Produktdetails
- Kunstwissenschaftliche Bibliothek
- Verlag: Verlag der Buchhandlung König
- Seitenzahl: 255
- Abmessung: 230mm
- Gewicht: 550g
- ISBN-13: 9783883753430
- Artikelnr.: 07818404
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.1999Ein Schattenbild ist hochwillkommen
Der Gegenstand bleibt problematisch: Marcel Baumgartners Einführung in die Kunstgeschichte modernisiert die Disziplin
Dem Theologen Martin Hengel verdankt sich die Bemerkung, die Kunstgeschichte sei im "Vorparadies" anzusiedeln. Damit lokalisierte er diese wissenschaftliche Disziplin in einem fiktiven Zwischenreich, in dem mit einem gleichsam "interesselosen Wohlgefallen" über Kunstwerke spekuliert werden könne. Hier wird die Kunstgeschichte seit mehr als hundertfünfzig Jahren noch immer von ihren Schwesterdisziplinen vermutet. Zuvor freilich gehörte sie noch ganz den Künstlern: Als Galeriedirektoren verwalteten sie die Kunst nicht nur, sondern schrieben auch über sie. Aus den Händen der bildenden Künstler ist die Kunstgeschichte zu dem Zeitpunkt entlassen worden, als Winckelmann mit der "Geschichte der Kunst des Altertums" ein Lehrgebäude errichtet hat, das die Kunstwerke in ein geschichtliches Entwicklungsmodell einzuordnen versuchte.
Wie aus der frühen Kritik Herders an Winckelmann deutlich wird, war damit auch ein Substanzverlust verbunden, bei dem das Kunstwerk "nicht mehr so angesehen wird, wie es ist". Kunstgeschichte als wissenschaftliche Disziplin gehört seit diesen Auseinandersetzungen zum festen Kanon der Geisteswissenschaften, obwohl sie dort immer wieder ihre eigentliche Position neu zu definieren sucht. Als Grundspannung erscheint, daß die Kunstwerke zwar historisch bedingt sind, aber immer auch ästhetisch wahrgenommen werden und damit einen unmittelbaren, gleichsam zeit- und kontextlosen Zugriff ermöglichen.
Diese Welt erschließt jetzt Marcel Baumgartner mit seiner Einführung in das Studium der Kunstgeschichte. In einem einleitenden Essay skizziert er eine Standortbestimmung des Faches, um dann in einem zweiten Teil praktische Handreichungen zum Studium zu liefern. Ob der Studienanfänger sich von diesem Leitfaden beruhigt durch sein Studium führen lassen kann, wird er selbst entscheiden müssen: Den ersten Teil des in angenehmer Zurückhaltung verfaßten Textes sollte er mehrmals lesen, von Semester zu Semester wird er dabei mehr verstehen. Die Einführung teilt das Schicksal vieler grundlegender Studientexte, nicht nur für den Anfänger geschrieben worden zu sein, sondern gleichermaßen die Kollegen anregen zu wollen.
Ob sie wirklich die "Kunsthistorik" Hermann Bauers, das lange Zeit gültige und einzige Handbuch, ablösen wird, wie Baumgartner erhofft, bleibt dahingestellt. Ganz eindeutig gibt Baumgartner nämlich die Möglichkeit auf, so etwas wie einen Grundkonsens des Faches zu definieren. Überlegenswert bliebe, ob eine Einführung in das Fach Kunstgeschichte nicht auch eine Ausgangsbasis schaffen sollte, etwa dahin gehend, welche Quellenschriften unentbehrlich sind, inwieweit eine verläßliche Terminologie existiert oder was die wichtigsten methodischen Positionen auszeichnet. Hermann Bauer nämlich widmete einen Großteil seiner Einführung dem Problem der Gattungen, der Terminologie und auch den kunsthistorischen Methoden, wohingegen Baumgartner danach fragt, inwiefern man überhaupt über Kunst sprechen kann. Wie soll man mit den visuellen Zeugnissen der Vergangenheit umgehen, und kann man sie grundsätzlich sprachlich fassen? Es scheint demnach viel Mut dazu zu gehören, das Studium eines Faches aufzunehmen, das in seiner Konstitution bedroht ist und - wie man weiß - es auch immer war.
