verfolgt die Lebensgeschichte von Frimm und seiner alleinerziehenden Mutter Mary, die sich in Los Angeles unter anderem als Sortiererin bei der Post durchschlägt. Dort entwickelt sie den für die Struktur des Buchs zentralen Gedanken, dass alle Menschen der Welt "durch unsichtbare, dünne Bande verbunden" sind: "Versteht ihr? Nur fünf, sechs Briefe muss man schreiben, um jeden auf der Welt zu erreichen. Ich schreibe einem, den ich kenne, der einem schreibt, den er kennt, der einem schreibt, den er kennt . . ." Um diese Verbindungen aufzuzeigen, muss der allwissende Erzähler auch noch das Postgeheimnis verletzen.
Diese Philosophie des Kettenbriefs hat aber auch eine Schattenseite. Als Mary Frimm während des Krieges endlich ihrem Wunsch gemäß zur Briefzustellung wechseln darf (weil die Männer an die Front kommen), ist sie nun plötzlich für die Überbringung von Todesnachrichten zuständig und muss um ihren eigenen Sohn bangen. Edison Frimm, der über einige Zufälle zum Film geraten war, dient in einer Propaganda-Einheit, die in einem umgebauten Bomber namens "Magic Carpet" über England vermeintliche Luftkämpfe für Rekrutierungsfilme inszeniert.
In starken satirischen Passagen - mit manchem Seitenhieb auf den "embedded journalism" unserer Tage - schildert Zähringer die zunehmende Vermischung von Fiktion und Realität: die Traumfabrik einmal nicht als Produktionsstätte von Fluchtpunkten, sondern als Eliteeinheit. Der Schauspieler wird zum Akteur und schafft in einer Paraderolle als Kriegsheld besonders viele Feindflüge. Das große Vorbild Pynchon fliegt als blinder Passagier an Bord der "Magic Carpet" mit. Das Leitmotiv des fliegenden Teppichs - zugleich ein weiteres Bild für die Allgegenwart des auktorialen Erzählers - wird grausam auf den Boden der Tatsachen geholt und mit leichter Hand ein erzählerischer Bogen von Douglas Fairbanks Stummfilmklassiker "Der Dieb von Bagdad" zum Luftkrieg über Deutschland geschlagen. Wie der Roman überhaupt mit Filmzitaten gespickt ist: Der Prolog ist "Die Brücke" überschrieben, wie Bernhard Wickis berühmter Antikriegsfilm, dessen Story die (erst viel später erzählte) Geschichte des Flakschützen Siegfried entlehnt ist.
"Einer von vielen" spielt die etwas esoterisch anmutende Idee konsequent durch, dass zu jedem x-beliebigen Menschen ein passgenaues Ergänzungsstück existiert. Das erinnert an den platonischen Mythos von den zweiköpfigen und vierbeinigen "Kugelmenschen" aus dem "Symposion", die, durch Zeus zerteilt, von der ewigen Sehnsucht getrieben werden, sich mit dem anderen Teil wiederzuvereinigen. Was bei der Geburt getrennt wurde, sucht sich unwissentlich ein Leben lang. Siggi, wie Siegfried später genannt wird, betreibt 1993 in Berlin einen Diner: "Siggi liebte Amerika, obwohl er niemals dort gewesen war, er träumte von Amerika, einem Amerika, das, menschenleer fast, von einem endlosen Himmel überspannt, von weiten Ebenen und magischem Licht beherrscht wurde, einem Amerika wie auf der mannshohen Plakatwerbung für Zigaretten." Frimm versucht derweil, in Marlboro Country mit Hilfe asiatischer Weisheitslehren das komplementäre Rätsel seines Lebens zu ergründen.
Auch Norbert Zähringer, 1967 geboren, wird von einer unstillbaren Sehnsucht nach Amerika getrieben. Er ist einer unserer amerikanischsten Erzähler, aus jener Subspezies der Uhrwerkermeister und Romanmaschinisten, bei denen die Motive, Figuren, Haupt- und Nebenhandlungen wie Zahnräder ineinandergreifen. Michael Chabons Meisterwerk "Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier und Clay" oder auch Rick Moodys "Wassersucher" sind Vorbilder für Zähringers hochtourigen Geschichtenapparat, bei dem am Ende kein Auge trocken und kein Fädchen lose bleibt. Wo das Vorgängerbuch "Als ich schlief" noch schwächelte - beim fehlenden Tiefgang der Figuren und der Überstrapazierung des Prinzips Zufall -, wirkt dieser Roman reifer und souveräner.
Der Mann vom Wach- und Schließdienst, Stammkunde in "Siggi's Diner", öffnet am Ende die Tür zum alten Bunker, in dem Siegfried seine Erinnerungen an den April 1945 übermannen. "Einer von vielen" ist eines von sehr wenigen Büchern, die, zugleich klug und unterhaltsam, dem Leser ein ganzes Jahrhundert mit seinen Träumen und Albträumen aufschließen.
Norbert Zähringer: "Einer von vielen". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 496 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Christoph Schröder weiß nicht recht, was Norbert Zähringer mit seinem neuen Roman schreiben wollte. Der Anfang gefällt ihm noch recht gut: Die Geschichten von Edison Frimm, dessen Mutter Mitglied einer esoterischen Sekte ist, und Siegfried Heinze, Sohn eines eisernen Nazis, spinnen sich chaotisch fort, werden übereinandergelegt und bilden für Schröder gar so etwas wie ein "pynchonhaftes Vernetzungssystem", das er sehr unterhaltsam findet. Mit steigender Seitenzahl aber vergeht Rezensent Schröder das Lachen und spätestens bei der Beschreibung der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs weiß er nicht mehr, ob er es mit einer misslungenen Satire oder ernsthaftem Pathos zu tun hat. Das kitschige Ende des Romans liest Schröder als seichte Version des Films "Der Untergang" . Letztlich ist er zumindest zufrieden, dass Zähringer noch alle Erzählstränge miteinander verbindet und damit seiner Grundidee des Verknüpfens treu bleibt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Christoph Schröder weiß nicht recht, was Norbert Zähringer mit seinem neuen Roman schreiben wollte. Der Anfang gefällt ihm noch recht gut: Die Geschichten von Edison Frimm, dessen Mutter Mitglied einer esoterischen Sekte ist, und Siegfried Heinze, Sohn eines eisernen Nazis, spinnen sich chaotisch fort, werden übereinandergelegt und bilden für Schröder gar so etwas wie ein "pynchonhaftes Vernetzungssystem", das er sehr unterhaltsam findet. Mit steigender Seitenzahl aber vergeht Rezensent Schröder das Lachen und spätestens bei der Beschreibung der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs weiß er nicht mehr, ob er es mit einer misslungenen Satire oder ernsthaftem Pathos zu tun hat. Das kitschige Ende des Romans liest Schröder als seichte Version des Films "Der Untergang" . Letztlich ist er zumindest zufrieden, dass Zähringer noch alle Erzählstränge miteinander verbindet und damit seiner Grundidee des Verknüpfens treu bleibt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH