Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.1996Insel der Ordnung
Einfach kompliziert: Die Architekturdebatten um Berlin
Vieles spricht dafür, daß die oft beschworene plurale und offene Gesellschaft der Bundesrepublik mit dem Niederreißen der Mauer keineswegs ihre ideologischen Schranken verloren hat. Noch klingen die schrillen Töne im Ohr, die die Debatten um die wiedergeborene Einheit, die erneuerte Nation begleiteten. Der Ruf nach neuer nationaler Größe weckte auch dort ein Echo, wo man es kaum erwartet hätte: Architekten, die im Westen der geteilten Stadt eben noch den architektonischen Pluralismus hochhielten, fordern nun ein "steinernes Berlin" und rücken damit bewußt oder unbewußt in die Nähe derer, die von Deutschlands wiedererwachender Größe bramabasieren. Bei manchen wächst der Verdacht, unter solchen Prämissen könne aus der künftigen deutschen Hauptstadt ein "Neuteutonia" werden.
Diesen Vorwurf äußerte Heinrich Klotz, ehemals Leiter des Deutschen Architektur-Museums in Frankfurt, 1994 in der Fachzeitschrift "arch +". In Hans Kollhoffs Entwürfen für den Alexanderplatz und den Potsdamer Platz sah er das Bild eines kompromittierten Berlin erstehen, einer Stadt, die einseitig und blind dem architektonischen Vokabular von "Retektonisierung, Schwere, Masse, Pathos" gehorche. Ihre vergröbernde Annäherung an den preußischen Klassizismus, so Klotz, tendiere zur architektonischen "Machtallüre" und erinnere fatal an die Berliner Architektur der Nazis. Klotz diagnostiziert die radikale Abkehr von einem Stilwollen, das sich nach 1945 der transparenten, leichten und offenen Bauweise zugewandt hatte, die als Inbegriff der Demokratie verstanden wurde.
In dem von Gert Kähler herausgegebenen Sammelband "Einfach schwierig. Eine deutsche Architekturdebatte" hat der Architekturtheoretiker seinen Vorwurf erneuert: Kollhoff, einer der wichtigsten Architekten in Deutschland, imaginiere, einem "manischen Wiederholungszwang" gehorchend, ein "steinernes Berlin", vor dessen Megalomanie selbst die Stalinallee wie eine Idylle wirke: "Es gibt eben eine Architektur, die ein für allemal erledigt sein sollte, so wie man auch bestimmte Begriffe wie ,entartet', ,völkisch', ,arisch' etc. nicht mehr in einem deutschen Kontext gebrauchen kann."
Wie berechtigt sind diese vehementen Vorwürfe und Forderungen? Ihre Schärfe jedenfalls erklärt sich aus der Dynamik einer Architekturdebatte, die der Architekt und Architekturhistoriker Vittorio Magnago-Lampugnani in Gang gesetzt hat. Er propagierte vor zwei Jahren eine Architektur der "Neuen Einfachheit". Lampugnani plädierte, wie nun im Nachdruck bei Gert Kähler nachzulesen ist, für eine äußerst moderate Moderne, die während der zwanziger Jahre zwischen den einander bekämpfenden Formationen von Funktionalisten und Traditionalisten zerrieben worden war.
Ungeachtet der pluralen Strukturen telematischer Gesellschaften beharrt Lampugnani auf einer wertebewahrenden Architektur, die sich "als Insel der Ordnung im Strom der Verwirrung" bewähren werde. Formulierungen wie diese führten dazu, daß Gegner ihn in der Bautradition des Deutschen Heimatschutzbundes sahen, dessen Geschäftsführer Werner Lindner 1917 angesichts der sozialen Umbrüche eine "gute, gesunde und einheitliche Bauweise" als Krisenlösung anbot und die Rückkehr zur gefestigten, "auf der sicheren Erkenntnis der inneren Werte beruhenden Baukultur" propagierte.
Lampugnanis Forderung nach dem "anständigen Haus" mit praktischem Grundriß und soliden Wänden wirkt wie aus einer anderen Welt. Sie erscheint um so nostalgischer, je mehr, wie Florian Rötzer in seinem Aufsatz über "reale und virtuelle Städte" zu Recht bemerkt, die Lebensformen im Zeitalter der Datenflüsse und Netzwerke sich fortwährend ändern. So fällt es leicht, Lampugnanis Überdruß am Stilkarussell der Postmoderne und den sensationshungrigen Dekonstruktivismen als Kulturpessimismus zu denunzieren.