Programmatisch beruft sich Marcel Baumgartner am Anfang seiner Untersuchung auf das Leitbild, "auf den Schultern von Riesen" zu stehen. Robert Merton hat diesem wissenschaftsgeschichtlichen Bescheidenheitstopos eine faszinierende Untersuchung gewidmet. Baumgartner blickt in dieser Position naturgemäß weiter als seine Vorgänger, folglich findet der Leser eine Fülle eingewobener kunsthistorischer Literatur. Nahezu alle Standardwerke werden kritisch kommentiert. Eine der wenigen Ausnahmen ist die viel zu wenig bekannte Abhandlung Bandmanns über das "Kunstwerk als Quelle der Universalgeschichte", in dem die Erkenntnismöglichkeiten der Kunstgeschichte im Kanon der Geisteswissenschaften befragt werden.
Den steten Hinweis Baumgartners, daß man sich auch mit zeitgenössischer Kunst auseinandersetzen müsse, wird man uneingeschränkt unterstützen können. Denn die resignative und letztlich selbstzerstörerische Haltung des früheren Münchner Ordinarius Hans Jantzen, der für die Bilder und Skulpturen in der Neuen Pinakothek nicht mehr zuständig sein wollte, stellt noch für manchen heutigen Kunsthistoriker eine Gefahr dar. Wünschenswert wäre die Aufnahme einer exemplarischen Bildbetrachtung in das Buch gewesen. Dennoch wird man es immer wieder gerne zur Hand nehmen. Es ist ein verläßlicher Kompaß durch Geschichte und Gegenwart einer Disziplin, deren Zukunft nicht zuletzt in einer kritischen Selbstreflexion liegt, wie sie hier so anspruchsvoll dargeboten wird.
ALEXANDER MARKSCHIES
Marcel Baumgartner: "Einführung in das Studium der Kunstgeschichte". Kunstwissenschaftliche Bibliothek, Bd. 10. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 1998. 255 S., br., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Gegenstand bleibt problematisch: Marcel Baumgartners Einführung in die Kunstgeschichte modernisiert die Disziplin
Dem Theologen Martin Hengel verdankt sich die Bemerkung, die Kunstgeschichte sei im "Vorparadies" anzusiedeln. Damit lokalisierte er diese wissenschaftliche Disziplin in einem fiktiven Zwischenreich, in dem mit einem gleichsam "interesselosen Wohlgefallen" über Kunstwerke spekuliert werden könne. Hier wird die Kunstgeschichte seit mehr als hundertfünfzig Jahren noch immer von ihren Schwesterdisziplinen vermutet. Zuvor freilich gehörte sie noch ganz den Künstlern: Als Galeriedirektoren verwalteten sie die Kunst nicht nur, sondern schrieben auch über sie. Aus den Händen der bildenden Künstler ist die Kunstgeschichte zu dem Zeitpunkt entlassen worden, als Winckelmann mit der "Geschichte der Kunst des Altertums" ein Lehrgebäude errichtet hat, das die Kunstwerke in ein geschichtliches Entwicklungsmodell einzuordnen versuchte.
Wie aus der frühen Kritik Herders an Winckelmann deutlich wird, war damit auch ein Substanzverlust verbunden, bei dem das Kunstwerk "nicht mehr so angesehen wird, wie es ist". Kunstgeschichte als wissenschaftliche Disziplin gehört seit diesen Auseinandersetzungen zum festen Kanon der Geisteswissenschaften, obwohl sie dort immer wieder ihre eigentliche Position neu zu definieren sucht. Als Grundspannung erscheint, daß die Kunstwerke zwar historisch bedingt sind, aber immer auch ästhetisch wahrgenommen werden und damit einen unmittelbaren, gleichsam zeit- und kontextlosen Zugriff ermöglichen.
Diese Welt erschließt jetzt Marcel Baumgartner mit seiner Einführung in das Studium der Kunstgeschichte. In einem einleitenden Essay skizziert er eine Standortbestimmung des Faches, um dann in einem zweiten Teil praktische Handreichungen zum Studium zu liefern. Ob der Studienanfänger sich von diesem Leitfaden beruhigt durch sein Studium führen lassen kann, wird er selbst entscheiden müssen: Den ersten Teil des in angenehmer Zurückhaltung verfaßten Textes sollte er mehrmals lesen, von Semester zu Semester wird er dabei mehr verstehen. Die Einführung teilt das Schicksal vieler grundlegender Studientexte, nicht nur für den Anfänger geschrieben worden zu sein, sondern gleichermaßen die Kollegen anregen zu wollen.
Ob sie wirklich die "Kunsthistorik" Hermann Bauers, das lange Zeit gültige und einzige Handbuch, ablösen wird, wie Baumgartner erhofft, bleibt dahingestellt. Ganz eindeutig gibt Baumgartner nämlich die Möglichkeit auf, so etwas wie einen Grundkonsens des Faches zu definieren. Überlegenswert bliebe, ob eine Einführung in das Fach Kunstgeschichte nicht auch eine Ausgangsbasis schaffen sollte, etwa dahin gehend, welche Quellenschriften unentbehrlich sind, inwieweit eine verläßliche Terminologie existiert oder was die wichtigsten methodischen Positionen auszeichnet. Hermann Bauer nämlich widmete einen Großteil seiner Einführung dem Problem der Gattungen, der Terminologie und auch den kunsthistorischen Methoden, wohingegen Baumgartner danach fragt, inwiefern man überhaupt über Kunst sprechen kann. Wie soll man mit den visuellen Zeugnissen der Vergangenheit umgehen, und kann man sie grundsätzlich sprachlich fassen? Es scheint demnach viel Mut dazu zu gehören, das Studium eines Faches aufzunehmen, das in seiner Konstitution bedroht ist und - wie man weiß - es auch immer war.
Programmatisch beruft sich Marcel Baumgartner am Anfang seiner Untersuchung auf das Leitbild, "auf den Schultern von Riesen" zu stehen. Robert Merton hat diesem wissenschaftsgeschichtlichen Bescheidenheitstopos eine faszinierende Untersuchung gewidmet. Baumgartner blickt in dieser Position naturgemäß weiter als seine Vorgänger, folglich findet der Leser eine Fülle eingewobener kunsthistorischer Literatur. Nahezu alle Standardwerke werden kritisch kommentiert. Eine der wenigen Ausnahmen ist die viel zu wenig bekannte Abhandlung Bandmanns über das "Kunstwerk als Quelle der Universalgeschichte", in dem die Erkenntnismöglichkeiten der Kunstgeschichte im Kanon der Geisteswissenschaften befragt werden.
Den steten Hinweis Baumgartners, daß man sich auch mit zeitgenössischer Kunst auseinandersetzen müsse, wird man uneingeschränkt unterstützen können. Denn die resignative und letztlich selbstzerstörerische Haltung des früheren Münchner Ordinarius Hans Jantzen, der für die Bilder und Skulpturen in der Neuen Pinakothek nicht mehr zuständig sein wollte, stellt noch für manchen heutigen Kunsthistoriker eine Gefahr dar. Wünschenswert wäre die Aufnahme einer exemplarischen Bildbetrachtung in das Buch gewesen. Dennoch wird man es immer wieder gerne zur Hand nehmen. Es ist ein verläßlicher Kompaß durch Geschichte und Gegenwart einer Disziplin, deren Zukunft nicht zuletzt in einer kritischen Selbstreflexion liegt, wie sie hier so anspruchsvoll dargeboten wird.
ALEXANDER MARKSCHIES
Marcel Baumgartner: "Einführung in das Studium der Kunstgeschichte". Kunstwissenschaftliche Bibliothek, Bd. 10. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 1998. 255 S., br., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main