Hans Kollhoff sieht die Dinge nüchtern: Nachdem sich die deutsche Hauptstadt vom Bundesdorf zur europäischen Metropole gemausert habe, müsse die Architektur "die Frage nach dem Zentrum" endlich lösen. Doch Kollhoff will einer veränderten Welt und ihren neuen Konflikten mit alten Lösungen begegnen. Sein Streben in der alt-neuen Hauptstadt gilt steinerner Architektur im Gewand eines monumentalen preußischen Klassizismus, der gegen die Flüchtigkeit architektonischer Moden den "Anspruch urbaner Permanenz" verwirkliche. Die NS-Diktatur, erklärt Kollhoff, habe die großstädtische deutsche Architektur desavouiert. Weshalb er Berlin dennoch wieder in eine Hauptstadt mit Monumentalität verwandeln will, erklärt er nicht.
Auf der Strecke bleibt bei all dieser Polemik die offene Diskussion über die architektonische Zukunft Berlins. Schon wird dort, gegen alle experimentellen und neuartigen Tendenzen, schnellstmöglich eine Architektur aus dem Boden gestampft, die mögliche andere Lösungen buchstäblich verbaut. Sie wandelt tatsächlich oft "Neue Einfachheit" zur narkotisierenden Ordnung, manifestiert und fördert die kollektiven Bedürfnisse nach neu-alter Verbindlichkeit und Überschaubarkeit. Aber nicht alles, was in Berlin neu entsteht, versteinert. Erstarrung kennzeichnet eher das apodiktische Entweder-Oder, die Konstellation von einfach und schwierig, die als imaginäre neue Mauer die verhärteten Fronten der Berliner Architekturdebatte voneinander scheidet.
Auf der einen Seite wappnen sich die Neotektoniker und Konventionalisten mit ihrem Sinn für die "kerndeutsche Bausache" (Rudolf Stegers), auf der anderen stehen die Befürworter einer Stadt mit flexiblen und offenen Strukturen. Auch Fritz Neumeyer, zu Unrecht von Dieter Hoffmann-Axthelm dem neuen "Berliner Architekturkartell" zugerechnet, sieht hier den eigentlichen Konflikt, den Konflikt zwischen einer funktionalistischen und reduzierten Architektur, einer Architektur des schweren Steins und einer der fragmentarischen und widersprüchlichen Elemente. Selbstverständlich läßt sich dies nicht auf die Wahl zwischen totalitärer und demokratischer Architektur verkürzen. Doch wird sich entlang dieser Trennungslinie die Zukunft Berlins entscheiden. KLAUS ENGLERT
Gert Kähler (Hrsg.): "Einfach schwierig. Eine deutsche Architekturdebatte". Ausgewählte Beiträge 1993 - 1995. Vieweg Verlag, Braunschweig und Wiesbaden 1995. 220 S., br., 38,- DM.
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Einfach kompliziert: Die Architekturdebatten um Berlin
Vieles spricht dafür, daß die oft beschworene plurale und offene Gesellschaft der Bundesrepublik mit dem Niederreißen der Mauer keineswegs ihre ideologischen Schranken verloren hat. Noch klingen die schrillen Töne im Ohr, die die Debatten um die wiedergeborene Einheit, die erneuerte Nation begleiteten. Der Ruf nach neuer nationaler Größe weckte auch dort ein Echo, wo man es kaum erwartet hätte: Architekten, die im Westen der geteilten Stadt eben noch den architektonischen Pluralismus hochhielten, fordern nun ein "steinernes Berlin" und rücken damit bewußt oder unbewußt in die Nähe derer, die von Deutschlands wiedererwachender Größe bramabasieren. Bei manchen wächst der Verdacht, unter solchen Prämissen könne aus der künftigen deutschen Hauptstadt ein "Neuteutonia" werden.
Diesen Vorwurf äußerte Heinrich Klotz, ehemals Leiter des Deutschen Architektur-Museums in Frankfurt, 1994 in der Fachzeitschrift "arch +". In Hans Kollhoffs Entwürfen für den Alexanderplatz und den Potsdamer Platz sah er das Bild eines kompromittierten Berlin erstehen, einer Stadt, die einseitig und blind dem architektonischen Vokabular von "Retektonisierung, Schwere, Masse, Pathos" gehorche. Ihre vergröbernde Annäherung an den preußischen Klassizismus, so Klotz, tendiere zur architektonischen "Machtallüre" und erinnere fatal an die Berliner Architektur der Nazis. Klotz diagnostiziert die radikale Abkehr von einem Stilwollen, das sich nach 1945 der transparenten, leichten und offenen Bauweise zugewandt hatte, die als Inbegriff der Demokratie verstanden wurde.
In dem von Gert Kähler herausgegebenen Sammelband "Einfach schwierig. Eine deutsche Architekturdebatte" hat der Architekturtheoretiker seinen Vorwurf erneuert: Kollhoff, einer der wichtigsten Architekten in Deutschland, imaginiere, einem "manischen Wiederholungszwang" gehorchend, ein "steinernes Berlin", vor dessen Megalomanie selbst die Stalinallee wie eine Idylle wirke: "Es gibt eben eine Architektur, die ein für allemal erledigt sein sollte, so wie man auch bestimmte Begriffe wie ,entartet', ,völkisch', ,arisch' etc. nicht mehr in einem deutschen Kontext gebrauchen kann."
Wie berechtigt sind diese vehementen Vorwürfe und Forderungen? Ihre Schärfe jedenfalls erklärt sich aus der Dynamik einer Architekturdebatte, die der Architekt und Architekturhistoriker Vittorio Magnago-Lampugnani in Gang gesetzt hat. Er propagierte vor zwei Jahren eine Architektur der "Neuen Einfachheit". Lampugnani plädierte, wie nun im Nachdruck bei Gert Kähler nachzulesen ist, für eine äußerst moderate Moderne, die während der zwanziger Jahre zwischen den einander bekämpfenden Formationen von Funktionalisten und Traditionalisten zerrieben worden war.
Ungeachtet der pluralen Strukturen telematischer Gesellschaften beharrt Lampugnani auf einer wertebewahrenden Architektur, die sich "als Insel der Ordnung im Strom der Verwirrung" bewähren werde. Formulierungen wie diese führten dazu, daß Gegner ihn in der Bautradition des Deutschen Heimatschutzbundes sahen, dessen Geschäftsführer Werner Lindner 1917 angesichts der sozialen Umbrüche eine "gute, gesunde und einheitliche Bauweise" als Krisenlösung anbot und die Rückkehr zur gefestigten, "auf der sicheren Erkenntnis der inneren Werte beruhenden Baukultur" propagierte.
Lampugnanis Forderung nach dem "anständigen Haus" mit praktischem Grundriß und soliden Wänden wirkt wie aus einer anderen Welt. Sie erscheint um so nostalgischer, je mehr, wie Florian Rötzer in seinem Aufsatz über "reale und virtuelle Städte" zu Recht bemerkt, die Lebensformen im Zeitalter der Datenflüsse und Netzwerke sich fortwährend ändern. So fällt es leicht, Lampugnanis Überdruß am Stilkarussell der Postmoderne und den sensationshungrigen Dekonstruktivismen als Kulturpessimismus zu denunzieren.
Hans Kollhoff sieht die Dinge nüchtern: Nachdem sich die deutsche Hauptstadt vom Bundesdorf zur europäischen Metropole gemausert habe, müsse die Architektur "die Frage nach dem Zentrum" endlich lösen. Doch Kollhoff will einer veränderten Welt und ihren neuen Konflikten mit alten Lösungen begegnen. Sein Streben in der alt-neuen Hauptstadt gilt steinerner Architektur im Gewand eines monumentalen preußischen Klassizismus, der gegen die Flüchtigkeit architektonischer Moden den "Anspruch urbaner Permanenz" verwirkliche. Die NS-Diktatur, erklärt Kollhoff, habe die großstädtische deutsche Architektur desavouiert. Weshalb er Berlin dennoch wieder in eine Hauptstadt mit Monumentalität verwandeln will, erklärt er nicht.
Auf der Strecke bleibt bei all dieser Polemik die offene Diskussion über die architektonische Zukunft Berlins. Schon wird dort, gegen alle experimentellen und neuartigen Tendenzen, schnellstmöglich eine Architektur aus dem Boden gestampft, die mögliche andere Lösungen buchstäblich verbaut. Sie wandelt tatsächlich oft "Neue Einfachheit" zur narkotisierenden Ordnung, manifestiert und fördert die kollektiven Bedürfnisse nach neu-alter Verbindlichkeit und Überschaubarkeit. Aber nicht alles, was in Berlin neu entsteht, versteinert. Erstarrung kennzeichnet eher das apodiktische Entweder-Oder, die Konstellation von einfach und schwierig, die als imaginäre neue Mauer die verhärteten Fronten der Berliner Architekturdebatte voneinander scheidet.
Auf der einen Seite wappnen sich die Neotektoniker und Konventionalisten mit ihrem Sinn für die "kerndeutsche Bausache" (Rudolf Stegers), auf der anderen stehen die Befürworter einer Stadt mit flexiblen und offenen Strukturen. Auch Fritz Neumeyer, zu Unrecht von Dieter Hoffmann-Axthelm dem neuen "Berliner Architekturkartell" zugerechnet, sieht hier den eigentlichen Konflikt, den Konflikt zwischen einer funktionalistischen und reduzierten Architektur, einer Architektur des schweren Steins und einer der fragmentarischen und widersprüchlichen Elemente. Selbstverständlich läßt sich dies nicht auf die Wahl zwischen totalitärer und demokratischer Architektur verkürzen. Doch wird sich entlang dieser Trennungslinie die Zukunft Berlins entscheiden. KLAUS ENGLERT
Gert Kähler (Hrsg.): "Einfach schwierig. Eine deutsche Architekturdebatte". Ausgewählte Beiträge 1993 - 1995. Vieweg Verlag, Braunschweig und Wiesbaden 1995. 220 S., br., 38,- DM.
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